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Eine andere Meinung
Wider die kartellierte Tarifautonomie
Allgemeinverbindlicherklärungen gehen gar nicht

„Die Politik muss sich aus der Umklammerung des alten Tarifkartells befreien und die Allmachtsansprüche von BDA und DGB zurückweisen.“ (Marburger Bund)

Die Gewerkschaften hissen die weiße Flagge. Der Staat soll helfen, die kartellierte Tarifautonomie, wie wir sie kennen, zu erhalten. Kollektivverträge der Tarifpartner sollen viel öfter für allgemeinverbindlich erklärt werden[1] [1]. Damit soll der Zerfall des Tarifkartells aufgehalten werden. Der Abdeckungsgrad kollektiver Tarifverträgen geht zurück. Für immer weniger Arbeitnehmer und Unternehmen gilt der Flächentarif. Der Staat soll das Kartell stützen, wenn es nach dem Willen der Gewerkschaften geht. Die Funktionäre der Arbeitgeberverbände denken nicht anders. Trotz Widerstands in den eigenen Reihen geht es auch ihnen darum, das Tarifkartell zu erhalten. Und der Staat, allen voran die Bundesarbeitsministerin, tut schon lange, was er (sie) kann (hier [2]). Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und gesetzliche Mindestlöhne tilgen lohn- und tarifpolitisch weiße Flecken. Die „neue“ Zeitarbeit ermuntert Arbeitgeber, tarifgebunden zu bleiben oder es zu werden. Das Gesetz zur Tarifeinheit, das vom BVerfG in wesentlichen Teilen durchgewunken wurde (hier [3]), soll den Trend zur Tarifvielfalt in Unternehmen stoppen.

Mehr Allgemeinverbindlicherklärungen

Die Tarifautonomie garantiert Koalitionsfreiheit. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände verhandeln über Löhne und Tarife. Der Staat ist außen vor. Das ist unumstritten. Seit einiger Zeit wankt allerdings die kartellierte Tarifautonomie. Die Flächentarifverträge gelten für immer weniger Arbeitnehmer und Unternehmen. Sinkende Organisationsgrade bei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sorgen dafür. Vor allem die Gewerkschaften wollen diese Entwicklung mit mehr Allgemeinverbindlich-erklärungen aufhalten. Kollektive Lohn- und Tarifabschlüsse der Tarifpartner sollen durch den Tarifausschuss auf alle Arbeitnehmer und Unternehmen einer Branche übertragen werden. Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz hat der Bundestag die Voraussetzungen (50-Prozent-Quorum) gelockert, um Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären zu können. Das Institut der Allgemeinverbindlichkeit unterbindet den institutionellen Wettbewerb in der Lohn- und Tarifpolitik. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist ein ordnungspolitischer Sündenfall. Er passt gut in die Zeit verstärkter marktfeindlicher, interventionistischer Eingriffe.

Erodierende Organisationsgrade

Unbestritten: Die Tarifpartner haben ein dickes Problem, allerdings nicht erst seit heute. Der Organisationsgrad von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sinkt seit langem stetig. Das wird bei den Gewerkschaften offenkundig. Immer weniger Arbeitnehmer sind bereit, sich gewerkschaftlich zu engagieren. Der Strukturwandel verstärkt diese Entwicklung. Dienstleister sind nicht sehr gewerkschaftsaffin. Die steigende Erwerbsquote der Frauen tut ein Übriges. Gewerkschaften sind für Frauen wenig attraktiv. Vor allem junge Arbeitnehmer meiden Gewerkschaften. Aber auch Unternehmen wollen immer seltener tarifgebunden sein. Mit der OT-Mitgliedschaft verhindern die Arbeitgeberverbände aber, dass der Organisationsgrad der Unternehmen ins Bodenlose fällt. Das rettet allerdings die Flächentarife nicht. Immer mehr, vor allem junge (ostdeutsche) Unternehmen werden OT-Mitglieder. Für sie gelten die Kollektivverträge nicht. Damit kommt aber den Gewerkschaften der andere Kartellbruder abhanden: „It takes two to tango“. Die kartellierte Tarifautonomie leidet.

Wettbewerblichere Tarifautonomie

Allerdings: Eine stärker wettbewerbliche Tarifautonomie hat Zukunft. Strukturwandel, Globalisierung und Digitalisierung heterogenisieren die Ökonomien. Branchen entwickeln sich unterschiedlich. Unternehmen in den Sektoren werden (noch) ungleicher. Arbeitnehmer in den Unternehmen haben heterogenere Interessen. Arbeitnehmer und Unternehmen lassen sich nicht mehr entlang der Linie der traditionellen, homogeneren Tarifpartner organisieren. Die kartellierte Tarifautonomie mit ihren antiquierten Flächentarifen ist tot. Betriebliche Bündnisse für Arbeit mit ihren kollektiven Abschlüssen auf Betriebsebene gewinnen an Boden. In den Betrieben wird die Tarifvielfalt weiter zunehmen. Das gefällt den Funktionären auf gewerkschaftlicher und unternehmerischer Seite natürlich nicht. Betriebsräte werden wichtiger. Sie hängen immer weniger am Tropf der Gewerkschaften. Spartengewerkschaften gewinnen weiter an Boden. Geschäftsleitungen nabeln sich von den Arbeitgeberverbänden ab.

Fazit

Wenn sich die (ökonomische) Welt ändert, müssen sich die Institutionen ändern. Das gilt auch für das institutionelle Arrangement auf den Arbeitsmärkten. Es ist organisationspolitisch zwar verständlich, dass die Kartellbrüder versuchen, alte Strukturen und Besitzstände auf Teufel komm raus zu erhalten. Wirtschaftlich und politisch effizient ist das aber nicht. Damit werden sie nicht durchkommen. (Verbands-)politische Macht hat letztlich keine Chance gegen das ökonomische Gesetz. Das wusste schon Eugen von Böhm-Bawerk. Es ist ein Kampf der Gewerkschaften gegen Windmühlen, die heterogene Entwicklung von Branchen, Unternehmen und Arbeitnehmern in das Prokrustesbett der Allgemeinverbindlicherklärung von Flächentarifen zu pressen. Heterogenität verlangt eine Vielfalt an Institutionen. Wohin das führt, wenn man sich dieser Realität verweigert, zeigt der französische Fall. Der sehr hohe Grad an Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifverträge ist ein wichtiger Grund für die miserable Lage auf den Arbeitsmärkten.

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[1] [4] Das ist die Forderung, die Thorsten Schulten vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung im Standpunkt „Die Tarifautonomie braucht staatliche Unterstützung“ in der FAZ vom 8. Juli 2017 erhebt.