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Flugverkehr ohne Klimaschutz

Klima kennt keine Grenzen, Klimaschutz aber schon. Was nützen all die Energiesparleuchten und Elektroautos in Europa, wenn in China die Kohlekraftwerke aus dem Boden sprießen und die Vereinigten Staaten zum größten Ölproduzenten der Welt aufsteigen. Und was nützen die CO2-Zertifikate im European Trading System der EU, wenn die zur Emissionsminderung verpflichteten Unternehmen in Drittländer abwandern?

Die globale Erwärmung erfordert ein entschlossenes Gegensteuern – diese Einsicht ist nicht nur in Europa weit verbreitet, sondern auch in Fernost und mittlerweile sogar in Nordamerika. Weitgehende Unklarheit herrscht dagegen bei der Frage, wie mit dem Carbon Leakage umgegangen werden soll, d.h. mit dem Problem, dass Unternehmen ihre Produktion an Standorte verlagern können, wo es keine Emissionsbeschränkungen gibt und jene Unternehmen, die sich den Umweltauflagen ihrer Heimatländer unterwerfen, einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenzunternehmen aus Ländern ohne Umweltauflagen hinnehmen müssen.

Die deutsche Umweltpolitik hat auf dieses Problem bislang bemerkenswert industriefreundlich reagiert. Sowohl bei der Energiesteuer als auch bei der Stromsteuer gibt es unzählige Ermäßigungen und Befreiungen für besonders energieintensive Produktionen, also für jene Bereiche, bei denen die Lenkungswirkung dieser Steuern besonders groß wäre. Begründet wird dies mit dem expliziten Hinweis darauf, dass Verzerrungen im internationalen Wettbewerb vermieden werden sollen. Mittlerweile profitieren auch die Hersteller von Zement (ein praktisch unhandelbares Gut) und der Supermarkt von nebenan von den Vergünstigungen.

Die Europäische Kommission hat in dieser Frage stets eine andere, ordnungspolitisch fundiertere Position vertreten. Sie argumentiert, dass den reichen Industrieländern eine Vorbildfunktion zukomme und man von den Schwellenländern kaum erwarten könne, mit dem Klimaschutz ernst zu machen, wenn in den Industrieländern selbst nur dort ernst gemacht wird, wo es nicht allzu sehr schmerzt. Sie hat deshalb bislang den Standpunkt vertreten, Carbon Leakage sei hinzunehmen und die internationalen Wirtschaftsstrukturen müssten sich an die unterschiedlichen Klimapolitiken in den veschiedenen Ländern anpassen.

In diesem Sinne wollte sie auch der Flugverkehr von und nach den Ländern der Europäischen Union regeln. Schon für das laufende Jahr sollten alle Fluglinien verpflichtet werden, für ihre Flugleistungen CO2-Zertifikate nachzuweisen, wobei die Verpflichtung nicht nur für europäische sondern auch für außereuropäische Fluglinien gelten sollte. Im Frühjahr 2013 – so der Plan – hätten die Fluglinien über ihre Flugleistungen detailliert Auskunft geben müssen und hätten, falls sie sich nicht bereits im Vorwege eingedeckt hätten, Emissionszertifikate zukaufen müssen.

Aus ökonomischer Sicht klingt dieser Plan nachvollziehbar und logisch. Es gibt keinen Zweifel, dass der Flugverkehr große Mengen an CO2 an die Atmosphäre abgibt und es lässt sich relativ leicht abschätzen, wie  hoch die CO2-Belastungen der jeweiligen Flüge sind. Auch die Durchsetzung dieser Regeln ist relativ leicht, da die ankommenden und abgehenden Flüge an den europäischen Flughäfen gut erfassbar sind. Dieser Plan der EU-Kommission ist jedoch bei einem Treffen der ICAO (International Civil Aviation Organization) am 9. November 2012 pulverisiert worden. Vorausgegangen war eine wohl einmalige internationale Allianz von Produzenteninteressen, die die europäische Politik massiv unter Druck gesetzt hatten. Russland drohte damit, Überflugrechte für europäische Fluglinien einzuschränken, Indien wollte Start- und Landerechte für europäische Fluglinien kappen und die Vereinigten Staaten verboten ihren Fluglinien, die zur Berechnung der benötigten CO2-Zertifikate erforderlichen statistischen Angaben an die Europäische Union zu liefern. China schließlich drohte damit, einen Auftrag für 35 Langstreckenflugzeuge vom Typ A330 platzen zu lassen, wenn die EU-Kommission an ihren Plänen festhalten würde. Insgesamt waren es 27 Länder, die sich gegen das Vorhaben der EU-Kommission wandten.

Diesem Druck hielt die EU-Kommission nicht stand. Wenige Tage nach dem Ende des ICAO-Treffens musste EU-Kommissarin Connie Hedegaard verkünden, dass die EU-Pläne zur Einbeziehung des Flugverkehrs in das CO2-Zertifikat-System zunächst storniert sind. Sie bemühte sich, diesen Schritt als Erfolg zu preisen, da es jetzt endlich gelungen sei, mit all diesen Ländern im Rahmen der ICAO zu konstruktiven Gesprächen über Klimaschutzmaßnahmen im Flugverkehr zusammenzukommen. Doch das ist nicht mehr als der Versuch, den diplomatischen Schaden in Grenzen zu halten.

Hat die EU-Kommission mit ihrem Zurückweichen vor dem internationalen Druck einen Fehler gemacht? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Denn die Sanktionen, mit denen die Gegner des Zertifikatsystems drohten, wären für die Europäische Union durchaus spürbar und schmerzhaft gewesen, auch wenn sicher nicht alle Drohungen wahr gemacht worden wären. Auf längere Sicht dürfte allerdings der Reputationsverlust, den die Europäische Union hat hinnehmen müssen, schwerer wiegen. Es könnte Schule machen, dass man den Plänen der Europäischen Union nur entschlossen genug entgegentreten müsse, um Brüssel zum Einknicken zu bringen

Das Zurückweichen vor den international organisierten Lobbyinteressen könnte über die Klimapolitik hinaus auf andere Politikbereiche ausstrahlen. Das entschlossene Durchsetzen von Regeln ist beispielsweise auch in der internationalen Handelspolitik oder der internationalen Wettbewerbspolitik von überragender Bedeutung. Wer beim Flugverkehr dem Druck des Auslandes nachgibt, dem wird möglicherweise auch nicht mehr zugetraut, Wettbewerbsbehinderungen von Microsoft oder Patentverletzungen von chinesischen Plagiatoren nach europäischen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen. Es wäre also mehr als wünschenswert gewesen, wenn sich die EU-Kommission trotz des massiven internationalen Gegenwinds nicht davon hätte abbringen lassen, die CO2-Emissionen im Flugverkehr in das europäische Zertifikatssystem einzubeziehen.