Ordnungspolitischer Unfug (4)
Peterchens (industriepolitische) Mondfahrt
Wettbewerbsfähig wird man im Wettbewerb

„Die Förderung einer Branche ist der sicherste Weg, sie zu ruinieren”. (Raghuram Rajan)

In Deutschland geht die Angst um: Die Angst vor dem industriellen Absturz, die Angst vor einer anhaltenden Wachstumsschwäche, die Angst vor der „gelben“ Gefahr. Deutschland lebt seit langem gut von und mit einem großen, prosperierenden industriellen Sektor. Viele mittelständische „hidden champions“ mischen ihn immer wieder auf. Einer stärkeren De-Industrialisierung wird sich Deutschland aber dennoch nicht entziehen können. Das anhaltende schwache Wachstum ist seit fast zwei Jahrzehnten ein weltweites Phänomen industrialisierter Länder. Auch Deutschland kann sich von dieser Entwicklung nicht abkoppeln, obwohl es sich besser schlug als andere ähnlich entwickelte Länder. Die chinesischen Unternehmen mauserten sich schon seit einiger Zeit zu einem ernsthaften Konkurrenten der weltweit Etablierten. Die Angst vor dem chinesischen „Technologieklau“ geht um. Darüber beklagen sich auch immer wieder „deutsche“ Unternehmen. Sie werfen China vor, nach anderen Spielregeln zu spielen als sie selbst spielen müssen.

Nationale Industriestrategie 2030

Die adäquate Antwort auf diese Herausforderungen sind wettbewerbsfähigere deutsche Unternehmen. Alle Erfahrungen sprechen dafür, wettbewerbsfähig wird man im Wettbewerb. Offenere Güter- und Faktormärkte sind erfolgversprechend. Auf diesen Weg will sich Peter Altmaier, der Bundeswirtschaftsminister, nicht mehr verlassen (hier). Staatliche industriepolitische Aktivitäten sollen stärker in den Vordergrund rücken. Der nationale Industrieanteil soll bis 2030 auf 25 % erhöht werden. In der EU soll er bis zum Jahr 2030 auf 20 % steigen. Wertschöpfungsketten sollen national geerdet und geschlossen werden. Um jeden industriellen Arbeitsplatz soll gekämpft, der industrielle Mittelstand soll gestärkt werden. Die Politik will nationale und europäische Champions zulassen. Größe zählt! Das europäische und deutsche Wettbewerbsrecht soll angepasst werden, um Großfusionen zu ermöglichen. Gezielt sollen Schlüsselbereiche, wie etwa Stahl, Chemie, Auto, Maschinen und Anlagen etc., identifiziert und einzelne Unternehmen, wie etwa Siemens, Thyssen-Krupp, Automobilhersteller und die Deutsche Bank gefördert werden.

Die Politik will wachsamer sein, wenn ausländische (chinesische) Unternehmen deutsche übernehmen wollen. Überall wo die nationale Sicherheit gefährdet ist, soll rigoros untersagt werden. Aber auch in weniger schwerwiegenden Fällen soll der Staat künftig mitmischen. Für einen befristeten Zeitraum kann er als Erwerber von Unternehmensteilen auftreten. Eine nationale Beteiligungsfazilität soll diesen Prozess begleiten. Die neue ordnungspolitische Regel ist das windelweiche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Danach soll sich der Staat weniger einmischen, wenn die Übernahme volkswirtschaftlich weniger relevant ist. Er soll sich stärker engagieren, mit staatlichen Subventionen oder zeitlich befristeter eigener Übernahme wenn der Vorgang bedeutender ist. Dabei hat der Bundeswirtschaftsminister konkrete Vorstellungen, wo eingegriffen werden soll. Die Batteriezellenfertigung wird explizit aufgeführt. Aber auch die Plattformökonomie, die Künstliche Intelligenz und das Autonome Fahren stehen auf der Eingriffsliste ganz vorne. Keine Spur von handeln und haften; schiere politische Willkür dominiert die Industriepolitik!

Strukturwandel, Wachstum und China

Nicht industrieller Artenschutz, ein funktionierender Wettbewerb treibt den Wohlstand. Dabei kommt privaten Unternehmen eine besondere Rolle zu. Sie sind die Akteure, die im strukturellen Wandel den Weg weisen, neues Wissen in Wohlstand verwandeln und Konkurrenten im Zaum halten. Eine wichtige Quelle des Wohlstandes ist der strukturelle Wandel (hier). Haushalte ändern ihr Ausgabenverhalten. Sie präferieren mehr Dienstleistungen. Erfolgreiche Unternehmen erkennen diese Veränderungen und reagieren mit dem Angebot neuer Produkte. Das löst einen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ aus. Wachsende Produktivitäten beschleunigen ihn noch. Unternehmen fragen mehr dienstleistungsintensive Vorprodukte nach. Weltweit offenere Gütermärkte verstärken die Spezialisierung im Industriesektor. Der Strukturwandel nimmt weiter Fahrt auf. Nicht alle gewinnen, viele verlieren. Wie hoch der Industrieanteil sein soll, weiß niemand. Klar ist nur, er ist in Deutschland zu hoch. Das wird sich ändern, vermutlich schneller als uns lieb sein kann.

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Private Unternehmen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, den Wohlstand für alle zu steigern. Die Empirie des Wachstums ist eindeutig (hier). Der wichtigste Treiber ist die Produktivität, vor allem die „totale Faktorproduktivität“. Sie steigt, wenn Dinge auf eine neue Art angepackt werden. Dazu braucht es neue Ideen. Wenn es gut läuft sind neue Produkte, neue Prozesse, neue Organisationen und neue Märkte das Ergebnis. Ein intensiver Wettbewerb tut neuem Wissen besonders gut. Das gilt auch für den Wissenstransfer von Bildung und Forschung zu marktfähigen Produkten. Temporäre Stockungen auf dem Markt für neues Wissen sind kein gutes Argument für eine staatliche Industriepolitik. Die Politik weiß nicht besser, welche Technologien zukunftsträchtig sind. Oft geht sie „rentensuchenden“ Unternehmen auf den Leim. Der Staat ist auch nicht der bessere Unternehmer. Die Empirie zeigt, seine Performance ist lausig. Wegen der tiefen Taschen der Steuerzahler weiß er nicht, was und wann es industriepolitisch gut ist.

Seit über zwei Jahrzehnten mischt China die Weltwirtschaft auf. Es produziert nicht mehr nur weniger technologieaffine Güter. Immer öfter kommt China auch den Anbietern technologieintensiver Güter ins Gehege. Sein industriepolitischer Plan „Made in China 2025“ sieht vor, auch deutsche Unternehmen zu übernehmen. Vor allem in der Politik ist hierzulande die Angst groß, dass es zu einem Abfluss von Wissen kommt. Diese Ängste sind übertrieben (hier). China ist längst nicht mehr nur auf ausländisches Wissen angewiesen. Es ist schon weiter. Natürlich kann es mit der Übernahme von deutschen Unternehmen auch auf deren Patente zurückgreifen. Das schlägt sich allerdings im Übernahmepreis nieder. Ein Teil des Wissens ist auch in den Köpfen inländischer Mitarbeiter. Diese sind aber meist standortgebunden. Es spricht deshalb wenig dafür, den Erwerb inländischer durch chinesische Unternehmen rigoros zu unterbinden. Viel wichtiger ist es, den Zugang zum großen chinesischen Markt für deutsche Unternehmen zu sichern.

Neues Wissen und private Unternehmer

Der Weg von Peter Altmaier, die Ordnungspolitik auf den Kopf zu stellen, Industriepolitik der Wettbewerbspolitik vorzuziehen, stößt hierzulande auf heftigen Widerstand. Die Ansatzpunkte müssen andere sein. Der Staat ist gefordert mitzuhelfen, für neues Wissen zu sorgen. Als wichtiger Treiber hat sich ein intensiver Wettbewerb erwiesen. Offene Märkte sind unabdingbar. Mehr Wettbewerb vermehrt das verfügbare Wissen, erhöht die einheimische Produktivität und steigert das wirtschaftliche Wachstum (hier). Allein Markt und Wettbewerb werden es nicht richten. Externe Effekte sorgen für zu wenig neues Wissen. Der Staat kann mit Investitionen in Bildung und Ausbildung für notwendiges Humankapital sorgen. Er kann mit Ausgaben für die Grundlagenforschung die Investitionen in technisches Wissen beschleunigen. Und er kann mit günstigen Bedingungen am heimischen Standort helfen, ausländische Talente, fremdes (Real)Kapital und ausländisches Wissen ins Land zu locken. Das ist ein wichtiger Baustein einer adäquaten „Industriepolitik“.

Es ist eines, für neues Wissen zu sorgen. Es ist etwas anderes, dieses Wissen auch marktfähig zu machen. Das läuft ohne private Unternehmer nicht (hier). Diese gehen die Risiken aber nur ein, wenn die Anreize stimmen. Und hier liegt in Deutschland vieles im Argen. Vielfältige Hindernisse lassen Unternehmer nicht unternehmen. Sie verhindern, dass sie unternehmen können. Und sie tragen mit dazu bei, dass Unternehmer nicht unternehmen wollen. Unternehmer unternehmen lassen, macht mindestens dreierlei erforderlich: Privatisieren, deregulieren und entbürokratisieren. Unternehmer in Stand zu setzen, unternehmen zu können, wäre leichter möglich, wenn es gelänge, das Eigenkapital zu verbessern, die Bildung von Humankapital zu forcieren und die Risikokapitalmärkte zu stärken. Unternehmer würden eher unternehmen wollen, wenn die wirtschaftlichen Risiken verringert würden, die politische Unsicherheit reduziert, der Wettbewerb weniger verzerrt und das unternehmerfeindliche Bild in der Öffentlichkeit revidiert würde.

Fazit

Deutschland wird wirtschaftspolitisch herausgefordert. Der Strukturwandel setzt uns stark zu. Das wirtschaftliche Wachstum ist blutleer. Die Chinesen „klauen“ unser neustes Wissen. Bei der Antwort auf diese Herausforderungen wirft die Politik ordnungspolitische Grundsätze über den Haufen. Nicht mehr der private Wettbewerb, staatliche Industriepolitik soll es richten. Donald Trump lässt grüßen. Die „Nationale Industriestrategie 2030“ schaut einerseits gebannt in den Rückspiegel. Dort sieht sie die deutsche Erfolgsgeschichte des industriellen Sektors der Vergangenheit. Diese will sie auf Teufel komm raus mit industriepolitischen Instrumenten fortschreiben. Andererseits blickt sie „visionär“ in die Zukunft. Sie maßt sich an zu wissen, wo zukunftsträchtige Technologien, Unternehmen und Branchen zu finden sind. Sie fährt eine „MITI-Strategie“. Die ist aber meist entweder irrelevant oder kontraproduktiv. Der richtige Weg ist noch immer der alte. Der Staat wird gebraucht, externe Effekte der Wissensproduktion zu internalisieren. Den Rest erledigen private Unternehmer in einem weltwirtschaftlich wettbewerblichen Umfeld. Das müssen allerdings die Länder weltweit schaffen, am besten in multilateralen Vereinbarungen.

Blog-Beiträge der Serie “Ordnungspolitischer Unfug”

Norbert Berthold: Deutschland wird leiden. Leistungsbilanzsalden und Strukturwandel

Norbert Berthold: Mietpreisbremse und “Sozialer Wohnungsbau”. Irrwege in der Wohnungspolitik

Norbert Berthold: Noch mehr Steuergelder für die Rente. Hat sich die SPD endgültig aufgegeben?

12 Antworten auf „Ordnungspolitischer Unfug (4)
Peterchens (industriepolitische) Mondfahrt
Wettbewerbsfähig wird man im Wettbewerb

  1. Als ich den Namen Altmeier las, habe ich aufgehört zu lesen. Was soll bei solchen Politikern , welche von der Schulbank oder Uni, in die Politik gegangen sind, heraus kommen. Auch die Grünen, in der Wählergunst steigend, haben kein bisschen Ahnung wie es in der freien Wirtschaft tickt. Mittlerweile gibt es kam noch Bereiche, welch nicht subventioniert werden. Selbst Banken, Rentenversicherungen und über 50% der Bevölkerung werden vom Staat gepempert. Das hält keine Wirtschaft auf Dauer aus, da die Steuern und Abgaben immer höher werden. Mit diesen Parteien, die das verursacht haben, gibt es nur einen Weg, weiter nach unten in den Keller!

  2. Man kann nicht über Trumps „nationalen Notstand ohne Mauerbau“ und „Autoimporte als Gefahr für die nationale Sicherheit“ lästern und gleichzeitig „industriepolitischen Trump light“ propagieren. Noch verrückter wird das Ganze, wenn gleichzeitig immer öfter fiskalische Horrorpropaganda hinsichtlich Vermögen- und Erbschaftsteuer am Horizont auftaucht – frei nach dem Motto „Was wir den Unternehmern durch industriepolitik geben, können wir ihnen ja durch Mehrfachbesteuerung wieder wegnehmen“. What a brave new world!

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