Kostenwahrheit statt Kostenscheinwahrheit in der Klimapolitik

Nach dem Corona-Notstand dürften bald Forderungen zur Ausrufung eines erneuten „Klimanotstands“ drohen. An ehrgeizigen Klimazielen mangelt es der Politik nicht. So soll die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden, was weltweit – nicht nur in Deutschland oder Europa – eine massive Reduktion der Klimagase nötig machen würde. Nur: Die tatsächlichen Emissionen steigen. Was sind die Kosten höherer Temperaturen und warum herrscht nicht schon lange Kostenwahrheit?

Kosten hoher Temperaturen

Die Armut der Welt konzentriert sich tendenziell in heißen, tropischen Ländern. Reichtum ist eher in Industriestaaten zu finden, deren Durchschnittstemperatur oft etwas kühler ausfällt. Und nun?

Die anhaltende Armut, die mangelnde Gesundheitsversorgung, das schwache staatliche Sozialsystem und der resultierende Migrationsdruck in vielen afrikanischen und auch südamerikanischen Ländern hat vorwiegend politische und historische Wurzeln. Dort, wo wirtschaftliche Reformen durchgeführt wurden, wie beispielsweise in Südostasien, nahm Wachstum schnell an Fahrt auf und die Lebensbedingungen der Bürger verbesserten sich. Dank wirtschaftlicher Reformen nähern sich viele dieser Staaten den westlichen Industrieländern an. Sie haben das geschafft, obwohl sie oft ein tropisches, heißes Klima haben.

Ähnliches gilt aus historischer Perspektive für die heutigen Industriestaaten. Zwar hat sich seit der vorindustriellen Zeit die globale Mitteltemperatur um etwa 1,0 Grad erhöht und in Deutschland um fast doppelt so viel. Trotz dieses Temperaturanstiegs würde nahezu niemand ernsthaft behaupten, dass Deutschland bedeutend reicher und die Lebensqualität dementsprechend höher wäre, wenn die Temperatur seit der industriellen Revolution konstant geblieben wäre. Potenziell negative Effekte der vergangenen Temperaturerhöhung erscheinen im Vergleich zu anderen Veränderungen der letzten 150 Jahre nicht sehr relevant. Im direkten Vergleich zwischen Deutschland und beispielsweise Norwegen käme vermutlich auch niemand auf die Idee zu behaupten, Deutschland wäre bedeutend erfolgreicher als Norwegen, wenn es denn nur hierzulande so kühl wäre wie dort. Klima ist nicht Schicksal!

Der Klimawandel hat Kosten

Trotzdem können weitere Klimaveränderungen zu relevanten Nettokosten führen. So dürfte der menschliche gemachte Klimawandel nach den zusammengetragenen Erkenntnissen und Modellen des Weltklimarates der Vereinten Nationen den ansonsten erreichbaren Wohlstand zum Ende des 21. Jahrhunderts etwas schmälern. Die zu erwarteten Kosten des Klimawandels übersteigen also die zu erwartenden Nutzen höherer Temperaturen. Bekanntlich unterliegen Modellrechnungen bereits für die nahe aber insbesondere die ferne Zukunft zahlreichen Unsicherheiten, die sich positiv oder negativ auswirken können. Bei anhaltendem technischen Fortschritt geht kein ernsthaftes Szenario davon aus, dass zukünftige Generationen aufgrund des Klimawandels ärmer wären als die heutige. Andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen dürften den erreichbaren Wohlstand der nächsten Jahrzehnte deutlich mehr prägen als die Nettoeffekte des Klimawandels.

Klar ist, dass ein gewisses Maß an Klimaschutz wichtig ist. Dabei gilt es, den Menschen mit all seinen Facetten in den Mittelpunkt zu stellen. Neben Klimaschutz gibt es weitere Ziele. Dazu gehören etwa das Ende von Armut und Hunger in der Welt, die Reduktion der Gefahr zukünftiger Pandemien, gute Arbeitsbedingungen oder die Verhinderung von kriegerischen Konflikten. Viele dieser Ziele benötigen für ihre Erreichung substanzielle Mittel. Wer den Klimaschutz über alles stellt, tut dies auf Kosten anderer, wichtiger Ziele und so zum Schaden vieler Menschen insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern. Daher braucht es gesundes Maß an Klimaschutz.

Mit Kostenwahrheit zu gesunder Klimapolitik

Um die Klimaprobleme in den Griff zu bekommen, vertreten Ökonomen zumeist den Ansatz der Kostenwahrheit. CO2-Emissionen sollen bepreist werden, sodass den Emittenten die von ihnen an Dritten verursachten Klimakosten angelastet werden. Kostenwahrheit setzt also auf eine freiheitliche und quasi marktwirtschaftliche Strategie zur Lösung möglicher Probleme des Klimawandels.

Kostenwahrheit in der Klimapolitik fordern viele, so William Nordhaus, der für seine Arbeiten den Nobelpreis erhielt, eine Gruppe von über 3500 amerikanischen Ökonomen mit 27 Nobelpreisträgern im „Economists‘ Statement on Carbon Dividends“ und der Internationale Währungsfonds.

Die ökonomische Sichtweise scheint sich langsam durchzusetzen. Mittlerweile gilt Kostenwahrheit vornehmlich auch in der Politik als gute Lösung. In den Strategien zur Erreichung der Emissionsziele gemäß Pariser Vertrag spielen handelbare Emissionszertifikate eine zentrale Rolle.

Kostenscheinwahrheit wird politisch geliefert

Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass sich Kostenwahrheit nur scheinbar als Denkansatz im politischen Prozess durchgesetzt hat.  Regierungen und Parlamente geben sich zwar teilweise begeistert. Aber die Bürger sind zurückhaltend, wenn sie denn überhaupt gefragt werden.

So fand in der Schweiz im Juni 2021 eine Volksabstimmung über ein neues CO2-Gesetz statt, das eine Erhöhung des Höchstsatzes für die CO2-Abgabe von 120 bis 200 Franken pro Tonne CO2 vorsah. Regierung, Parlament und fast alle Parteien traten mit großer Mehrheit für das Gesetz ein. Doch die Bürger lehnten es ab. Zeigt das, dass die Bürger Kostenwahrheit nicht wollen? Keineswegs! Vielmehr zeigt ein genauerer Blick, wie wenig die heutigen politischen Maßnahmen, die vorgeben Kostenwahrheit anzuvisieren, dem echten ökonomischen Konzept der Kostenwahrheit entsprechen. Die Politik liefert „Kostenscheinwahrheit“ und nutzt die moralische Empörung über den Klimawandel zur Erreichung anderer Ziele.

Richtig angewendet folgt aus der Anwendung des Konzepts der Kostenwahrheit zweierlei: (1) Die bisherigen Verbote, Gebote, Regulierungen und Subventionen zur Bekämpfung des Klimawandels verlieren weitgehend ihren Sinn und Zweck und gehören deshalb reduziert oder ganz abgeschafft. (2) Die Internalisierung der Kosten von CO2-Emissionen mit Preisen setzt die relevanten Anreize zum Klimaschutz und zur technologischen Entwicklung, weshalb die erzielten Einnahmen keinen spezifischen Zweck haben und den Bürgern vollständig zurückgegeben werden müssen. Die heutigen Maßnahmenpakete verlangen aber das Gegenteil: Trotz Bepreisung sollen Regulierungen ausgebaut werden und (scheinbar) klimafreundliche Handlungsalternativen sollen weiter subventioniert werden. Damit wird weder dem Klima gedient und schon gar nicht den Bürgern. Kostenwahrheit wird so zu Kostenscheinwahrheit, die Klientelpolitik und massive Umverteilung ermöglicht.

Echte Kostenwahrheit bringt mehr

Dabei wäre echte Kostenwahrheit noch vorteilhafter ist, als gemeinhin vermutet. Denn Kostenwahrheit veranlasst nicht nur Firmen und Individuen, die Konsequenzen ihrer Emissionen auf die Umwelt zu berücksichtigen. Sie zwingt auch die politischen Entscheidungsträger, die externen Kosten des Klimawandels genauer zu erheben als bei Gebots- und Verbotslösungen. Und echte Kostenwahrheit weist auf die enormen Kosten von Subventionen hin.

Wird Kostenwahrheit überall angewendet, veranlasst sie darüber hinaus die Bürger und Interessengruppen, die Kosten ihrer politischen Forderungen besser zu berücksichtigen. Damit bringt sie nicht nur optimales wirtschaftliches Handeln, sondern einen wahrhaftigeren politischen Diskurs. Das würde Nachhaltigkeit in ihren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Dimensionen fördern und wäre damit weit umfassender als die derzeitige Klimapolitik.

Eine Antwort auf „Kostenwahrheit statt Kostenscheinwahrheit in der Klimapolitik“

  1. Der Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit, auf den das Verfassungsgericht Wert legt, fehlt mir.

    Die Kosten werden künftigen Generationen auferlegt, also müsste eine Entschädigung an diese ausbezahlt werden. Der einzige Weg dazu führt über Wirtschaftswachstum. Wenn Klimaschutz das Wachstum bremst, kann man also beides gegeneinander ausspielen.

    Selbst mit Klimaschäden werden die Menschen 2100 gut vier Mal so reich sein wie heute:
    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0040162520304157
    Wenn – wie bei der Steuerprogression – starke Schultern mehr tragen müssen, dann haben künftige Generationen vielleicht gar keinen Anspruch auf Entschädigung bzw. die Entschädigung wird von einer anderen Art von Generationengerechtigkeit wieder aufgefressen.

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