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Griechenland (19)
Eine unendliche Geschichte
Griechenland, die letzte? Wohl kaum!

„Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ (Karl Valentin)

Nichts Genaues weiß man nicht. Die finanzielle Lage in Griechenland ist verworren. Konkrete Zahlen gibt es nicht, zumindest nicht öffentlich. Die Spekulation blüht. Ein Ende des Pokers der Regierung Tsipras mit der „Troika“ scheint aber in Sicht. Spätestens Ende Juni geht Griechenland das Geld aus. Dann muss eine Entscheidung fallen, so oder so. Es sei denn, die „Troika“ hilft doch noch mit neuem Geld. Der finanzielle Coup, die Kredite des IWF über Sonderziehungsrechte zu zahlen, die für den Notfall geschaffen wurden, lässt sich nicht mehr wiederholen. Auf weitere milliardenschwere Notfallhilfe (ELA) der EZB zu setzen, ist allerdings nicht ausgeschlossen. Auch die Hoffnung, dass die Gläubigerstaaten des ESM zur Not auch ohne wirkliche Reformen weiter liefern, ist nicht unbegründet.

Ständiger Bruch der Regeln

Warum lief das griechische Experiment so aus dem Ruder? Das Kernproblem der EWU ist der vielfache Bruch der vereinbarten Maastricht-Regeln. Das gilt für die fiskalischen und monetären Regeln. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt konnte die fiskalischen Regeln nicht garantieren. Deutsche Politiker waren aktiv am Vertragsbruch beteiligt. Auch der vereinbarte Fiskalpakt ist nur ein Papiertiger. Der Bruch der Regeln ist programmiert, wenn Sünder über Sünder richten. Am heftigsten ist der Bruch des Haftungsausschlusses. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2010 setzte die Politik die „No Bail-Out“-Regel ohne viel Federlesens außer Kraft. Das fundamentale Prinzip von Handlung und Haftung wurde ausgehebelt. Damit wird aber „moral hazard“ Tür und Tor geöffnet.

Mit dem ESM wurde eine Transferunion installiert. Über die riesigen Rettungsschirme haften alle für die Schulden der Anderen. In der EWU herrscht organisierte Verantwortungslosigkeit. Ein Leben auf Kosten der Anderen wird lukrativ. Wohin das führt, zeigt die Entwicklung der Haushaltsnotlagenländer in Deutschland. Nehmerländer bleiben es auch. Bayern ist die Ausnahme. Und es werden immer mehr, die die Hand aufhalten. Dagegen schrumpft die Zahl der Geberländer ständig. Auch die EZB bricht die vereinbarte Regel, seit sie monetäre Staatsfinanzierung in großem Stil betreibt. OMT-Programme, das Billionen-Aufkauf-Programm und der Missbrauch der ELA-Notkredite sind Sündenfälle. Die Budgetrestriktionen der Mitglieder werden aufgeweicht. Ein Leben auf Kosten der Anderen ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die jüngste, polemische Attacke des Economist [1] auf deutsche Prinzipienreiterei ist Unsinn. An der EWU sieht man, wohin mehr Pragmatismus führt.

Leben über die Verhältnisse

Was ist in der gegenwärtigen Lage ökonomisch sinnvoll? In der Griechenland-Krise gibt es nur zwei Alternativen: Die Hilfe zur Selbsthilfe oder Austritt aus der EWU. Beide haben allerdings eines gemeinsam: Griechenland muss das bisherige Leben über seine Verhältnisse ein für alle Mal beenden. Es darf nicht mehr ausgeben als es einnimmt. Die einfache Formel der Kreditgeber bei der Hilfe zur Selbsthilfe lautet: Geld gegen Reformen. Wettbewerblichere Güter- und Faktormärkte, konsolidierte staatliche Haushalte und reformierte Sozialstaaten sind die Zutaten. Die Regierung Tsipras reagierte allerdings darauf bisher allergisch. Eine Politik der Austerität wird als unsozial verunglimpft. Die Forderung nach neoliberalen (Struktur-)Reformen wird als ein Diktat fremder (deutscher) Mächte verteufelt.

Die zweite Alternative ist ein Grexit. Über die ökonomischen Wirkungen streiten die Ökonomen. Die einen sind der Meinung, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft steigt. Der Grund ist eine Abwertung der Drachme. Andere verweisen auf negative Erfahrungen mit Abwertungen. Wertet sich eine Währung nominell ab, steigt das inländische Preisniveau. Treiben höhere Preise die nominellen Löhne, wertet sich die Drachme real nicht ab. Die positiven Effekte bleiben aus. Will Griechenland wieder auf einen grünen Zweig kommen, muss es auch im Falle eines Austritts aus der EWU den Gürtel enger schnallen. An einer Politik der verhassten neoliberalen Reformen führt kein Weg vorbei. Allerdings: Ein Diktat fremder (ausländischer) Mächte gibt es nicht.

Kurzfrist- dominiert Langfrist-Denken

Was wird politisch tatsächlich passieren? In der Politik dominiert Kurzfrist-Denken. Langfristige Erträge werden weniger gewichtet als kurzfristige Kosten. Das gilt für die Regierung Tsipras und die „Troika“. Die direkten Kosten eines Grexit sind für die griechische Regierung erheblich. Griechenland wäre vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten. Die trotzdem notwendigen (neoliberalen) Reformen müsste es allein schultern. Hilfe durch ausländisches Kapital erhielte es nicht. Erfüllt die Regierung Tsipras aber die (neomarxistischen) Wahlversprechen und verweigert die notwendigen Reformen, steigt die Arbeitslosigkeit weiter, die Inflation explodiert, die Armut erreicht neue Höchststände. Eine Abwahl ist unvermeidlich. Sie wird deshalb versuchen, an den Fleischtöpfen der EWU zu bleiben.

Auch der „Troika“ dürfte an einem Grexit nicht gelegen sein. Die Angst vor einem „Lehman-Effekt“ bleibt. Der ständige Verweis auf die geringen Ansteckungsgefahren eines solchen Schrittes ist wie das Pfeifen im dunklen Wald. Steigt Griechenland aus, ließen sich auch die wahren Kosten der fiskalischen (ESM) und monetären Retterei (Wertberichtungen auf Staatspapiere, Target II) nicht weiter verstecken. Sie würden bei den Staaten und der EZB finanzwirksam. Vor allem bei den Politikern dürfte die Angst vor den Wählern erheblich sein. Die EZB dürfte eine andere Furcht umtreiben. Mit dem Grexit wäre endgültig klar, dass die EWU auf Widerruf angelegt ist. Ein Austritt Griechenlands könnte der Anfang vom Ende der EWU sein. Das ist ein Albtraum für die hoch bezahlten Bürokraten der EZB.

Fazit

Die Verhandlungen werden in einem Kuhhandel enden. Griechenland wird nicht aus der EWU ausscheiden, die „Troika“ wird die noch ausstehende Rate des Hilfsprogramms auszahlen, über ein drittes Programm wird ab Herbst verhandelt. Die griechische Seite wird sich auf ein paar kosmetische Reformen des Arbeitsmarktes und des Sozialstaates einlassen. Sie wird in Aussicht stellen, weitere Privatisierungen zuzulassen, das Steuersystem zu reformieren und die Verwaltung zu verbessern. Tun wird sie, wie ihre Vorgänger, nur wenig. Die „Troika“ wird Griechenland entgegenkommen und den geforderten Primärüberschuss deutlich verringern. Dann hat die Regierung Tsipras das nötige „Kleingeld“ für ihre (sozialistischen) Wahlversprechen. Die Probleme werden weiter in die Zukunft verschoben. Aber da regiert dann eine andere Generation von Politikern. So ist Politik.

 

Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:

Norbert Berthold: Europa, Marktwirtschaft und Varoufakis. Ist ein Grexit „anti-europäisch“? [2]

Thomas Apolte: Die griechische Tragödie. Warum sich niemand zu handeln traut [3]

Norbert Berthold: Die EWU verwahrlost ordnungspolitisch. Ein Drama in fünf Akten [4]

Jan Schnellenbach: Kann man verlorene Steuermoral wieder aufbauen? Ein (nicht nur) griechisches Problem [5]

Norbert Berthold: Allein gegen Alle. Griechenland spielt weiter Vabanque. [6]

Norbert Berthold: Die EWU am Scheideweg. Permanente Transfers oder temporärer Grexit? [7]

Juergen B. Donges: Griechische Manöver in der Eurozone. Droht aus Spanien ähnliches Ungemach? [8]

Norbert Berthold: Briefe in die griechische Vergangenheit. Giannis Varoufakis: Abgezockt oder unfähig? [9]

Wolf Schäfer: Mit „Gewissheit“ im Euro. Das strategische Spiel der Griechen [10]

Norbert Berthold: Immer Ärger mit Griechenland. Ein Pyrrhus-Sieg der “Institutionen“? [11]

Dieter Smeets: Nach der Rettung ist vor der Rettung. Griechenland und kein (Rettungs-)Ende! [12]

Roland Vaubel: Schäubles Scherbenhaufen [13]

Norbert Berthold: Trojanisches Pferd. Der Brief des Giannis Varoufakis [14]

Uwe Vollmer: Scheidung auf griechisch. Wie realistisch ist der “Grexit“? [15]

Norbert Berthold: Was erlauben Griechenland? Schwach wie Flasche leer [16]

Dieter Smeets: Poker um Griechenland [17]

Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt? [18]

Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann. [19]