Alle vier Jahre befragt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Unternehmen nach ihrer Zufriedenheit mit Hochschulabsolventen. Bei der jüngsten Stichprobe mit 2.000 Unternehmen  kam es dabei zu bemerkenswerten Ergebnissen, die ebenso bemerkenswert interpretiert wurden. Am stärksten wurde dabei in den Medien adressiert, dass nur noch 47 Prozent in der Stichprobe mit den Bachelor-Absolventen zufrieden waren, nachdem die entsprechende Quote vier Jahre zuvor noch 63 Prozent betragen hatte.
Rund eine Dekade nach der Umsetzung der Bologna-Reform erscheint ein solcher Befund natürlich interessant und schreit geradezu nach Interpretationen, die letztlich nicht lange auf sich warten ließen. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sprach in einem Interview mit der Berliner Morgenpost dann auch schnell von einer „Über-Akademisierung“ – Grundübel:
„Es studieren zu viele, die besser eine Ausbildung machen würden.“
Wer (wie der Verfasser) die Situation in deutschen Hörsäalen ausgiebig kennt, wird sich schwer tun, diese These schlichtweg abzulehnen.
Die langjährigen und im Zeitverlauf auf immer größeres Gehör stoßende Kritik der OECD, die deutsche Akademikerquote sei viel zu niedrig, wirkt hier wie eine Karrikatur der Realität. Die einzige wohlwollende Interpretation dieser institutionell propagierten Fehlproammierung kann nur darin bestehen, dass die OECD-Protagonisten dabei durch die Verhältnisse jener Länder beeinflusst waren, die keine der dualen Berufsbildung vergleichbaren Systeme kennen. Jedenfalls ist es ein offenkundiger Kurzschluss, auf den Wegfall vieler einfacher Tätigkeiten in Produktion und Verwaltung durch eine Zunahme akademischer (!) Bildung reagieren zu wollen. Andererseits müssen sich „die Unternehmen“ vorhalten lassen, dass eine solche Reaktion nur dann Schaden anrichten kann, wenn „die Unternehmen“ die Attraktivität der Berufsausbildung nicht geeignet anpassen und hoffen, dass die Hochschulausbildung ihnen – unentgeltlich! – für die Zukunft gerüstete Absolventen beschert.
Wenn dann zuletzt nur noch 15 Prozent der befragten Unternehmen bekunden, dass die Bachelor-Absolventen gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind, hat sich diese Trittbrettfahrer-Idee als Illusion erwiesen. Allerdings muss man dem DIHK-Präsidenten zugute halten, dass er an dieser Stelle weitgehend Zurückhaltung wahrt. Dafür sind die nachgelagerten Stellen in den IHK-Bezirken gern bereit, medienwirksame Appelle auszurufen. So lässt sich der Bereichleiter Berufsausbildung der IHK Würzburg-Schweinfurt, Martin Deinhard, wie folgt zitieren:
„Die Universitäten müssen in erster Linie dafür sorgen, dass die Bewerber auch für den Arbeitsmarkt gerüstet sind, und können das nicht auf die Wirtschaft abschieben.“
Schon toll, wer da den Universitäten auftragen darf, wofür sie in erster Linie zu sorgen haben – der alte Humboldt würde sich im Grabe herumdrehen! Nun muss man zwar konzedieren, dass sich die Verhältnisse seit dessen berühmter Universitätsgründung vor über 200 Jahren gravierend verändert haben: Statt wenigen Promille- studieren nunmehr zweistellige Prozentanteile einer Geburtskohorte und die unbeschreibliche Kumulation des Wissens hat das Idealbild des Universalgelehrten längst zur schönen Utopie gemacht. Trotzdem kann die Essenz der Universitätsentwicklung nicht in der Konversion zu einer Berufsoberschule liegen, wenn man zumindest die elementaren Wesensmerkmale akademischer Bildung erhalten will. Natürlich heißt dies nicht, dass Bezüge zur Praxis in universitärer Ausbildung verboten sind – ganz im Gegenteil; sie dürfen nur nicht zum pivotalen Element werden, denn sonst wedelt früher oder später der Schwanz mit dem Hund.
Wer sich mit Personalverantwortlichen unterhält, wird darin durchaus oft bestärkt. Die dort verlautbarte Kritik betrifft eher das von Bachelor-Absolventen zu erwartende intelektuelle Niveau, insbesondere die Fähigkeit, anspruchsvolle Aufgaben selbständig bearbeiten zu können. Dieser Befund korrespondiert auch mit der Zufriedenheit der vom DIHK befragten Unternehmen mit Master-Absolventen. Diese ist gegenüber 2011 von 65 auf 78 Prozent gestiegen. Es scheint insofern überaus erfahrungsabhängig, wie die Absolventen des neuen Systems von der zumeist selbst noch „diplomierten“ Personalverantwortlichen beurteilt werden, und man darf gespannt auf die Ergebnisse der nächsten Befragungsrunde sein. Jedenfalls ist aber die Fähigkeit, Strukturen gedanklich zu durchdringen, zu de- und wieder zu rekomponieren, auch in der Praxis durchaus hoch geschätzt – mehr noch, sie ist der Kern jeder Kompetenz von Führungskräften. Universitäten dürfen ihre Kernkompetenz in diesem Bereich nicht zugunsten der Vermittlung von unmittelbar anwendbaren Praxisrezepten reduzieren.
Man könnte an dieser Stelle jetzt noch weiter gehen und fragen, welche Bildung auch ohne staatliches Angebot existieren kann und wie Bildung in allen ihren Ausprägungen finaniert werden sollte. Dies muss angesichts exzellenter Beiträge indessen nicht erfolgen; vgl. in diesem Blog bspw. hier und hier. Vielmehr soll daran erinnert werden, dass die von der Bologna-Reform vorgegebene Hochschulstruktur an sich zumindest mittelfristig nicht zur Disposition steht, aber viele, durchaus wichtige Details zu verbessern sind. Eine inhaltliche Umformung der Universität zur Berufsoberschule mit primärem Fokus auf die Vorbereitung für den Arbeitsmarkt gehört hierzu sicher nicht!
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