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„Ordnungspolitisch zeigen wir klare Kante“
VDMA-Präsident Thomas Lindner im Interview


Herr Dr. Lindner, der deutsche Maschinen- und Anlagenbau kann seit ihrem Amtsantritt im Oktober des vergangenen Jahres überwiegend mit satten zweistelligen Wachstumsraten bei den Auftragseingängen aufwarten. Was ist das Erfolgsrezept Ihrer Branche?

Thomas Lindner: Unser Erfolgsrezept lautet: Qualität, Zuverlässigkeit und Termintreue. Das hat sich wieder einmal bewährt. Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer haben, nicht selten gegen den Rat von Banken und Beratern, ihre Mitarbeiter gehalten und konnten so, anders als viele der internationalen Wettbewerber, sehr flexibel in der gewohnt sehr hohen Qualität auf die wieder anziehende Nachfrage reagieren. Das kommt bei den Kunden gut an.

Bezeichnend ist die mittelständisch, aber dennoch sehr international orientierte Struktur des Maschinen- und Anlagenbaus. Welche Rolle spielt dieser scheinbare Widerspruch für den Erfolg?

Lindner: Ich sehe da keinen Widerspruch. Im Gegenteil: Die mittelständische Struktur ist Ergebnis eines stark spezialisierten, auf die Bedarfe der Kunden maßgeschneiderten Produktangebots. Je enger die Produktnische, umso weniger kann es sich ein Unternehmen leisten, nur den deutschen oder nur europäische Märkte zu bedienen. Hinzu kommt: Asien hat Europa als größten Markt für Maschinenbauerzeugnisse abgelöst. Das bedeutet zweierlei: In Asien sitzen – erstens – attraktive Kunden. Aus Asien kommt – zweitens – ein immer attraktiveres Angebot, das auf unseren europäischen Heimatmarkt drängt. Ich empfehle unseren mittelständischen Maschinenbauern deshalb: Geht in die Höhle des Löwen, lernt dort euren Wettbewerber kennen, messt euch mit ihm dort, tut euch zusammen, bevor er sich mit euch vor eurer eigenen Haustür misst.

Die Unternehmensgewinne sprudeln, aber ein großer Teil wird im Ausland produziert und verdient. Was haben die Deutschen vom Aufschwung einer ihrer Schlüsselbranchen?

Lindner: Eine ganze Menge. Wir können nur dann international erfolgreich sein, wenn wir auch im Ausland produzieren. Und das schafft auch in Deutschland Arbeitsplätze. Schließlich ist die Maschinenproduktion im Inland allein im letzten Jahr um 9,4 Prozent gewachsen. Für dieses Jahr rechnen wir mit einem Plus von 14 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten ist bereits wieder auf Wachstumskurs. Viele Unternehmen – auch mein Unternehmen – haben konkrete Gewinnbeteiligungsmodelle für ihre Mitarbeiter. Das heißt, diese partizipieren direkt vom Unternehmenserfolg.

Die Kehrseite dieser Erfolgsgeschichte bekommen wir in Krisenzeiten zu spüren. Inwiefern schadet uns die hohe Exportabhängigkeit, die typisch für den Maschinen- und Anlagenbau ist?

Lindner:
Die Orientierung am Weltmarkt macht uns nicht nur wettbewerbsfähiger. Sie hilft uns selbst in Krisenzeiten. Was hätte es uns gebracht, wenn wir in der Finanzkrise eine geringere Abhängigkeit von den Auslandsmärkten gehabt hätten? Nichts! Die Investitionsgüternachfrage ist auch in Deutschland eingebrochen. Durch unsere weltweite Präsenz konnten wir die Rückgänge zumindest etwas abpuffern. Denn selbst in globalen Krisenzeiten gibt es Märkte, die gegen den weltweiten Trend wachsen. Die können sie aber nicht erst dann anfangen zu erschließen, wenn es abwärts geht. Wenn sie dort nicht bekannt und präsent sind, nicht schon gute Referenzen haben und erfolgreiche Projekte vorweisen können, haben sie keine Chance.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise scheint der Maschinen- und Anlagenbau ausgesprochen gut weggesteckt zu haben. Wann wird das Vorkrisen-Niveau erreicht?

Lindner:
Wenn wir das prognostizierte 14-prozentige Wachstum in diesem Jahr realisieren können, liegt das Produktionsniveau unserer Branche nur noch sechs Prozent unter dem außergewöhnlich hohen Niveau des Jahres 2008. Wir sind also bereits in diesem Jahr dicht dran.

Eines steht bereits jetzt fest: Die nächste Krise kommt bestimmt. Wer oder was wird sie Ihrer Meinung nach auslösen?

Lindner: Wenn man das nur immer schon vorher wüsste. Nehmen Sie nur die Erdbeben- und Atomkatastrophe in Japan. So etwas ist nicht vorhersehbar. Aktuell sind wir mit einem ganzen Bündel von Risiken konfrontiert, von denen jedes einzelne das Fass zum Überlaufen bringen kann. Die größten Gefahren dürften gegenwärtig jedoch von der hohen Staatsverschuldung in der Eurozone und in den USA ausgehen. Die Finanzmärkte sind angeschlagen und reagieren übernervös auf jede noch so kleine Meldung. Außerdem gibt es in einigen Entwicklungs- und Schwellenländern konjunkturelle Überhitzungserscheinungen.

Fakt ist auch, dass es mit den hohen Wachstumsraten nicht ewig weitergehen wird. Was bedeutet es für den erfolgsverwöhnten Maschinen- und Anlagenbau, wenn er sich für längere Zeit bescheidenen Wachstumsraten gegenübersieht?

Lindner: Unser Problem sind nicht bescheidenere Wachstumsraten. Unser Problem sind hohe Schwankungsraten, die eher zu- als abnehmen. Hierfür brauchen wir adäquate Lösungen.

In vergleichbar entwickelten Volkswirtschaften schmilzt der Industrieanteil am BIP scheinbar unaufhaltsam, bei uns bleibt er zumindest konstant. Was unterscheidet uns von unseren, ökonomisch betrachtet, Nachbarländern?

Lindner: Zum einen sind die Löhne und Gehälter in Deutschland im Vergleich mit den europäischen Nachbarn über die letzten Jahre hinweg vernünftig gestiegen. Das hat unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit entscheidend verbessert. Zum anderen ist die deutsche Industrie äußerst innovativ. So wendet allein der deutsche Maschinen- und Anlagenbau jährlich mehr als fünf Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung auf. Und das macht ihn auch so erfolgreich.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Weltbevölkerung unsere Industrieprodukte eines Tages nicht mehr nachfragt?

Lindner: Megastädte, höhere Anforderungen an den Umweltschutz und immer knapper werdende Ressourcen sorgen dafür, dass die Menschen vor neuen, wachsenden Herausforderungen stehen, für die wir Maschinenbauer neue Lösungen entwickeln müssen. Ich bin sicher, dass wir hier in den kommenden Jahrzehnten ganz entscheidende Impulse setzen werden. Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau gehört zu den innovativsten Branchen der Welt.

In jedem Fall wird die internationale Konkurrenz größer. Was stimmt Sie sicher, dass wir auch zukünftig bei vielen industriellen Produkten die Nummer eins bleiben?

Lindner: Da ich muss ich Ihnen widersprechen, denn wir sind bereits heute in vielen Segmenten nicht mehr die Nummer eins. Wir sind zwar nach wie vor Exportweltmeister in unserer Disziplin. Fast jede fünfte weltweit gehandelte Maschinenbaukomponente, Komplettmaschine oder Anlage stammt aus deutscher Produktion. Doch die Konkurrenz schläft nicht: In zahlreichen Maschinenbaubranchen mussten wir die Führungsrolle an Wettbewerber, namentlich aus China, abgeben, die mit einfacher und mittlerer Technologie beachtliche Exporterfolge erzielen. Gleichwohl sind wir zuversichtlich, dass es gelingt, uns auch künftig ein gehöriges Stück vom Weltmarkt heraus zu schneiden.

Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Lindner: Grundvoraussetzung hierfür ist neben der Präsenz in den Märkten, dass wir den technischen Vorsprung unserer Produkte halten, sprich: unseren Wettbewerbern immer mindestens einen, besser zwei Schritte voraus sind. Dazu bedarf es hervorragend ausgebildeter Mitarbeiter. Der Maschinenbau tut in Sachen Ausbildung sehr viel. Aber nochmals: Das Hinzutun anderer Akteure – Staat, Hochschulen – ist unverzichtbar.

Personal ist ein gutes Stichwort. Die Unternehmen in Deutschland beklagen vielfach einen Fachkräftemangel, der unter anderem als Motiv für FuE-Offshoring angeführt wird. Über dessen Ausmaß gibt es unterschiedliche Schätzungen. Wie groß ist die Lücke im Maschinen- und Anlagenbau?

Lindner: Das ist nicht mit Zahlen zu beantworten. Niemand kann zum Beispiel voraussagen, wie viele Absolventen der Ingenieurwissenschaften eine berufliche Laufbahn in einem Maschinenbau-Unternehmen einschlagen wollen und werden. Aber gesamtwirtschaftlich kommt es definitiv heute schon zu Engpässen, wie sich am Beispiel des Angebots und der Nachfrage nach Ingenieuren der Berufsgruppe Maschinen- und Fahrzeugbauingenieure zeigen lässt. Seit einiger Zeit übersteigt sogar die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen – sicher werden bei weitem nicht alle gemeldet – die Zahl der Arbeitslosen. Bei den Elektroingenieuren ist es ganz ähnlich.

Häufig wird beim Fachkräftemangel die Politik als Sündenbock auserkoren. Eine Frage muss vorneweg aber erlaubt sein: Haben die Unternehmen bei der Ausbildung ihrer hellsten Köpfe die Hausaufgaben gemacht?

Lindner: Niemand wird bestreiten, dass die Politik verantwortlich ist für die Rahmenbedingungen, Stichwort qualifizierte Zuwanderung, genauso wie für wesentliche Teile unseres Bildungssystems. Wenn Sie mich nach den Unternehmen des Maschinenbaus fragen: Wir kennen unsere hohe Verantwortung für junge Menschen, und wir nehmen sie auch an, was sie schon an unserem überdurchschnittlichen Engagement in der dualen Ausbildung sehen. Immer wieder müssen Unternehmen auch als Reparaturbetrieb für mangelnde Ausbildungsfähigkeit einspringen. Stark genutzt wird im Maschinenbau das duale Studium, das Theorie und Praxis bestens vereint.

Eine weitere Stellschraube für die Bekämpfung des Fachkräftemangels ist die Zuwanderung an hochqualifizierten Arbeitsplätzen. Wie sieht die Ideallösung in diesem Bereich aus?

Lindner:
Deutschland braucht den Mut zu einem Punktesystem, das qualifizierten, motivierten und leistungsbereiten Zuwanderern besondere Chancen einräumt. Damit wäre viel für eine Attraktivitätssteigerung unseres Landes getan. Aber das reicht nicht. Die Politik muss auch in Deutschland endlich ihre Aufgaben machen. Denn nicht nur stockt der „Brain Gain“, auch der „Brain Drain“ läuft auf Hochtouren. Unter denjenigen, die abwandern, sind vor allem leistungsbereite, qualifizierte und junge Menschen. An erster Stelle der Gründe für den Fortzug stehen dann auch die Berufs- und Einkommensperspektiven. Wenn Deutschland schon aus der Sicht der deutschen Fachkräfte ein Attraktivitätsproblem hat, wie soll unser Land dann erst qualifizierte Zuwanderer anziehen? Unser Arbeits- und Lebensstandort Deutschland muss attraktiver werden – nicht nur für ausländische, sondern auch für eigene Fachkräfte.

Die Politik wählt auch völlig andere Wege, um den industriellen Erfolg zu sichern. So will sie durch die Förderung von Schlüsseltechnologien die Führungsrolle Deutschlands als Innovationsstandort erhalten. Was sind die wichtigsten Kerntechnologien Ihrer Branche?

Lindner: Die Frage lässt sich für so eine heterogene Branche wie den Maschinen- und Anlagenbau nicht beantworten. Wenn die Politik glaubt, über die teilweise massive Förderung einzelner Technologien jeweils aufs richtige Pferd zu setzen, begeht sie einen großen Fehler. Wir plädieren hier für sehr stark bottom-up getriebene Prozesse und die Stärkung der Innovationskraft der Unternehmen über Breitenwirksamkeit. Zu nennen sind hier die Industrielle Gemeinschaftsforschung, Transferplattformen in der Verbundforschung und die steuerliche Forschungsförderung. Innovationspolitik geht im Übrigen weit über die Forschungsförderung hinaus – angefangen mit bester Bildungspolitik über ideale Forschungsrahmenbedingungen bis hin zu guten Investitionsbedingungen für innovierende Industrieunternehmen.

Derzeit gibt es staatliche Förderoffensiven bei der Energieeffizienz, aber auch in vielen anderen Bereichen. Wie steht der Maschinen- und Anlagenbau zu dieser Art von Industriepolitik?

Lindner: Je selektiver, technologiespezifischer und marktnäher, desto kritischer sind solche staatlichen Eingriffe zu bewerten. Und wo immer es Profiteure gibt, gibt es auch Verlierer – und dies ist die schweigende Mehrheit der Steuerzahler.

Wo hört Grundlagenforschung auf, wo fängt die industrielle Entwicklung an?

Lindner: Die Trennschärfe, die in der Literatur behauptet wird, gibt es in der Praxis nicht. Im Unterschied zur industriellen Entwicklung zielt die Grundlagenforschung zwar nicht auf einen direkt verwertbaren Nutzen, aber wenn daraus am Ende des Tages ein marktfähiges Produkt entsteht ist das umso besser. Natürlich muss sich der Staat zurückziehen, je näher der Markt rückt. Sonst kommt es zu Wettbewerbsverzerrung und Diskriminierung. Es ist Kernaufgabe und Kernkompetenz eines Unternehmens, in die Zukunft zu investieren und dann auch Gewinne zu erzielen beziehungsweise das unternehmerische Risiko zu tragen.

Jedenfalls bemühen sich auch Unternehmen Ihrer Branche um Subventionen in Millionenhöhe. Wird beim Kampf um die Fleischtöpfe ordnungspolitisch sauber getrennt?

Lindner: Also ein Verteilungskampf getreu dem Brecht’schen Motto „erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ – diese Beobachtung teile ich für den Maschinenbau nicht. Ordnungspolitisch zeigen wir im VDMA klare Kante, wobei ich zugestehe, dass die Welt manchmal doch komplizierter ist als es die reine akademische Lehre nahelegen würde.

Die Fragen stellte Jörg Rieger.

Hinweis: Die Langfassung dieses Interviews können Sie in der aktuellen Ausgabe der WiSt (10/2011) nachlesen.

Eine Antwort auf „BlogDialog
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VDMA-Präsident Thomas Lindner im Interview

  1. Interessant ist, dass die Konjunkturanfälligkeit nicht so sehr von der Exportquote der Branche abhängt. Vielfalt in der Angebotspalette, Innovationskraft und regionale Diversifikation der Zielmärkte sind offenbar wichtig für die Stabilität. Der Maschinenbau ist zudem wohl auch verhältnismäßig unempfindlich gegenüber Kursschwankungen, der Preis ist für die Käufer nicht alleine entscheidend. Ich würde mich dafür interessieren, ob und was andere Industriebranchen vom Maschinenbau lernen können.

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