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Wirtschaftliche Freiheit versus Wirtschaftswachstum
Macht Reichtum die Menschen glücklicher?

Chinas Wirtschaftswachstum lässt nach. Und dieser Wachstumseinbruch zeigt ein Ausmaß, dass die chinesische Politik sich Sorgen zu machen beginnt. Ein Wachstum von unter sieben Prozent sei „nicht akzeptabel“, schreibt (laut Spiegel online) die Nachrichtenagentur Xinhua. Die Zeitung „Xinjinbao“ berichtet (nach derselben Quelle), Premier Li Keqiang habe eine Untergrenze von sieben Prozent für die jährliche Wachstumsrate gezogen. Die Politik Chinas möchte um ihr Wirtschaftswachstumswunder kämpfen. Dabei ist die Zeit, als Chinas Bruttoinlandsprodukt jedes Jahr um mehr als zehn Prozent wuchs, wohl vorbei. Denn es handelt sich beim chinesischen Wachstum zu einem erheblichen Teil um einen Aufholprozess, eine allmähliche Annäherung an den Wohlstand der entwickelten Volkswirtschaften. Deutschland kennt dieses Phänomen aus den Wirtschaftswunderzeiten.

Auch das derzeitige deutsche Wachstum respektive die im Vergleich zu anderen Ländern gute konjunkturelle Lage hierzulande sind zum Teil einem Aufholwachstum geschuldet. Deutschland war zur Jahrtausendwende der kranke Mann Europas. Andere Länder zogen wirtschaftlich gesehen vorbei oder enteilten. Seit den Arbeitsmarktreformen unter der Schröder-Regierung funktioniert der deutsche Arbeitsmarkt jedoch wieder besser. Deutschland hat sich erholt, und Deutschland holt wieder auf. Höhere Wachstumsraten als in den anderen wohlhabenden Ländern der Welt sind eine logische Folge. Doch droht dieser Prozess nun zu Ende zu gehen (siehe auch Beitrag von Norbert Berthold vom 7.Juli 2013). Doch ist dies schlimm? Benötigen wir überhaupt eine wachsende Wirtschaft? Die Politiker sind dieser Meinung und teilen sie mit vielen Ökonomen. Klar ist, dass Wirtschaftswachstum den Politikern ihr Handeln vereinfacht, denn es eröffnet ihnen neue Spielräume, da sich mit dem Wachstum Einkommen und Steuern erhöhen. Doch Wirtschaftswachstum ist keineswegs alternativlos.

Seit den Veröffentlichungen des Ökonomen Richard A. Easterlin wird in der Fachliteratur diskutiert, ob sich die allgemeine Lebenszufriedenheit der Menschen durch einen bloßen Einkommensanstieg aller in einer Gesellschaft und durch den damit einhergehenden zunehmenden Konsum von Gütern überhaupt bedeutsam verändert. So ist das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands in den letzten 20 Jahren erkennbar angestiegen, der Wohlstand hat zugenommen. Trotzdem hat dieser Anstieg keinen erkennbaren Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden der Deutschen genommen, letzteres ist über die Jahre hinweg konstant geblieben. Diese Beobachtung (steigender Wohlstand macht nicht glücklicher) wird auch das Easterlin-Paradox genannt. Sie lässt sich auch in anderen entwickelten Volkswirtschaften beobachten.

Im internationalen Vergleich sind Menschen in reicheren Staaten und mit einem höheren durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen allerdings sehr wohl glücklicher als in ärmeren Staaten. Steigt das Einkommen in den weniger wirtschaftlich entwickelten Ländern an, dann müsste laut der Regressionskurve (zumindest im internationalen Vergleich) auch die Lebenszufriedenheit der Menschen dieser Länder ansteigen. Jedoch gilt dies nur bis zu einem gewissen Punkt: Befragte Personen in den wirtschaftlich entwickelten Ländern (mit gehobenem Durchschnittseinkommen) bringen einen weiteren Anstieg der Lebenszufriedenheit bei steigendem Wohlstand nicht mehr deutlich zum Ausdruck. Zwar gibt es auch für sie einen Zuwachs an Lebenszufriedenheit, aber dieser ist im Vergleich zu den wirtschaftlich schwachen Ländern sehr gering. Die Regressionskurve verläuft degressiv steigend.

Einkommen vs. Wohlbefinden [1]
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Für den degressiven Anstieg des durchschnittlichen subjektiven Wohlbefindens mit zunehmendem nationalen Wohlstand lassen sich mehrere plausible Argumente anführen:

-  Ein möglicher Grund ist, dass es den Menschen ab einem gewissen Einkommen eher an Freizeit als an weiteren mit Preisen bewerteten Gütern mangelt. Sie haben, was Konsumgüter angeht, eine Sättigung erreicht, in der sie sich genug leisten können, um glücklich zu sein, und dies ohne damit verbundene finanzielle Probleme. Zusätzliche Güter weisen daher im Vergleich zur Freizeit einen abnehmenden Grenznutzen auf. Dieses Argument führen zum Beispiel Frey / Frey Marti (2010) an.

-  Die Tatsache, dass Menschen nicht viel glücklicher bei höherem Einkommen werden, kann zudem mit der Adaptionstheorie erklärt werden. Laut dieser gewöhnen sich Menschen sehr schnell an neue Situationen jeglicher Art – so auch an neue Einkommensverhältnisse. Langfristige Glückssteigerungen nach Einkommenserhöhungen sind mit dieser Theorie also nicht möglich. Das Einkommen müsste sich demnach in kurzen regelmäßigen Abständen erhöhen, um das damit verbundene Glück des Menschen aufrechterhalten zu können.

-  Des Weiteren lässt sich erkennen, dass Zufriedenheit nicht allein auf das Einkommen pro Kopf zurückzuführen ist. Das Einkommen Russlands liegt zum Beispiel deutlich über dem in Indien, das Wohlbefinden aber ist geringer. Kulturelle und politische Faktoren sind demnach auch ausschlaggebend für das subjektive Wohlbefinden. Insbesondere Religiösität (was vermutlich das gute Abschneiden der lateinamerikanischen Länder beim Wohlbefinden erklärt), Freiheit und Demokratie, Selbstbestimmung und Toleranz lassen sich als weitere positive Treiber der Lebenszufriedenheit ausmachen.

-  Ein weiterer Grund für den degressiven Anstieg ist die Obergrenze der Messskala. Wohlbefinden wird – zumindest in der der Abbildung zugrundeliegenden Befragung des World Values Survey – auf einer Ordinalskala gemessen. 1 bedeutet hier „gar nicht zufrieden“, 10 bedeutet „in vollem Umfang zufrieden“. Menschen neigen dazu, nie ganz zufrieden zu sein und immer mit dem Gedanken zu spielen, dass Situationen sich immer weiter verbessern können. Auch wenn es ihnen an nichts fehlt, geben sie auf dieser Skala daher oft keine Höchstwerte an, um Spielraum für weitere Verbesserungen bei der Evaluation ihres Wohlbefindens offenzuhalten.

Während zunehmender Reichtum also nur bedingt zu steigender Lebenszufriedenheit führt, erhöht wirtschaftliche Freiheit direkt das subjektive Wohlbefinden. Geeignete demokratische, freiheitliche Institutionen sorgen für eine glücklichere Bevölkerung. Dies lässt sich zum Beispiel für direkt-demokratische Elemente und einen dezentralen Föderalismus empirisch nachweisen.

  1. Freiheit ist gestaltbar, Wachstum ist es nicht: Politiker setzen die Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Handelns durch einschlägige Gesetze fest. Die von ihnen gewählte Rahmenordnung kann dabei mehr oder weniger freiheitliche Elemente beinhalten. Dies reicht von der sozialistisch geprägten Idee eines Staatsapparates bis hin zu einer radikalen freien Marktwirtschaft im Sinne Adam Smiths. Zwischen diesen Extremen können unterschiedliche Grade an wirtschaftlicher, aber auch an politischer Freiheit verwirklicht werden. Das Ausmaß an Freiheit in einer Gesellschaft ist also gestaltbar. Dabei soll nicht der Eindruck erweckt werden, radikale Marktwirtschaft sorge für maximale Freiheit. Denn eine Marktwirtschaft mit einem totalen Verzicht auf einen sozialstaatlichen Unterbau sorgt bei vielen Menschen eher für Existenzangst und verringert damit auch den gefühlten Freiheitsspielraum wieder erheblich. Wachstum hingegen ist eine Folge unternehmerischen Handels. Wachstum entsteht aus klugen unternehmerischen Entscheidungen, es ist eine Konsequenz von Innovation und Imitation. Wachstum lässt sich nicht politisch administrieren.
  2. Freiheit ist Voraussetzung für Wachstum: Wirtschaftliche Freiheit ist jedoch Voraussetzung für Wirtschaftswachstum. Wirtschaftliche Freiheit sorgt für Wettbewerb, und der Wettbewerbsprozess generiert Ideen, gute Produkte und Arbeitsplätze. Dies führt zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Und wirtschaftliche Freiheit hat maßgeblichen Einfluss auf das Wohlbefinden. Dies wird insbesondere am Arbeitsmarkt ersichtlich: Deregulierte Arbeitsmärkte verringern das Problem unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. Das Einkommen und das Wohlbefinden steigen an, während bei  Arbeitslosigkeit das Selbstwertgefühl der Menschen sinkt und die Lebenszufriedenheit darunter leidet.
  3. Freiheit macht glücklicher, Wachstum nicht: Subjektives Wohlbefinden ist insofern nicht mit Wirtschaftswachstum an sich verbunden, sondern eher mit den dem Wachstum zugrundeliegenden Veränderungen für die Individuen. Wirtschaftswachstum selbst ist kein (bedeutsamer) Treiber der Lebenszufriedenheit, wirtschaftliche Freiheit hingegen sorgt für eine höhere Lebenszufriedenheit und ein höheres Wirtschaftswachstum.

Ein Schielen der Politiker auf die Wachstumsrate ist daher überflüssig. Es gilt vielmehr, die wirtschaftliche und politische Freiheit der Menschen im Blick zu behalten.

 

Literaturverweise

Easterlin, R.A. (1974), Does Economic Growth Improve the Human Lot? Some Empirical Evidence, Nations and Households in Economic Growth, in (Hrsg.): P. A. David and M. W. Reder, Nations and Households in Economic Growth: Essays in Honor of Moses Abramovitz, New York 89-125.

Easterlin, R.A. und L. Angelescu (2009), Happiness and Growth the World Over: Time Series Evidence on the Happiness-Income Paradox, IZA Discussion Paper 4060, Bonn.

Frey, B.S. und C. Frey Marti (2010), Glück – die Sicht der Ökonomie, Rüegger Verlag, Zürich/Chur.

Frey, B.S. und A. Stutzer (2000), Happiness, Economy and Institutions, The Economic Journal 110, 918-938.

Inglehart, R., R. Foa, C. Peterson und C. Welzel (2008), Development, Freedom and Rising Happiness, Perspectives on Psychological Science 3(4), 264 – 285.

Kahneman, D. und A.B. Krueger (2006), Measurement of subjective well-being, Journal of Economic Perspectives 20(1), 3–24.

World Values Survey (2011), Fifth Wave, abrufbar hier [2].