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Terrorismus und Migration
Eine Bestandsaufnahme

In der Folge der Anschläge von Würzburg, München und Ansbach ist in Deutschland eine Debatte über den Zusammenhang von Migration und Terrorismus entbrannt. Immer wieder wird die Vermutung geäußert, dass mit den Flüchtlingen, die in den letzten anderthalb Jahren nach Deutschland und Europa gekommen sind, die islamistische Terrorgefahr gestiegen sei. So sorgen sich laut einer Umfrage von Pew Research [1] nur 31% der Deutschen, dass die Flüchtlingswelle zu Arbeitsplatzverlusten oder zusätzlichen Soziallasten führen könnte, aber 61% glauben, dass die Terrorwahrscheinlichkeit durch die Flüchtlinge gestiegen sei.

Die Debatte ist dabei vor allem von Stimmungen und politisch-taktischen Erwägungen geprägt, weniger von einem tieferen Durchdringen der auch wissenschaftlich interessanten Frage, inwieweit zwischen beiden Variablen ein belastbarer Zusammenhang besteht. Im Folgenden soll eine ebenso vorsichtige wie vorläufige Bestandsaufnahme des Forschungsstandes sowie ausgewählter empirischer Fakten aus öffentlichen Quellen vorgenommen werden, um die Debatte zu versachlichen.

Dabei sollen drei Fragen untersucht werden:

(i) Inwiefern ist Terrorismus eine Migrationsursache?

(ii) Was ist bekannt über die Terrorismus befördernden Wirkungen von Zuwanderung?

(iii) Welche Rolle spielt ein Migrationshintergrund für mögliche Terrorgefahren und warum tut er dies?

Bei der Beantwortung aller drei Fragen wird ausdrücklich auch Bezug auf den aktuellen Debattengegenstand, die Zuwanderung von Muslimen aus Regionen wie Syrien und dem Irak, genommen.

Migration durch Terrorismus?

In seinen Global Trends 2015 [2] legt das UN-Flüchtlingshilfswerk dar, dass bis zum Jahresende 2015 nicht weniger als 11,7 Millionen Syrer auf der Flucht waren, davon 4,9 Millionen als Flüchtlinge im Ausland und 6,6 Millionen innerhalb des eigenen Landes. Als Hauptursachen hierfür gelten Bürgerkrieg, Gewalt und Terrorismus. Diese sind damit – neben bspw. Armut, Unterentwicklung, schwachen Institutionen oder ungünstigen demographischen und klimatischen Bedingungen – den so genannten Push-Faktoren der Migration zuzuordnen, also Rahmenbedingungen, die Menschen veranlassen, ein bestimmtes Land, meist ihr Heimatland, zu verlassen.

Ob jedoch Terrorismus ohne weiteres als Push-Faktor herhalten kann, ist nach Lage der Dinge nicht zweifelsfrei zu beantworten. Ein einzelner Terroranschlag löst in der Regel keine relevante Abwanderung aus, hierzu bedarf es einer länger andauernden Terrorkampagne, durch die die Sicherheitslage nach einer Reihe von Anschlägen als grundlegend negativ eingeschätzt wird. Ein solcher Stimmungswandel ist jedoch ein eher langsam einsetzender Prozess. Am ehesten lässt sich Abwanderung beobachten, wenn bestimmte Teilgruppen der Bevölkerung, etwa Minderheiten oder Anhänger von Demokratie und Rechtstaatlichkeit, systematisch Opfer gezielter Terroranschläge werden. Wenn diese Gruppen sich nur noch unzureichend geschützt fühlen, werden sie das sicherere Ausland als Abwanderungsoption in Erwägung ziehen. Im Falle einer sich verschlechternden Sicherheitslage sind auch andere Abwanderungsmuster beobachtbar, etwa wenn die vorherrschende Unsicherheit negativ auf die Gesamtwirtschaft zurückschlägt und vor allem die Hochqualifizierten ihr Land zu verlassen [3] beginnen.

Diese Überlegungen mögen nicht so recht zu dem Eindruck passen, dass vor allem der Terrorismus die Menschen massiv aus Syrien und Irak vertreibe. Diese beiden Länder sind jedoch keine besonders gut geeigneten Beispiele für den Effekt von Terrorismus auf Migration, denn hier wird Terrorismus zumeist mit dem so genannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung gebracht. Es ist aber eine in der einschlägigen Forschung offene Frage, ob es sich beim IS in diesen Ländern nicht eher um ein mit der Nutzung extremer Gewalt verbundenes Staatsbildungsprojekt [4] für ein Kalifat handelt (dass der IS in Europa wie eine Terrorgruppe agiert, steht dabei außer Frage). In diesem Falle wären (quasi-)staatliche Gewalt und Bürgerkrieg treffendere Push-Faktoren, um die beobachtbare Migration zu erklären.

Generell können aber insbesondere sich wiederholende terroristische Aktivitäten zumindest für Teile der Bevölkerung ein relevanter Abwanderungsgrund sein.

Terrorismus durch Migration?

Auch wenn fast zwei Drittel der Deutschen an eine höhere Terrorgefahr durch zuwandernde Flüchtlinge glauben, ist vor dem Hintergrund der vorherigen Überlegungen zu fragen, ob sich eine solche erhöhte Gefahr tatsächlich – theoretisch wie empirisch – begründen und zeigen lässt. Dabei ist zu beachten, dass die bisherige empirische Evidenz kaum als ausreichend robust bezeichnet werden kann.

In der Migrationsliteratur spielen Selektionseffekte sowie Sortierungseffekte eine wichtige Rolle. Auf die konkrete Problematik bezogen ist zunächst zu fragen, wer ein Land aufgrund von Terrorismus oder anderen Formen der Gewalt oder Verfolgung verlässt. Die Selektion kann dabei durchaus unterschiedlich ausfallen. Es kann sich um die Verfolgten und Traumatisierten handeln, es können aber auch Gewalterfahrene und Gewaltbereite sein oder es ist eine Mischung aus beiden Gruppen. Unter der Annahme, dass bestimmte (selbst-selektierte) Gruppen das Land verlassen, ergibt sich die Anschlussfrage, in welche Länder es diese Migranten zieht, wie sie sich also in mögliche Zielländer sortieren. Diese Frage lässt sich nicht ohne weiteres von der Selektion der Migranten trennen, denn es erscheint unmittelbar plausibel, dass etwa Verfolgte bevorzugt in Länder ohne Verfolgung auswandern möchten (es sei aber darauf hingewiesen, dass natürlich auch anderen Faktoren wie bspw. die Asyl- und Grenzpolitik des Ziellands eine Rolle spielen).

Aus diesen Überlegungen folgt, dass es für die potenziellen Zielländer eine Art von „positiver Selektion“ geben kann, nämlich Flüchtlinge, deren Wertvorstellungen (und andere Eigenschaften) denen im Zielland sehr ähnlich sind und die daher für das Zielland besonders attraktiv oder zumindest unproblematisch sind. Eine Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung [5] aus dem Jahr 2016 hat bei aktuellen Flüchtlingen in Deutschland folgende wichtigste Werte identifiziert: Freiheit; Sicherheit; Menschenrechte, Minderheitenschutz; Familie; Berufstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit; Bildung / Ausbildung der Kinder; Glaube, Religionsfreiheit; Demokratie und verlässliche Gesetzgebung; sowie Gleichberechtigung. Das IAB schreibt zusammenfassend:

„Das Gros der hier befragten Menschen hat sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, weil sie die hier gelebten Werte ausdrücklich schätzen. Sie haben in ihren Heimatländern Terror, Repression und religiösen Fanatismus erlitten – und waren in den meisten Fällen der Gruppe der Andersdenkenden, Oppositionellen, der Minderheiten zuzuordnen. Als solche konnten oder wollten sie in der aktuellen Wertekultur ihres Heimatlandes nicht mehr leben.“ (S. 23f.)

Diese Untersuchung legt also nahe, dass die Flüchtlinge mit den Deutschen ähnliche Werte teilen. Sie könnten sogar eine positive Selektion in dem Sinne darstellen, dass sie – durch ihren persönlichen Erfahrungshintergrund – besonders negativ gegenüber jeglicher Form von (terroristischer) Gewalt eingestellt sind. Der Optimismus vieler Befürworter eines großzügigen Zuzugs von Flüchtlingen dürfte nicht unerheblich durch eine derartige Annahme über die Flüchtlinge erklärbar sein.

Eine solche Einschätzung kann bisher durch die wenigen vorhandenen Daten allerdings weder abschließend bestätigt noch wiederlegt werden. Weitere intensive Forschung bleibt durchzuführen. Hierbei wäre bspw. zu analysieren, ob die Gewalterfahrungen im Heimatland die Flüchtlinge in einer Weise verändert oder traumatisiert haben, dass ihr tatsächliches Verhalten – in Einzelfällen oder systematisch – in einem psychopathologischen Sinne [6] von den eigentlich angestrebten Werten abweicht.

Präzise Erkenntnisse über derartige Zusammenhänge sind bisher rar. Im Juli 2016 lagen dem Bundeskriminalamt 410 Hinweise auf mögliche islamistische Terroristen unter den Flüchtlingen [7] vor, die zu 60 einschlägigen Ermittlungsverfahren in Bund und Ländern geführt haben, ohne dass hierbei konkrete Anschlagspläne vorgelegen hätten. Angesichts von knapp 480.000 Asylanträgen [8] bzw. 1,1 Millionen Registrierungen von Schutzsuchenden im EASY-System [9] im Jahr 2015, von denen jeweils der überwiegende Teil auf die Länder Syrien (37%), Irak (11%) und Afghanistan (13%) entfiel, ist diese Zahl gering. Dem stehen allerdings die Anschläge von Würzburg und Ansbach entgegen, bei denen jeweils ein Flüchtling der Attentäter war, auch wenn in beiden Fällen eine psychopathologische Indikation bei den Tätern nicht ausgeschlossen werden kann.

Insgesamt gibt es bisher nur wenig abschließende Evidenz dafür, dass sich Terroristen in signifikanter Zahl in den Flüchtlingsströmen versteckt haben. Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, dass dies gar nicht der Fall sein könne oder dass Flüchtlinge nicht trotzdem zu Terroristen werden könnten. Es sollte aber deutlich darauf hingewiesen werden, dass man sich schnell auf den Boden einer empirisch nicht belegbaren Spekulation begibt (die von interessierten Kreisen durchaus gerne instrumentalisiert wird). Im Folgenden sei anhand von drei beispielhaften Konstellationen aufgezeigt, wie die Flüchtlingswelle den Terrorismus in Westeuropa befördert haben oder befördern könnte, ohne dass sich dies in den verfügbaren Zahlen des BKA oder anderer Dienststellen niederschlagen würde.

Erstens könnten sich unter den Flüchtlingen Terroristen befunden haben, die nun in Westeuropa leben und noch dabei sind, ihre Attentate vorzubereiten. Da die Flüchtlingswelle noch nicht lange her ist und die Planung eines größeren Attentats Zeit in Anspruch nimmt, lässt sich diese Möglichkeit nicht generell ausschließen. Zweitens können die Flüchtlingsströme von in Westeuropa heimischen Dschihadisten, die sich zu Trainingszwecken in Syrien oder Irak befanden, genutzt worden sein, um unter dem Radar der Sicherheitsbehörden in ihre europäischen Heimatländer zurückzukehren. So befanden sich unter den Attentätern von Paris vom 13. November 2015 vier Personen, die sich auf einer griechischen Insel als Flüchtlinge registriert hatten, jedoch waren nur zwei der Attentäter keine Staatsbürger Frankreichs oder Belgiens. Drittens hat es nach BKA-Angaben um die 500 Versuche hiesiger Islamisten [10] geben, Flüchtlinge für sich zu gewinnen. Dieser Aspekt weist er darauf hin, dass Flüchtlinge, denen – bei realistischer Betrachtung – zumeist ein schwieriger und lang andauernder Integrationsprozess vorbesteht, von terroristischen Gruppen als potenzielle Mitglieder angesehen werden, die sie glauben im Falle von Enttäuschungen über eine schleppende Integration oder erste Diskriminierungserfahrungen [11] leicht anwerben können.

Im Vergleich zu diesen Beispielen und BKA-Zahlen sind die wenigen existierenden wissenschaftlichen Studien im Themenfeld Migration/Konflikt deutlich weniger aktuell oder passen nur eingeschränkt zur momentane Debatte. Es gibt recht deutliche Evidenz, dass die Aufnahme von Flüchtlingen im eigenen Land die Gefahr eines Bürgerkriegs befördern kann [12], jedoch sind Bürgerkriege und Terrorismus konzeptionell unterschiedlich. Betrachtet man die zentralen Studien zum Zusammenhang von heimischem [13] bzw. transnationalem [13] Terrorismus und der Flüchtlingsaufnahme (weitere Evidenz: hier [14] und hier [15]), dann zeigen diese, dass einerseits der Zustrom von Flüchtlingen Terrorismus befördern kann, aber andererseits der weit überwiegende Teil der Flüchtlinge trotzdem keinen Terrorismus verursacht. Allerdings liegt der Schwerpunkt der Studien auf Weltregionen und Fluchtsituationen, die mit der Lage in Europa schwerlich vergleichbar sind. So werden bspw. Flüchtlingscamps als Brutstätten des Terrorismus identifiziert.

Generell scheinen die Studien vor allem Probleme fehlender Integration (in einem sehr weit gefassten Sinne) von sehr großen Flüchtlingsströmen in speziellen Zielländern nahezulegen. Die Zielländer sind dabei zumeist überfordert durch die schiere Zahl der Flüchtlinge, die lange Zeit ohne jegliche Aussicht auf wirtschaftlichen und sozialen Erfolg in armseligen Flüchtlingslagern verbleiben müssen und zudem vielfach starke und/oder sich verschärfende ethnische oder religiöse Gegensätze auslösen. Dass eine solche Gemengelage Terrorismus befördern kann, ist in den genannten Studien gut belegt, jedoch für ein reiches westliches Industrieland wie Deutschland ein wenig wahrscheinliches Szenario.

Migrationshintergrund als Quelle für Terrorgefahr?

Betrachtet man die großen Terrorattentate der letzten Monate in Europa (aber durchaus auch in den USA), dann fällt die große Zahl von Beteiligten auf, die einerseits Staatsbürger der betroffenen Länder waren und andererseits einen Migrationshintergrund hatten. Die “typischen“ Lebensläufe [11] von Attentätern wie denen von Brüssel oder Paris sahen dabei wie folgt aus. Geboren und ausgewachsen in Belgien oder Frankreich als Kinder oder Enkel von Zuwanderern aus muslimischen Ländern erleben sie ihre Kindheit und Jugend in Gegenden mit hohem Migrantenanteil, etwa in den Pariser „cités“ oder dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek, wobei sie als relativ normale „halbstarke“ Teenager groß werden.

Die Erwartungen an das eigene Leben werden selten erfüllt, stattdessen kommt es zu ersten Konflikten mit dem Gesetz und teilweise zu Gefängnisaufenthalten. Identitätsprobleme, Sinn- und persönliche Lebenskrisen erleichtern es Salafisten, sie – sei es vor der Moschee, sei es im Gefängnis – mit dem Angebot von Gemeinschaft, Orientierung, einfache Antworten auf die eigenen Fragen des Lebens sowie durch erfolgreiche Rollen- und Identifikationsmodelle zu rekrutieren. Potenziell kann es auch zu Formen der „Selbstradikalisierung“ kommen, wenn bspw. aufgestaute Frustrationen durch salafistische Narrative und „Angebote“ vom IS kanalisiert werden und zu einer Dschihad-Beteiligung (oder aktuell zu Anschlägen wie in Ansbach) führen. Bundeskanzlerin Angela Merkel meint genau diese Art von Ausgangslage, wenn sie davon spricht, dass „das Phänomen des islamistischen Terrorismus, des IS, nicht ein Phänomen, das durch die Flüchtlinge zu uns gekommen ist, [sei,] sondern das wir auch schon vorher hatten.“ [16]

Nimmt man an, dass solche Lebensläufe tatsächlich typisch sind, so ist zunächst festzuhalten, dass der Ausgangspunkt für die Beteiligung am Terrorismus beim Individuum und seinen spezifischen persönlichen (Kosten-Nutzen-)Abwägungen liegt. Faktoren wie Religion, Migrationshintergrund oder das soziale Umfeld wirken auf die Bereitschaft zum Terrorismus (d.h. auf dessen relativen Preis) ein [17] und befördern oder vermindern sie, wodurch die messbare terroristische Aktivität entweder gesenkt oder erhöht wird.

Interessant ist hierbei vor allem das Zusammenspiel dieser Faktoren, das häufig über Identitätsprobleme konzeptualisiert wird [18]. So ist bei Migrantenfamilien oftmals zu beobachten, dass die erste Generation der Zuwanderer sich in den Gastländern durch harte Arbeit, aber eine geringe Integration jenseits des Arbeitsplatzes auszeichnet. Die eigene Herkunft, Sprache und Religion werden gepflegt, auch um sich eine spätere Rückkehr in die Heimat offen zu halten. In der zweiten Generation, die überwiegend in den Zielländern geboren und (teil-)sozialisiert ist, ist der Integrationsanreiz deutlich höher und führt zu hohen Investitionen in standortspezifisches Humankapital. Bereits in dieser Generation kann es zu Identitätskonflikten kommen, da Elternhaus und soziale Umwelt sehr unterschiedlich sind. Das Umfeld in Schule, Ausbildung und Beruf wirkt selten unterstützend für die eigene familiär vorgeprägte Identität. In der Konsequenz wird vielfach die Integrationsanstrengung erhöht, wobei die familiären Werte zurückgedrängt werden, was innerhalb der Familien für Konfliktpotenzial sorgen kann. In der dritten Generation lässt sich einerseits eine Rückbesinnung auf die familiäre Herkunft beobachten, die nicht selten durch bestimmte äußere Ereignisse verstärkt wird (bspw. Diskriminierungserfahrungen aufgrund des „ausländischen“ Aussehens oder Namens), und andererseits Konflikte mit den eigenen Eltern, für die die familiären Wurzeln von deutlich geringerer Bedeutung sind.

Viele der heutigen heimischen (oder „home-grown“) Terroristen gehören den Teilen der zweiten oder dritten Migrantengeneration an, die sich auszeichnen durch eine Identitätssuche und Rückbesinnung auf die eigene Herkunft einschließlich eines neu erwachten Interesses an der Religion. Nicht selten haben diese Menschen Erfahrungen von Rückschlägen am Arbeitsmarkt (die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich und Belgien liegt bei über 20% und bei Migranten nochmals deutlich höher) oder ethnischer Diskriminierung gemacht. Für ihre Fragen nach dem Sinn ihres Lebens, der sozialpsychologischen „quest for significance“ [19], finden sie in den tristen Vororten europäischer Großstädte nur selten Ansprechpartner und wenn, dann sind es weniger Eltern, Geistliche oder Sozialarbeiter, mit denen häufig Konflikte ausgetragen werden und die vielfach diejenigen sind, die eine Radikalisierung ihrer Kinder den Sicherheitsbehörden mitteilen, als vielmehr junge Männer mit langen Bärten, darunter übrigens auch auffallend viele westliche Konvertiten.

Radikalisierungsprozesse der beschriebenen Art sind gut dokumentiert, aber natürlich nicht der einzige beobachtbare Weg in den Terrorismus. Sie sind aber insofern instruktiv, weil durch ihr Verständnis die aktuelle Debatte über eine unmittelbare Gefahr für die innere Sicherheit durch Flüchtlinge, die potenzielle Terroristen sein könnten, in realistischere Bahnen gelenkt wird. Vergleicht man die Gefahren, die von den Flüchtlingen ausgehen, mit denen, die durch einen unvollkommen gelungenen Integrationsprozess von Migrantenfamilien in den vergangenen Jahrzehnten, der vor allem gepaart ist mit Gefühlen der Deprivation in späteren Generationen der Familien, ausgelöst werden, dann sollte der Schwerpunkt von präventiven Antiterrormaßnahmen auch und gerade bei den letzteren Gruppen liegen.

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang auch zu verstehen, dass die Problematik nicht spezifisch für muslimische Migrantenfamilien ist geschweige denn für Migranten im Allgemeinen. Dagegen spricht allein schon die große Zahl von westlichen Konvertiten zum Islam. Vor allem aber ist der Zulauf in das rechtsradikale Lager bei Deutschen mit ähnlichen Problemprofilen ungebrochen. Im schlimmsten Fall eifern solche Personen Amokläufern wie denen von Columbine oder Winnenden nach oder einem rechtsradikalen Einzeltäter wie Anders Breivik. Der Amoklauf von München scheint tendenziell in diese Kategorie zu passen.

Fazit

Terrorismus kann potenziell Migration auslösen und Migranten können selbstverständlich Amokläufer, Selbstmordattentäter oder Terroristen sein. Die bisherige Evidenz, ob die Flüchtlingswelle nach Deutschland und Europa den Terrorismus signifikant befördert, ist allerdings zu schwach, um ein abschließendes Urteil zu ihren möglichen Gefahren zu fällen. Entscheidend für das Auftreten von Terrorismus bei Flüchtlingen und Migranten, genauso wie bei heimischen Problemgruppen, sind hierbei in erster Linie die persönlichen Umstände, Erfahrungen und Frustrationen. Diese werden durch die Gesellschaft mit beeinflusst. Akzeptiert man, dass Migration nicht mit dem Grenzübertritt endet, sondern ein Prozess ist, der sich über Generationen hinzieht und von der Gesellschaft unterstützend begleitet wird oder eben auch nicht, dann wird deutlich, dass die Terrorgefahr auch von der Gesellschaft des Ziellandes mitbestimmt wird.

Antiterrorpolitik muss sich darauf einstellen und die richtigen Entscheidungen bei der Frage fällen, wie knappe Steuergelder im Antiterrorkampf eingesetzt werden sollen. Aktuell schlägt einmal mehr das Pendel in Richtung der Repression, doch angesichts der zuvor beschriebenen Probleme durch heimische Gefährder ist eine deutliche Betonung präventiver Maßnahmen vor allem im Bereich gefährdeter junger Menschen sinnvoll. Eine Nationale Präventionsstrategie gegen den Salsfismus gibt es jedoch bisher nicht [20]. Sie wäre ein wichtiger Baustein in dem Mittelweg, den die Antiterrorpolitik zwischen Repression und Prävention finden und der ein klares Signal aussendet muss: Integration ist gewünscht und wird – auch und gerade im Sinne der Terrorismusprävention – gefördert. Schon deshalb lohnt sich ein Abdriften in den Terrorismus eigentlich nicht. Denjenigen, die diese Botschaft ignorieren, ist darüber hinaus aber ebenso klar zu verdeutlichen, dass professionelle Aufklärungsarbeit und harte Strafen auf sie warten, wenn sie sich dennoch im Terrorismus engagieren.

Hinweis: Der vorliegende Beitrag beruht auf einem Vortrag bei der Neuen Universitätsstiftung Freiburg am 26. Juli 2016.