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Die Zukunft des Euro
Strukturreformen, Club Med-Gene und Austritte

„Countries do not leave the euro, the euro leaves them.“ (Neville Hill)

Die EWU ist noch lange nicht über den Berg. In der Peripherie sind die wichtigsten strukturellen Probleme weiter ungelöst. Trotz teilweise harter Sparmaßnahmen und angekündigter Strukturreformen sind zählbare Fortschritte noch immer Mangelware. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit [1] der meisten Problemländer lässt weiter zu wünschen übrig. Griechenland ist nur die Spitze des südeuropäischen Eisbergs. Das OMT-Manöver der EZB narkotisiert die Märkte allenfalls temporär. Wenn sie wieder aufwachen und testen, wie glaubwürdig die „Neue Geldpolitik“ ist, sind auch die realen Schmerzen wieder da. Der Widerstand der nördlichen Steuerzahler wird allerdings weitere Rettungsschirme verhindern. Die fiskalische Rettung ist am Ende. Dann stellt sich die Gretchenfrage: Hält Europa am gegenwärtigen Euro fest und riskiert einen ungeordneten Zusammenbruch oder „redimensioniert“ es die EWU?

Schwierige Strukturreformen

Ganz Europa wird von den Sünden der Vergangenheit eingeholt. Vor allem die Länder der Peripherie ächzen unter den Schuldenlasten. Aber auch im Kern haben Staat und Private über ihre Verhältnisse gelebt. Diese Lasten lassen sich leichter tragen, wenn die Länder wieder stärker wachsen. Das gelingt umso eher, je wettbewerbsfähiger sie international werden. „Besser oder billiger“ sind die beiden Wege. In der aktuellen Not ist eine höhere preisliche Wettbewerbsfähigkeit die einzige Medizin. Für die Länder der EWU, denen das Wasser bis zum Hals steht, bleibt nur der Weg über eine interne Abwertung. Inländische Löhne und Preise müssen sinken. Eine Reform der Arbeitsmärkte kann die direkten Lohnkosten senken, ein Um- und Abbau des (Sozial-)Staates die Lohnnebenkosten verringern. Diese Strukturreformen treffen aber auf den Widerstand der Betroffenen.

Auf dem Weg über eine interne Abwertung geht es nur langsam voran. Eine Reform des Sozialstaates, der „soziale Errungenschaften“ in Frage stellt, ist für die kurzatmige Politik ein Spiel mit Feuer. Er ist schwierig und zeitaufwendig. Der Weg über niedrigere Lohnnebenkosten ist kurzfristig blockiert. Es bleiben nur die direkten Lohnkosten. Eine Politik der Austerität senkt zwar die Löhne des Staates. Auf die Löhne des privaten Sektors sickert das aber nur zeitverzögert durch. Die Konkurrenz von Branchengewerkschaften in Lohn- und Tarifverhandlungen bremst weiter. Arbeitnehmer sind in Zeiten der Not bereit, Opfer zu bringen, wenn alle die gleichen Lasten tragen. Diese Bereitschaft sinkt, wenn ihre relative Lohnposition bedroht ist. Wird auf der Ebene von Branchen über Löhne und Tarife verhandelt, ist die Angst groß, nicht nur absolut, sondern auch relativ zu verlieren.

Wunderwaffe Abwertung?

Viele sehen in einem Austritt aus der EWU den einfacheren und schnelleren Weg, international wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Vor allem Griechenland [2] wird diese Strategie empfohlen. Eine eigene nationale Währung der Austrittsländer würde gegenüber allen anderen Währungen stark abwerten. Die relativen Einkommenspositionen der Arbeitnehmer blieben fast unverändert. Der Widerstand gegen sinkende Lohnstückkosten wäre geringer. Die Länder würden mit einem Schlag international wieder wettbewerbsfähiger. Das Defizit in der Leistungsbilanz ginge zurück, weil die Exporte steigen und die Importe sinken. Mit dem höheren wirtschaftlichen Wachstum würde auch die Arbeitslosigkeit geringer. Damit wären die wichtigsten realen Grundlagen geschaffen, die Lasten der drückenden (privaten und staatlichen) Verschuldung leichter zu schultern.

Abwertungen sind aber keine Wunderwaffe. Sie können zwar temporär helfen, real abzuwerten. Das strukturelle Missverhältnis von Kosten und Erträgen der Produktion, wird aber nicht korrigiert. Das geschieht nur, wenn effizienter und kostengünstiger produziert wird. Wettbewerb ist das beste Mittel, bei Kosten und Erträgen wettbewerbsfähiger zu werden. Mit einer nominellen Abwertung können sich die Länder diesem Wettbewerbsdruck entziehen. Die Erfahrungen der südlichen Peripherieländer in der Vor-Euro-Zeit belegen dies eindrucksvoll. Alle Versuche, über Abwertungen wettbewerbsfähiger zu werden, führten regelmäßig zu einer Preis-Lohn-Preis-Spirale. Geld-, Lohn- und Fiskalpolitiken waren zu expansiv. Am Ende waren die Länder keinen Deut wettbewerbsfähiger, Arbeitslosigkeit und Inflation aber höher. Dieses „Club Med-Gen“, das auch in Großbritannien und Schweden heimisch war, existiert noch immer.

Gefährliche Austritte

Die oft geäußerte Hoffnung, dass sich die EWU gesundschrumpfen [3] wird, ist nicht mehr als ein schöner Traum. Weder Griechenland noch die anderen Peripherieländer in wirtschaftlichen Nöten haben genügend Anreize, die EWU zu verlassen. Auch werden die anderen Mitgliedsländer den Austritt der Fußkranken nicht erzwingen. Die Erträge einer unvermeidlichen Abwertung der neuen nationalen Währung treten im günstigsten Fall erst mittelfristig ein. Schlägt allerdings das „Club Med-Gen“ zu, geschieht selbst das nicht. Solange hat die Politik nicht Zeit. Die Kosten des Austritts werden aber sofort wirksam. Die Hilfen aus den Rettungsschirmen enden abrupt. Mit dem Austritt aus der EWU ist der Staat endgültig pleite und mit ihm sind es auch die nationalen Banken. Ein Bank-Run ist unvermeidlich. Das Land stürzt wirtschaftlich ab. Soziale und politische Unruhen sind die Folge.

Faktisch haben nur die Länder mit einem stabilen wirtschaftlichen Umfeld und nachhaltigen Überschüssen in der Leistungsbilanz die Option [4] auszusteigen. Ein Ausstieg aus der EWU stärkt sie über weitere Kapitalzuflüsse. Ihre Banken schwimmen im Geld. Es droht ihnen allerdings eine Aufwertung der eigenen Währung. Roland Vaubel [5] hat kürzlich noch einmal darauf hingewiesen, dass es aber auch dann zu einer realen Aufwertung kommt, wenn diese Länder in der EWU bleiben. Die ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse macht Deutschland zum ersten Anwärter für einen Ausstieg. Noch spricht sich die deutsche Politik dagegen aus. Die Erfahrung zeigt allerdings auch, dass Institutionen nicht im Zentrum explodieren, sondern von der Peripherie her zerbröseln. Potentielle Kandidaten sind kleine, reiche und wirtschaftlich stabile Länder wie Finnland, die Niederlande und Österreich.

Vorreiter Finnland

Der Austritt aus der EWU ist nicht mehr undenkbar. Vor allem in Finnland wird daran gedacht, das sinkende Schiff zu verlassen. Es will nicht um jeden Preis in der EWU bleiben. Wenn die Kosten des Euro die Erträge übersteigen, will die gegenwärtige große Koalition aussteigen. Diese Haltung ist nicht neu. Schon beim Hilfspaket für Griechenland hatte die finnische Finanzministerin Jutta Urpilainen auf Sicherheiten bestanden. Damit sollte bei einem griechischen Staatsbankrott der finnische Beitrag zur Griechenland-Hilfe abgesichert werden. Dieser Vorstoß zog weitere Kreise. Auch andere kleine, wirtschaftliche stabile Länder, wie die Niederlande und Österreich, schlugen in dieselbe Kerbe. Bei einer möglichen Spanien-Rettung will Finnland dieser Linie treu bleiben. Sollte Spanien unter den Rettungsschirm flüchten, will es auf Gegenleistungen bestehen oder aus dem Euro aussteigen.

Die finnische Regierung sieht den fatalen Weg, den die EWU seit dem Ausbruch der Krise nimmt, mit immer größerem Argwohn. Sie ist nicht bereit, für die Schulden und Risiken anderer Länder zu haften. Ein Veto gegen den Kauf von Staatspapieren durch den ständigen ESM hat sie bereits angekündigt. Auch eine gemeinsame Haftung über die geplante Bankenunion lehnt sie konsequent ab. Die Diskussion in Finnland geht allerdings weiter. Es werden Notfallpläne für den Fall des absehbaren Scheiterns des Euros erörtert. Die ‚Financial Times‘ [6]berichtet von einer Studie der Bank Nordea. Danach wird überlegt, was konkret zu tun ist, um in Finnland eine Parallelwährung zum Euro einzuführen. Das würde der Notenbank mehr geldpolitische Flexibilität einräumen und den Finnen die Angst vor einer Hyperinflation nehmen. Damit wären die Weichen für einen geordneten Austritt aus der EWU gestellt.

Fazit

Die EWU hat in ihrer gegenwärtigen Form die Zukunft hinter sich. Der Konflikt um die heterogene internationale Wettbewerbsfähigkeit ist politisch unlösbar. Die nördlichen Länder wollen keine „italienischen“ Verhältnisse, in der jeder die Hände in den Taschen der Anderen hat. In der südlichen Peripherie verhindert das „Club Med-Gen“ fundamentale strukturelle Reformen und fördert einen Staat, der seine klebrigen Finger überall hat. Eskaliert der hässliche Konflikt zwischen Rettern und zu Rettenden, besteht die Gefahr eines ungeordneten Zusammenbruchs der EWU. Damit würde nicht nur das eigentliche ökonomische Asset, der europäische Binnenmarkt, in Mitleidenschaft gezogen. Dann ist auch nicht mehr auszuschließen, dass die Europäische Union irreparablen Schaden nimmt. Das wäre ökonomisch und politisch fatal. Eine geordnete monetäre Desintegration wäre allemal die bessere Lösung.