Der Staat versagt, nicht der Kapitalismus

Wirtschafts-, vor allem aber Finanzkrisen werden in der Öffentlichkeit meist dem Versagen des Kapitalismus – also dem Wirtschaftssystem, das auf der uneingeschränkten Achtung der Eigentumsrechte der Markakteure ruht – zugeschrieben. Die freien Märkte funktionieren nicht, so ist angesichts von Rezession und Arbeitslosigkeit zu hören, und in der Öffentlichkeit werden Rufe laut, der Staat müsse in das Marktgeschehen eingreifen, um Schlimmeres abzuwenden und für Besserung zu sorgen.

Indem aber der Kapitalismus zum Sündenbock gestempelt und in staatlichen Markteingriffen der Ausweg aus der Misere erblickt wird, lassen sich die Gesellschaften auf den unheilvollen Pfad des Interventionismus ein. Der Interventionismus will das Prinzip des Privateigentums zwar nicht abschaffen, jedoch will er das Handeln der Eigentümer der Produktionsmittel durch fallweise erlassene Gebote und Verbote beeinflussen und regulieren, um so politisch wünschenswerte Ziele zu erreichen.

Der Interventionismus zwingt die Akteure folglich etwas zu tun, was sie aus wohlverstandenem Eigeninteresse freiwillig nicht tun würden. Das Eingreifen des Staates in das Marktgeschehen mag zwar hier und da einen vermeintlichen Übelstand erfolgreich beheben. Allerdings provoziert der Interventionismus Fehlanreize, die zu neuen Missständen führen, und die dann neue Interventionen auslösen.

Eine schädliche Interventionsspirale kommt so in Gang. Und dies nicht nur, weil er die Wirtschaftsabläufe zusehends stört, sondern vor allem auch deshalb, weil der Interventionismus viele heimliche Freunde hat, die in ihm ein geeignetes Instrument sehen, das sich hervorragend zur Durchsetzung eigener Belange auf Kosten Dritter nutzen lässt.

So stärkt der Interventionismus die Macht der Regierungen und ihrer Bürokraten: Sie werden erhoben zum Gebieter, der entscheidet, wem gegeben und wem genommen wird. Aber auch private Interessengruppen machen sich für den Interventionismus stark: Industrien fordern Subventionen, Gewerkschaften verlangen nach neuen Schutzvorschriften für Arbeitnehmer. Und nicht zuletzt wird die antikapitalistische Mentalität der Massen bedient, wenn der Staat sich aufschwingt, den freien Marktkräften Paroli zu bieten.

Der Interventionismus wird häufig als „dritter Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus angepriesen, der die wünschenswerten Elemente beider Systeme integriert, dabei jedoch ihre unerwünschten Elemente ausschaltet. Ein trügerisches Bild, denn der Interventionismus ist kein gangbarer dritter Weg: Die immer weitere Kreise ziehenden Übelstände, die der Interventionismus verursacht, machen früher oder später die gesellschaftliche Entscheidung unumgänglich, entweder zum Kapitalismus zurückzukehren oder aber unaufhaltsam in die Staats- oder Befehlswirtschaft und damit letztlich in den Sozialismus zu driften.

Zwar ist es nicht mehr das allgemein verfolgte Ziel, den Sozialismus zu errichten. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass die Schäden, die der Interventionismus anrichtet, letztlich nicht doch unentrinnbar die Weichen in Richtung Sozialismus stellen. In diesem Sinne könnten sich die Ursachendiagnose und die daraus abgeleiteten Lehren der internationalen Kreditkrise als ganz entscheidende Weichenstellungen für die künftigen Gesellschaftsordnungen erweisen.

Denn wieder einmal macht die antiliberale Agitation – und vielleicht auch eine gehörige Portion Unkenntnis – den Kapitalismus verantwortlich für den Quasi-Kollaps des Kredit- und Geldsystems. Eine gänzlich falsche Diagnose, denn schließlich ist das herrschende Kredit- und Geldsystem durch und durch staatlich beherrscht und gelenkt: Es sind die staatlichen Zentralbanken, die das Monopol über die Geldmenge halten, und sie allein bestimmen, wie viel Geld zu welchem Zins in Umlauf gebracht wird.

Und nicht nur das: Der Finanzsektor ist mit staatlichen Regulierungen durchzogen, und sie bestimmen maßgeblich das Geschäftsgebaren der Handelnden. So schreiben etwa staatliche Regelungen den Geschäftsbanken die Höhe des erforderlichen Eigenkapitalpolsters vor, und sie bestimmen zudem auch die Kredit- und Liquiditätsrisiken, die Banken eingehen dürften. Und: Staatliche Aufsichtsbehörden überwachen die Einhaltung all dieser Regelungen und Auflagen.

Eine Kernursache der internationalen Kreditkrise ist jedoch letztlich in den staatlichen Geldpolitiken zu erblicken. Im Zuge einer chronischen Niedrigzinspolitik in den vergangenen Jahren haben die Zentralbanken für ein gewaltiges Auftürmen von Kredit- und Geldmengen gesorgt. Vage Anzeichen einer nahenden „Bereinigungsrezession“ haben sie mit noch mehr Kredit und Geld und noch niedrigeren Zinsen „bekämpft“.

Im Zeitablauf wurde so eine gewaltige Kreditpyramide aufgebaut, die mittlerweile die Züge einer allgemeinen Überschuldungssituation angenommen hat. Kreditgeber haben die wachsende Sorge, dass Schuldner ihre Verbindlichkeiten nicht mehr wie versprochen bedienen können: Sie wollen fällige Kredite nicht mehr, oder wenn, dann nur zu deutlich höheren Zinsen erneuern. Gleichzeitig sind (Dauer-)Schuldner nicht in der Lage, fällig werdende Kredite zu tilgen oder höhere Zinsen auf ihre Schulden zu zahlen.

Die Schäden, die der Interventionismus im Kredit- und Geldsystem heraufbeschwört, provozieren nun immer drastischere Interventionen. Die Regierungen versuchen mit einer bisher einzigartigen Umverteilung, den Geschäftsbankensektor vor dem Kollaps zu bewahren. Sie sprechen Garantieren für die Verbindlichkeiten der Geschäftsbanken aus, wollen deren faule Kredite „zwischenfinanzieren“ und stellen Geschäftsbanken aus Steuergeldern finanzierte Eigenkapitalspritzen zur Verfügung. Die resultierenden finanziellen Lasten dürften die Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft der Steuerzahler wohl überfordern.

Ob aus gutem Glauben, Mangel an Alternativen oder purer Verzweiflung: Die Zentralbanken versuchen mit noch mehr Kredit und Geld und noch niedrigeren Zinsen die Krise abzuwenden, die sie mit zuviel Kredit und Geld, bereitgestellt mit zu niedrigen Zinsen, heraufbeschworen haben. International agieren sie dabei im Gleichschritt: Alle großen Geldangebotsmonopole sind dabei, den Kurzfristzins auf null Prozent zu senken.

Der „aufrichtige“ Weg zur Entschärfung der Lage wäre das Zurückzahlen der Kredite, wie vertraglich vereinbart. Das aber würde absehbar zu Rezession, Arbeitslosigkeit, Bankenpleiten, einem Schrumpfen des Kredit- und Geldmengenangebots und Deflation führen. Denn ein Zurückzahlen der Bankkredite würde, im herrschenden Papiergeldsystem, zu einer Verminderung der Geldmenge führen. Sinkt die Geldmenge, dann werden unweigerlich auch die Preise der Konsum- und Vermögensgüter (Aktien, Grundstücke, Häuser etc.) fallen.

Deflation würde nicht nur verschuldeten Konsumenten und Unternehmen arg zusetzen, sondern vermutlich auch eine Reihe von Staaten in die Pleite treiben. Bei einer Deflation – d. h. einem schrumpfenden Kredit- und Geldmengenangebot – wären Regierungen vermutlich nicht mehr in der Lage, ihre auf Pump finanzierte Existenz fortzuführen. Die laufende Generation der Steuerzahler wäre wohl weder bereit noch in der Lage, die laufenden Staatsausgaben aus eigener Tasche zu zahlen.

Weil aber Deflation allgemein als „schädlicher“ angesehen wird als Inflation, ist wahrscheinlich, dass die Regierungs- und Geldpolitiken im Zweifel auf eine Inflationspolitik einschwenken, um der Deflation „vorzubeugen“. Im Papiergeldstandard ist Inflation jederzeit möglich: Die Zentralbanken können die Geldmenge beliebig ausdehnen, entweder durch Kreditvergabe an die Geschäftsbanken oder aber, sollten die Geschäftsbanken nicht mitspielen, durch direkte Kreditvergabe an Private und Staaten.

Dass es der Geldpolitik gelingen wird, eine Deflation abzuwehren, ohne dass dadurch Inflation gesät wird, erscheint unwahrscheinlich. Denn schon ein Abflachen der bisherigen Inflation (d. h. ein Abschwächen der Kredit- und Geldmengenexpansion) wird die Konjunkturen, deren Produktionsstrukturen sich ausgerichtet haben an einer Dekade währenden, immer weiter anwachsenden Kredit- und Geldmengenexpansion, unweigerlich in die Rezession abgleiten lassen.

Doch wohin die Kreditkrise letztlich auch führen mag – in die Deflation oder Inflation –, in beiden Szenarien würden die Papiergeldersparnisse der Bürger an Wert verlieren. Im Falle der Deflation werden Bankeinlagen und –schuldverschreibungen ausfallen, weil die Schuldner ihre Verbindlichkeiten nicht mehr wie versprochen bedienen können. Im Falle der Inflation verlieren die Zahlungsansprüche der Geldanleger an Kaufkraft.

Der Schaden, der mit dem staatlich kontrollierten Papiergeldsystem angerichtet wurde, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Ein Ausweiten der Staatsverschuldung zur Unterstützung der Konjunkturen und des Bankensektors verschiebt lediglich die zu begleichenden offenen Rechnungen von der laufenden auf die künftige Generation. Allerspätestens sie wird mit der Katastrophe konfrontiert sein, der man jetzt mit allen Mitteln zu entgehen versucht. Und nicht etwa der Kapitalismus wird ihr dieses Unheil bringen, sondern der Interventionismus.

Thorsten Polleit
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14 Antworten auf „Der Staat versagt, nicht der Kapitalismus“

  1. Stimmt. Die Auswirkungend des Intervenismus kann man doch sehen. Zig Millonen Arbeitslose, Hartz IV (was man wohl als nur von der Bürokratie ersonnen Unfung nennen dürfte aber nicht darf). Nominale Steuersätze von > 50 %, Doppelbesteuerung von Kapitalgesellschaften. Subventionen, über Lebensmittel, Strom, Biogas oder auch nicht, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung. Einfache Lösung wäre
    1) Bürgergeld (davon muß jeder seine Kosten bestreiten, es entfallen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung)
    2) Breite Steuerbasis mit 25 % Steuersatz
    3) Verbot der Schuldenaufnahme des Staates.
    4) Abschaffung der Mindestreserveregeln (man kann halt nur das verleihen, was man hat. Nicht für jeden Euro den man verleiht nur 10 oder noch weniger Cent an „eigenem“ Geld.)
    5) Abschaffung aller Subventionen (solange nicht Verträge dem entgegenstehen)

    Speziell für den letzten Fall sollte man ruhig mal einen Blick auf den „Kieler Subventionsbericht (Nr 452/453) werfen.

    Im Augenblick sehen wir alles andere als wirtschaftlich fundierte politische Arbeit. Ohne Übertreibung darf man wohl sagen. „Populismus bei der Arbeit“. Viel schlimmer mit jeder Milliarde mehr wird der Crash schlimmer werden, aber dann werden wir ja nur hören es ist nicht unsere Schuld. Es ist 100 % die Schuld einer verfehlten Politik des „leichten“ Geldes. Und mit den Aktionen will man von diesem Fehler ablenken.

    Politiker die seit 40 Jahren nicht mit Ihrem Geld hinkommen, wollen denjenigen die 40 Jahre massiv Geld verdient haben sagen wie sie es mit dem Geld „anstellen“ sollen. Wenn es nicht so traurig wäre könnte man sich bei einer solchen Ironie totlachen….

  2. Danke für die Analyse, eine die in den meisten Medien leider oft nicht beachtet wird. Jetzt können sich die Politiker mit neuen Krediten und Ausgaben als vermeintliche Retter feiern lassen und das Spiel fängt wieder an.

  3. Null Prozent Zinsen: Wer Geld verleiht – Geld nimmt dabei den Charakter einer Ware an – muß dafür eine Gegenleistung erwarten dürfen. Wozu sollte er sonst Ausfallrisiko und die Arbeit des Verleihens auf sich nehmen? Zinsen sind nichts Böses oder gar Unmoralisches. Man kann alles und jedes mißbrauchen, vom Messer über den Sprengstoff bis zur Liebe.

    Deflation: Mir scheint, daß Deflation die „gerechtere“ Lösung wäre, denn sie schont die Sparer – nicht die auf Pump lebenden Schuldner. Damit sei kein Werturteil gesprochen über Schuldner. Schulden können auch ohne individuelles Fehlverhalten entstehen. Das ist tragisch und eher die Ausnahme als die Regel. Trotz dieser Teilungerechtigkeiten wäre Deflation meines Erachtens für das arbeitende und sparende Volk günstiger, während es das Golgatha der Spekulanten und Schmarotzer sein könnte.
    Vermögensverlust durch Inflation bringt millionenfaches Leid.
    Falls ich irre – bitte um Korrektur!

  4. Tatsächlich ist unsere Art zu wirtschaften und den Profit maximieren zu müssen, langfristig nicht aufrechtzuerhalten (wie Kenneth Boulding schon schrieb: „Wer in einer begrenzten Welt an unbegrenztes Wachstum glaubt, ist entweder ein Idiot – oder ein Ökonom.“), von daher kann man kaum behaupten, dass „der Kapitalismus“ nicht versagen würde… Dass der Staat sich auch nicht viel besser anstellt, wird wohl stimmen, allerdings darf man nicht vergessen, dass vieles von dem, was die Politiker so anregen, auf Drängen von Wirtschaftslobbys geschieht. Eine Trennung der Sphäre der Politik von der der Wirtschaft, auch bei einer Betrachtung über die Gründe der aktuellen Krise, ist unrealistisch bzw. falsch. Diese beiden Bereiche sind ineinander verwoben und miteinander verwachsen.

    Siehe „Wie unser Wirtschaftssystem unsere Erde tötet“ (aus dem NewScientist, also keinem linken Agitationsmagazin):

    http://www.newscientist.com/article/mg20026786.000?promcode=nletter&DCMP=NLC-nletter&nsref=mg20026786.000

  5. Es gibt mit Sicherheit kein „unbegrenztes“ Wachstum. Nur muß man immer sehen das Geschäfte in Gang kommen, wachsen und dann „zu Ende gehen“. Nur muß man sie eben auch „lassen“. Im Augenblick wird versucht ein „zu Ende gehen“ zu vermeiden. Die Konsequenzen werden aber damit noch härter werden. Ich finde Karin hat recht im Augenblick wäre Deflation gut um den Schuldnern mal auf die Finger zu schlagen. Zu Ihrem Töten kann ich nur festhalten, solange es „freie“ wert gibt die nicht der Kalkulation unterliegen kann ich da keine Besserung sehen. Wem gehört der Fisch in den Meeren? Besteht eine Gefahr für Kühe (hier bei uns) wohl kaum, weil Kühe jemanden gehören…

    Was mich immer massiv stört ist, diese Schreien „der Weltuntergang ist nah“ wenn nicht alle Freiheiten irgendeinem Diktator unterworfen werden.

    Eine Trennung der Sphären? Witzig, sowas von unbedarft wie unsere Politiker sind, ist die Trennung ja schon da

  6. Pingback: Sündenbock für Finanzkrise gesucht « Verlorene Generation
  7. Guten Tag Herr Polleit,

    möchte Ihnen in Ihrer Analyse, dass der Interventionismus – oder gar Sozialismus – keine Lösung ist uneingeschränkt zustimmen. Ich bin immer wieder aufs Neue froh, dass diese Gesellschaftsform bereits „ausprobiert“ wurde (…auf Kosten von vielen Millionen Menschen), denn ansonsten fürchte ich würden wir diese jetzt „testen“ müssen. Soweit so gut (oder schlecht).
    Ihr Pochen auf den liberalen Kapitalismus – bei entsprechender Geringschätzung des Staates – kann ich jedoch nicht nachvollziehen. Wie sie vollkommen zu recht schreiben ist der Kapitalismus das „Wirtschaftssystem, das auf der uneingeschränkten Achtung der Eigentumsrechte der Markakteure ruht“. Fakt: Eigentumsrechte ohne Staat gibt es nicht. Selbst Anarchokapitalisten müssen zugeben, dass es präpolitisches Eigentum – also Eigentum ohne einen die Eigentumsrechte garantierenden Machtmonopolisten – nicht gibt. Nirgendwo beobachtbar. Historisch ist völlig unstrittig: erst der Staat, dann das Eigentum.
    Nun haben wir bei Eigentum folgende Eigenschaft: wenn es A hat, kann es B nicht haben, oder anders: Eigentum ist ein Exklusivrecht. Das bedeutet aber, dass es bei wachsendem Eigentum (bspw. eine positive „Eigenkapital-Rendite“) des einen („Gewinner“) ein schrumpfendes Eigentum eines anderen („Verlierer“) geben muss, ES SEI DENN die GESAMTSUMME des verfügbaren Eigentums wächst ebenfalls mit der Rate der Umverteilung UND das neu hinzukommende Eigentum geht grundsätzlich an die „Verlierer“. Es stellen sich dabei automatisch folgende Fragen:
    1. Kann die Summe des Gesamteigentums dauerhaft wachsen? Wenn ja, mit welchen Folgen ist dies verbunden? Sind diese Folgen dauerhaft tragbar? (Nachhaltigkeit) –> siehe auch Post weiter oben von Peter.
    2. Wird neu hinzugewonnenes Eigentum immer Eigentum der Verlierer? Wenn ja, siehe 1. Wenn nein –> sog. „Schere“ zwischen Arm und Reich geht auseinander, mit Folgen sozialer Spannungen etc.

    Besonders 2. ist interessant: der Realitätscheck zeigt ganz eindeutig, dass die vielzitierte Schere zwischen Arm und Reich tatsächlich auseinander geht. Das heißt nichts anderes als dass Eigentumsrechte von Arm („Verlierer“) zu Reich („Gewinner“) wandern. Dies stelle ich hier völlig wertfrei fest – ich halte von sozialistischer Umverteilung (hohe Einkommensteuer, Reichensteuer, Vermögensteuer etc.) überhaupt nichts, aber wir sollten bei aller Diskussion die Realität nicht völlig außer Acht lassen. Diese beobachtbare Entwicklung hat jedoch zur Folge, dass die (wie auch immer geartete) Garantie des Eigentums ganz besonders ausgeprägt sein muss. Oder anders: Extreme Unterschiede zwischen Arm und Reich sind nur durch extreme Maßnahmen zur Sicherung dieser Unterschiede haltbar (in extremis: „gated communities“ u.ä.) – siehe auch: „Entropie“. Und da brauchen wir ihn dann wieder, den Staat. [Es sei denn man möchte, dass das Machtmonopol – beispielsweise in den gated communities – de facto an private Sicherheitsfirmen übergeht. Fraglich inwiefern dies zur herrschenden Staatsrechtslehre passt.]

    Zusammenfassend: Kapitalismus ohne Staat gibt es nicht. Tatsächlich ist der Kapitalismus ein direkter Abkömmling des Staates, da der Kapitalismus auf Eigentumsrechte angewiesen ist, die ausschließlich ein durch ’social contract‘ geschaffener Machtmonopolist („Staat“) zu garantieren im Stande ist. Paradoxerweise strebt der Kapitalismus durch das ihm inhärente Wesensprinzip der Umverteilung von Arm zu Reich in Richtung einer Situation, die einen immer stärkeren Staat erfordert.

    Ist deshalb der ‚totale Staat‘ (= Interventionismus bis hin zu Sozialismus) die Lösung? Nein. Meiner Ansicht nach werden wir mehr und mehr gezwungen völlig neue Blickwinkel in Betracht zu ziehen. Denken außerhalb der Box ist angesagt! Und was ist die Box? Links/Rechts, Schwarz/Weiß, Kapitalismus/Sozialismus, usw. usf.

    Es werden zukünftig Dinge diskutiert werden (müssen), welche wir dachten längst hinter uns gelassen zu haben. Nicht zuletzt die Jubeljahre waren es, die in der menschlichen Geschichte immer wieder für einen ‚Reset‘ der Eigentumsverhältnisse und damit für einen Abbau sozialer Spannungen gesorgt haben. Vielleicht finden wir zukünftig einen noch eleganteren Weg dazu – womit wir wieder beim Denken außerhalb der Box angekommen sind, welches sogar erlaubt sich Gesellschaftsformen gänzlich ohne Staat (dann aber auch gänzlich ohne Eigentum und Kapitalismus!) vorzustellen.

    Evolutionäre Grüße!

    BillHicks

  8. @K.Pfeiffer-Stolz
    Warum schlagen Sie nicht den Bogen vom zinsezinsbedingten exponentiellen Geldmengensystem zur zwangsläufig folgenden (Hyper-)Inflation?

    Gehen Sie einen Schritt weiter, verbieten Sie Zins und damit logisch auch den Kredit. Nicht VERLEIHEN ist angesagt, sondern BETEILIGUNG – mit Ertrag/Dividende und Verlust-Risiko (das man streuen und versichern kann).
    Das ganze auch noch steuerfrei auf Dauer (für alle Investitionen und reinvestierten Erträge) – und wir haben ein auf Dauer funktionierendes Geldsystem. Nur wird dann eben Umverteilung von aÁrm nach Reich bzw. von gehortetem Geldwert (der besteuert wird!) zum Sachwert schwieriger, aber auch gerechter!

  9. @ webmax

    Die Zineszinsbegründung für Infaltion, oder die Ausweitung der Geldmenge ist schlicht flasch. Bitte „Mathematical Flaw“ (S.24) des folgenden Links lesen.

    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6a/CRS_FRBSF_Myth_Reality.PDF

    Die Arbeit geht für den US Congress auf die Mythen über die Fed ein und räumt mit den Vorurteilen auf (Fed wird von den Privatbanken gehalten, etc.).
    Der Artikel (wenn auch früher geschrieben als der Film – 1996) kann fast als Antwort auf die ganzen Behauptungen verstanden werden, die im Dunstkreis des Film „Money as Debt“ auftauchen (falls sie die Idee daher haben).

    Fazit: Der ZinsesZins verursacht keine sich immer weiter ausdehnende Geldmenge (und damit Inflation, oder Schufden), aufgrund der Tatsache, dass die Zinsen zurück gezahlt werden müssen, der nötge Betrag aber wieder nur über Kredit (mit Zinsen) gezahlt werden kann, usw.

    Mfg Knut

  10. @knut -schlicht falsch ist hier nur Ihre Aussage.

    Selbstverständlich sorgt allein der Zins für eine Ausweitung der Geldmenge, weil diese nur aus weiterer Kreditvergabe, also Nachschuldnern, entstehen kann. Um dies zu erreichen, wird zuletzt zu unsinnigen und undurchschaubaren Finanzprodukten und Betrug gegriffen.
    Sie sagen es im letzten Absatz ja selbst, ziehen aber leider daraus die falschen Schlüsse.
    Diese – zuletzt enorme – Ausweitung erlaubt ja auch den Profiteuren den beliebigen Tausch von Geld- in Sachwerte und damit von Arm nach Reich.
    Merke: nicht der Kapitalismus ist von Übel, sondern das Geldsystem!

  11. @webmax

    Meine Aussage am Ende verneint ja eine solche Theorie, weil sie falsch ist.
    Aus dem oben aufgeführten Link:

    „This theory starts with the observation that money in the United States (and most other countries) is placed into circulation through the purchase of interest-bearing debt.

    To inject money into the economy, the Fed buys federal securities, thereby acquiring an asset that pays interest.(…)

    This means that for every dollar of money, there is a corresponding dollar of interest-bearing debt. As a consequence of this arrangement, the argument goes, there is only enough money to pay off the principal of existing debt; there can never be enough to pay the interest that accrues on that principal.

    If there is to be enough money to handle interest payments in the economy, the theory continues, more borrowing must occur to generate the extra money. Of course, additional borrowing under this arrangement would mean even more interest that cannot be paid out of the existing money supply.

    Just to keep the money supply constant under the system, according to this line of reasoning, debt must grow by the rate of interest. Since the economy grows over time, debt must grow at even a higher rate. As compounding occurs, the result is an explosive growth of debt. Thus, the argument is, policy must actually encourage households and businesses to take on new debt just to keep the money supply from shrinking.“

    Das ist ja ihre Theorie (bzw. ein eleganter populärer Irrtum im Bezug auf die Fed/ECB) …

    Im Verlauf des Textes wird aufgezeigt, warum das nicht der Fall ist und warum es nicht zu einer Zinse-Inflations-Schulden-Spirale kommt.

    Ich denke, dass das absolut wichtig ist zur Kenntnis zu nehmen, da sie ansonsten die Fehler der Politiker oder in die Probleme in der Wirtschaft, einfach auf das „fehlerhafte“ Geldystem abwälzen können.

    Mfg Knut

  12. Sehr geehrter Prof. Polleit,

    ich glaube so wenig wie sie, dass der Kapitalismus tot, oder das der Sozialismus das bessere Rezept ist, um die Knappheits- aber auch die sozialen Probleme der Wirtschaftssysteme zu lösen. Ich denke, dass der Zerfall der Planwirtschaften Ende des 20. Jh. durchaus als Beispiel herhalten kann, dass die Zentralsteuerung nichts taugt – der Kapitalismus hat zumindest in diesem Punkt den Konkurrenzkampf der Systeme gewonnen, er braucht jedoch eine Runderneuerung im Bezug auf die Kapitalmärkte (Vgl. Rodrik, 2009).

    „Es bleibt das Unbehagen: Börsencrash, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Umweltängste, kein Geld für Bildung, Angst vor der Zukunft, Diskussion über den Wirtschaftsstandort Deutschland usw.“ (Hauser, 1998: 115).

    Ich glaube, wie schon Hauser (1998: 115 f.), dass sich aufgrund des Siegeszugs des Kapitalismus zum Teil die Zielsetzung in der Ökonomie geändert hat – das Pendel ist zu weit in Richtung Laissez-faire & Marktgläubigkeit ausgeschlagen:

    „Seit den Merkantilisten bestand bei ihnen das Ziel der Vorhersage der wirtschaftlichen Entwicklung, und bis zu Keynes galt die Proklamation seines Lehrers Alfred Marshall, das Hauptziel der Ökonomie sei, einen Beitrag zur Lösung der sozialen Probleme zu liefern. Die Vorhersagen beschränken sich heute auf die Welt der Spekulation von Devisen, Wertpapieren und Derivaten. Und von dem Marshallschen Ziel, einen Beitrag zur Losung der sozialen Probleme zu liefern, haben sich die Ökonomen verabschiedet, sie machen ein derartiges Ziel eher lächerlich. Damit gerät das Wirtschaftssystem in ein Rechtfertigungsproblem.“

    Genau diese Änderung in der Zielsetzung hat maßgeblich zu unserem heutigen Problem geführt. Deshalb denke ich auch, dass ihr Ansatz die Ursachen der Krise alleine in der Geldpolitik zu suchen zu kurz greift.

    Richtig ist, dass unter Greenspan nach 2000 die Zinsen zu lange zu niedrig war (einen berühmten Advokaten findet die These natürlich in Taylor (2007), der in einer Reihe von Papieren die nach ihm benannte Taylor-Regel verletzt sieht). Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass eine (drohende) Rezession nicht durch die Geldpolitik bekämpft werden sollte. Wichtig ist nur, dass die Zentralbanken der Welt die Zinsen nach der Krise wieder schnell genug zurückfahren, um das Entstehen von „Folgeblasen“ zu vermeiden.

    Neben der Geldpolitik ist allerdings auch ein schwacher Ordnungsrahmen für die heutige Krise mit verantwortlich:

    „Bei Walter Eucken in seinen Grundlagen der Nationalökonomie steht schon das Wesentliche, wenn er schreibt: »Deshalb besteht eine große Aufgabe darin, dieser neuen industrialisierten (heute wurden wir sagen globalisierten SH.) Wirtschaft mit ihrer weitgreifenden Arbeitsteilung eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung der Wirtschaft (und ganz aktuell des Weltfinanzsystems SH.) zu geben.“ (Hauser, 1998: 122)

    Wenn Sie schreiben: „Der Finanzsektor ist mit staatlichen Regulierungen durchzogen, und sie bestimmen maßgeblich das Geschäftsgebaren der Handelnden.“ Dann ist das durchaus richtig, allerdings sind diese Regulierungen (BASEL II) unter dem starken Druck der Finanzwelt -Lobby entstanden sind (Dabei sollte man vielleicht auch Mancur Olson im Hinterkopf behalten).

    William Buiter (2009) empfiehlt deshalb überspitzt:

    Over-regulate now

    „It is necessary, for political economy reasons, to rush new comprehensive regulation of the financial sector. While it would be better, holding constant the likelihood of the measures being adopted and implemented, not to act in haste, there is now a unique window of opportunity (…) The reason is that the private financial sector is on its uppers – down and out – and will not be able to put together much of a fight, let alone its usual boom-time massive lobbying effort to veto radical measures. It is better to over-regulate now and subsequently correct the mistakes than to risk another era of self-regulation (…)“

    „Aber im Sinne des Voltaireschen Optimismus lassen sich zur Lösung der anstehenden Probleme vielleicht die beiden großen Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Eucken und Hayek zusammenführen, (…) Verbinden wir die Hayeksche Dynamik mit aus Euckenschen Ordnungsvorstellungen heraus entwickelten Rahmenbedingungen, so ergibt sich meiner Ansicht nach ein vernünftiges Wirtschaftssystem.“ (Hauser, 1998: 122)

    Mit freundlichen Grüßen
    Knut

    Buiter, Willem (2009): “Regulating the new financial sector“, verfügbar auf VoxEu.org: http://www.voxeu.org/index.php?q=node/3232

    Hauser, Siegfried (1998): „Ökonomie: Natur-Gier-Optimismus“, Freiburger Universitätsblätter (Heft 142), verfügbar auf: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/42/pdf/42_1.pdf

    Rodrik, Dani (2009): “Coming Soon: Capitalism 3.0“, verfügbar auf Project Syndicate: http://www.project-syndicate.org/commentary/rodrik28

    Taylor (2007): “Housing and Monetary Policy“, NBER Working Paper No. 13682.
    http://www.stanford.edu/~johntayl/Housing%20and%20Monetary%20Policy–Taylor–Jackson%20Hole%202007.pdf

  13. @ webmax

    einer dieser Fehler waren z.B. die von ihnen angesprochenen „unsinnigen und undurchschaubaren Finanzprodukten“ (ob unsinnig sei mal dahin gestellt. Diese Produkte erfühlen ja im Grunde eine sinnvolle Aufgabe – Risikoverminderung). Allerdings ist hier etwa schief gelaufen (nämlich: undurchschaubar).
    Die Ursachen für diese Fehlentwicklungen sind jedoch im Bereich der Informationsasymmetrie (moral hazard, Trennung von Bewertung und Haltung, etc.) zu suchen und nicht im „fehlerhaften“ Papier-Geldsystem.

    Mfg Knut

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