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Die defekte geldpolitische Regel der EZB muss reformiert werden!

Höchste Vertreter der Europäischen Zentralbank sehen sich unter Rechtfertigungsdruck. Sie werden insbesondere aus Deutschland zunehmend mit den unerwünschten Nebeneffekten der ultra-lockeren Geldpolitik in Form von Vermögenspreisblasen, Umverteilung zugunsten der Reichen, Verschleppung von Reformen, monetärer Staatsfinanzierung, Enteignung der Sparer, Lohnrepression und schleichender Aushöhlung der Alterssicherungssysteme konfrontiert.

Das wichtigste Schutzschild von Mario Draghi, Peter Praet, Benoît Coeré und anderen gegen die mächtige Welle der Kritik ist das Mandat, das in den europäischen Verträgen in Form von Preisstabilität verankert ist. Die Europäische Zentralbank hat sich dieses Ziel in Form eines Inflationsziels von nahe aber unter 2% operationalisiert. Das Inflationsziel sollte zusammen mit einem hohen Grad an Unabhängigkeit sicherstellen, dass die Geldpolitik nicht von politischen Interessen geleitet wird. Die Bürger sollten gegen den Verlust von Kaufkraft und gegen willkürliche Umverteilungseffekte –  z.B. vom Bürger zum Staat oder von Haltern von Nominalvermögen (z.B. Bankeinlagen) zu Haltern von Sachvermögen (z.B. Immobilienbesitzern) – geschützt werden.

EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeré (2016) hat betont, dass eine stillschweigende Aufgabe des gemeinsam vereinbarten Inflationsziels, das sich seit 13 Jahren für die EZB bewährt habe, keine Option sei. Dies würde die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik beeinträchtigen und Instabilität erzeugen. Die Zielsetzung der Geldpolitik solle nicht immer wieder aufgrund kurzfristiger Erwägungen neu definiert werden.

Das klingt einleuchtend, vernachlässigt aber die Lukas-Kritik (Lukas 1973). Diese besagt, dass eine ökonomische Gesetzmäßigkeit nicht mehr funktioniert, sobald die Wirtschaftspolitik versucht, diese für ihre Zielsetzungen auszunutzen (siehe auch Schnabl 2015). Auf der Grundlage der Lukas-Kritik wurden als Anforderungen an geldpolitische Regeln die Kriterien Einfachheit, Stabilität, Zielorientierung, Anpassungsfähigkeit und Durchsetzbarkeit formuliert, mit denen in Folge das Inflationsziel der EZB geprüft wird.

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Das Inflationsziel ist nach wie vor einfach. Es ist für breite Bevölkerungsschichten leicht erkennbar, ob die Veränderungsrate des harmonisierten Verbraucherpreisindex für die Eurozone nahe aber unter 2% liegt. Für den formulierten Referenzwert für das Geldmengenwachstum M3 von 4,5% gilt das ebenso. Weil dieser aber seit der Jahrtausendwende stetig weit gerissen wurde (siehe Abb.), wurde er zuerst in die zweite Säule der geldpolitischen Strategie verschoben und dann immer weniger zitiert.

Das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank baut auf der Annahme auf, dass die Zentralbank durch die Veränderungen der Leitzinsen bzw. durch die Steuerung der Geldmenge (zuletzt des Volumens der Zentralbankbilanz) die Inflation beeinflussen kann. Doch diese auf der sogenannten Quantitätsgleichung[1] [2] aufbauende ökonomische Gesetzmäßigkeit ist nicht mehr stabil. Langsam setzt sich außerhalb der Zentralbanken die Einsicht durch, dass die Geldpolitik vor allem auf die Finanzmärkte wirkt. Die Gütermärkte, deren Preise die Zentralbank mit Hilfe des harmonisierten Konsumentenpreisindex eifrig misst, bleiben unberührt (siehe Abb. sowie Mayer 2016, Schnabl 2015). Je mehr die großen Zentralbanken ihre Bilanzen durch den Ankauf von Staatsanleihen (und anderer Wertpapiere) ausweiten, desto geringer (und nicht höher!) ist die Inflation.

Ob das Inflationsziel noch zielorientiert ist, ist aufgrund der unerwünschten Nebeneffekte fraglich. Geht man aber davon aus, dass Geldpolitik die realen Löhne stabil halten, willkürliche Umverteilungseffekte minimieren und die Finanzierung von Staatsausgaben vermeiden soll, dann wirkt die EZB in die völlig falsche Richtung. Indem die ultra-lockere Geldpolitik vor allem Immobilien- und andere Vermögenspreisblasen treibt, macht sie die Reichen reicher, weil sich bei ihnen diese Vermögenswerte konzentrieren. Platzen die Blasen, dann werden für große Teile der Bevölkerung die nominalen Löhne gedrückt, während die geldpolitischen Rettungsaktionen die Vermögenspreise wieder nach oben treiben. Durch den massenhaften Ankauf von Staatsanleihen wird eine Umverteilung zugunsten der hoch verschuldeten Staaten betrieben. Eigentlich werden alle Ziele verletzt, mit denen sich die Deutsche Bundesbank über viele Jahre hinweg das Vertrauen der Bürger erworben hatte.

Der Anpassung der Regel im Sinne der Lukas-Kritik widersetzen sich die wichtigen Entscheidungsträger der EZB hartnäckig. Der Grundtenor ist, dass Preisstabilität als geldpolitisches Ziel durchgezogen würde, nachdem die Deutschen es einmal so haben wollten. Koste es, was es wolle! Die Tatsache, dass der der geldpolitischen Regel zugrundeliegende Strukturzusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation nicht mehr besteht, ist unbedeutend. Die Frage der Durchsetzbarkeit ist damit hinfällig. Denn es wird eine Regel durchgesetzt, die das Gegenteil vom dem erreicht, was sie eigentlich erreichen sollte.

Der deutsche Finanzminister hat angedeutet, dass diese Art der Geldpolitik zu wachsender politischer Polarisierung in Deutschland beiträgt. Da die Geldpolitik über den Umweg von Finanzmarktblasen vor allem die realen Einkommen der Mittelschicht untergräbt (deren Konsumgewohnheiten vom Konsumentenpreisindex der EZB modelliert werden) ist eine diffuse Unzufriedenheit entstanden. Diese zeigt sich in einem Wachstum von neuen Parteien am linken und rechten Rand der Parteienlandschaft in fast allen europäischen Ländern. Je länger sich die geldpolitische Elite in Europa einer Reform des Inflationsziels widersetzt, desto weiter wird diese politische Polarisierung voranschreiten. Schon allein deshalb sollten die Entscheidungsträger der EZB endlich zur Besinnung kommen und die defekte geldpolitische Regel zeitnah reformieren.

Literatur:

Coeré, Benoît: „Menschen sind nicht nur Sparer“. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 1.5.2016, S. 22. http://www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/ezb-direktor-benoit-coeure-verteidigt-ezb-geldpolitik-14209021.html [3]

Lukas, Robert (1976): Econometric Policy Evaluation: A Critique. Carnegie-Rochester Conference Series on Public Policy 1, 19–46.

Mayer, Thomas (2016): Three Fallacies on Money and Inflation. Flossbach von Storch Reserach Institute Economic Policy Note 15/4/2016. http://www.fvs-ri.com/files/16.04.15_three_fallacies_on_money_and_inflation.pdf [4]

Schnabl, Gunther (2015): Die gefährliche Missachtung der Vermögenspreisinflation. Zur Wirkungslosigkeit von Inflationszielen als geldpolitische Regelmechanismen. Leviathan 43, 2, 246-269. http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2507729 [5]

[1] [6]   Die Geldmenge (M) multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (V) ist gleich dem realen Sozialprodukt (Y) multipliziert mit dem Preisniveau (P): M * V = Y * P. In Veränderungsraten entspricht die Wachstumsrate der Geldmenge (m) plus die Veränderungsrate der Umlaufgeschwindigkeit der Geldes (v) der Wachstumsrate des realen Sozialprodukts (y) plus Inflation (p): m + v = y + p. Als sich die Europäische Zentralbank das 2%-Inflationsziel gab, ging sie von einer einer durchschnittlichen erwarteten Wachstumsrate (y) von 2% im Euroraum aus. Sie nahm an, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes um durchschnittlich ein halbes Prozent pro Jahr verlangsamen würde. Bei einem Inflationsziel von 2% leitete sie den Referenzwert von 4,5% (m=2%+2%+0,5%) für das Geldmengenwachstum M3 ab.