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Leben Totgesagte wirklich länger?
Ein Requiem für den Euro

„Wenn man die gemeinsame Rechnung im Restaurant durch die Anzahl der Speisenden teilt, dann bestellt jeder Hummer und Rinderfilet.“ (Dirk Friedrich)

Überall in Europa ist die kreditfinanzierte Party zu Ende. Der finanzielle Katzenjammer ist groß, wirtschaftliche Ernüchterung greift um sich, in Südeuropa mehr als anderswo. Das jahrzehntelange Leben auf Pump ist zu Ende. Immer mehr Staaten torkeln am finanziellen Abgrund. Manche, wie Griechenland, sind schon abgestürzt. Das Virus der Finanzkrise ist zu einer Staatsschuldenkrise mutiert. Banken wirken epidemisch. Einige von ihnen wackeln schon wieder. Die Politik hat das Heft des Handelns nicht mehr in der Hand. Hektische Betriebsamkeit ändert daran nichts. Aus der EZB ist eine Reparaturwerkstatt geworden. Sie hält den finanziellen Laden im Notbetrieb am Laufen. Eine Rettung ist nur möglich, wenn an der Ursache des Problems angesetzt wird, dem Trittbrettfahrerverhalten. Tatsächlich ist die Politik aber im Rettungs-Modus. Damit ist der Absturz unvermeidlich. Der „alte“ Euro ist Geschichte.

Trittbrettfahrer

Die EWU wackelt, weil sich die Mitglieder bis über beide Ohren verschuldet haben. Das süße Gift der Verschuldung hatte wettbewerbliche Risiken und Nebenwirkungen. Vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit der PIIGS nahm Schaden. Die Gründe der exzessiven Verschuldung sind vielfältig. Fast immer ist allerdings „moral hazard“ im Spiel. Es existieren in Demokratien vielfältige Anreize, auf Kosten anderer zu leben. Ein wichtiger Treiber ist der Sozialstaat. Risikoscheue Individuen fragen die Güter [1] „soziale Sicherheit“ und „soziale Gerechtigkeit“ nach. In Europa schaffen umlagefinanzierte Systeme der Sozialen Sicherung und steuerfinanzierte Umverteilung nachhaltige Anreize zu „moral hazard“. Eine Ausbeutung aller durch alle ist unvermeidlich. Verlierer sind die Schwächeren. Steigende Lasten durch Steuern und Abgaben verführen die Politik zur wachsenden Kreditfinanzierung. Verlierer sind künftige Generationen.

Die stetig steigende Staatsverschuldung hat nicht nur inter-personelle und inter-generative Wurzeln. Seit langem fahren in Europa auch Regionen nachhaltig finanziell Trittbrett, die einen mehr, andere weniger. Eine Besserung ist nicht in Sicht. In vielen europäischen Ländern haften die Regionen gegenseitig für ihre Schulden. Es gilt das bündische Prinzip. Die Anreize kleinerer Regionen, größere finanziell auszubeuten, sind besonders ausgeprägt. Es ist kein Zufall, dass die Empfängerländer in anreizschädlichen Systemen des Finanzausgleichs systematisch höher verschuldet sind als die Geberländer. Entmutigende Beispiele sind hierzulande Berlin, Bremen und das Saarland. Die staatliche Verschuldung ist allerdings dort weniger ausgeprägt, wo sich Regionen nicht bedingungslos auf andere verlassen können, sondern primär selbst für ihre Schulden haften. Ein Beispiel für eine anreizverträglichere Lösung existiert in der Schweiz zwischen Bund und den Kantonen.

Den bisher letzten Schub erhielt die staatliche Verschuldung in der Finanzkrise. Die Staaten versuchten, den wirtschaftlichen Einbrüchen mit expansiver Fiskalpolitik entgegenzuwirken. Fast überall stieg die staatliche Verschuldung an. Mit „moral hazard“ hat das wenig zu tun. Exzessives Trittbrettfahrerverhalten ist allerdings eine treibende Kraft der nationalen und europäischen Rettungsschirme zugunsten des Finanzsektors. Aus den Schulden der Banken wurden in vielen Ländern riesige, teilweise untragbare Schulden des Staates. Diese gefährliche Entwicklung hat ihre Ursache im „moral hazard“ der Banken. Die Gewissheit „systemrelevanter“ Banken, im Falle des Falles vom Staat gerettet zu werden, hat ihr Risikoverhalten über lange Zeit deformiert. Die Banken leben auf Kosten heutiger und künftiger Steuerzahler. Diese Entwicklung gilt es zu stoppen, um die Verschuldungskrise in den Griff zu bekommen.

Umkehr

Die Ursache der schier ausweglosen Misere der EWU ist „moral hazard“. Den Vätern des Euro gelang es nicht, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Das institutionelle Design der fiskalischen Bremsen der EWU ist mangelhaft, handwerkliche Fehler kommen hinzu. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist zahnlos, die „No-Bail-Out-Klausel“ ein Muster ohne Wert, die Möglichkeit, dass Banken die Staaten in Geiselhaft nehmen, wurde übersehen. Die Reflexe der Politik haben sich mit dem Euro nicht geändert: Traten Probleme auf, wurden sie mit noch höherer Verschuldung „gelöst“. Die Politik erhält auch immer wieder Schützenhilfe von der Wissenschaft für ihr verantwortungsloses Verhalten. Keynesianische Ökonomen warnen zu jeder Tages- und Nachtzeit vor dem Kaputtsparen. Mehr Konsum, gerne auch kreditfinanziert, steht ganz vorne auf der Agenda. Sparen sei keine Tugend, Sparen sei ein Laster.

Nur ein Ausstieg aus dem „moral hazard“-Modus kann die Krise der EWU beenden. Das ist möglich, wenn Mitgliedsländer pleite gehen können. Der Konkurs von Staaten verringert die Anreize zu fiskalischem Fehlverhalten glaubwürdig. Dem ordnungspolitischen Prinzip von Handlung und Haftung wird entsprochen. Die Steuerzahler müssen nicht für die Gläubiger zahlen. Eine solche Insolvenzordnung  existiert allerdings gegenwärtig in der EWU noch nicht. Deshalb ist der Preis, der kurzfristig zu zahlen ist, relativ hoch. Kommt es zu massiven Abschreibungen der Schulden insolventer Mitgliedsländer, erleidet die Finanzindustrie, die den größten Teil der Staatspapiere hält, hohe finanzielle Verluste. Um eine Systemkrise zu verhindern, sind Hilfen für den Finanzsektor notwendig. Die Banken müssen überall rekapitalisiert werden (Harald Hau [2]). Das ist allerdings treffsicherer und billiger als ganze Staaten durchzufüttern.

Eine solche Politik, die den „moral hazard“-Modus in der EWU beendet, verstärkt den Druck auf insolvente Mitglieder, ihre maroden Haushalte schneller in Ordnung [3] zu bringen. Regierungen haben Anreize, die Ausgaben schneller auf den Prüfstand zu stellen, ineffiziente Ausgaben zügiger zu senken und die Ausgaben wachstumsfreundlicher umzustrukturieren. Systeme der Sozialen Sicherung werden marktlicher, die Arbeitsmärkte wettbewerblicher und die Umverteilungsaktivitäten treffsicherer und weniger effizienzverschlingend. Steuerliche Einnahmen werden wirksamer erschlossen, allokative Nebenwirkungen verringert und wachstumsträchtiger ausgestaltet. Die Anreize nehmen zu, die staatlichen Haushalte schneller in Ordnung zu bringen und die Wachstumskräfte zu stärken. Ein temporäres Ausscheiden aus der EWU und eine Abwertung der eigenen Währung beschleunigt diese positive Entwicklung.

Weiter so

Es sieht nicht so aus, als würde die Politik den Weg einschlagen, aus dem „moral hazard“-Modus auszusteigen. Die Marschrichtung lautet vielmehr, finanziell alles zu tun, die EWU zu retten. Die kontrollierte Pleite von Mitgliedsländern ist gegenwärtig keine politische Option. Vielmehr werden immer neue und größere Rettungsschirme aufgespannt. Auch die EZB wird von der Politik in die hektischen Rettungsaktionen eingespannt. Sie muss in großem Stil faule Staatspapiere der Wackelkandidaten aufkaufen. Damit nicht genug. Die Bundesbank finanziert über die Target2-Salden [4] einen erheblichen Teil der Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer. Das ist skandalös. Peter Boone und Simon Johnson [5] vergleichen diesen Zustand mit der Rubelzone der Sowjetunion. Niemand in der Politik hat die Absicht, diesen Rettungs-Modus zu beenden. Damit steigen die Anreize der Krisenländer in der EWU mit ihren Reformanstrengungen nachzulassen. Griechenland zeigt nach den großzügigen Rettungbeschlüssen vom 21. Juli das häßliche Gesicht des „moral hazard“. Die Gefahr nimmt zu, dass Nehmerstaaten weiter auf Kosten der Geberstaaten leben.

Die Politik hat nichts dazu gelernt. Alte Rezepte, die zu nichts als einer existentiellen Krise geführt haben, werden weiter ausgestellt. Eine untragbar hohe staatliche Verschuldung wird mit neuen Schulden bekämpft. Feuer soll mit Benzin gelöscht werden. Mit einer Politik multipler Rettungsschirme wird an Symptomen kuriert. Wacklige Banken und insolvente Staaten werden weiter über Wasser gehalten. Die Politik spielt auf Zeit und hofft auf das Wunder, dass sich die wirtschaftliche Lage der Peripherie verbessert. Mit dieser Rettungsstrategie manövriert sich die Politik unumkehrbar auf den Weg zu einer Fiskalunion in Europa. Eurobonds – faktisch eine deutsche Garantie für italienische und spanische Schulden (Alesina/Giavazzi [6]) – werden zur einzigen Alternative zu einer weiteren Verschärfung der Schuldenkrise aufgebaut. Damit ist aber das eigentliche Problem des „moral hazard“ nicht gelöst, im Gegenteil. Die Anreize aller, auf Kosten der anderen zu leben, nehmen weiter zu. Das Schuldenproblem steuert auf die endgültige Katastrophe zu.

Es ist ein Irrtum zu glauben, eine Politische Union [7] würde das Problem des „moral hazard“ in der EWU lösen. Finanzielle Transfers von stabilen zu instabilen Mitgliedern sorgen in der EWU zunächst einmal für Ruhe. Die ist allerdings trügerisch. Während auf nationaler Ebene nur die eigenen Bürger einander ausbeuten, wird dieses Problem der Ausbeutung aller durch alle in einer Politischen Union „exportiert“. Die Unsoliden in ganz Europa haben nun eine Möglichkeit mehr, auf Kosten der weniger Unsoliden überall in Europa zu leben. Wolfgang Krieger [8] hat die Folgen treffend formuliert: „Über die Schuldengarantie greifen wir alle auf ein einziges Bankkonto zu, und der Gewinner ist, wer das Konto am stärksten überzieht.“ Mit der Staatsquote wächst die Staatsverschuldung. Damit sind aber die Konflikte zwischen Gebern und Nehmern vorprogrammiert. Das führt neben der ökonomischen auch in die politische Katastrophe.

Spekulationen

Die Zukunft des Euro ist düster. Es spricht nichts dafür, dass die EWU in fünf Jahren noch so aussieht wie heute. Die Politik hat nicht vor, aus dem „moral hazard“-Modus auszusteigen. Das unsägliche Krisenmanagement geht weiter. Die Märkte werden weiter auf Pleiten einzelner Mitglieder wetten, deren Risikoprämien steigen. Ein Ende der Serie panischer Attacken auf den Finanzmärkten und politischer Schnellschüsse ist nicht in Sicht. Auch die Finanzindustrie wird nicht zur Ruhe kommen. Weitere gesunde Länder werden sich mit dem Virus anstecken. Der Bedarf an Rettung wird nicht abebben. Allerdings wird diese Politik an Grenzen stoßen. Der Widerstand der „Nordländer“ wird zunehmen. Schon heute schauen sie mit Argusaugen auf mögliche finanzielle Lasten aus den Rettungsschirmen. Das Pfänderspiel der Finnen, der Widerstand von Slowenien und der Kampf um die Zustimmung des Deutschen Bundestages zum Rettungsschirm zeigen die Grenzen der europäischen Solidarität.

Dieser Widerstand wird in den „Hartwährungsländern“ weiter zunehmen. Es ist absehbar, dass sich das Problem der exzessiven staatlichen Verschuldung mit Rettungsschirmen nicht lösen lässt. Die Lasten sind nicht nur für die Retter, sie sind auch für die zu Rettenden immens. Drastische Abstriche am Lebensstandard sind unvermeidlich. Alle werden ärmer. Die Versuchung ist groß, die reale Verschuldung über einen Anstieg der Inflationsrate zu verringern. Der Druck wird vor allem von den in größten Schwierigkeiten steckenden Peripherieländern kommen. Und die EZB wird diesem Druck eher nachgeben. Ab Oktober 2011 sind fünf der sechs Mitglieder [5] des Direktoriums der EZB aus den Mitgliedsländern, die in großen Schwierigkeiten stecken. Eine höhere Inflationsrate wird in den „Nordländern“ der EWU auf heftigen Widerstand stoßen. Die Anreize, aus der EWU auszusteigen, nehmen für diese Länder weiter zu.

Ein weiterer Sprengsatz für den Euro sind die Salden in den Leistungsbilanzen der Länder der EWU. Die wenigen Länder mit Überschüssen sind die potentiellen Retter der hoffnungslos überschuldeten Staaten. Seit längerem nimmt die Kritik an ihnen zu. Gefordert wird ein „level playing field“ auch in der Lohn- und Tarifpolitik. Höhere Löhne sollen in den Überschussländern die ungleiche Wettbewerbsfähigkeit einebnen. Das ist eine Variante der Strategie des „raising rivals“˜ costs“. Neben der Finanz- soll auch die Lohn- und Tarifpolitik zentralisiert werden. Das wird die exportorientierte Industrie der Retter auf die Palme bringen. Bisher votierte sie für den Euro, sozialisierte er doch die Kosten der Kurssicherung. Eine Angleichung der Lohnkosten würde aber ihre Absatzchancen weltweit in Mitleidenschaft ziehen. Dagegen werden sich Arbeitgeber gemeinsam mit den Gewerkschaften zur Wehr setzen. Spätestens dann werden die „Nordländer“ den währungspolitischen Stecker ziehen.

Fazit

Wer den Euro retten will, muss aus dem gegenwärtigen „moral hazard“-Modus aussteigen. Die Strategie der immer größeren Rettungsschirme ist eine ökonomische und (währungs-)politische Tragödie. Das Trittbrettfahrerverhalten in Europa nimmt zu, der wirtschaftliche Abstieg beschleunigt sich. Das Krebsgeschwür staatlicher Verschuldung wuchert weiter. Die Versuchung wächst, in fiskalisch prekärer Lage die auftretenden Schmerzen mit einer höheren Dosis an Inflation zu lindern. Gegen die nationale Politik und die zentralistische EU-Kommission hat die EZB keine Chance. Die politischen (Verteilungs-)Konflikte verschärfen sich. Das „Wundermittel“ einer Politischen Union ist eine giftige Pille. Sie beschleunigt in einem Europa der Nationen den ökonomischen und politischen Verfall. Am Ende könnte nicht nur ein politisch zerstrittenes, sondern auch ein wirtschaftlich gespaltenes Europa stehen. Das wäre der Super-GAU.