Mythen und Fakten zur Mietpeisbremse

Die Mietpreisentwicklung in Deutschland ist zum Politikum geworden. Berichte über lange Schlangen bei Besichtigungsterminen, über Makler, die Wohnungen an die Meistbietenden versteigern, und über junge Familien, die von explodierenden Mieten aus den Städten vertrieben werden, lassen den Ruf nach staatlichen Interventionen lauter werden. Die Koalitionäre in Berlin springen allzu gern auf diesen Zug auf und verkünden, mit einer Mietpreisbremse den weiteren Anstieg der Mieten begrenzen zu wollen.

Aus ökonomischer Sicht mag bezweifelt werden, ob die Festlegung eines Höchstpreises tatsächlich ein adäquates Mittel darstellt, auf Verknappungstendenzen auf der Angebotsseite zu reagieren, oder ob der Wohnungsmangel dadurch nicht eher vergrößert wird. Doch das ist nicht Thema dieses Beitrags. Hier geht es um die Frage, ob die Annahmen, die der Debatte um die Mietpreisbremse zugrunde liegen, empirisch stichhaltig sind oder nicht.

Zunächst einmal haben wir überprüft, ob es überhaupt zu der behaupteten Mietpreisexplosion gekommen ist. Nach unseren Berechnungen sind die Netto-Kaltmieten in Deutschland seit dem Jahr 1995 bis zur Jahresmitte 2013 von 4,28 € auf 5,42 € pro Quadratmeter angestiegen; das entspricht einem jahresdurchschnittlichen Anstieg von 1,3 %. Ein ähnlicher Anstieg ist bei den Bruttokaltmieten zu verzeichnen, und zwar von 5,04 € auf 6,48 € pro Quadratmeter (1,4 % p.a.). Den stärksten Anstieg verzeichnen die Brutto-Warmmieten, die 1995 bei 5,72 € lagen und mittlerweile bei 7,98 € pro Quadratmeter liegen (1,9 % p.a.).

Wenn man diese Zahlen mit dem Preisindex für die Lebenshaltung deflationiert, dann ergibt sich ein realer Anstieg der Brutto-Warmmieten von 7,11 € im Jahre 1995 auf 7,56 € pro Quadratmeter im Juni 2013, was einem Zuwachs von jahresdurchschnittlich 0,3 % entspricht. Bei der Brutto-Kaltmiete und der Netto-Kaltmiete dagegen ist nach dieser preisbereinigten Berechnung sogar ein absoluter Rückgang zu verzeichnen, und zwar von 6,25 € auf 6,14 € bei den Brutto-Kaltmieten und von 5,32 € auf 5,14 € bei den Netto-Kaltmieten.
Nach diesen Daten kann von einer Mietpreisexplosion, wie sie in der öffentlichen Debatte suggeriert wird, keine Rede sein. Die von den Haushalten zu tragenden realen Kostensteigerungen beziehen sich einzig und allein auf die Brutto-Warmmieten, sind also ausschließlich durch steigende Energiepreise getrieben. Wo in diesem Kontext eine Mietpreisbremse ansetzen soll, ist zweifelhaft.

Offenbar ist die wahrgenommene Mietpreisentwicklung stark von den Entwicklungen in einigen wenigen „Hotspots“ geprägt, die große mediale Aufmerksamkeit erregt haben, aber keineswegs als repräsentativ für die Marktentwicklung in Deutschland insgesamt gelten können. Um die regionale Differenzierung erfassen zu können, haben wir mit Hilfe von Daten des Beratungsunternehmens Empirica die Mietpreisentwicklung in den deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten vom 2. Quartal 2008 bis zum 2. Quartal 2013 näher untersucht.

Dabei zeigen sich bereits für 2008 (also vor Ausbruch der „gefühlten“ Mietpreisexplosion) einige ausgeprägte Hochpreisregionen. Das sind vor allem München, Stuttgart, Frankfurt, Köln und Hamburg sowie die umliegenden Kreise, aber auch einige Regionen, die nicht als Metropolregionen anzusehen sind, wie Münster, Freiburg und die Kreise am Nordufer des Bodensees. Die Daten für das zweite Quartal 2013 zeigen für die alten Bundesländer ein recht ähnliches Bild wie die Daten für das zweite Quartal 2008, während in den neuen Bundesländern mit Dresden, Potsdam und Berlin neue Hotspots entstanden sind .

Die Regionen mit dem höchsten Preisniveau sind allerdings nicht immer gleichzusetzen mit den Regionen mit dem höchsten Preisanstieg. München, Hamburg und Stuttgart liegen beim Preisniveau 2008 im obersten Zehntel aller Kreise und zugleich im obersten Zehntel bei den Preisveränderungen. Aber das Umland dieser Metropolen ist in Hamburg und München durch nur leicht überdurchschnittlich steigende Mieten und in Stuttgart sogar durch unterdurchschnittlich steigende Mieten geprägt. Und die Umlandkreise von Frankfurt, die immer noch zu den teuersten Wohngegenden Deutschlands zählen, weisen weitgehend stagnierende Mieten aus. In dem nördlich an Frankfurt angrenzenden Wetterau-Kreis sind sie von 2008 bis 2013 sogar um durchschnittlich 0,2 Prozent pro Jahr gesunken.

Man könnte argumentieren, dass die vergleichsweise moderate Mietpreisentwicklung im Umland der Metropolen denjenigen Haushalten wenig nützt, die im Zentrum selbst ihre Wohnung haben. Bei einer solchen Sichtweise bleibt aber ausgeklammert, ob es diesen Haushalten zuzumuten ist, in Regionen mit günstigeren Mieten umzuziehen. Als Grundlage einer solchen Abwägung haben wir anhand unseres regional disaggregierten Datenmaterials nach alternativen Regionen gesucht, in die man umziehen könnte, wenn man den hohen Mietpreissteigerungen in den Hotspots entkommen möchte.

Unsere Pendleranalyse beschreibt die Situation eines Mieters, dessen Arbeitsplatz und Wohnort in der Ausgangslage in einem jener Kreise liegen, die zum obersten Fünftel bei den Mietpreissteigerungen zählen. Für diese Kreise haben wir die jeweils nächstgelegenen Kreise identifiziert, in denen die Mieten nicht höher waren als im Ausgangskreis und in denen die Mietpreissteigerungen nicht über den gesamtdeutschen Durchschnitt hinausgegangen sind. Diese Ausweichkreise sind nach unseren Berechnungen mit durchschnittlichen Pendelwegen von 49 Kilometern und durchschnittlichen Pendelzeiten von 42 Minuten im Individualverkehr und von 43 Minuten im öffentlichen Verkehr zu erreichen (Medianwerte).

Ob solche Pendelzeiten sozial zumutbar sind, mag die Politik entscheiden. Die Pendelmöglichkeiten sollten allerdings bei der Frage, welche Regionen nach dem neuen Gesetz zur Mietpreisbremse als „Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten“ klassifiziert werden, explizit berücksichtigt werden. Zudem sollte sich die Politik bei ihren Entscheidungen bewusst sein, dass Preisobergrenzen nicht ohne Rückwirkung auf die Angebotsseite bleiben dürften. Zumindest auf längere Sicht werden Mietpreisbremsen Wohnungsmangel erzeugen und deshalb dem Wohnungsmarkt in Deutschland insgesamt eher schaden als nützen.

Überarbeitete Fassung eines Beitrags, der am 3. März 2014 unter dem Titel „Mieten muss man nicht bremsen“ in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.

David Bencek und Henning Klodt
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