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Emmanuel Macron und Angela Merkel
Politische Lichtgestalt (?) und ordnungspolitische Geisterfahrerin (!)

„Ich habe nie Euro-Bonds gefordert und bin nicht für die Vergemeinschaftung von Schulden, denn das fördert eine Politik der Verantwortungslosigkeit“. (Emmanuel Macron)

„Wenn wir die Regeln nicht einhalten, fliegt uns die Eurozone auseinander.“ (Wolfgang Schäuble)

Europa hat eine neue politische Lichtgestalt: Emmanuel Macron. Er wurde französischer Präsident, weil sich die habgierige bürgerliche Konkurrenz selbst zerlegte, er im Wahlkampf auf die europäische Karte setzte und er neue, reformfreudige Töne anschlug. Das ist nach den Wahlerfolgen der antieuropäischen, marktfeindlichen Populisten in Europa der letzten Jahre erstaunlich. Eine deutliche Mehrheit in der Nationalversammlung errang seine neue Partei „La République en marche“ aber auch, weil sie mit dem korrupten linken und rechten politischen Establishment, das nur an sich aber nicht das Land denkt, nichts zu tun haben will. In Frankreich ist die Hoffnung groß, dass der neue Präsident das anhaltende wirtschaftliche Siechtum dieses stolzen Landes ein für alle Mal beendet. Und Europa hofft darauf, dass es mit dem wirtschaftlichen und politischen Stillstand der EU nun endlich vorbei ist. Die neue Achse Berlin-Paris soll es richten.

Nationale Herausforderungen

Der neue französische Präsident steht vor großen nationalen Herausforderungen. Seit fast drei Jahrzehnten gerät Frankreich wirtschaftlich ins Hintertreffen[1] [1]. Es verliert seit Mitte der 80er Jahre vor allem gegenüber Deutschland an Boden. Das französische BIP pro Kopf wächst seit dieser Zeit langsamer als das deutsche. Dieser Trend verschärfte sich mit der Finanzkrise noch. An der Entwicklung der Arbeitsproduktivität liegt es nicht. Das Niveau lag in den letzten drei Jahrzehnten sogar immer über dem in Deutschland, mal etwas mehr, mal etwas weniger. Die Achillesferse des französischen Wachstums ist die Entwicklung der Arbeitsstunden pro Kopf. Frankreich arbeitet immer weniger. Seit Anfang der 80er Jahre geht die Menge der eingesetzten Arbeit spürbar zurück. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Das ist in Deutschland nach einer langen Durststrecke erst seit Mitte der 00er Jahre ganz anders.

Seit langem hat Frankreich eine wachsende Präferenz für Freizeit (35-Stunden-Woche) und eine Vorliebe für mehr Teilzeit. Allerdings unterscheiden sich französische Arbeitnehmer in diesem Punkt nicht stark von deutschen. Hierzulande liegen die Arbeitsstunden pro Beschäftigtem sogar noch niedriger. Der wirkliche Unterschied zu Deutschland liegt zum einen in der geringeren Beschäftigungsquote. Mit den Reformen im Umfeld der Agenda 2010 gelangte Deutschland auf die niedrige französische Arbeitslosenquote. Seit der Finanzkrise gerät Frankreich gegenüber Deutschland immer stärker ins Hintertreffen. Der noch wichtigere Unterschied zu Deutschland liegt zum anderen in der seit langem signifikant niedrigeren Erwerbsquote in Frankreich. Ein geringerer Teil der französischen Bevölkerung ist verglichen mit der deutschen bereit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Auf einen grünen Zweig kommt Frankreich nur, wenn es Emmanuel Macron gelingt, eine Beschäftigungsdynamik in Gang zu setzen. Die Entwicklung der französischen und deutschen Lohnstückkosten zeigt, wo der Schuh drückt. An grundlegenden Strukturreformen auf den Arbeitsmärkten führt kein Weg vorbei. Das Konzept der „Flexicurity“ (hier [2]) ist auch für Frankreich die Blaupause: Ein weniger starrer Kündigungsschutz, eine anreizkompatiblere Arbeitslosenver-sicherung, eine effizientere aktive Arbeitsmarktpolitik und betriebs-nähere Lohn- und Tarifpolitiken sind die wichtigsten Elemente. Ein Blick auf die Entwicklung der Abgabenquote zeigt allerdings, wo in Frankreich noch mehr im Argen liegt. Sie entfernt sich seit Mitte der 70er Jahre immer stärker von der relativ stabilen deutschen. Ein wichtiger Grund ist die durchweg höhere Staatsquote in Frankreich. Um eine politisch eklige Reform des (Sozial-)Staates führt deshalb in Frankreich kein Weg vorbei. Ein erbitterter Streit mit Besitzstandswahrern ist programmiert.

Die wirtschaftlichen Probleme in Frankreich lassen sich nicht mit noch mehr fremdem Geld lösen. Notwendig sind nachhaltige Strukturreformen. Ganz vorne auf der Agenda müssen die Arbeitsmärkte stehen. Aber auch der zügige Abbau erstickender Regulierung und wuchernder Bürokratie ist dringend erforderlich. Not tut auch eine Politik der Austerität. Die öffentlichen Ausgaben sind zu üppig, die Steuern und Abgaben zu hoch, die staatliche Verschuldung entwickelt sich spätestens seit der Finanzkrise zu dynamisch. Ein Abbau staatlicher Beschäftigung und ein Umbau des üppigen Sozialstaates sind unvermeidlich. Das ist in einem staatsgläubigen Land wie Frankreich eine Sisyphosarbeit. Wenn es Emmanuel Macron nicht gelingt, diese „neoliberalen“ Reformen auf den Weg zu bringen, wird Frankreich wirtschaftlich nicht voran kommen. Der Widerstand der Interessengruppen wird groß sein. Ob er ihn brechen kann, steht in den Sternen. Bei diesen Hausaufgaben kann ihm Europa nicht helfen.

Europäische Disharmonien?

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Reform in Frankreich war das nationale Thema, mit den Emmanuel Macron den Präsidentschaftswahlkampf und den Kampf von „La République en marche“ um die Nationalversammlung geführt hat. Er hat sich allerdings auch getraut, europapolitische Themen in den Vordergrund zu rücken. Das ist erstaunlich und war mutig, weil populistische Parteien schon seit einiger Zeit einen gewinnbringenden Anti-E(W)U-Kurs fahren. Sie konnten vor allem mit dem Verlust an nationaler Souveränität, der schwelenden Euro-Krise, der De-Industrialisierung durch den Binnenmarkt, der Personenfreizügigkeit in der EU und der weiter ungelösten Flüchtlings-Krise punkten. Der französische Präsident will den stockenden Integrationsprozess in Europa wieder in Gang bringen. Deutschland und Frankreich sollen der starke Motor sein, der die EU vorwärts bringt.

Noch sind seine Vorstellungen wenig konkret. Ein Plan ist aber erkennbar. Nationale Fiskal- und Wirtschaftspolitiken sollen stärker koordiniert, ein gemeinsames Schatzamt mit einem europäischen Finanzminister installiert und ein direkt gewähltes Parlament für die Euro-Zone eingerichtet werden. Das alles läuft auf eine „Wirt-schaftsregierung“ in Europa hinaus. Zentralisierung, Haftungsunion, neues wirtschaftspolitisches Assignment und Planifikation sind die Ziele. Eigene Steuern der EU und ein gemeinsames Budget treiben die Zentralisierung. Vergemeinschaftete Schulden, eine europäische Arbeitslosenversicherung und eine gemeinsame Einlagensicherung sind Bausteine einer Transferunion. Der Wunsch nach (noch) mehr expansiver Fiskalpolitik der EZB, ändert das wirtschaftspolitische Assignment in der EWU endgültig. Eine europäische Industriepolitik hebt die alte Idee der französischen Planifikation auf die Ebene der EU.

Die französische Idee einer „Wirtschaftsregierung“ läuft der deutschen Vorstellung einer „Wirtschaftsverfassung“ zuwider. Danach setzen die Mitglieder der EU die Regeln, kontrollieren ihre Durchsetzung und sanktionieren Verstöße. Eine regelgebundene Ordnungspolitik dominiert die interventionistische Prozesspolitik. Das ist seit Walter Eucken und Ludwig Erhard die schöne Idee. Subsidiarität und Haftungsausschluss sind tragende Elemente einer solchen Wirtschaftsverfassung. Die Zuständigkeit der EZB allein für das Ziel der Preisniveaustabilität ist ein anderer wichtiger Baustein. Schließlich soll der Markt entscheiden, welche Unternehmen sich durchsetzen, nicht der Staat. Die Realität ist allerdings eine andere. Es gilt das gebrochene Wort. Die EWU und Schengen stehen für diese Entwicklung. Regeln werden verletzt, „Sünder“ richten über „Sünder“, Sanktionen werden nicht exekutiert. Die EU verwahrlost ordnungspolitisch.

Vor diesem Hintergrund ist mir schleierhaft, wie die neue Achse Berlin-Paris in der EU funktionieren soll. Ein planwirtschaftlich-interventionistisches institutionelles Arrangement und ein marktwirtschaftlich-ordnungspolitisches sind wie Feuer und Wasser. Eine enge Kooperation scheint nicht möglich. Die regelmäßigen Regelbrüche der Vergangenheit und der sanktionslose Umgang mit ihnen sprechen allerdings dafür, dass die deutsche Politik unter Angela Merkel, einer ausgewiesenen ordnungspolitischen Geisterfahrerin, längst auf planwirtschaftlich-interventionistischen Pfaden wandelt. Der Berliner Ökonom Michael Wohlgemuth dürfte leider irren, wenn er meint, deutsche und französische Politiker reden vom selben, meinen aber etwas ganz anderes (hier [3]). Es spricht einiges dafür, dass sie leider auch dasselbe meinen, wenn sie etwa über eine Fiskalunion sprechen. Das dürfte eine deutsche Einigung mit Frankreich über eine „Wirtschaftsregierung“ in der EU erleichtern.

Fazit

Wie es mit Frankreich weitergeht, entscheiden die Franzosen. Wirtschaftlichen Erfolg wird es nur haben, wenn es seine Hausaufgaben macht. Strukturelle Reformen und eine solide Haushaltspolitik zählen dazu. Das muss Emmanuel Macron auch so sehen, die Nationalversammlung auf den Weg bringen, die neue Regierung gegen alle Widerstände umsetzen und vor allem, die Wähler müssen es wollen. An allem habe ich Zweifel. In Frankreich dominiert die Meinung, der Staat solle sich nicht darauf beschränken, Spielregeln zu setzen. Er soll die wirtschaftliche Entwicklung aktiv gestalten. Als Schiedsrichter soll er mitspielen. Das alles macht wenig Hoffnung, dass es in der EU vorangeht. Die planwirtschaftlich-interventionistische Sicht der Franzosen und die marktwirtschaftlich-ordnungspolitische Vorstellung der Deutschen passen nicht zusammen. Da aber der wetterwendischen Angela Merkel der ordnungspolitische Kompass fehlt, können Frankreich und die Südländer darauf hoffen, sich mit ihren Vorstellungen durchzusetzen. Dann wird die E(W)U allerdings kein gutes Ende nehmen.

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[1] [4] Die Graphiken zur Entwicklung des BIP pro Kopfes, der Arbeitsstundenproduktivität und der Arbeitsstunden pro Kopf in Deutschland und Frankreich finden Sie in meinem Blog-Beitrag „Wachstumsschwäche, Arbeitslosigkeit und Populisten in Europa. Gewinnt der „Club Med“ die Schlacht der Ideen?“ (hier [5])