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Christentum, Islam und die Renaissance des Liberalismus

Nein, man möchte in diesen Tagen nicht für die SPD verantwortlich sein. Der Schulz-Effekt konnte nur kurz davon ablenken, dass es ihr nicht mehr gelingen will, sich links von der Mitte ein stabiles Lager zu errichten. Davor steht die Linkspartei. Das gute alte Medianwählermodell der Demokratie besagt, dass zwei konkurrierende Parteien auf einem Links-Rechts-Schema immer um denjenigen Wähler buhlen, der genauso viele Mitwähler links wie rechts von sich hat. Das zwingt die beiden Parteien in die Mitte, hin zum Medianwähler, denn der entscheidet. Aber so funktioniert das nur in einer Welt von zwei Parteien. Lassen wir die GRÜNEN und die FDP mal für den Moment außen vor und stellen uns links und rechts jeweils als ein größeres oder kleineres Maß an Umverteilung vor, dann stellen wir fest: Sobald die SPD sich in die Mitte bewegt, grast ihr die LINKE jene Wähler ab, die hinreichend weit links vom Medianwähler stehen. Versucht die SPD das zu verhindern, indem sie nach links rückt, sahnt die CDU in der Mitte und auch bis nach links davon Wähler ab. So ist es geschehen mit der SPD im Saarland, und so hat es den Schulz-Effekt entzaubert, der allein daraus bestand, dass Schulz mit dem Messias verwechselt wurde, der das Dilemma der SPD zwar auch nicht auflösen, es aber durch salbungsvolle Reden in Wahlsiege verwandeln kann. Anders als der Wein auf der Hochzeit zu Kana sind Wahlergebnisse allerdings empirisch überprüfbar.

Es ist zum Verzweifeln. Nur: Geht es der CDU am rechten Rand nicht ähnlich? Steht sie nicht ihrerseits am rechten Rand unter Druck? Das stimmt irgendwie, wäre aber nur dann direkt mit dem Problem der SPD vergleichbar, wenn wir uns das politische Spektrum tatsächlich von ganz links bis nach ganz rechts wie in Kontinuum vorzustellen hätten. Aber so ist das nicht. Vielmehr hält dieses Kontinuum nur bis etwas weiter rechts von der Mitte, danach geht es um ein ganz anderes Thema. Das ist wieder schlecht für die SPD, denn die CDU kann ihr mit Umverteilungspolitik hemmungslos links die Wähler abspenstig machen, ohne dass da von rechts was nachrückt.

Zugleich aber scheint es noch ein ganz anderes Kontinuum zu geben. Je weiter man von ganz rechts nach links rückt, desto größer scheint die Offenheit gegenüber Zuwanderern, anderen Kulturen und Religionen. Umgekehrt gilt: Je weiter man nach rechts rückt, desto stärker wird das Bedürfnis nach Dominanz der vorherrschenden Kultur oder der „Leitkultur“, jener des christlichen Abendlandes, in der Regel mit der Betonung auf „christlich“ ebenso wie auf „Abendland“. Am rechtsstaatlich noch gedeckten rechten Ende dieses Kontinuums hat sich nun aber die AFD positioniert, und wenn die Probleme wieder akut oder „gefühlt akut“ werden, dann könnte es der CDU am rechten Rand so ergehen wie der SPD am linken.

Aber diesen Konflikt kann und sollte man auflösen, und damit hat die CDU durchaus eine Chance, die die SPD nicht hat. Denn die AFD bedient sich der Kombination zweier Ängste, die sie stets miteinander vermengt: erstens die Angst vor Menschen, die man in ihrem Aussehen und in ihrer Sprache leicht als „fremd“ identifizieren kann und die tatsächlich oder vermeintlich in Konkurrenz stehen um bestimmte Arbeitsplätze sowie soziale Transferzahlungen; und zweitens die Angst vor den Repräsentanten einer Religion, die die im Zuge der Aufklärung mühsam errichteten Schranken des religiösen Zwangs zugunsten des Individuellen und Privaten nur widerwillig respektieren und in Teilen sogar offen wieder einreißen möchten. Gewiss, das eine wie das andere ist inkorporiert in einem Teil jener Menschen, die hier leben oder leben möchten. Und doch sind es zwei Paar Schuhe, die man füglich auseinanderhalten sollte – und zwar analytisch ebenso wie ethisch. Menschen in Not in Deutschland auch dann aufzunehmen, wenn man von ihnen keinen positiven Nettobeitrag zum Wohlstand erwarten kann, ist eine zweifellos ehrenwerte Sache. Solche aufzunehmen, die voraussichtlich einen positiven Nettobeitrag liefern werden, geht auch in Ordnung und ist zweifelsfrei vernünftig, andererseits aber auch nichts, worauf man besonders stolz sein dürfte.

Alles das ist jedenfalls eine Sache. Den aus welchen Gründen auch immer Zugewanderten ebenso wie den Alteingesessenen, deren Kindern oder wem auch sonst immer stets in gleichem Maße die Akzeptanz des Vorrangs unserer rechtsstaatlichen Verfassung vor allen kulturellen, religiösen oder sonstigen Traditionen gleichermaßen abzuverlangen, ist aber eine andere. Von niemandem sollte man sich einreden lassen, dass diese beiden Dinge unauflösbar miteinander verknüpft seien. Es ist nämlich nicht so, dass man sie nicht auseinanderhalten kann. Es ist nur so, dass es Kreise gibt, die sie nicht auseinander halten wollen und zu diesem Zweck behaupten, dass man es auch nicht könne.

Und darauf fallen viele herein; unglücklicherweise auch viele jener, die mit Blick auf die Grundsätze des liberalen Rechtsstaates guten Willens sind. Deshalb werden diese beiden Probleme über das gesamte politische Spektrum nicht sauber auseinandergehalten, und davon lebt nicht zuletzt die AFD. Warum man die beiden Probleme gerade am rechten Rand so gern miteinander vermengt, ist klar: Man behauptet, das christliche Abendland sei mit seiner Religion per se die Grundlage unserer freiheitlichen Demokratie. Daher sei diese Religion selbst die Grundlage unserer Freiheit und nicht die Tatsache, dass es ein paar historische Zufälligkeiten nach einer langen wechselvollen Historie so gewollt haben, dass man den Repräsentanten dieser Religionen Staatsferne, Toleranz und individuell freie Religionswahl Zug um Zug abtrotzen konnte. Das ändert aber nichts daran, dass es allein diese Zufälligkeiten gewesen sind, die dafür gesorgt haben, dass in unserer Region in unserer Zeit die Freiheit der Religion erst da anfängt, wo über diese abgetrotzten Grundlagen der freien Gesellschaft nicht mehr diskutiert wird.

Das ist mit religiösem Dominanzstreben nicht vereinbar, weder mit christlichem, noch mit islamischem, noch mit sonstigem. Nachdem unsere liberalen Rechtsstaatsregeln das christlich-religiöse Dominanzstreben inzwischen also einigermaßen unter Kontrolle haben, fürchten sich heute viele Menschen davor, dass es nunmehr Vertreter des Islam sind, die sich diesen liberalen Rechtsstaatsregeln nicht unterwerfen mögen. Und diese Angst – nicht mehr und nicht weniger als das – lässt sich nicht unter Verweis auf das Gebot der Toleranz gegenüber anderen als der christlichen Religion einfach wegwischen. Denn allzu viele, vor allem organisierte Vertreter des Islam lassen es an überzeugenden Signalen missen, ihre Religion jederzeit den liberalen Rechtsstaatsregeln unterzuordnen. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Allein dies zu schreiben ist geeignet, Pawlow“˜sche Reaktionen bei gut meinenden Lesern zu erzeugen, obwohl sein Inhalt allein in Deutschland schon angesichts der Umtriebe der von Erdogan offensichtlich gesteuerten DITIB ebenso wie jene der meisten anderen Islamverbände evident ist. Wer sich einer solchen Pawlow’schen Reaktion aber hingibt und das Problem um einer falsch verstandenen Toleranz willen beschönigt, enthält den Menschen, die sich vor religiöser Dominanz fürchten, eine Antwort auf ihre Furcht vor.

Und wer diesen Menschen am Ende doch noch eine Antwort gibt, das wissen wir alle. Diese Antwort allerdings ist die ganz falsche, denn sie läuft auf die Logik hinaus, dass das Gegenteil der Dominanz des einen die Dominanz des anderen sei. Und doch baut es unser gesamtes politisches Spektrum so auf, was den vermeintlichen Vorteil hat, dass es ein einfaches Links-Rechts-Schema bereithält. Links die Toleranz gegenüber der fremden Religion, rechts die Ablehnung. So einfach scheint das. Es hat aber den Nachteil, dass es das eigentliche Problem verwischt, und zwar bis zur Unkenntlichkeit. Denn das Gegenteil einer von vielen befürchteten und von manchen erträumten islamischen Dominanz ist nicht die „christlich-abendländische“ Dominanz, sondern die Dominanz der Verfassung des freiheitlichen Rechtsstaats, dem sich alle Religionen gleichermaßen unterzuordnen und daher stets ihren Platz im Rahmen seiner Regeln zu akzeptieren haben.

Warum im Gegensatz dazu in konservativen Kreisen die Dominanz der rechtsstaatlichen Verfassung mit jener des christlichen Abendlandes so gern verschmolzen wird, ist natürlich klar: Hier wünscht man sich zuallererst einmal die Dominanz des Christlich-Abendländischen und legitimiert sein Anliegen damit, dass die rechtsstaatliche Verfassung nur in Kombination mit dieser Dominanz zu haben sei. Ein netter Trick, könnte man sagen, und so wirkungsvoll. Denn die historische Parallelentwicklung von christlicher Kultur und liberalem Rechtsstaat liefert viele wunderbare Korrelationen, die man mit beeindruckendem Wissensfundus als Argumentationshilfe für die Unauflöslichkeit des einen mit dem anderen verwenden kann. Nur haben Korrelationen allein keine Bedeutung, wie uns jene der Storchenpopulation und der Fertilität in Deutschland ab 1970 lehrt. Sie weisen lediglich auf Zufälle hin, solange sie nicht in Kombination mit kausalen Ursache-Wirkungs-Beziehungen auftreten. Aber das wird ja gern einmal vergessen, insbesondere dann, wenn es einem argumentativ in den Kram passt.

Warum man aber weiter links von ganz rechts auf diese Mogelpackung auch immer wieder hereinfällt, das bleibt dann doch ein Geheimnis. Offenbar glaubt man, der rechtskonservativen Verschmelzung von christlich-abendländischer mit freiheitlich-liberaler Gesellschaftsverfassung mitsamt des darin – zumindest latent – enthaltenen Hangs zur Intoleranz mit demonstrativer Toleranz gegenüber der Intoleranz der anderen Seite begegnen zu müssen. Was für ein Missverständnis! Und dieses Missverständnis treibt seltsame Blüten: Wer beispielsweise die bis in die heutige Zeit reichenden frauenfeindlichen und anti-emanzipatorischen Traditionen der katholischen Kirche kritisiert, muss um Applaus nicht bange sein. Er oder sie darf sich damit jederzeit der Szene der Guten zugeordnet sehen, ganz gleich wie brachial die Kritik formuliert war. Eine ganze Historie von Titelseiten des Satire-Magazins Titanic im Schrank dieses Verfassers leistet dafür beredtes Zeugnis ab.

Wer es aber wagt, die gleiche Kritik an der zeitgenössischen Praxis des Islam zu üben, muss mit Einordnungen seiner Wertehaltung rechnen, die ganz woanders liegt. Die Charakterisierungen reichen vom geschickt lancierten Kampfbegriff der „Islamophobie“ über die Fremdenfeindlichkeit bis hin zum blanken Rassismus. Und solcherlei Reaktionen sind keineswegs allein von DITIB oder vergleichbaren Verbänden zu erwarten. Im Gegenteil: Auch und gerade weiter links tut man sich schwer, Religionskritiker, welche den Islam in ihre Kritik einbeziehen, in seinen Reihen zu dulden. Es bedarf feinster Sensibilität in Wortwahl und Argumentation allein schon dazu, nicht gleich in der ganz rechten Schublade zu landen. Welch ein Kontrast zu den Titanic-Titeln! Türkischstämmige Frauenrechtlerinnen wie Seyran AteÅŸ oder Necla Kelek können sich zu ihren (links-)liberalen Werten bekennen, so oft sie wollen. Man fremdelt dennoch mit ihnen und tut sich schwer, deren liberale Liebe zu erwidern. Dabei merken gerade die lautstark Empörten nicht, wie sie selbst auf die rechts-konservative Konfusion von konfessionellem Vorrang und liberalem Rechtsstaat hereinfallen – indem sie Toleranz gegenüber dem einfordern, wovon sie sich doch eigentlich abzugrenzen versuchen – von der Intoleranz. Nur weil diese Intoleranz von der anderen Seite kommt.

Die Reaktion auf das jüngste „Kopftuchurteil“ des EuGH ist ein Echo dieses ganzen Elends: Ausgerechnet bei den GRÜNEN sorgte man sich um die Religionsfreiheit und ganz generell um die Freiheitsrechte der Menschen, wie es die grüne Christiane Blömecke formulierte. So als ob das Kopftuch vergleichbar wäre mit dem Mini-Rock der 60er Jahre. Natürlich wissen wir im Einzelfall nie, ob und in welchem Maße ein Kopftuch aus freien Stücken und innerer Überzeugung getragen wird. Aber wir wissen, dass es den meisten Frauen und – schlimmer noch – den jungen Mädchen als Teil einer (angeblichen) islamischen Kleiderordnung zur Abwehr sexueller Übergriffe von Männern mit mehr oder weniger intensivem Druck aufgedrängt wird. Und wir wissen, dass dieser Druck seit Jahren zunimmt und dass er nicht allein von Eltern ausgeübt wird, sondern von Brüdern, Cousins oder einfach irgendwelchen jungen Burschen, die sich dazu berufen fühlen. Schließlich wissen wir, dass Frauen und Mädchen sich zunehmend seelischen und körperlichen Angriffen ausgesetzt sehen, sofern sie sich diesem Druck widersetzen. Die Botschaft jener, die da Druck ausüben, kennen wir auch: Kommt es bei Zuwiderhandlungen gegen das Kopftuchgebot zu sexuellen Übergriffen, sind nicht die Täter verantwortlich, sondern jene Frauen, welche die Täter mit ihrer Kopftuchlosigkeit zu solchen Übergriffen eingeladen haben. So ist sogar die offizielle Argumentation! Und alledem muss im Namen der Religionsfreiheit und sogar im Namen allgemeiner persönlicher Freiheitsrechte die multikulturelle Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt werden! Mit dem Argument, dass es neben diesen Kleinigkeiten ja auch Frauen und Mädchen gibt, die ein Kopftuch aus ganz freien Stücken tragen.

So einfach ist das? Als Konservative vor Jahrzehnten die ersten Minirock-Trägerinnen der mutwilligen Provokation von Vergewaltigungen bezichtigten, da hat das eine Mischung aus Trotz und provokativer „Jetzt-erst-Recht-Haltung“ ausgelöst. Kurze Röcke wurden zum politischen Protest, aber heute glauben mitunter dieselben Leute, dass mit gleicher Elle jedwede Einschränkung der (angeblich) islamischen Kleiderordnung für Frauen als anti-emanzipatorischer Eingriff in die freie Persönlichkeitsentfaltung zu werten sei. Dabei sollte doch klar sein, dass das eine das Gegenteil des anderen ist. Die Lehre der 60er Jahre war, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit einer Frau den unbedingten Respekt ihrer geistigen wie körperlichen Integrität seitens der Männer voraussetzt, ganz gleich in welcher Kleidung sie auftritt. Dieser Grundsatz schafft erst die Bedingung für Emanzipation und überhaupt für die freie Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen. So und nicht anders herum funktionieren die Regeln der Freiheitsrechte, und so und nicht anders wollte man es den reaktionären Sittenwächtern der 60er Jahre ins Stammbuch schreiben.

Heute nimmt Frau Blömecke es ebenso wie viele andere als Gebot religiöser Toleranz hin, dass ebendiese bestechend liberale Logik von Leuten auf den Kopf gestellt wird, die man in den 60er Jahren mit Fug und Rechts als reaktionär bezeichnet hätte. Mit derselben Haltung müsste man auch die rückwärtigen Sittenwächter aus den 60er Jahren dafür exkulpieren, dass sie die damaligen Minirockträgerinnen der Provokation ihrer eigenen Vergewaltigung bezichtigten – und das alles im Namen kultureller und religiöser Toleranz und zur Abwehr rechter Intoleranz. Da reibt man sich die Augen!

Natürlich ist dies kein Plädoyer für ein Kopftuchverbot. Denn aus dem eben gesagten folgt schließlich unter anderem, dass jeder Mensch unter einer gewissen Achtung der Bedürfnisse anderer jederzeit frei ist, sich nach Belieben zu kleiden oder zu verhalten. Ziemlich genau so hat es auch der EuGH zur Grundlage seines Urteils gemacht. Das zu sagen schließt aber nicht aus, sich Sorgen machen zu dürfen und sogar zu müssen angesichts eines ganz offensichtlich offensiv und nicht selten aggressiv ausgeübten Drucks hin zu einer vermeintlich islamischen Kleiderordnung – ein Druck, der unter anderem offen mit der Umkehrung der Verantwortlichkeit für sexuelle Übergriffe operiert, ohne dass von den selbst ernannten Hütern der Toleranz jemand widerspricht.

Dabei sollte die geistige Verwandtschaft derjenigen, die von der Dominanz des Islam träumen, mit jenen, die von der Dominanz der christlichen Religionen träumen, jedem aufgeklärten Menschen ins Auge springen. Dass Konservative das anders sehen, ist wie gesagt nicht verwunderlich und könnte, wenn die damit verbundenen Alltagsprobleme wieder virulent werden, der CDU einmal ernsthafte Probleme bereiten. Dann nämlich könnte sie ähnlich wie die SPD von den LINKEN ihrerseits von der AFD zerdrückt werden. Dabei hätte sie im Gegensatz zur SPD aber die Möglichkeit, das Problem zu lösen, indem sie sich durch eine klare Trennung von christlich-religiöser Dominanz einerseits und liberalem Verfassungspatriotismus andererseits von allen religiös-konservativen Strömungen abgrenzt. Es wird sich zeigen, ob sie das vermag.

Aber war da nicht noch was? Ach ja, die Idee des Liberalismus, die ohne jeden religiösen oder ideologischen Zusatz auskommt. Diese Idee für tot zu erklären und der Lächerlichkeit preiszugeben, ist lange Zeit Volkssport gewesen. Dass diese Idee und deren konstitutionelle Umsetzung die Grundlage nicht allein unseres Wohlstandes, sondern vor allem auch unserer Freiheit ist, mochte kaum noch jemand hören. Und als ob das nicht reichte, hat man dieser Idee mit der Verballhornung des Begriffs des Neoliberalismus genussvoll den Rest gegeben, worauf nicht wenige stolz sind. Aber diese intellektuelle Selbstzufriedenheit bröckelt selbst bei manchen Altlinken. Denn wer begreift, in welcher Weise der liberale Toleranzbegriff missverstanden wird, und wer begreift, in welcher Weise dieses Missverständnis mehr und mehr Wähler in die Fänge von Populisten treibt, vor deren Wahlerfolgen wir fassungslos stehen, dem sollte der Ausweg irgendwann vor Augen stehen. Er liegt in der Renaissance der Ideen und Einsichten des so viel geschmähten Liberalismus. Wer sich darüber angesichts der jüngeren Entwicklungen noch immer lustig macht, kann nicht zugleich die Begriffe der persönlichen Freiheitsrechte vor sich hertragen und zugleich den Anspruch erheben, ernst genommen zu werden.