Die Stabilität des Euro hängt nicht von der Zahlungsfähigkeit Griechenlands ab

Finanzminister Schäuble lässt sich nicht beirren. Wie schon 1990, als er gegen den Rat fast aller Ökonomen als Verhandlungsführer für die deutsche Währungsvereinigung den verhängnisvollen Umrechnungskurs von 1:1 aushandelte und verteidigte, so setzt er sich auch heute selbstgewiss darüber hinweg, dass seine Pläne für einen Bail-out Griechenlands von der überwiegenden Mehrheit der Ökonomen abgelehnt werden. (Nach einer kürzlich durchgeführten Befragung kommen auf einen Befürworter mehr als vier Ökonomen, die dagegen sind.) Sind schon die Ökonomen nicht zu überzeugen, so sollen nun zumindest die Bürger und Wähler beeindruckt werden. In- und ausländische Personen des öffentlichen Lebens werden aufgeboten, um das Vorhaben in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Sogar das Parlament wird eingeschaltet, um die Bürgschaft per Gesetz und im Eilverfahren zu legitimieren.

Um die zweifelnden Bürger auf ihre Seite zu ziehen, wechselt die Bundesregierung nun auch die Argumentation. Hieß es am 25. März in der Erklärung der europäischen Staats- und Regierungschefs noch, der verbilligte Kredit sei „als Ultima Ratio zu betrachten, was insbesondere bedeutet, dass die Finanzierung über den Markt nicht ausreicht“, so wird heute bereits ein Paket geschnürt, obwohl Griechenland seine neuen Emissionen bisher stets am Markt hat unterbringen können. Hieß es ursprünglich, man müsste ein Wiederaufflammen der Finanzkrise verhindern und den notleidenden Griechen helfen, so warnt Finanzminister Schäuble nun, ohne einen deutschen Beitrag zur Finanzierung des griechischen Haushalts sei die Stabilität des Euro in Gefahr. Das zieht bei den Deutschen, denkt er – aber ist es wahr?

Die Stabilität einer Währung hängt von Geldangebot und Geldnachfrage ab, denn das Preisniveau wird längerfristig im Geldmarkt determiniert. Die Geldnachfrage wird in erster Linie vom Einkommen, Vermögen und Zins bestimmt. Wie würde sich die Geldnachfrage nach Euros verändern, wenn Griechenland seine fällig werdenden Staatsanleihen nicht tilgen könnte, sondern umschulden müsste, also die Laufzeit seiner Verbindlichkeiten im Einvernehmen mit den Gläubigern verlängern würde?

Der Kurs der Anleihen würde fallen, so dass die Besitzer der Anleihen Vermögensverluste erleiden würden. Soweit die Anleihen im Besitz von Banken sind, müssten diese Banken Abschreibungen vornehmen. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die eine oder andere Bank – wie in der Vergangenheit – vom Staat gestützt werden müsste.

Wenn die anderen Euro-Staaten Griechenland stattdessen – trotz des Bail-out-Verbots von Art. 125 AEUV – genug verbilligte Kredite oder Bürgschaften gewähren, bleibt Griechenland die Umschuldung und seinen Gläubigern der Vermögensverlust erspart. Aber das Gesamtvermögen in der Eurozone, von dem die Geldnachfrage nach Euros abhängt, ist deshalb nicht geringer. Denn solche Kredite oder Bürgschaften können das Vermögen nur anders verteilen: weg von den Steuerzahlern der anderen Euro-Staaten und hin zu den Gläubigern und den Bürgern Griechenlands. Ein nennenswerter Vermögenseffekt auf die Eurogeldnachfrage ist davon nicht zu erwarten.

Etwas anders stellt sich die Lage dar, soweit der griechische Schuldendienst nicht von den anderen Euroländern, sondern vom Internationalen Währungsfonds finanziert wird (obwohl der Fonds gemäß Art. V Abs. 3 b.ii seiner Statuten – der „Articles of Agreement“ – seine verbilligten Kredite gar nicht zur Haushaltsfinanzierung, sondern nur zur Finanzierung von Devisenmarktinterventionen vergeben darf). Wenn sich über den IWF auch Nicht-Eurostaaten – also vor allem die USA – an der Finanzierung beteiligen, wird Vermögen in den Euroraum transferiert, so dass die Geldnachfrage nach Euros steigt, der Preisanstieg gedämpft wird und der Euro aufwertet. Diese Effekte wären jedoch äußerst gering.

Würde eine griechische Umschuldung einen negativen Einkommenseffekt auslösen, der die Eurogeldnachfrage verringert und den Preisanstieg verstärkt? Anscheinend befürchtet Minister Schäuble, dass eine Umschuldung noch einmal eine Panik und Rezession in Deutschland und Europa auslösen würde. Damit ist jedoch nicht zu rechnen. Wenn es anders wäre, würden sich wohl kaum die allermeisten Ökonomen – die, die die zukünftige Wirtschaftsentwicklung am ehesten einschätzen können – gegen seine Bail-out-Pläne wenden.

Die Umschuldung ausländischer Staatsschulden ist keine Seltenheit. Es gibt dafür sogar seit 1976 ein geregeltes Verfahren – beim Londoner Club, einem Zusammenschluss von rund 1000 Banken. Meist verhandelt ein Ausschuss der 15-20 wichtigsten Gläubigerbanken mit der Schuldnerregierung. Meist werden nicht die Zinszahlungen, sondern nur die Rückzahlungen gestundet. Die Umschuldungen Russlands (1998) und Argentiniens (2002) zum Beispiel wurden so ausgehandelt. Zu einer Panik kam es deshalb nicht. Griechenland hat in seiner Geschichte – schon vor der Gründung des Londoner Clubs – fünfmal umgeschuldet.

Kein Zweifel, die Banken sind durch die Finanzkrise geschwächt, auch wenn einige schon wieder erhebliche Gewinne machen. Es ist nicht auszuschließen, dass die eine oder andere durch die umschuldungsbedingten Abschreibungen in Schwierigkeiten geraten könnte. Genannt wird wieder einmal die Hypo Real. In der Folge der Krise sind jedoch auch starke Institutionen geschaffen worden, die solche Problembanken stützen können. Schäubles Angstkampagne zeugt nicht von Sachverstand.

Würde die griechische Umschuldung Zinseffekte auslösen, die sich negativ auf die Eurogeldnachfrage auswirken könnten? Wenn die Kurse der griechischen Staatsanleihen fallen, steigen ihre Renditen, d.h. die Zinsen. Im Lehrbuch lernt man, dass ein Zinsanstieg die Geldnachfrage vermindert. Das gilt aber nicht, wenn er lediglich auf einen Anstieg der Risikoprämien zurückzuführen ist.

Der Zins soll in der Geldnachfragefunktion die Opportunitätskosten der Geldhaltung relativ zu marktgerecht verzinslichen Wertpapieren erfassen. Dabei wird unterstellt, dass die Aktiva – Geld und Wertpapiere – entweder risikolos sind oder das gleiche Risiko aufweisen. Wenn aber – wie im Fall einer griechischen Umschuldung – der Wertpapierzins lediglich risikobedingt steigt, während das Risiko der Geldhaltung unverändert bleibt, erhöht der Zinsanstieg nicht die Opportunitätskosten der Geldhaltung, und die Geldnachfrage bleibt stabil.

Da eine griechische Umschuldung die Eurogeldnachfrage weder über das Vermögen noch das Einkommen noch den Zins in nennenswertem Umfang verändern würde, könnte sie die Stabilität des Euro nicht gefährden. Im übrigen gilt: jede Veränderung der Geldnachfrage kann von der Europäischen Zentralbank (EZB) durch eine entsprechende Anpassung des Geldangebots so kompensiert werden, dass der Euro stabil bleibt. Dazu ist die EZB sogar durch ihre Satzung verpflichtet.

Wenn die Bundesregierung erklärt, sie müsse zur griechischen Haushaltsfinanzierung beitragen, weil die Stabilität des Euro in Gefahr sei, so führt sie die Deutschen in die Irre. Gefährdet ist nicht die Stabilität des Euro, sondern – möglicherweise – die Stabilität einzelner Banken. Wenn man diese Banken stützen will, so ist es jedoch ineffizient, dies durch staatlich garantierte Kredite an einen ihrer vielen Schuldner – Griechenland – zu tun. Denn diese Subventionen kommen nicht nur den Problembanken, sondern allen Besitzern griechischer Staatsanleihen zugute. Eine zielgenaue Therapie muss direkt beim Problem – bei der einzelnen stützungsbedürftigen Bank – ansetzen. Das ist auch sehr viel billiger als der wiederholte Schuss mit der Schrotflinte.

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