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Sterbehilfe (2)
Das Verbot gewerbsmäßiger Sterbehilfe
Eine Antwort auf Hartmut Kliemt

Der amerikanische Ökonom Tyler Cowen schreibt regelmäßig über „markets in everything [1]“. Er zeigt dann anhand vieler Beispiele, daß, wo immer es eine zahlungskräftige Nachfrage gibt, früher oder später auch Anbieter auftauchen. Märkte bilden sich spontan heraus, das ist ihre Stärke.

Andererseits ist das natürlich auch ein Problem, denn diese spontanen Märkte bilden sich auch dort, wo die Gesellschaft sie, oft aus guten Gründen, lieber nicht sehen möchte. Ob harte Drogen, Kriegswaffen, oder noch Schlimmeres, die Märkte sind da. Sie sind informal und oft versteckt, aber es gibt sie.

Regierungen, die den Handel mit einem Gut oder einer Dienstleistung verbieten, erreichen nüchtern betrachtet zwei Dinge: Sie erhöhen erstens die Transaktionskosten der Nutzung des betreffenden Marktes, so daß die gehandelte Menge zurückgeht und die Preise steigen. Und zweitens senden sie ein Signal in die Gesellschaft: Was auf diesen informalen Märkten passiert, ist unerwünscht. Wer sich dort bewegt und erwischt wird, muß mit juristischen Strafen und gesellschaftlicher Ächtung rechnen.

Kürzlich kritisierte auf diesem Blog Hartmut Kliemt die neuen Regelungen zur aktiven Sterbehilfe [2], die das kommerzielle, gewerbsmäßige Angebot von Sterbehilfe unter Strafe stellen. Der wesentliche Kritikpunkt ist dabei, daß das neue Gesetz es auch denjenigen Ärzten, die aktive Sterbehilfe mit ihrem individuellen Gewissen vereinbaren könnten, verbiete, ein solches Angebot zu machen. Das sei, so Hartmut Kliemt, „ moralische Selbstherrlichkeit und mangelnder Respekt vor den Überzeugungen anderer“.

Das Argument der moralischen Selbstherrlichkeit wäre zutreffend, wenn es keine über die individuelle Gewissensentscheidung hinausgehenden guten Gründe für das Verbot gewerbsmäßer Sterbehilfe gäbe. Wenn also der Staat hier tatsächlich tief in die Privatsphäre seiner Bürger intervenieren würde, ohne daß dies durch das Ziel gerechtfertigt wäre, damit ein erhebliches gesellschaftliches Übel zu verhindern. Ob das der Fall ist, kann aus ökonomischer Sicht aber nur beantwortet werden, indem man sich die Anreize anschaut, die von alternativen Regelordnungen gesetzt werden.

Jürgen Kaube hat in der Frankfurter Allgemeinen vom 5. November ein Argument zur Sterbehilfe gebracht, das mir so stichhaltig erscheint, daß ich den entsprechenden Abschnitt ausnahmsweise einmal vollständig zitieren will:

Das Argument derer, die aus dem Selbstbestimmungsrecht von Personen eine Straffreiheit von organisierter Beihilfe zum Selbstmord ableiten, beruht auf einem Denkfehler. Die Gesellschaft bestehe aus freien Individuen, sagen sie. Aber das Problem beim assistierten Selbstmord ist ja gerade, dass manche von der Freiheit zum Suizid, die sie haben, ohne Hilfe nicht Gebrauch machen können oder wollen. Freiheit als Recht zu behandeln, wo sie niemand anderem schadet, gehört zum Kern einer liberalen Ordnung. Doch wer einen anderen braucht, um sich selbst zu töten, hat freiwillig oder unfreiwillig den Umkreis schlichter Entgegensetzungen von freiheitlichem und rechtlich zustimmungspflichtigem Handeln verlassen. Dann geht der Tod der Lebensmüden, auf den sie mit einer merkwürdigen Formulierung „ein Recht“ zu haben beanspruchen, eben nicht mehr nur sie selbst etwas an. (Quelle [3])

Man kann sich dieser Schlußfolgerung auch aus einer anderen Richtung annähern. Es gibt kein Staatsziel der Maximierung von Lebensjahren. In einer liberalen Gesellschaft kann jeder Bürger mit seinem Leben tun, was er möchte, solange er damit niemand anderem schadet. Er kann sein Leben durch Risikosportarten gefährden, durch Rauchen oder durch ungesunde Ernährung, oder er kann, wenn er seines Lebens überdrüssig ist, auch Suizid begehen. Sobald wir über aktive Sterbehilfe sprechen, gehen wir aber den Schritt von der Souveränität des einzelnen Bürgers hin zu einem Vertragsverhältnis zwischen zumindest zwei Personen. Wir betreten einen, wie auch immer gearteten, Markt.

Im Fall einer legalisierten aktiven Sterbehilfe ist der Staat im Spiel. Er erlaubt einen Vertragsschluß und setzt diesen Vertrag durch, er senkt auf diesem besonderen Markt die Transaktionskosten und erleichtert seine Nutzung. Das ist die eine, selbstversändliche Seite, die von den Befürwortern legaler Sterbehilfe ja auch explizit gewollt ist. Die andere Seite ist aber, daß es gar nicht anders geht, als daß der Staat damit die aktive Sterbehilfe aus ihrer moralischen Ambivalenz herausholt, sein Plazet gibt und ein eindeutiges Signal in die Gesellschaft sendet: Das ist schon in Ordnung, vielleicht sogar erwünscht. Wird ein bisher informaler Markt in die Legalität geholt, so beeinflußt dies notwendigerweise auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der auf diesem Markt gehandelten Güter und Dienstleistungen.

Man sollte natürlich stets vorsichtig sein mit der Prognose, daß man sich mit einer bestimmten politischen Entscheidung auf eine abschüssige Ebene begibt, auf der man problematischen Fernwirkungen entgegen rutscht, aber in diesem Fall gibt es zumindest Erfahrungen aus anderen Ländern. Die Euthanasie-Kultur, die sich etwa in den Niederlanden herausbildet [4], erscheint durchaus beängstigend. Die straffreie Tötung von Neugeborenen und Kindern ist unter gewissen Umständen inzwischen möglich, die legale Sterbehilfe für Gesunde, aber Lebensmüde wird diskutiert (in Belgien ist man da schon einen Schritt weiter [5]). Und vor allem wandelt sich der Umgang der Bürger mit der Option Sterbehilfe; zunehmend wird an Schwerstkranke die Erwartung herangetragen, der Sache doch ein Ende zu machen. Es entwickelt sich mit der Zeit eine Routine: die Nachfrage steigt, die Quote der Genehmigungen ebenso [6].

Die bisher vorhandene, natürlich zugegeben spärliche Erfahrung mit legaler Sterbehilfe ist also so, daß man zumindest die Gefahr nicht ganz von der Hand weisen kann, daß mit der Etablierung eines legalen Marktes für Sterbehilfe ein gesellschaftlicher Wandel ausgelöst werden kann, der zu dem führt, was Johannes Paul II. eine „Kultur des Todes [7]“ nannte. Es geht hier eben nicht einfach nur um individuelle Autonomie oder Vertragsfreiheit, sondern um eine Lockerung des Tötungsverbotes. Es ist egal, wie vorsichtig man dieses Verbot lockern möchte – wenn man es tut, wagt man immer ein gefährliches Spiel mit den tief sitzenden Wurzeln unserer Zivilisation.