Corona, Länder und Wirtschaft (1)
Die Niederlande meistern die Wirtschaftskrise am besten

Die Niederlande scheinen von den größeren Euro-Ländern am besten durch die Corona-verursachte Wirtschaftskrise zu kommen. Weil die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus weniger restriktiv waren als in den anderen Ländern, war der Konjunktureinbruch weniger stark. Nun scheint auch die Erholung recht dynamisch zu sein. Dies hilft dabei, das Haushaltsdefizit und den Anstieg der öffentlichen Verschuldung in Grenzen zu halten, was den Kurs der niederländischen Staatsanleihen stützen dürfte.

Infektionsverlauf wie in Deutschland und Frankreich

Das Infektionsgeschehen in den Niederlanden hat sich in den vergangenen Monaten ähnlich wie in Deutschland und Frankreich entwickelt: Ab Mitte März breitete sich das Virus immer stärker aus und die Zahl der Neuinfektionen stieg exponentiell (Abbildung 1). Anfang April erreichten die Infektionszahlen – mit rund 6 Neuinfizierten je 100.000 Einwohnern – den Höhepunkt. Anders als in Deutschland und Frankreich begann die Zahl der Neuinfektionen allerdings erst gegen Ende April merklich zu sinken. Damit griff das Covid-19-Virus in den Niederlanden deutlich weniger um sich als in Italien und insbesondere in Spanien, wo sich zum Höhepunkt der Pandemie täglich 9 bzw. 17 Menschen je 100.000 Einwohner neu mit der Krankheit ansteckten.

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Vergleichsweise moderate Anti-Corona-Maßnahmen

Angesichts der steigenden Infektionszahlen hat auch die niederländische Regierung ab dem 12. März Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus ergriffen. Großveranstaltungen wurden abgesagt, Menschen mit grippeähnlichen Symptomen sollten zu Hause bleiben und soziale Kontakte vermeiden. Außerdem sollte ein Mindestabstand von anderthalb Metern gewahrt werden. Wo möglich, sollten die Menschen im Homeoffice arbeiten. Restaurants und ähnliches mussten für wenige Wochen schließen, durften aber Essen liefern bzw. zum Abholen anbieten. Anders als in den meisten anderen Euro-Ländern waren die meisten dieser Maßnahmen Empfehlungen und keine verpflichtenden Vorschriften. Staatlich verordnete Ausgangsbeschränkungen gab es nicht.

Weniger ausgeprägte Rezession …

Wohl hauptsächlich wegen der geringeren Zahl an Infektionen und den vergleichsweise moderaten Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung ist die Wirtschaft in den Niederlanden weniger stark eingebrochen als in den meisten anderen Euro-Ländern. So war das Bruttoinlandsprodukt im ersten Vierteljahr nur um 1,5% (erste Schätzung: -1,7%) niedriger als im vierten Quartal (Abbildung 2). Auch in Deutschland war der Rückgang mit -2,2% vergleichsweise moderat. Demgegenüber brach die Wirtschaft in Frankreich, Italien und Spanien jeweils um rund 5¼% ein. Geht man davon aus, dass dieses Minus ausschließlich in der zweiten Hälfte des März eingefahren wurde, ist die französische, italienische und spanische Wirtschaft in diesem Zeitraum um etwa 30% eingebrochen, während der Rückgang in den Niederlanden etwa 10% betragen haben dürfte.

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… und vergleichsweise moderater Anstieg der Arbeitslosigkeit

Dies schlägt sich auch am Arbeitsmarkt nieder. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Februar und Mai nur moderat von 2,9% auf 3,6%. Tatsächlich haben auch weitere Faktoren zu diesem nur moderaten Anstieg beigetragen. So haben sich Menschen zeitweilig aus dem Arbeitsleben zurückgezogen und werden damit nicht länger in der Arbeitslosenstatistik berücksichtigt. Darüber hinaus dürfte ein weiterer wichtiger Grund in der staatlichen Unterstützung für Kurzarbeit liegen. Infolge der Härten der Corona-Pandemie für Unternehmen und Privathaushalte hat die Regierung das bestehende Kurzarbeiter-Modell ausgeweitet. Ähnlich wie in Deutschland haben die meisten Unternehmen diese Möglichkeit genutzt und bislang darauf verzichtet, Mitarbeiter in großem Stil zu entlassen.

Dynamische Erholung in vollem Gange

Dass die Arbeitslosigkeit nur moderat zugelegt hat und die Einkommensverluste der privaten Haushalte deshalb überschaubar blieben, hat sicherlich dabei geholfen, dass inzwischen eine recht dynamische Erholung der Wirtschaft in vollem Gange ist. Darauf deuten verschiedene Indikatoren, die die wirtschaftliche und soziale Aktivität quasi in Echtzeit abbilden. Beispielsweise misst Google in seinem Mobility Report anhand der Bewegungsprofile von Mobiltelefonen, wie viele Menschen sich über welchen Zeitraum an einem bestimmten Ort aufgehalten haben. Nach diesen Zahlen hat beispielsweise der Einzelhandel (ohne Nahrungsmittel) seinen Einbruch nahezu vollständig wettgemacht. Zuletzt hielten sich gerade einmal noch 5% weniger Kunden in den Geschäften auf als zu normalen Zeiten, am Tiefpunkt war die Hälfte der Kundschaft weggebrochen (Abbildung 3).

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Zudem gehen die Menschen auch wieder in Restaurants und zur Arbeit. Während im April zeitweise nur jeder zweite seinen Arbeitsplatz aufgesucht und der andere Teil weitgehend im Homeoffice gearbeitet hatte, sind mittlerweile wieder deutlich mehr Menschen an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt (Abbildung 3). Seit Anfang Juni erholt sich schließlich auch der Stromverbrauch im Trend. Dass sich der Stromverbrauch allerdings wenig dynamisch erholt, dürfte insbesondere an der Raffineriebranche liegen, die zwar grundsätzlich energieintensiv produziert, allerdings ist die Auslandsnachfrage nach Öl und Kraftstoffen derzeit verhalten.

Trotz dieser breit angelegten und laufenden Erholung wird das Statistische Amt im zweiten Quartal für das Bruttoinlandsprodukt unserer Schätzung nach wohl ein Minus von rund 7% gegenüber dem Vorquartal verbuchen (Abbildung 4). Doch die Erholung sollte sich angesichts der sich im Inland und in wichtigen Absatzmärkten abflauenden Epidemie fortsetzen, so dass das Bruttoinlandsprodukt in der zweiten Jahreshälfte wieder spürbar expandieren dürfte. Gleichwohl rechnen wir nicht mit einer fulminanten V-förmigen, sondern einer abgemilderten Konjunkturerholung. Denn viele Unternehmen – in den Niederlanden wie in allen anderen Ländern des Euroraums – mussten sich wegen Corona bedingter Umsatzausfälle massiv verschulden. Während sie die Schulden zurückzahlen, werden sie sich beim Investieren und Konsumieren zurückhalten. Gleichzeitig verunsichert das Risiko einer zweiten weltweiten Infektionswelle – beispielsweise sind in den vergangenen Tagen die Neuinfektionen in den USA und Brasilien rastant gestiegen – die privaten Haushalte, die vorsichtshalber ihr Einkommen sparen anstatt zu konsumieren. Alles in allem rechnen wir für das Gesamtjahr 2020 wir mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3½%. Die laufende Erholung dürfte 2021 zu einem Plus von 3½% führen.

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Öffentliches Haushaltsdefizit dürfte bald wieder im Griff sein

Die Auswirungen der Corona-Pandemie werden das öffentliche Defizit kurzfristig hochschnellen lassen. Wir rechnen mit einem Budgetsaldo von -6½% des Bruttoinlandsprodukts (Abbildung 5). Die ursprünglich angepeilte Defizitquote von 0,2% liegt fraglos in weiter Ferne. Alleine die wegen des Konjunktureinbruchs geringeren Steuereinnahmen und höheren Ausgaben – etwa im Bereich der sozialen Sicherung für Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld – erhöhen die Defizitquote um etwa 2½ Prozentpunkte (Konjunktureffekt). Die von der Regierung beschlossenen beiden Konjunkturpakete (diskretionäre Maßnahmen) von insgesamt rund 30 Mrd Euro lassen sie um weitere 4 Prozentpunkte steigen. Sollten Kredite ausfallen, für die die Regierung Garantien begeben hat, könnten noch wenige weitere Zehntel Prozentpunkte hinzukommen. Insgesamt belaufen sich diese Garantien auf 3½% des Bruttoinlandsprodukts.

Setzt sich die Erholung fort, dürfte bereits 2021 wieder ein deutlich geringeres Defizit anfallen; die Quote könnte dann möglicherweise sogar wieder unter 3% gedrückt werden.

Bei der von uns erwarteten Entwicklung von Konjunktur und Staatsfinanzen würde die Staatsverschuldung von 48,6% des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 auf 57% anwachsen und sich 2021 weiter leicht auf 58% erhöhen. Damit bliebe die Schuldenquote des Staates trotz der umfangreichen Corona-Hilfsgelder unter der Maastrichter Schuldengrenze von 60%.

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Rentenmärkte goutieren niederländische Solidität

Die Niederlande bleiben wirtschaftlich und finanziell ein stabiles Land, was durch die hohe allemeine Standortqualität der Volkswirtschaft und der weltweit konkurrenzfähigen niederländischen Produkte unterstützt wird. Auch an den Rentenmärkten dürften die Niederlandeweiterhin als fiskalischer und ökonomischer Musterschüler wahrgenommen werden. Einzig Liquiditätsprämien verhindern wohl eine vollständige Konvergenz mit Bundesanleihen.

Marco Wagner
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3 Antworten auf „Corona, Länder und Wirtschaft (1)
Die Niederlande meistern die Wirtschaftskrise am besten“

  1. Von anderen Ländern lernen ist sehr wichtig, aber auch nicht ganz einfach

    Der ansonsten sehr informative Beitrag thematisiert sehr wenig wahrscheinlich wichtige Erfolgsbedingungen für den erfreulichen wirtschaftlichen Befund für die Niederlande. Vielleicht erscheint dann die These von ‚vergleichsweise moderaten Anti-Corona-Maßnahmen‘ des Autors auch in etwas anderem Licht.

    Eine entscheidende Voraussetzung für die wirtschaftliche ‚Performance‘ dürfte sein, dass in Bezug auch auf die präventiven staatlichen Corona-Regeln in „den Niederlanden … Vergehen drakonisch bestraft“ werden (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/die-niederlande-greifen-in-der-coronakrise-hart-durch-16703917.html#void).

    Vor der Anwendung dieses Modells auf andere Länder wäre daher insbesondere auch zu prüfen, inwieweit das folgende ‚Erfolgsgeheimnis‘ wie in Holland gewährleistet ist: Hiernach „akzeptieren die meisten Bürger, dass Regelverstöße hart geahndet werden“ (ebenda). Dies kann dazu führen, dass weniger drastische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit als in anderen Staaten schon zu guten Erfolgen führen bzw. annähernd funktional äquivalent sein können.

    Fehlt etwa in einer Gesellschaft oder bei einem wesentlichen Teil davon jedoch die Bereitschaft, vergleichsweise moderate formelle Regeln zu akzeptieren (vgl. z.B. https://behavioralscientist.org/why-are-people-ignoring-expert-warnings-psychological-reactance-coronavirus-covid-19/) oder wird die Einhaltung dieser Regeln zu wenig durchgesetzt, dürften sich dies auch bei den wirtschaftlichen Auswirkungen niederschlagen. Dies ist ebenfalls zu erwarten, wenn andere Randbedingungen des Erfolgs nicht erfüllt sind (z.B. starke Angst vor privatem Bankrott wegen hoher privater Verschuldung wie in den USA; vgl. dazu https://www.nzz.ch/meinung/freiheit-contra-verantwortung-kein-ausweg-aus-dem-corona-dilemma-ld.1566520).

  2. Rückschlag in den Niederlanden

    Vorausschauendes Lernen vom Ausland bleibt wichtig. Wichtige Lehren lasse sich auch aus Rückschlägen bei den Infektionszahlen in den in der öffentlichen Diskussion nicht selten als Vorbild angesehenen Niederlanden ziehen. So heißt es aktuell in der FAZ: „Appelle der Regierung an das Verantwortungsgefühl der Bürger hatten nicht viel geholfen – jetzt werden die Regeln deutlich verschärft“ (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/corona-in-niederlande-ab-dienstag-gelten-neue-massnahmen-16976916.html#void).

    In der Debatte hierzulande will ein Teil der Diskutanten in Medien, Politik und Wissenschaft neben einer angemessenen staatlichen Informationsbereitstellung zum Coronavirus zuallererst oder sogar allein auf individuelles Verantwortungsgefühl setzen. Dies wird von diesen Diskutanten als angemessen angesehen, um die erforderlichen Hygienemaßnahmen zur Vermeidung unabsichtlicher Infektionen durch Corona unter hoher Wahrung persönlicher Freiheiten und zugleich möglichst effizient zu verwirklichen. Dieser Problemlösungsvorschlag vereinfacht jedoch allzu sehr und ist überoptimistisch. Dies verdeutlicht nun ebenfalls das Beispiel der Niederlande, auch wenn das Land natürlich während der Coronakrise keineswegs nur auf Eigenverantwortung gesetzt hat, sondern auch bußgeldbewehrte Ver- und Gebote (vgl. oben).

    Weiterhin ist als Minimum über den Appell an die individuelle Eigenverantwortung hinaus zentral, den Menschen folgender Sachverhalt überzeugend zu verdeutlichen und nachdrücklich zu kommunizieren: „Die Erkenntnis, dass es weniger darum geht, sich selbst als andere zu schützen, bleibt von zentraler Bedeutung.“ Hierauf weisen – abgeleitet aus empirischen Befunden – Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in einer empfehlenswerten Studie zu dieser Thematik mit Nachdruck hin (https://www.diw.de/de/diw_01.c.761953.de/publikationen/diw_aktuell/2020_0035/akzeptanz_der_einschraenkenden_corona-massnahmen_bleibt_trotz_lockerungen_hoch.html).

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