Finanzkrise, Arbeitsmärkte und Politikstrategien
Vom Umgang mit der Unterbeschäftigung

„The curious task of economics is to demonstrate to men how little they really know about what they imagine they can design.“ (F.A. v. Hayek, The Fatal Conceit, 1988, p. 76)

Das Schlimmste auf den Finanzmärkten ist wohl überstanden, die finanzielle Apokalypse ist vorerst abgesagt. Der wirtschaftliche Abschwung scheint endlich den Boden gefunden zu haben. Die Weltwirtschaft zeigt erste spürbare Zeichen der realen Erholung. Von Entspannung kann dennoch keine Rede sein. Weltweit geht wieder einmal die Angst um, die Angst vor einem Aufschwung ohne Arbeit. Die Arbeitslosenquote ist im Juli 2009 in den OECD-Ländern mit 8,5 % auf den höchsten Wert in der Nachkriegszeit gestiegen. In Europa war die Entwicklung noch schlechter. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich in der EU-27 auf 9,1 %, im Euro-Raum sogar auf 9,6 %.  Damit ist die Finanzkrise endgültig in der realen Wirtschaft angekommen. Und ein Ende ist nicht in Sicht, zumindest nicht auf den Arbeitsmärkten.

Unterschiede in der Arbeitslosigkeit

Von der negativen Entwicklung auf den Arbeitsmärkten blieb kein Land verschont. Allerdings streuen die Arbeitslosenquoten zwischen den Ländern stark. Das gilt für die OECD ebenso wie für Europa. Wer vor der Krise auf den Arbeitsmärkten gut war, schneidet auch heute besser ab. Das gilt etwa für die Niederlande, die Schweiz oder auch Österreich. Allerdings gibt es von dieser Regel auch Ausnahmen: Irland, Island und die USA. In diesen Ländern und in Spanien schlug die Finanzkrise besonders deutlich auf die Arbeitsmärkte durch. Die Arbeitslosenquoten erhöhten sich stärker als der Durchschnitt. Es gibt auch Länder, die zwar keine Musterknaben auf den Arbeitsmärkten waren, wie etwa Belgien, Deutschland oder Italien, in denen sich aber die Arbeitslosigkeit bisher dennoch kaum erhöhte.


– Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken –

Der Blick allein auf die Arbeitslosenquoten vermittelt allerdings ein falsches Bild. Das wird klar, wenn man auf die USA und Deutschland schaut. In beiden Ländern stürzte das Bruttoinlandsprodukt im Gefolge der Krise regelrecht ab, hierzulande noch stärker als in Übersee. Dennoch erhöhte sich die Arbeitslosenquote in Deutschland bisher nur um einen ¾-Prozentpunkt, in den USA stieg sie aber um über 5 Prozentpunkte. Ein Grund liegt in unterschiedlichen Strategien der Anpassung beider Länder. Sinkt der Output pro Kopf, können sie sich über sinkende Arbeitsstundenproduktivitäten, geringere Beschäftigungs- oder rückläufige Erwerbsquoten anpassen. Der Weg über niedrigere Beschäftigungsquoten kann über weniger Arbeitsstunden pro Kopf oder höhere Arbeitslosenquoten führen.

Unterschiede in der Strategie

Die USA haben in dieser Krise nach dem selben Muster reagiert wie im letzten Abschwung im Jahr 2001. Sie setzten auf eine stark rückläufige Beschäftigungsquote. Die Arbeitslosigkeit erhöhte sich beträchtlich, zumindest für amerikanische Verhältnisse, noch viel stärker als im Krisenjahr 2001. Freiwillig temporäre und unfreiwillig dauerhafte Entlassungen nahmen zu. Demgegenüber fiel die Anpassung über geringere Arbeitsstunden pro Erwerbstätigem eher gering aus. Sie war in etwa mit dem Rückgang in der letzten Krise im Jahr 2001 vergleichbar. Beide Wege der Anpassung über mehr Arbeitslosigkeit und weniger Arbeitsstunden verhinderten, dass die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten seit Beginn der Krise nennenswert zurückging.


– Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken –

Deutschland ging den amerikanischen Weg nicht, die Lasten der Krise individuell über eine stark steigende Arbeitslosigkeit aufzubürden. Die Anpassung erfolgte stattdessen über weniger Arbeitsstunden pro Beschäftigten. Mit staatlich subventionierter Kurzarbeit gelang es, die Beschäftigungsquote zu stabilisieren. Die Arbeitslosigkeit stieg nur moderat an, bisher zumindest. Diese Strategie ist allerdings nicht umsonst: Die Arbeitsproduktivität bricht ein, die Lohnstückkosten steigen. Das drückt mit der Dauter der Krise auf die Gewinne der Unternehmen. Deutschland geht den Weg, die Lasten kollektiv Beitrags- und Steuerzahler aufzubürden. Diesen Weg schlagen vor allem Länder ein, deren Arbeitsmärkte weniger flexibel sind. Länder mit flexibleren Arbeitsmärkten setzen hingegen auf individuelle Anlastungen, also ein temporär höhere Arbeitslosigkeit.

Unterschiede im Erfolg?

Welcher Weg ist erfolgreicher, der „amerikanische“ oder der „deutsche“? Dominieren konjunkturelle Aspekte die strukturellen, wirkt Kurzarbeit wie ein automatischer Stabilisator. Kapazitäten bleiben erhalten, Humankapital wird nicht entwertet. Zieht die Nachfrage nach Gütern und Diensten wieder an, geht es mit der Beschäftigung steil nach oben. Ein Problem entsteht, wenn sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nur sehr langsam erholt. Human- und Realkapital entwerten sich, steigende Lohnstückkosten zwingen Unternehmen, Kurzarbeit abzubauen und Arbeitnehmer zu entlassen. Die Erfahrung zeigt, Rezessionen sind zäh, vor allem wenn sie durch Bankenkrisen ausgelöst werden. In den letzten 88 Bankenkrisen lag der Output im Durchschnitt 7 Jahre nach dem wirtschaftlichen Einbruch noch immer 10 % unterhalb des Niveaus vor der Krise.

Die „deutsche“ Strategie verliert weiter an Glanz,  wenn strukturelle Probleme gewichtig sind. Kurzarbeit wird dann zu einem Hemmnis im notwendigen strukturellen Wandel. Alte Strukturen bleiben erhalten, Steuer- und Beitragszahler subventionieren nicht überlebensfähige Sektoren, Arbeitnehmern wird eine Sicherheit vorgegaukelt, die so nicht existiert. Die Treiber der Finanzkrise haben auch Ressourcen in falsche Verwendungen getrieben. Struktureller Anpassungsbedarf existiert nicht nur in der Immobilien-, Finanz- und Automobilbranche. Globale Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen erfordern ebenfalls strukturelle Anpassungen. Vieles spricht deshalb dafür, dass die inflationsneutrale Arbeitslosenquote (NAIRU) bald wieder ansteigen wird, wegen inflexiblerer Arbeitsmärkte in Europa mehr als in den USA.


– Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken –

Fazit

Die weitere wirtschaftliche Entwicklung wird zeigen, die exzessive keynesianische Politik der letzten Monate war eine relativ erfolglose Episode. Das strukturelle Problem auf den Arbeitsmärkten ist nicht kleiner, es ist durch die Finanzkrise größer geworden. Die strukturellen Mühen der Ebene holen die Politik wieder ein. Strukturelle Reformen stehen wieder ganz vorne auf der Agenda. Es ist empirischer Konsens, strukturelle Arbeitslosigkeit wird vor allem von der Steuer- und Abgabenschere, der „Großzügigkeit“ der Arbeitslosenversicherung, der gewerkschaftlichen Macht und dem Niveau der Regulierungen auf den Gütermärkten beeinflusst. Damit ist die Agenda der neuen schwarz-gelben Bundesregierung klar umschrieben, wenn sie massenhafte Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen will. Gegen strukturelle Probleme ist die „amerikanische“ Medizin wirksamer.

10 Antworten auf „Finanzkrise, Arbeitsmärkte und Politikstrategien
Vom Umgang mit der Unterbeschäftigung

  1. Jeder sollte sich dies hier anhören und feststellen mit welchem „mind set“ in der westlichen Welt agiert und argumentiert wird … . Es ist schauderhaft.

    http://www.bloomberg.com/avp/avp.htm?N=av&T=Blanchflower%20Says%20U.K.%20Must%20Do%20More%20to%20Avert%201930s%20Rerun&clipSRC=mms://media2.bloomberg.com/cache/vt3DdmTGw.ys.asf

    Wie ich hier einst schrieb wird man die womöglich schlechteste Variante wählen und weiter in Kredit gehen ( oder inflationieren ). Das Ergebnis kann man an einer Vielzahl von gescheiterten Staaten ( und deren Regierungen ) selbst im letzten halben Jahrhundert sehen. Diese Strategie der Abwertung der eigenen Währung, um zum Beispiel den Export anzukurbeln oder Löhne international wettbewerbsfähig zu machen, hat noch nie funktioniert ( oder konnte nur einen sehr geringen Beitrag leisten ) und führt – zum Beispiel im Falle der USA – eher zu noch niedrigerem Output ( siehe Bush´s Exportfantasien ). Vielmehr ist es meiner Meinung nach der Versuch, die Haushaltskasse auf Kosten der Allgemeinheit zu füllen ( denn eine schwache Währung trifft die breite Masse der Gesellschaft ).

    Sollten sich nun Kritiker melden und argumentieren, dass zum Beispiel unsere Gemeinschaftswährung „stärker“ gegenüber anderen großen Währungen ist, sollte ich vielleicht anmerken, dass wir uns in einer Welt des „competitive devaluation“ befinden – also in einem System in dem jede Regierung so weit wie möglich mit macht ( ergo ist dies alles sehr verzerrt ).

    Die Regierung(en) sollte(n) nun einfach aus dem Weg gehen, die Rezession ( oder nun Depression ) zulassen, die garbage assets aus dem System räumen und sich eingestehen, dass Sie nichts ausrichten kann. Anderfalls wissen wir bereits wie Populismus die Massen begeistern kann und am Ende alles zerstört ( auch das Vertrauen in die Politik selber ). Die westliche Welt hat die Wahl …

  2. Sehr geehrter Herr Berthold,

    es hat alles mit allem zu tun. Schauen Sie sich doch einmal die Beschäftigungsmuster seit 1998 an. Nach dem westlichen bustt von dem „Aufbau“ nichts mehr vorhanden.

    Die letzten 10 Jahre waren prinzipiell eine Farce. Der einizige Sektor der wirklich expandierte ist der Finanzsektor ( damit meine ich auch Treasury Abteilungen von großen Industriekonglomeraten ). Wenn wir so weiter machen geht mein worst case scenario wirklich auf: sehr hohe Inflationsraten und eine Disintegration von vielen Bevölkerungsschichten. Das sind keine Utopien, dies ist alles schon einmal geschehen; es ist einfach nur Geschichte.

  3. Lieber Herr Berthold,

    ich stimme mit Ihnen ja 100 % überein. Was ich nur anführte ist die Konsequenz aus all unseren Versuchen die Dinge wieder gerade zu biegen. Man kann eine Ökonomie nicht durch geldpolitische oder fiskalische Mittel richten. Hoffentlich ist das die Erkenntnis aus der nun folgenden Depression. Aber da der Mensch stolz ist, wird man auch hier wieder versuchen alles unter den tisch zu kehren.

    Das die Arbeitslosigkeit in Wahrheit viel höher liegt als uns suggeriert wird, ist doch jedem bewusst. Was denken Sie kann unsere Regierung machen ? Im internationalen Kontext, unter dem Hut des IMF, ist der Spielraum doch sehr begrenzt. Wir sitzen alle im selben Boot, weshalb der internationale Dialog ( eben auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt ) unerlässlich ist.

    Obama macht die gleichen Fehler wie einst Roosevelt, eben nur drastischer. Die historische Konsequenz aus unseren, in der jüngsten Vergangenheit begangenen Fehlern, ist eine weitere Zunahme der fiskalischen Defizite ( denn falls dies nicht folgt, bricht das gesamte kreditgetriebene System in sich zusammen ), damit einen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus ( entweder über die Abgaben und Steuerlast oder durch die Absenkung des Wechselkurses oder einfach durch Preisanstiege im System ) UND ( und das ist das hier relevante Stück ) einem Abbau von Arbeitsplätzen im privaten Sektor. Es sollte jedem glasklar sein, dass wenn der Staat mehr und mehr ausgibt oder an Schulden aufnimmt, irgendwo im System gespart werden muss- und nun fragen Sie sich einmal wo ?! Wir können noch so flexible Arbeitsmarktmaßnahmen einführen, wenn im big picture die Dinge anders verschoben werden.

    In allerletzter Konsequenz sind meine Aussagen nur ein Spiegelbild von dem was passiert und ( hoffentlich nicht ) passieren wird.
    Sie sehen also, meine Ausführungen haben schon etwas mit dem Thema zu tun, auch wenn ich Ihnen eingestehen muss, dass sie natürlich auf den ersten Blick nichts damit zu tun haben ( könnten ).

  4. Vielleicht eine naive Frage, aber woher wissen wir, dass es „Bedarf“ an struktureller Anpassung gibt?

    Intuitiv würde ich auch sagen, dass dem Automobilsektor ein Strukturbruch bevorsteht (und das gilt besonders für die deutschen Premium-Marken), aber ist das sicher? Kann es nicht sein, dass Beispielsweise Opel ohne Krise auch ohne staatliche Hilfe hätte weiterexistieren könnte?

    Ich hatte das Gefühl, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hatten und weggekommen sind von den alten „Karren“ mit schlechtem Image (Sorry an alle Opelfans). Sie befanden sich auf dem Weg der Besserung mit Zukunftschancen und einer guten Produktpalette. Nur die Krise hat die „Altelasten“ bzw. das schlechte GM-Managment zu einer unüberwindbaren Hürde werden lassen.

    Es ist natürlich ein „Ordnungspolitischer Sündenfall“ (mal wieder), da durch einen solchen Präsidentsfall Tür und Tor für zukünftige Eingriffe geöffnet werden. Wo zieht man den Schlussstrich? Am Ende retten wir ein Unternehmen/eine Branche, die eigentlich dem Untergang geweiht ist und auch verschwinden sollte (Kohlbergbau?!).

    Unter normalen Umständen gilt die „Schöpferische Zerstörung“: Der Markt sortiert schlechte, veraltete Produkte und schlecht geführte Unternehmen aus und lenkt die Produktionsmittel in die „bestmögliche“ Verwendung. Der klassische X-Konjunkturverlauf. Die Schreibmaschinenindustrie verschwindet (von links oben, nach rechts unten), während die Computerindustrie expandiert (von links unten, nach rechts oben). Am Ende ist die Welt effizienter, reicher und besser und gelegentlich ein bisschen kälter:

    Beispielsweise ist ein großer Supermarkt draußen vor der Stadt sicherlich effizienter als hundert Tante-Emma-Läden. Allerdings kann durch eine solche Strukturanpassung auch ein Stück „Lebensqualität“ verloren gehen: Die Tanten werden durch die Anpassung erst arbeitslos und dann Angestellte beim großen Supermarkt. Vielleicht verdienen sie sogar mehr, jedoch waren sie früher ihre eigene Chefin und das bedeutet auch Lebensqualität. Die Kunden kaufen jetzt zwar billiger ein, aber die persönliche Beziehung zu „ihrem“ Tante-Emma-Laden fehlt (Na ja – Sie müssen die Kostenersparnis höher gewertet haben, ansonsten bestünden die kleinen Läden ja noch – oder handelt es sich um ein Gefangenendilemma?). Und zu guter Letzt werden die Innenstädte austauschbar und leer.

    Na ja … auch ein wenig am Thema vorbei. Außerdem lässt sich die Welt ja nicht zurückdrehen und kaum jemand wird sich über das Verschwinden der Schreibmaschinenindustrie beschweren, oder?

    Ich frag mich nur, ob wir zum einen amerikanische Verhältnisse mit „hire & fire“ wollen und ob die Hilfe/der Ordnungspolitische Sündenfall nicht vielleicht sogar notwendig waren, um den Verlierern (zumindest vorrübergehend) zu helfen – auch auf Kosten einer etwas langsameren Entspannung …

  5. @Knut

    Grundsätzlich wissen wir natürlich nicht, ob und wo es einen „Bedarf“ an strukturellen Anpassung gibt. Wir wissen aber, dass technischer Fortschritt die Produktivität der Produktionsfaktoren erhöht und mit steigendem Wohlstand die Präferenzen der Nachfrager heterogener werden. Beides führt zu strukturellem Wandel. Die „zukunftsträchtigen“ Bereiche aufzuspüren, ist in einer marktwirtschaftlichen Ordnung eine Aufgabe der Unternehmer. Sie sind die Trüffelschweine der Marktwirtschaft. Deshalb ist es notwendig, ihren Handlungsspielraum möglichst groß zu gestalten, um strukturellen Wandel zu ermöglichen und den Wohlstand zu erhöhen.

  6. Haha, ja es ist ein totaler joke. Dieser Mann ist so waaaay out of control, es ist unfassbar. Am liebsten habe ich ja dies hier:

    The point is that we need to start doing something more than, and different from, what we’re already doing. And the experience of other countries suggests that it’s time for a policy that explicitly and directly targets job creation.

    In other words: was er vorschlägt ist NOCH MEHR Stimulus. Wenn doch gerade die fiskalischen und monetären Defizite der Ursprung allen Übels ist. Aber das ist eben auch die Philosophie der Obama Administration. Ich meine, man kann da auch gar nichts gegen machen, weil ja eben die Geldgeber in Asien sitzen. Mit diesen müsste man eigentlich darüber debatieren, warum Sie so ignorant sind und diesen Unsinn weiter zulassen. Am Ende wird Amerika wohl ein Agrarstaat werden – wohl gemerkt nur durch politische Motivation. Was hier über uns ergeht ist Sozialismus pur. Man kann auch gar nicht leugnen das auch Kommunismus enthalten ist, aber so ist es eben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert