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Funktionsdefizite der indirekten Demokratie
Wir brauchen mehr basisdemokratische Elemente!

Wenn man sich kurz vor der Wahl die entsprechenden Polit-Talksendungen anschaut, so bestechen die dort auftretenden Personen durch eine Sprache, die sich maßgeblich durch Unverbindlichkeit auszeichnet. Das trifft nach meinem Dafürhalten für die Vertreter aller Parteien zu. Konsens der Redner ist es offenbar, möglichst konkrete Aussagen zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund scheint es wichtig zu sein, die – im Vergleich zu anderen Staatsformen eher geringen, aber doch nervigen – Mängel unserer repräsentativen Demokratie etwas näher zu betrachten.

Stark vereinfacht läßt sich unser System wie folgt beschreiben: Das politische System in Deutschland ist als parlamentarische Demokratie organisiert, d.h. maßgebliches Charakteristikum ist die Delegation der Entscheidungsbefugnis für bestimmte Entscheidungen, die die Gesamtheit der Einwohner betreffen, an Repräsentanten. Sie werden von der Bevölkerung in geheimen Wahlen bestimmt. Die Repräsentanten sind in einem Parlament zusammengefaßt, das die Rolle des gesetzgebenden Gremiums einnimmt. Änderungen der bestehenden Rechtsordnung bedürfen der Zustimmung der Mehrheit der Parlamentsmitglieder und müssen mit der Verfassung im Einklang stehen. Die Mitglieder des Parlaments wählen wiederum die Regierung; insofern kann die repräsentative Demokratie als Wahlkette bestehend aus zwei Gliedern interpretiert werden, wobei nur die Wahl der Parlamentsmitglieder aufgrund des Grundgesetzes regelmäßig erfolgt.

Die Wirkung des Sanktionsinstruments Wahl wird insbesondere durch die zeitliche, personelle, funktionelle sowie verfahrenstechnische Undifferenziertheit sowie durch institutionelle Marktzutrittsschranken beeinträchtigt (Knappe 1980, 147 ff., Daumann 1999, 99 ff.).

Insofern erweist sich die Wahl in ihrer Funktion als Steuerungsinstrument nur als sehr grob. Darüber hinaus existieren weitere Einschränkungen:

So wird die Gefahr potentieller Konkurrenz durch institutionelle Marktzutrittsschranken sehr stark vermindert (Tullock 1965). So muß beispielsweise in Deutschland eine Partei mindestens 5 % der gesamten Stimmen auf sich vereinigen – sieht man einmal von den zu vernachlässigenden Ausnahmeregelungen ab. Weiterhin wird die Konstitution einzelner Gruppen zu Parteien, wenn deren Zielsetzungen besonders radikal sind, unterbunden. Um in den Genuß der Wahlkostenerstattung zu kommen, muß zudem eine Partei mindestens eine bestimmte Anzahl von Stimmen bei der Wahl erzielen.

Zudem gibt es noch Wettbewerbsbeschränkungen auf der Angebotsseite. Der Zusammenschluß einzelner Politiker zu Parteien und die Standardisierung von Wahlalternativen sind solche:

Eine besondere Rolle nimmt zudem die Wählerschaft ein:

Viele Wähler beschränken die Beschaffung für die Wahl relevanter Informationen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht. Der typische Wähler wird sich entscheidungsrelevante Informationen nur in den Bereichen verschaffen, die er zu seinen wichtigsten Lebensbereichen zählt. Diese Informationen werden zudem lückenhaft und daher nur sehr selektiv sein. Daneben wird er Handlungen der Regierung, die außerhalb seines zeitlichen Betrachtungshorizonts liegen, der wesentlich kürzer als eine Wahlperiode ist, nicht in sein Entscheidungskalkül einfließen lassen. Die Nachfrageseite ist demzufolge nur ansatzweise in der Lage, das ihr zur Verfügung stehende Sanktionspotential einzusetzen.

Damit verfügt die Regierung über einen erheblichen diskretionären Handlungsspielraum, der freilich etwas eingeengt wird:

Welche Folgen resultieren daraus?

Die Regierung wird ihren etwas eingeschränkten diskretionären Handlungsspielraum wie folgt nutzen: Sie wird sich auf diejenigen Maßnahmen konzentrieren, die gemessen an ihrer Zielsetzung (eben im Amt zu bleiben) als besonders erfolgreich anzusehen sind. Diese müssen dem Grundgesetz entsprechen und dürfen das Staatsbudget nur in minimalem Umfang belasten. Daneben dürfen sich die benachteiligten Minderheiten nicht zu einer Mehrheit aggregieren lassen. Zudem müssen das Ausmaß der Benachteiligung einzelner Wählergruppen und die Transparenz der Benachteiligungswirkungen möglichst klein gehalten werden.

Als besonders geeignet können also diejenigen Maßnahmen angesehen werden, die unter Beachtung der obigen Kriterien zu möglichst hohen Zuwächsen an Wählerstimmen führen. Für die Regierung erfolgreiche Maßnahmen zeichnen sich durch

Damit eine Maßnahme zu einer Reaktion des Wählers in Form der Abgabe der Wählerstimme zugunsten der Regierung erfolgt, muß diese Maßnahme zu Nutzenerhöhungen in einem Bereich führen, der sich für den Wähler durch ein hohes Maß an Betroffenheit auszeichnet. Die gewünschte Reaktion des Wählers wird zudem umso wahrscheinlicher, je höher der Nutzenzuwachs durch die Maßnahme ausfällt. In einer Welt knapper Ressourcen führt jedoch jede Form von Begünstigung einer Gruppe von Wählern notgedrungen zu einer direkten oder indirekten Belastung anderer Wählergruppen. Benachteiligte Wählergruppen können dann unter bestimmten Bedingungen das Verhalten der Regierung durch Entzug ihrer Stimmen negativ sanktionieren. Aus diesem Grund erweist es sich als notwendig, die Maßnahme zum einen auf eine abgrenzbare Wählergruppe auszurichten, so daß die Nutzenwirkung dieser Maßnahme für diese Gruppe vergleichsweise groß ausfällt. Zum anderen ist die Höhe der Nutzenwirkung gerade so zu dosieren, daß dadurch die gewünschte Reaktion der begünstigten Wählergruppe provoziert wird.

Um mit einer staatlichen Maßnahme Wählerstimmen gewinnen zu können, muß der aus der Maßnahme resultierende Nutzenzuwachs von der betreffenden Wählergruppe als solcher identifiziert werden. Zudem muß die Maßnahme derart ausgestaltet sein, daß die begünstigten Wähler für die erfolgte Nutzensteigerung die Maßnahme und deren Initiator, die Regierung, verantwortlich machen. Dies wird den begünstigten Wählern umso leichter fallen, je einfacher der der Maßnahme zugrundeliegende Wirkungsmechanismus abläuft und je geringer der zeitliche Abstand zwischen Maßnahmeneinsatz und Nutzenzuwachs ausfällt. Maßnahmen, deren Nutzenwirkung auf komplexe und indirekte Ursache-Wirkungsmechanismen beruht und bei denen der Zeitabstand zwischen der Realisierung und der Nutzenwirkung sehr groß ausfällt, erweisen sich somit für die Zielsetzung der Politiker als eher ungeeignet.

Alles in allem scheint eine derartige Konstellation etwa unbefriedigend zu sein:

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieses Problemfeld zumindest ansatzweise zu beseitigen (Daumann 1999, 268 ff.). Ein immer wieder diskutierter Vorschlag ist die Einführung plebiszitärer Elemente: Der Handlungsspielraum der Regierung wird beschnitten, wenn ausgewählte Kompetenzen wieder unmittelbar zur Disposition der Wähler gestellt werden, die eine Entscheidung mittels eines Plebiszits herbeiführen. Derartige Entscheidungen können sich zum einen auf bereits in der Verfassung festgelegte Sachverhalte beziehen. Zum anderen können auch Sachfragen Gegenstand einer unmittelbaren Entscheidung der Individuen werden, wenn eine bestimmte Anzahl von Individuen eine unmittelbare Entscheidung darüber wünscht.

Die Einführung plebiszitärer Elemente ist grundsätzlich geeignet, Ergebnisse des politischen Prozesses zu realisieren, die stärker an den Wünschen der Wähler orientiert ist. Gleichwohl entstehen durch ein Plebiszit, das üblicherweise als Entscheidungsregel die Mehrheitsregel kennt, in der Regel sog. externe Kosten. Das sind Kosten derjenigen, die einen Nachteil durch die getroffene Entscheidung erfahren (was sich freilich bei jeder Mehrheitsentscheidung ergeben kann). Die Alternative Einstimmigkeitsregel würde zwangsläufig den Status Quo zementieren, zumal sich mindestens ein Wähler an der Wahl beteiligen wird, der aufgrund seiner jetzigen Position Nachteile durch eine positive Entscheidung erleiden würde.

Die Zunahme plebiszitärer Elemente nähert die indirekte Demokratie stärker an die direkte Demokratie an, wodurch die Informationskosten für die Wähler steigen. Dies kann dazu führen, daß die Wähler sich kaum informieren und dann evtl. bestimmten Entscheidungen fern bleiben, deren Folgen sie für sich unterschätzt haben oder aber sich am Plebiszit ohne entsprechende Informationen beteiligen[3] [3].

Dieses gerne strapazierte Argument gegen plebiszitäre Elemente beruht jedoch auf einem paternalistischen Menschenbild: Es gibt eine besser informierte Gruppe, die eigentlich im Vorfeld weiß, was am besten für den Wähler ist. Konsequent zu Ende gedacht müßte aus diesem Menschenbild eigentlich die Abschaffung der Wahl als solche und die Herrschaft der besser informierten Gruppe (wer das auch immer sein mag) resultieren.

Alles in allem scheint in einer repräsentativen Demokratie wie der unseren, die sich durch einen hohen Stellenwert des Freiheitsaspekts auszeichnet und sich der Autonomie des Individuums verschrieben hat, kein Weg an einem Mehr an plebiszitären Elementen vorbeizuführen. Die vermeintlich negativen Folgen „undurchdachter“ Entscheidungen bei einem Plebiszit sind einfach der Preis für eine stärkere Legitimation kollektiven Handelns.

Literatur

Daumann, F., Interessenverbände im politischen Prozeß, Tübingen 1999.

Knappe, E., Einkommensumverteilung in der Demokratie. Der Beitrag der ökonomischen Theorie der Demokratie zur Analyse der Verteilungspolitik, Freiburg/Br. 1980.

Mueller, D. C., Constitutional Democracy, New York, Oxford 1996.

Tullock, G., Entry Barriers in Politics, in: American Economic Review, Vol. 55 (1965), S. 459 – 471.

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[1] [4]       Ein Beispiel hierfür dürfte das Verhalten der maßgeblichen Parteien in Hinblick auf die Einführung der Europäischen Währungsunion sein. Obgleich davon ausgegangen werden kann, daß mehr als die Hälfte der Bevölkerung einer Einführung des Euro negativ gegenüberstand, wandte sich keine der Parteien offen gegen diese Maßnahme.

[2] [5]       Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang von einer „weiten Gestaltungsfreiheit“ des Gesetzgebers. Vgl. auch BVerfGE 71, 66 (77); 71, 206 (215); 73, 301 (315); 77, 84 (106).

[3] [6]       Zu weiteren Vor- und Nachteilen von Referenden siehe Mueller (1996, 178 ff.).