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Ja zu TTIP (4)
TTIP weder „tot“ noch „light“
Aber reicht die Zeit?

Viele Jahre war Handelspolitik das Thema weniger Experten. Weder Politik noch Presse haben sich für dieses Thema wirklich interessiert. Auch die Wirtschaft hat ihre handelspolitische Kompetenz immer stärker zurückgefahren, der Handel fand ja statt. Dann kam TTIP und seitdem steht die Welt aus Sicht eines Handelspolitikers auf dem Kopf. Während die WTO in ihrer jungen Karriere nur einmal während der Ministerkonferenz in Seattle im Jahre 1999 Zielscheibe des Protestes war, ist sie mittlerweile in einen Dornröschenschlaf verfallen und kommt ihrer Rolle, neue Handelsliberalisierungen zu beschließen und multilaterale Regeln zur Gestaltung des Welthandels verbindlich festzulegen, nicht wirklich nach. Nur die Streitbeilegung glänzt am Genfer Himmel wie ein einsam leuchtender Stern. Der Protest gegen Handelspolitik, zunächst geschürt von Globalisierungskritikern ist mittlerweile nicht nur in der Mitte der Bevölkerung angekommen, er hat auch das äußerst rechte politische Spektrum erreicht, das mit der Forderung nach der Schließung der Grenzen natürlich auch jede weitere Handelsliberalisierung ablehnt.

Alle scheinen sich einig zu sein: Europa braucht keine weitere Vertiefung der transatlantischen Beziehungen, weder aus geopolitischer noch aus ökonomischer Sicht. Die Globalisierungskritiker glauben, dass ein Scheitern von TTIP zu einer ergebnisoffenen gesellschaftlichen Diskussion um eine neue Wirtschaftspolitik führen wird, lehnen aber die Reformvorschläge der Kommission um eine werte-orientierte Handelspolitik als neuer Wein in alten Schläuchen rundweg ab. Dabei muss man bei einer werteorientierten Handelspolitik berücksichtigen, dass die dominierende Rolle Europas durch eine multipolare Welt mit stärker werdenden Akteuren mit anderen sozio-kulturellen Grundlagen abgelöst wird. Europa will zwar die Welt immer mehr nach seinen Grundsätzen formen, ist aber de facto machtloser denn je. Die Chancen, unsere Werte gegenüber Schwellenländern durchzusetzen, stehen also denkbar schlecht.

Dabei braucht Europa gerade in der Handelspolitik keine Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den USA zu haben. Die Europäische Kommission ist in der Lage, mit den USA auf Augenhöhe zu verhandeln und kann europäische Interessen erfolgreich durchsetzen. Hierzu braucht sie aber Unterstützung gerade aus der Mitte der Gesellschaft. Man wundert sich schon, warum gerade in einem Land wie Deutschland, das so stark vom Export lebt und seine industrielle Struktur für sein wirtschaftliches Überleben dringend braucht, so viele TTIP-Gegner aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Die Industrie wird als gegeben hingenommen. In einer globalisierten Welt ist dies ein gefährlicher Trugschluss, denn die Industrie reagiert nicht mit Demonstrationen, sondern leise und unaufgeregt mit Investitionsverlagerungen. Geopolitische oder geostrategische Überlegungen können der breiten Öffentlichkeit nicht vermittelt werden. Das niederländische Referendum gegen das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine spricht Bände.

Die seit 2013 geführte intensive TTIP-Debatte hat beachtenswerte Veränderungen erzeugt. Gerade mit den USA besteht die Möglichkeit für echte Reformen. Wenn Europa seine Interessen mit Nachdruck vertritt, können wir mit offenen Märkten und einem starken Völkerrechtsrahmen mehr erreichen, als mit Abschottung. In einer sich rasant wandelnden Welt kann der Status quo nicht konserviert werden. TTIP ist daher nicht „tot“, es lebt und muss mit Inhalten gefüllt werden. Vor allem aber muss die nationale Politik lernen, dass die permanente Drohung mit einem Scheitern von TTIP die Verhandlungsposition der EU schwächt. Dazu gehört die schwierige Debatte um „gemischte Abkommen“. Die Zuständigkeit für Handelspolitik liegt bei der EU. Die demokratische Verantwortung liegt daher zunächst und an allererster Stelle beim direkt gewählten Europäischen Parlament und nur zweitrangig bei den nationalen Parlamenten und zwar nur dann, wenn das Abkommen nationale Kompetenzen umfasst. Wenn die Politik dies akzeptiert und auch so kundtut, muss das Europäische Parlament Verantwortung übernehmen und der Bürger kann mit seiner Stimme bei der nächsten Wahl endlich Verantwortung zuordnen. Es ist richtig, Transparenz einzufordern und nationale Parlamente zu unterrichten, die Debatte über den Mangel an Transparenz darf aber nicht den Eindruck erwecken, dass nicht das Europäische Parlament, sondern der Bundestag das eigentlich demokratisch legitimierte Organ ist, das über TTIP entscheidet. Würden Sie, liebe Leser, weitreichende Zugeständnisse in einer Verhandlung machen, wenn Ihr Gegenüber 29 Ratifizierungsurkunden braucht und es nicht sicher ist, dass er sie bekommt?

Die Kommission hat auf die Kritik zum Investitionsschutz und zu der Investor-Staat-Schiedsgerichts-barkeit (ISDS) reagiert und einen Vorschlag vorgelegt (ICS-System), der die Regulierungsautonomie des Staates unterstreicht und gleichzeitig die berechtigten Schutzinteressen ausländischer Investoren schützt. Für eingefleischte Investitionsschutzpolitiker ist dieser Vorschlag „harter Tobak“, denn er verändert drastisch das existierende ISDS-System  der ca. 3000 von den EU-Mitgliedstaaten geschlossenen Investitionsschutzabkommen. Der Vorschlag wird jetzt mit den USA verhandelt. Das wird schwierig, weil die USA im Transpazifischen Abkommen (TPP) das alte ISDS-System festgeschrieben haben – wenn auch mit einigen, nicht zu unterschätzenden Reformen. Die Position Europas ist dennoch nicht aussichtslos, denn der Kommission ist der geschickte Schachzug gelungen, Kanada vom neuen System zu überzeugen – ein Beweis für das Verhandlungsgeschick und die Verhandlungsfähigkeit der Kommission. Die Debatte um ISDS hat auch gezeigt, wie wenig bekannt das existierende System war. Die meisten der 129 deutschen Investitionsschutzabkommen sehen das so heftig kritisierte ISDS-System vor. Unsere Verträge schließen aus, dass der ausländische Investor sich vor einem nationalen Gericht auf die Vorschriften des Abkommens berufen kann. Will er seine Rechte aus dem Abkommen durchsetzen, bleibt ihm nur der Rückgriff auf ein wie auch immer geartetes internationales Schieds- oder Gerichtsverfahren.

Die Debatte um die regulatorische Kooperation war hilfreich, denn sie hat die Grenzen des politisch Möglichen aufgezeigt. EU und USA betreten hier verhandlungspolitisches Neuland: kein bisheriges Freihandelsabkommen hat sich zum Ziel gesetzt, unnötige regulatorische Barrieren abzuschaffen, bürokratischen Aufwand zu verringern, und langfristig eine gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung von Regulierungsbereichen zu erreichen. Der Protest hiergegen war und ist groß, denn viele fürchten, dass diese Zusammenarbeit zur Senkung von Schutzstandards, zum Import ungewünschter Regulierungen, zur Abkehr vom Vorsorgeprinzip führen und generell demokratische Verfahren gefährden könnte. Die Kommission hat auf die Kritik reagiert und deutlich gemacht, dass die regulatorische Kooperation auf freiwilliger Basis erfolgt und das europäische Schutzniveau nicht gesenkt wird. Die Regulierungsbehörden verpflichten sich zur Kooperation und Information, insbesondere bei neuen Regulierungsvorhaben, bleiben aber autonom. Gemeinsame Vorschläge werden nur dann vorgelegt, wenn sie im beiderseitigen Interesse sind und sie müssen  das reguläre, von der jeweiligen Verfassung vorgesehene, Regulierungs- oder Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Das Europäische Parlament und der Ministerrat behalten also ihre Entscheidungskompetenz. Auf dieser Basis können beide Seiten Arbeitsprogramme entwickeln, ob und wie sie die Regulierungszusammenarbeit in bestimmten Bereichen verstärken: Sie können zum Beispiel eine gegenseitige Anerkennung vereinbaren, Voraussetzung hierfür ist aber immer die Vergleichbarkeit der jeweiligen Schutzstandards, oder sie können unterschiedliche Test- und Zertifizierungsverfahren einander angleichen. Im Chemiesektor kommt eine gegenseitige Anerkennung nicht in Betracht, weil sich die EU- und die US-Regulierungssysteme zu stark unterscheiden. Dennoch ist auch hier die regulatorische Kooperation sinnvoll, zum Beispiel bei der Klassifizierung und Kennzeichnung von Chemikalien oder auch bei der Priorisierung von Chemikalien, die beide Seiten nach ihren jeweiligen Vorschriften evaluieren. Das Ganze ist mühsame Fleißarbeit, sie lohnt sich aber, weil tatsächlich unnötige Doppelarbeit vermieden wird, ohne das Schutzniveau zu senken und sie führt zu einem besseren Verständnis der jeweiligen Regulierungsphilosophie.

EU-Kommissarin Malmström und der US-Handelsbeauftragte Froman haben beschlossen ,mehr Gas zu geben“˜ und die Verhandlungen über die drei Teile des Abkommens – Marktzugang, Regulatorische Kooperation, Regeln – bis Ende des Jahres so weit voran zu bringen, dass nur noch die wichtigsten politischen Knackpunkte entschieden werden müssen. Das ist bei den Unterhändlern angekommen: Tempo und Intensität der Verhandlungen haben zugenommen. Beide Seiten haben in allen Bereichen Vorschläge vorgelegt, es werden konsolidierte Texte verfasst, die dann die Grundlage für den eigentlichen Rechtstext bilden. Jetzt beginnt der schwierige Teil der Verhandlungen, denn beide Seiten müssen entscheiden, wie viele  Zugeständnisse sie machen. Es wurde vorgeschlagen, bei zu großen Auseinandersetzungen das WTO-Prinzip des Ausklammerns der Streitigkeit anzuwenden: ein „TTIP-light“ soll ausreichen. Genauso wenig wie das Ausklammern der Streitpunkte die Doha-Runde der WTO vor ihrem Niedergang retten konnte, wird ein „TTIP-light“ zu einem erfolgreichen Abschluss führen. Beide Seiten brauchen den politischen Willen, Zugeständnisse zu machen. Sie müssen eine Vielzahl von Kompromissen finden, mit denen jede Seite im Ratifizierungsprozess darlegen kann, dass das Ergebnis der Verhandlungen trotz der Zugeständnisse insgesamt positiv ist. Je geringer der Verhandlungsumfang, desto wahrscheinlicher ist ein Scheitern.

Bleibt die entscheidende Frage, ob die Zeit ausreicht, TTIP bis Ende des Jahres in der oben beschriebenen Form fertig zu stellen. Das wird knapp, es ist aber nicht ausgeschlossen. Um aber so weit zu kommen, bedarf es echten Engagements der Staats- und Regierungschefs. Ohne deren aktives Einfordern von Kompromissen und Einmischen in den Prozess werden die Unterhändler nicht in der Lage sein, die notwendigen Zugeständnisse zu machen. Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Obama müssen auf der Hannover Messe mit diesem aktiven Einmischen beginnen.

Weitere Blog-Beiträge zu TTIP:

Axel Berger und Henning Klodt: CETA und die Reform des Investorenschutz. CETA als Blaupause für TTIP? [1]

Henning Klodt: TTIP: Stockungen und Lösungen [2]

Henning Klodt: TTIP: Streitpunkt Schiedsgerichte [3]

Markus Fredebeul-Krein: TTIP: Warum ein Investitionsschutzabkommen wünschenswert ist [4]