Sollte Doping im Leistungssport freigegeben werden?

Der neue Doping-Bericht über die Verwicklung bundesdeutscher Institutionen in die Erforschung von Dopingmitteln, der Fall Armstrong, die Forderungen einiger Parteien usw. zeigen, daß das Thema Doping wieder brandaktuell ist. Sieht man einmal von den Doping-Skandalen ab, so zeigen empirische Studien, daß im Leistungssport vermutlich mindestens ein Viertel der Athleten dopt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob man Doping nicht freigeben sollte.

  1. Sind die Argumente für ein Dopingverbot überhaupt stichhaltig?

Wir wollen uns zu diesem Zweck zunächst einmal die drei wesentlichen Argumente anschauen, mit denen Dopingverbote gerechtfertigt werden: Doping beeinträchtige die Gesundheit, es sei unfair, und es beschädige die Vorbildwirkung des Sports.

Tatsache ist, daß manche Dopingmittel (z. B. Epo) erhebliche Gesundheitsschäden bewirken können; andere hingegen sind weitgehend ungefährlich für die Gesundheit. Allerdings können auch intensive Trainingsmethoden, die man keinesfalls als Doping bezeichnen würde, massive Schädigungen der Gesundheit nach sich ziehen. Letztere sind erlaubt, Doping jedoch ist verboten. Das Kriterium „Schädigung der Gesundheit“ wird also nicht konsistent angewandt und die darauf basierende Argumentationskette ist daher wenig stichhaltig. Zudem ist sowieso nicht nachvollziehbar, warum mündige Bürger nicht über ihre eigene Gesundheit selbst entscheiden können, wie ja dies beim Genuß von Tabak oder Alkohol ebenfalls der Fall ist[1]. Sicherlich ist dieser Sachverhalt bei Kindern und Jugendlichen, deren Entscheidungen evtl. der notwendigen Reflexion entbehren, gänzlich anders zu beurteilen. Diese sind schützenswert.

Ist Doping unfair? Fairneß ist als Chancengleichheit zu interpretieren. Das Argument lautet nun: Doping sei unfair, da sich der gedopte Sportler einen Startvorteil verschaffe. Aber dieses Argument versagt bereits dann, wenn man die auch ohne Doping sehr stark unterschiedliche „Grundausstattung“ der Sportler an physischer Konstitution wie Größe, Gewicht etc. und etwa an Trainingsmethoden in Betracht zieht. Eine wirkliche Chancengleichheit ist demzufolge von vorneherein in den seltensten Fällen gegeben. Zudem läßt sich das Kriterium leicht ins Gegenteil wenden: Wäre es beispielsweise beim Langlauf nicht fairer, wenn Sportler aus Regionen, die auf Meereshöhe liegen, mittels Eigenblutdoping die Sauerstofftransportkapazität ihres Blutes steigern, um ähnliche Voraussetzungen wie Läufer aus einer Bergregion zu erlangen? Ebenso wird das Argument gehaltlos, wenn alle Wettkämpfer dopen können, denn dann wäre der Vorteil durch das Dopen eines Sportlers egalisiert und es würde wieder „Fairneß“ in Bezug auf den Einsatz von Dopingmitteln herrschen. Auch das damit verwandte Argument, „arme“ Sportler könnten sich die teuren Dopingmittel nicht leisten, hilft hier wenig weiter, denn „arme“ Sportler können sich auch die teuren Trainingsmethoden und Trainer nicht leisten.

Beschädigt das Doping die Vorbildwirkung des Sports? Das ist sicherlich zu bejahen. Ein dopingfreier Sport hat in jedem Fall eine größere Vorbildwirkung. Aber ist das Argument auch stichhaltig? Fakt ist doch, daß trotz des als sehr groß angesehenen gegenwärtigen Kontrollaufwandes in größerem Umfang gedopt wird. Dieser Sachverhalt würde sich auch durch eine Intensivierung der Kontrollen nicht wesentlich verändern, da findige Athleten und ihre Helfer stets Möglichkeiten zur Umgehung der Kontrollen finden werden. Insofern dürfte sich eine reale Situation mit einem Dopingverbot – wie etwa die gegenwärtige Situation – in Hinblick auf die Vorbildwirkung kaum von einer Situation unterscheiden, in der gedopt werden dürfte. Freilich wäre es schön, wenn es einen sauberen, dopingfreien Sport gäbe, der als Vorbild wirken könnte, aber das ist eben ein Idealbild, dem die Realität des Sports nie entsprochen hat und auch vermutlich nie – selbst bei einem staatlichen Verbot mir strengen Strafen – entsprechen wird.

Insgesamt erweisen sich also die Argumente als nicht stichhaltig.

  1. Läßt sich Doping sinnvoll definieren?

Wir haben gesehen, daß die Argumente zur Rechtfertigung eines Dopingverbots nicht stichhaltig sind. Ein zusätzliches Problem ist zudem die Definition des Phänomens: Was versteht man eigentlich unter Doping?

Doping ist regelmäßig auf eine Leistungssteigerung des Athleten gerichtet. Dieses Kriterium ist unstrittig. Allerdings erwiese sich eine Definition, die nur auf diesem Kriterium basierte, als viel zu breit, denn damit würden auch alle Trainingsmethoden als Doping erfaßt. Um das Wesen des Dopings zu erfassen, werden daher neben der Leistungssteigerung regelmäßig die Eigenschaften gesundheitsschädigend, unfair, unnatürlich und intransparent angeführt. Diese Merkmale sind jedoch kaum ergiebig:

Auf die Merkmale gesundheitsschädigend und unfair sind wir bereits eingegangen. So können auch andere Mittel, die nicht als Doping angesehen werden, gesundheitsschädigend oder auch unfair sein. Ebenso erweisen sich manche Dopingmittel als kaum gesundheitsschädigend und die allgemeine Zulässigkeit von Dopingmitteln entspricht – wie wir gerade gesehen haben – den Anforderungen der Fairneß. Beide Merkmale sind also nicht geeignet, Doping sinnvoll von anderen erlaubten Handlungen abzugrenzen.

Betrachten wir das zusätzliche Definitionskriterium „unnatürlich“: Unnatürlichkeit kann in diesem Zusammenhang zum einen als Künstlichkeit der verwendeten Substanzen interpretiert werden. Diese Interpretation führt aber zu einer sehr engen Dopingdefinition, denn dadurch bleibt eine große Zahl wirkungsvoller Methoden der Leistungssteigerung wie etwa das Eigen-blutdoping unbeachtet. Zum anderen kann man Unnatürlichkeit als künstliche Leistungsstei-gerung – also als Leistungssteigerung, die durch Faktoren bewirkt wird, die dem Sportler nicht personal zugerechnet werden können –operationalisieren. Dabei erhält man ähnliche Probleme wie bei der Fairneß: Neben den endogenen Faktoren wie seine Physis und seine Psyche ist für die Leistung eines Athleten ebenso eine Vielfalt von exogenen Faktoren wie der Trainerstab oder die Ausrüstung und Bekleidung verantwortlich. Eine Reduzierung der erbrachten Leistung auf die Faktoren, die ausschließlich dem Athleten direkt zurechenbar sind, würde daher sämtliche endogene Faktoren ausblenden. Eine darauf basierende Dopingdefinition wäre demzufolge derart streng, daß vermutlich kein Athlet derselben gerecht werden könnte. Für das normative Verständnis von Doping wäre sie demzufolge viel zu weit, da nicht nur eine besondere Diät, sondern auch der Einsatz eines Trainers schon als Doping anzusehen wäre.

Weiterhin könnte Doping über das Merkmal der Intransparenz definiert werden. Doping wäre danach der Einsatz leistungssteigernder Mittel, der vor anderen Athleten geheim gehalten wird. Das Kriterium der „bewußt erzeugten Intransparenz“ weist aber eine bedeutende Schwachstelle auf: So werden die Athleten stets danach trachten, etwa besondere Ernährungsformen oder Trainingsmethoden vor ihren Wettbewerbern zu verbergen. Insofern würde dieses Kriterium zu einer zu weiten Abgrenzung des Dopingphänomens führen.

Damit wird die gesamte Problematik einer abstrakten Definition des Phänomens deutlich: Die weithin geteilten normativen Vorstellungen, was unter Doping zu verstehen ist, lassen sich nicht in eine griffige kurze Definition fassen. In summa handelt es sich bei Doping um den Einsatz von leistungssteigernden Mitteln, der auf Grundlage nicht hinreichend konkretisierba-rer sportethischer Wertvorstellungen abgelehnt wird.

Dies zeigt sich auch an den teilweise unglücklichen Bemühungen, eine justiziable Definition für den Tatbestand zu finden: Eine Orientierung an den normativen Vorstellungen erfordert zum Zwecke einer ausreichenden Justiziabilität des Tatbestands Doping den Verzicht auf eine Universaldefinition und erzwingt, Doping enumerativ zu definieren, also über eine Liste, auf der entweder sämtliche erlaubten Handlungen („Positivliste“) oder eben alle unerlaubten Handlungen („Negativliste“) in diesem Kontext aufgeführt sind.

Damit können wir folgendes festhalten: Die Abgrenzung des Phänomens läßt sich nicht trennscharf durchführen, sondern muß entweder äußerst schwammig und ungenügend oder aber weitgehend willkürlich bleiben.

  1. Konsequenzen und Folgerungen

Halten wir noch einmal fest: Das Phänomen Doping läßt sich nicht trennscharf definieren, sondern man ist auf eine Liste angewiesen, anhand derer man unerlaubte von erlaubten Handlungen abgrenzen kann. Die Argumente, die für ein Unterbinden dieses Phänomens ins Feld geführt werden, sind nicht schlagkräftig und erweisen sich als inkonsistent bei näherer Betrachtung. Daher ist Doping freizugeben. Athleten müssen die gleichen Stoffe einnehmen dürfen, die Lieschen Müller konsumieren kann. Freilich müssen Kinder und Jugendliche geschützt werden.

Natürlich würde eine Freigabe des Dopings dazu führen, daß mehr gedopt würde. Aber es würde qualitativ hochwertiger gedopt. Durch entsprechende Begleitstudien würden die Gesundheitsrisiken einzelner Dopingmittel aufgedeckt und transparent. Damit könnten sich die Athleten besser informieren und Dopingmittel meiden, die nur eine geringe Leistungssteigerung bei großen gesundheitlichen Risiken bringen. Eine Freigabe des Dopings würde zudem die Souveränität der Sportler stärken und ihre Freiheitsspielräume erweitern. Ebenso würden zahlreiche Inkonsistenzen beseitigt: Leistungssportler würden Mittel einsetzen dürfen, die allen anderen Personen problemlos zugänglich sind. Und schließlich würde man sich bei einer Freigabe die gesamten Kontrollkosten sparen.

Der Gesetzgeber wäre zudem gut beraten, kein spezielles Anti-Doping-Gesetz auf den Weg zu bringen: Erstens würde es eine fragwürdige Sondergesetzgebung des Sports darstellen – Sportler dürfen bestimmte Mittel nicht einnehmen, die andere Personen problemlos verwenden können. Zweitens würden die Kosten der Durchsetzung auf den Steuerzahler abgewälzt, die Vorteile hätte jedoch vor allem das Sportsystem, denn dopingfreie Wettkämpfe hätten aus Sicht der Zuschauer eine höhere Qualität und brächten damit dem Sport höhere Einnahmen. Und drittens ließe sich ein derartiges Verbot kaum flächendeckend durchsetzen, wodurch nicht nur die Reputation des Gesetzgebers, Gesetze auch durchzusetzen, erheblich beschädigt würde, sondern auch moralisch vorbildlich agierende Athleten gegenüber Sportlern, die kreativ nach Umgehungen des Verbotes suchen, systematisch benachteiligt würden.

(Eine verkürzte Version dieses Beitrags erschien am 20. September 2013 in „Neues Deutschland“)



[1]     Vertritt man eine paternalistischen Weltsicht, dann wäre das Argument Gesundheitsschädigung anders zu beurteilen. Eine Selbstschädigung der Athleten, aber auch anderer Bürger müßte hier unterbunden werden. D. h., hier wäre ein Verbot aller (!) Maßnahmen angezeigt, die die Gesundheit beeinträchtigen. Im Fall des Sports wären dann auch intensive Trainingsmethoden, manche Sportarten (z. B. Boxen) und sicherlich der gesamte Leistungssport zu verbieten.

 

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