Die jüngste Kritik der US-Regierung und des Internationalen Währungsfonds an den Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands hat diesen Tatbestand erneut in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Dabei wird einmal mehr übersehen, dass gerade die Einführung des Euros diese Entwicklung in der Eurozone zumindest begünstigt hat. Neben der traditionellen Exportstärke Deutschlands aufgrund der Produktion innovativer Investitionsgüter hat der Übergang zu einer einheitlichen Währung im Jahre 1999 dazu geführt, dass die Preiswettbewerbsfähigkeit und die einkommensbedingten Exporte (weiter) gestiegen sind. Niedrige Realzinsen in den heutigen Krisenländern ließen nämlich dort in den Jahren bis zur Finanzkrise die Inflation und das Wirtschaftswachstum über das deutsche Niveau hinaus steigen, was den deutschen Außenhandel zweifelsfrei begünstigte. Der Vorwurf, Deutschland habe mit seiner Exportstärke die Euro-Krise (mit) verursacht, stellt daher vor diesem Hintergrund die kausalen Beziehungen eindeutig auf den Kopf.
Die positiven Wirkungen der Euro-Einführung auf den deutschen Außenhandel innerhalb der Währungsunion werden aber von deutscher Seite durchaus „geschätzt“. So hört man – insbesondere auch im Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise – immer wieder Stimmen aus der deutschen Wirtschaft und auch aus der Politik, die sich für einen Erhalt der Eurozone (in der jetzigen Form) aussprechen. Diese Aussagen sind auch keineswegs neu, sondern waren bereits im Vorfeld des Eintritts in die dritte Stufe der Währungsunion im Jahre 1999 (mit) ein Argument dafür, selbst solche Länder in die Währungsunion aufzunehmen, die nicht alle Konvergenzkriterien erfüllten. Damals lautete das typische Argument, Länder wie zum Beispiel Italien sollten auf jeden Fall von Beginn an Mitglieder der Eurozone werden, damit sie künftig keine Abwertungen ihrer Währungen mehr vornehmen könnten, die einen (Preis-)Wettbewerbsnachteil der deutschen Wirtschaft zur Folge hätten.
Diese Argumente sind allerdings in starkem Maße interessengeleitet. Den Ausgangspunkt der Überlegungen darf nämlich nicht die Abwertung selbst bilden, sondern deren Ursache, die – vor dem Hintergrund der Kaufkraftparität (KKP) – längerfristig in der Regel in unterschiedlich hohen Inflationsraten zu sehen ist. So waren zum Beispiel während des Europäischen Währungssystems (EWS) in den Jahren von 1987 bis zur Krise im Jahr 1992 die kumulierten Inflationsraten zwischen Italien und Deutschland um fast 20 Prozentpunkte zugunsten Deutschlands auseinandergelaufen. Diese Entwicklung führte dazu, dass die internationale (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Anbieter gegenüber Italien deutlich anstieg, was sich nicht zuletzt in deutschen Handelsbilanzüberschüssen und italienischen Handelsbilanzdefiziten niederschlug. Die Ursache für die höheren Inflationsraten lag dabei zu einem erheblichen Teil in der unmittelbaren Finanzierung staatlicher Defizite durch die italienische Zentralbank. Die Handelsbilanzdefizite Italiens führten wiederum – aufgrund nicht ausreichender privater Kapitalzuflüsse – zu Interventionsverpflichtungen der italienischen Zentralbank, in deren Rahmen DM verkauft werden mussten. Da dies zu einem immer weiter sinkenden Devisenbestand Italiens führte, entschloss man sich im Sommer 1992 zum Austritt aus dem EWS und zu einer Freigabe des Wechselkurses. In dessen Folge kam es zu einer Abwertung der italienischen Lira, die weitgehend der aufgelaufenen Inflationsdifferenz entsprach.
Betrachtet man nun eine solche Abwertung isoliert, führt(e) sie in der Tat zu einer Reduktion der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen in Italien und zu einem Rückgang der Exporte. Berücksichtigt man hingegen auch die stetig steigende Inflationsdifferenz zugunsten Deutschlands im Vorfeld der Abwertung, dann wird deutlich, dass die Abwertung der Lira nur einen zuvor entstandenen Wettbewerbsnachteil italienischer Anbieter wieder ausgleicht. Die höheren Inflationsraten in Italien wirkten nämlich in Deutschland wie eine Exportsubvention, auf die man weder einzelwirtschaftlich noch gesamtwirtschaftlich – wo sie wie ein Konjunkturprogramm wirkt – gerne verzichtete.
Nicht anders wirken auch die zurückliegenden Entwicklungen in der Eurozone. Abbildung 1 zeigt die kumulierten Inflationsdifferenzen zwischen Deutschland und einigen ausgewählten Mitgliedsländern. Hieran erkennt man, dass sich die grundsätzliche Entwicklung – insbesondere gegenüber den europäischen Krisenländern – im Vergleich zu den 1980er und 1990er Jahren kaum verändert hat. Der gravierende Unterschied liegt allerdings darin, dass nun der Wechselkurs als „Ventil“ zum Ausgleich dieser unterschiedlichen Entwicklungen nicht mehr zur Verfügung steht. Aus der Sicht des Überschusslandes Deutschland bedeutet dies, dass die „Exportsubvention“ nur durch nationale Stabilitätsanstrengungen (interne Abwertung) der Defizitländer beschnitten werden kann, was aber – wenn es denn überhaupt gelingt – viel längere Zeit in Anspruch nehmen wird als die Korrektur durch eine nominale Abwertung des Wechselkurses. Abbildung 1 veranschaulicht, dass es in Griechenland erste bescheidene Erfolge gibt. Der (Preis-)Wettbewerbsnachteil ist aber immer noch beachtlich, so dass in Zukunft weitere Stabilitätserfolge notwendig sein werden. Eine deutlich stärkere interne Abwertung ist hingegen in Irland erreicht worden. Die Umkehr hat in diesem Falle aber nicht erst mit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise und der damit verbundenen Sparpolitik begonnen, sondern bereits im Jahre 2008. In den anderen Krisenländern ist es bestenfalls zu einer Stabilisierung der aktuellen (Wettbewerbs-)Situation gekommen.
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Im Europäischen Währungssystem hat die Abgabe von Devisenreserven in den Defizitländern und der entsprechende Devisenzufluss in den Überschussländern (insbesondere Deutschland) zugleich eine Finanzierung der Handelsbilanzdefizite aus öffentlichen Mitteln (Devisenreserven) bedeutet. Dieses System hatte ferner zur Folge, dass die Finanzierung von Defiziten an die Existenz von Devisenreserven (bzw. begrenzter Devisenkredite) geknüpft war. Standen keine Finanzierungsmittel mehr zur Verfügung, mussten Defizitländer die Tragfähigkeit durch den Übergang zu flexiblen Wechselkursen und die damit ausgelösten Anreize auf Warenströme sowie private Finanzierungsmittel gewährleisten. In der Eurozone ist eine solche Finanzierungsbegrenzung allerdings nicht vorgesehen. Dem Zu- bzw. Abfluss von Devisenreserven im EWS entsprechen die Targetforderungen bzw. –verbindlichkeiten in der Eurozone. Im Gegensatz zum Devisenabfluss unterliegen die Targetverbindlichkeiten jedoch keiner Begrenzung. Dadurch wird aber auch eine automatische Begrenzung der Handelsbilanzungleichgewichte ausgeschlossen. Auf der anderen Seite besteht seitens der Überschussländer auch keine Möglichkeit, die ausstehenden Forderungen (bei der EZB) einzufordern.
Aus diesem Grund ergibt es auch wenig Sinn, von Seiten der EU im Rahmen der Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte auf die Handelsbilanzungleichgewichte zu schauen, wenn man auf der anderen Seite bereitwillig immer weiter entsprechende Defizite von offizieller Seite finanziert. Zieht man wiederum die Parallele zum EWS, dann hofft man vielleicht darauf, dass über die expansiven Nachfrageeffekte in den Überschussländern deren Inflationsraten (stärker) steigen und so (längerfristig) die preislichen Wettbewerbsnachteile in der Eurozone ausgeglichen werden. Dies würde aber auch dazu führen, dass sich die internationale (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit der (jetzigen) Überschussländer gegenüber allen Drittländern verschlechtert und damit die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Eurozone immer weiter sinkt. Eine solche Entwicklung wäre aber keineswegs förderlich für die gegenwärtige Finanzierungspolitik im Rahmen der Staatsschuldenkrise.
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Ich stimme dem Artikel völlig zu – bis auf den letzten Absatz. Dort steht:
„Zieht man wiederum die Parallele zum EWS, dann hofft man vielleicht darauf, dass über die expansiven Nachfrageeffekte in den Überschussländern deren Inflationsraten (stärker) steigen und so (längerfristig) die preislichen Wettbewerbsnachteile in der Eurozone ausgeglichen werden. Dies würde aber auch dazu führen, dass sich die internationale (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit der (jetzigen) Überschussländer gegenüber allen Drittländern verschlechtert und damit die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Eurozone immer weiter sinkt.“
Gegenüber Drittländern wirkt doch der Wechselkursmechanismus, der in der Euro-Zone versagt.
Was kann Deutschland dafür, daß Griechenland&Co sich verschuldet haben, und mit dem Geld deutsche Waren kauften?
Und was hätte Deutschland dagegen tun können/dürfen?
Wenn auch die USA meinen, Deutschland exportiere zu viel, dann gibt es eine einfache Lösung: Die USA kaufen weniger bei uns.
Der Exportüberschuß ist nur möglich, weil das Ausland bei uns kauft. Wenn es sich als an unserem Exportüberschuß stört, warum kauft es dann bei uns?
Allerdings, vermutlich wären einige Länder noch weniger wettbewerbsfähig, wenn sie nicht effektive deutsche Maschinen einsetzen könnten.:-)
Viel schöner wäre ein Bild mit der Inflationsentwicklung der Euroländer von 1999 an. Am Besten den BIP-Deflator, da für die Wettbewerbsfähigkeit die Preisentwicklung der hier produzierten Güter entscheidend ist und nicht die der hier konsumierten (Verbraucherpreisindex). Zusätzlich sollte dann noch das Inflationsziel knapp 2% eingezeichnet werden, an das sich eigentlich jedes einzelne Land halten sollte, und man hat eine schöne Darstellung der Eurokrise.
Das Bild im Artikel ist irreführend, da hier die deutsche Inflation als Ziel dargestellt wird, die deutlich unterschossen hat. Wenn man das so sieht, muss man das auch allen anderen sagen, damit diese sich danach richten können.
@Tunt
Der Wechselkursmechanismus wirkt nur gegen den Durchschnitt der Eurozone und nicht gegen einzelne Länder.
@Michael Hoffmann
Sie habend das mit der Marktwirtschaft noch nicht so richtig verstanden oder? Da zählt nun mal hauptsächlich der Preis und der ist in Deutschland am niedrigsten. Es gab aber ein vereinbartes durchschnittliches Preisziel, damit die Währungsunion funktioniert, das Frankreich als einziges(!) Land eingehalten hat.
@ Robert
Das Bild beginnt 1999, also mit dem Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion. Seitdem sind auch nur noch die Inflationsraten für den realen Wechselkurs und damit für die (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit verantwortlich. Nur die Kurve für Griechenland beginnt 2001, weil Griechenland erst zu diesem Zeitpunkt beigetreten ist. Sollten Sie mit „Inflationsentwicklung“ die jährliche Rate meinen, so würde ich darin wenig Sinn sehen (siehe dritten Absatz).
Ob man besser den BIP-Deflator als Basis nimmt, darüber kann man trefflich diskutieren – zumal es hier um die prozentualen Veränderungen und nicht um die absoluten Werte.
Ich glaube nicht, dass sich jedes Land an die Zielgröße der EZB (unter aber nahe bei 2 %) halten sollte. Ziel ist es, den europäischen Gesamtindex (HVPI) daran zu orientieren. Wir haben ja auch eine einheitliche Geldpolitik der EZB, auf die die Nationalstaaten nicht (unmittelbar) einwirken können. Es ist aber sicherlich richtig, dass die einheitliche Geldpolitik durch stark divergierende nationale Inflationsraten nicht leichter fällt.
Die deutsche Inflationsrate wird hier nicht als Ziel für alle interpretiert. Es ist hier „nur“ die Veränderung der (Preis-)Wettbewerbsfähigkeit der Defizitländer ggü. Deutschland als Überschussland abgetragen. Der Nachteil kann auch ausgeglichen werden, indem Deutschland entsprechend stark inflationiert. Ob das aber erstrebenswert ist … ??