10. Würzburger Ordnungstag
EZB: Preisniveau-Steuerung als riskante Alternative

Der finnische Notenbankchef Olli Rehn unterstützt eine Idee des ehemaligen Fed-Chefs Ben Bernanke[1]  und befürwortet eine neue geldpolitische Strategie für die EZB. Ist der EZB-Leitzins bereits an der Untergrenze von null Prozent angekommen und liegt die Inflation trotzdem unter dem Ziel von knapp zwei Prozent, solle die EZB ihren Leitzins erst dann anheben, wenn die Inflation eine Weile über zwei Prozent liegt und die vorherige Phase der zu niedrigen Inflation vollständig ausgeglichen hat. Im Rahmen dieser Strategie der sogenannten temporären Preisniveu-Steuerung würde die Nullzinspolitik also deutlich länger beibehalten als bei der gegenwärtigen Strategie der Inflations-Steuerung, die höhere Leitzinsen bereits dann vorsieht, wenn die Inflation das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Nimmt man beispielsweise an, die Inflation steige innerhalb der kommenden zwei Jahre schrittweise auf 2,3% und verharre dort, dann würde der Leitzins bei der Preisniveau-Steuerung bis Frühjahr 2024 konstant gehalten – und nicht wie bei der Inflations-Steuerung nur bis zum Frühjahr 2020 (Grafik). Der Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung verschöbe sich in diesem Beispiel um vier Jahre.

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„Longer-for-lower“ für einen rascheren Anstieg der Inflation

Die Erwartung einer längeren Nullzins-Phase soll die Geldpolitik expansiver machen, die Konjunktur anschieben und so die Phase einer zu niedrigen Inflation verkürzen. Das sei in Zukunft häufiger notwendig, weil die Menschen etwa wegen der Alterung der Gesellschaft privat mehr vorsorgen und durch die zusätzliche Ersparnis das allgemeine Zinsniveau (genauer: den natürlichen Zins) drücken. Die EZB, die zur Ankurbelung der Konjunktur einen noch niedrigeren Leitzins benötige, stoße dann häufiger an die Zinsuntergrenze von null Prozent. Derartig ausgebremst, würde es für die Notenbank schwieriger, eine zu niedrige Inflation oder gar eine Deflation zu verhindern.

EZB mitschuldig am Erreichen der Nullzinsgrenze

Soweit die Theorie. Aber die geldpolitische Strategie der verlängerten Nullzinsen hat beträchtliche Schwächen. Erstens sind die Zentralbanken nicht schuldlos daran, dass sie häufiger an die Untergrenze von null Prozent stoßen. Denn der natürliche Zins, den sie zum Ankurbeln der Konjunktur unterschreiten müssen, ist nicht nur wegen eines etwa demographisch verursachten Ersparnisüberhangs niedrig. Vielmehr haben die Zentralbanken selbst durch den massiven Kauf von Staatsanleihen dazu beigetragen. Will die EZB in Zukunft seltener von der Zinsuntergrenze ausgebremst werden, sollte sie ihren Bestand an Anleihen abbauen statt ihn zu erhöhen.

Niedrige Inflation kein großes Problem

Zweitens ist die Fixierung auf die Verhinderung niedriger Inflationsraten übertrieben. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat für 38 Länder gezeigt, dass sogar leicht rückläufige Verbraucherpreise das Wirtschaftswachstum in den zurückliegenden 150 Jahren nicht belastet haben.[2]  So ist das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt Japans seit der Jahrtausendwende trotz einer Inflation von fast null Prozent ähnlich stark gestiegen wie das der USA.

EZB kämpft gegen Inflationsdämpfer an

Drittens übersehen die Anhänger einer Strategie der temporären Preisniveau-Steuerung, dass die Inflation durch globalen Wettbewerb gedrückt wird, wobei mit der Digitalisierung schon der nächste Inflationsdämpfer in Sicht ist. Es ist zweifelhaft, ob es der EZB überhaupt gelingt, die Teuerungsrate auf über zwei Prozent anzuheben, ohne die Leitzinsen unvertretbar lange bei null Prozent zu belassen.

Gefährliche Nebenwirkungen

Viertens – und das ist der wichtigste Einwand – hat eine Strategie der temporären Preisniveau-Steuerung gefährliche Nebenwirkungen. So hat die US-Notenbank ihre Zinsen nach dem Platzen der Aktienmarktblase im Jahr 2000 viel zu spät erhöht. Der Leitzins lag zu lange deutlich unter dem Niveau, das mit Blick auf Wachstum und Inflation gerechtfertigt gewesen wäre, beklagte der renommierte US-Ökonom John Taylor. Damit förderte die amerikanische Notenbank das Entstehen der Immobilien- und Schuldenblase, die 2007 platzte und die westlichen Volkswirtschaften in eine schwere Rezession stürzte und zur niedrigen Inflation im Euroraum beitrug. Wenn die geldpolitische Strategie der Preisniveausteuerung noch länger Nullzinsen empfiehlt, stellt sie die Lehren der jüngeren Wirtschaftsgeschichte auf den Kopf.

EZB braucht eine Strategie der umfassenden Stabilisierung

Eine Reform der geldpolitischen Strategie der EZB darf nicht zu einer noch lockereren Geldpolitik führen, also zu einem Mehr vom Selben, auch wenn das die Finanzminister der hoch verschuldeten Staaten begrüßen würden. Stattdessen braucht die EZB eine Strategie der umfassenden Stabilisierung.[3]  Sie sollte nicht nur Preisstabilität, sondern auch Finanzstabilität anstreben. Steigen etwa Häuserpreise oder Kreditvolumina zu stark, sollte sie ihre Zinsen auch bei einer niedrigen Inflation anheben, um gefährliche Blase zu vermeiden.

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[1] „Temporary price-level targeting: An alternative framework for monetary policy“, Brookings, Blog-Beitrag vom 12. Oktober 2017.

[2] Bank for International Settlements, Quarterly Review, March 2015, Seite 36

[3] „Für eine Geldpolitik der umfassenden Stabilisierung“. Economic Insight, Commmerzbank Resarch, 2. Dezember 2016.

Hinweis: Der Beitrag ist die schriftliche Fassung eines Vortrages auf dem “10. Würzburger Ordnungstag“ am 10. Oktober 2019 in Frankfurt. In loser Folge werden hier weitere Vorträge dieses wirtschaftspolitischen Symposiums erscheinen.

Eine Antwort auf „10. Würzburger Ordnungstag
EZB: Preisniveau-Steuerung als riskante Alternative“

  1. Wenn tatsächlich „säkulare Stagnation“ herrscht, dann kann die Notenbank mit exansiver Kreditmarktpolitik nichts erreichen. Sie kann den Zins nur soweit unter Null drücken, wie es die Kosten der Bargeldhaltung erlauben. Tiefer kommt eine Notenbank nur wenn sie das Bargeld abschafft.

    Von Weizsäcker empfiehlt deshalb expansive Fiskalpolitik ( https://blogs.faz.net/fazit/2012/07/24/oekonomen-im-gespraech-3-carl-christian-von-weizsaecker-ueber-den-nutzen-der-staatsverschuldung-fuer-die-schwaebische-haushfrau-und-die-logik-niedriger-anleiherenditen-503/ ). Wichtige Staaten wie Deutschland sind dazu aber nicht bereit. Deutsche Regierungen hinterlassen zukünftigen Generationen lieber eine veraltete Infrastruktur als Schulden.

    Was eine Notenbank in solch einer Situation aber tun könnte, ist die regelmäßige Verteilung von Helikoptergeld an die Haushalte. Aber auch diese Art von Geldpolitik wird in Deutschland tabuisiert. Dann lieber das Inflationsziel aufgeben. Wie glaubwürdig macht sich eine Notenbank, wenn sie ein Inflationsziel nur dann einhält, wenn es „nicht zu schwierig“ ist?

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