Am aktuellen Rand
Das BVB-Attentat
Eine Chance für die Wirtschaftsethik!

Die Ereignisse um den Anschlag auf den Mannschaftsbus des Ballspielvereins Borussia 09 Dortmund zeigen wieder einmal auf, wie verhängnisvoll die zunehmende Ökonomisierung des Lebens im Kapitalismus ist. Die Abfolge der Ereignisse belegt die verheerenden Auswirkungen der Geldwirtschaft und des Marktes eindrücklich (vgl. dazu auch Sandel 2014).

Zuerst verabschiedete man sich beim BVB von den Grundprinzipien des deutschen Vereinswesens und wählte die Form der Aktiengesellschaft. Was zuvor eine ideelle Gemeinschaft war, wurde zum wirtschaftlichen Verein. Die Vereinsführung investierte die von ihr eingenommenen Summen in sogenanntes Humankapital und verdinglichte damit die Fußballspieler. Sie bezahlte diese wie Vorstände großer Banken und setzte sie und den Verein der Mitmenschlichkeit vermissenlassenden Bewertung durch Aktienmärkte aus. Der BVB verhielt sich wie eine Bank und wurde auch so behandelt.

Ein “Börsenstratege“ trat auf den Plan. Er wollte sich, wenn man den Nachrichten glauben darf, als Leerverkäufer diverser Optionen bedienen, um von fallenden Kursen der BVB-Aktien zu profitieren. Wer auf sinkende Kurse setzt, um von den möglichen Verlusten anderer zu profitieren, ist ohnehin moralisch so tief gesunken, dass der Schritt in die Kriminalität nur folgerichtig scheint. Wirtschaftsethiker sollten ihrer Verantwortung gerecht werden und vor derartigen Gefahren auf populäre Weise warnen.

Sie könnten ein Lehrstück schmieden, das die tieferen Wurzeln des Anschlags auch einem sonst an solchen Fragen uninteressierten breiteren Publikum nahebringt. Die Einsicht “Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfeln“ bietet einen dem Fußballpublikum vertrauten Anknüpfungspunkt. Von dem aus ist vor dem Dammbruch zu warnen, der droht, wenn man vom Schach zum Wett- und Würfelspiel übergeht. Die gewünschte Folgerung läge auf der Hand: Die Börsen und Kapitalmärkte mit ihrer schändlichen Gier und Anstachelung der niederen Wett- und Spielleidenschaft dürfen wir nicht weiter zum Zuge kommen lassen, weder im Fußball noch im übrigen Leben!

Das Beispiel illustriert eindringlich, 1. die Ökonomisierung von ideellen Gemeinschaftsbeziehungen eines Vereins, die den späteren Niedergang einleitet, 2. wie diese Ökonomisierung Kapitalmärkten die Chance bietet, gegen die Gemeinschaft des Ballspielvereins Borussia zu wetten, was schließlich 3. bei einem von strategischer Vernunft korrumpierten Menschen die bislang moralisch im Zaum gehaltene Gier zum Ausbruch bringt, um ihn, 4. wie so viele Wirtschaftskapitäne zu kriminellem Handeln zu verleiten.

Vor der wirtschaftlich halbierten Vernunft der Ökonomen muss man überall warnen. Die Wirtschaftsethik sollte sich die ihr hier gebotene Chance, ihre Argumente in bewährter Weise in’s Spiel zu bringen, nicht entgehen lassen.

Literatur:

Sandel, Michael J. (2014), Was man für Geld nicht kaufen kann: Die moralischen Grenzen des Marktes. Berlin: Ullstein Taschenbuch.

Blog-Beiträge zum Thema:

Norbert Berthold: Kirch, Bosman und Abramowitsch

Norbert Berthold: Krise! Welche Krise? Fußballboom in Europa!

Hartmut Kliemt
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5 Antworten auf „Am aktuellen Rand
Das BVB-Attentat
Eine Chance für die Wirtschaftsethik!

  1. Die Modephrase von der „Ökonomisierung des Lebens im Kapitalismus“ ist eigentlich eine empirische Hypothese. Dahinter steckt die Behauptung, dass es früher einmal anders war. Könnte man einmal erfahren, wann dieses „goldene“ Zeitalter existiert haben soll?

  2. Vor der Umwandlung in eine AG war der BVB also eine ideelle Gemeinschaft, in der Fußballspieler ganz ohne unethische Einmischung einer Vereinsführung aus Spass an der Freud und ohne finanzielle Interessen vor sich hin gekickt haben? Und wetten auf Spielergebnisse gab es damals auch nicht? Und diejenigen Bundesligaclubs, die immernoch Vereine sind, zahlen ihren Spielern auch keine Bankvorstandsgehälter, sondern allenfalls den Mindestlohn? Und Äusserungen von Fans, Reportern, Trainern und dem gesamten Fußballumfeld tragen jederzeit zum menschlichen Wohlgefühl jedes Spielers oder jedes Teams bei, auch oder besonders, wenn er/es gerade eine „schwierige Phase“ durchmacht? Nur die Aktienmärkte sind da ganz anders? Das alles hab‘ ich bisher garnicht gewusst!

  3. Als ich diesen Artikel zum ersten Mal las, dachte ich an einen Aprilscherz. Ich erwartete, am Ende den Satz zu lesen: „Es ist nicht so gemeint, wie ich es geschrieben habe.“
    Schon die Formulierungen passen nicht zu dem, was ich bisher von Herrn Kliemt gewohnt war.
    Der gesamte Text trieft geradezu von Normativität. Es ist ein Pamphlet. Wörter wie „verhängnisvoll“, „verheerend“, „sogenanntes Humankapital“, Mitmenschlichkeit vermissend“, „moralisch tief gesunken“, „schändliche Gier“ belegen dies.
    Herr Kliemt warnt vor der „wirtschaftlich halbierten Vernunft der Ökonomen“ und sieht die Lösung in „der“ Wirtschaftsethik. Die Wirtschaftsethik der Homann-Schule ist da wohl ganz anderer Meinung.

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