Aktive Gleichstellungspolitik oder: Des Kaisers neue Kleider

Wer unterstützt ihn heute nicht, den berühmten Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, der vorschreibt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind? Was das staatliche Handeln angeht, so scheint die Sache auch ganz einfach zu sein: Im Grunde müssten alle staatlichen Instanzen nur blind sein gegenüber den Unterschiedlichkeiten der Menschen. Denn wenn sie Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben sowie religiöse oder politische Überzeugung eines Menschen gar nicht erkennen könnten, dann bliebe ihnen gar nichts anderes übrig als die Menschen wirklich unabhängig von diesen Faktoren immer gleich behandeln. Man spricht hier auch von der formellen Gleichbehandlung aller Menschen.

Allerdings: Viele staatliche Handlungs- und Einflussträger misstrauen solcherlei „blinder Objektivität“. Sie wollen die Gleichbehandlung lieber selbst steuern, und zwar nach dem Motto: Nicht das Verfahren staatlichen Handelns muss für alle gleich sein, sondern das Ergebnis. Daher reicht diesen Menschen die formelle Gleichbehandlung nicht aus. Sie wollen die Menschen auch materiell gleich behandelt wissen. Das klingt auf den ersten Blick auch nicht einmal schlecht. Allerdings: Darüber, was materielle Gleichheit im Einzelnen bedeuten könnte, gibt es weder ein klares Kriterium noch so etwas wie die Grundlage eines allgemeinen Konsens. Und weil man in praktisch jedem Einzelfall in vielfältiger Weise entscheiden kann, was materielle Gerechtigkeit bedeuten mag, öffnet die Forderung nach materieller Gleichheit Tür und Tor für staatliche Willkür. Mehr noch: Die eindeutig formulierte Vorschrift des Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, wonach alle Menschen gleich zu behandeln sind, geht gleich zu Beginn verloren, wenn sich staatliche Instanzen anmaßen, die Gleichheit aktiv zu gestalten.

Nehmen wir ein Beispiel, welches zugegebenermaßen etwas konstruiert, dafür aber einigermaßen anschaulich ist. Die Position eines Sportmoderators im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen sei zu einem bestimmten Zeitpunkt nur zu 5 Prozent von Frauen bekleidet, zu 95 Prozent dagegen von Männern. Die Gründe dafür, dass dies in der Realität so oder so ähnlich anzutreffen ist, sind meist vielschichtig: In der Vergangenheit mögen weibliche Bewerber schon bei der Bewerbung benachteiligt worden sein, die traditionelle Rollenverteilung in der Familie könnte einen Aufstieg bis an die betreffende Stelle nicht zugelassen haben oder der jeweilige Beruf mag – warum auch immer – mehr Männer als Frauen anziehen.

Gehen wir im Beispiel weiter. Von insgesamt 40 Moderatoren in allen Sendern würden pro Jahr zwei durch jüngere ersetzt. In jedem Jahr würden sich acht männliche und zwei weibliche Moderatoren bewerben, die alle gleichermaßen für diese Position qualifiziert wären. Das ist ein realistisches Verhältnis, und zwar nicht, weil Frauen weniger qualifiziert sind, sondern weil sich Männer eher für Sport interessieren und weil hoch qualifizierte Stellen in unserer Gesellschaft immer noch familienfeindlich sind und die Last der Familienarbeit in der Tat noch immer hauptsächlich bei den Frauen liegt. Um allen diesen Problemen und der daraus folgenden Ungleichverteilung der Position des Sportmoderators auf Männer und Frauen etwas entgegen zu setzen, würde man nun folgende Regel einführen: Je einer der neu einzustellenden Sportmoderatoren soll weiblich, der andere männlich sein. Das klingt sehr nach Gleichbehandlung. Allerdings: Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl aller Sportmoderatoren wird sich dadurch nur sehr langsam verändern. Umgekehrt ist eine solche Regel mit einer krassen Diskriminierung der Männer verbunden, die dem Artikel 3 des Grundgesetzes Hohn spricht.

Sehen wir uns zunächst die materielle Gleichheit an. Wenn in jedem Jahr die zu besetzenden Stellen zu gleichen Teilen an Männer und Frauen vergeben werden, dann dauert es allein 12 Jahre, um den Anteil der Frauen auch nur auf ein Viertel aller Positionen eines Sportmoderators zu erhöhen. Um diesen Anteil auf 40 Prozent zu erhöhen, braucht es nicht weniger als drei Jahrzehnte. Und um näherungsweise materielle Gleichheit herzustellen, benötigt man schließlich ganze 60 Jahre.

Sehen wir uns dieses Beispiel aber einmal aus der Perspektive der formellen Gleichbehandlung an, so kehren sich die Dinge in geradezu dramatischer Weise um: In jedem Jahr gibt es zwei Frauen und acht Männer, welche alle gleichermaßen gut qualifiziert sind, so dass man sie sofort einstellen könnte. Wollten die Personalchefs alle Bewerberinnen und Bewerber genau gleich behandeln, dann könnten sie einfach das Los entscheiden lassen. Sie könnten je einen Namen auf einen Zettel schreiben und alle Zettel in eine Box werfen. Danach würden sie blind zwei Zettel herausziehen und die gezogenen Personen einstellen. In diesem Falle würde im Durchschnitt jede fünfte Stelle mit einer Frau besetzt und auf ganz lange Sicht würden 20 Prozent aller Sportmoderatoren Frauen sein. Das klingt nach Ungleichheit. Aber: Die Chance einer weiblichen Bewerberin wäre in jeder Bewerbungsrunde präzise so groß wie die Chance eines männlichen Bewerbers. Denn jede fünfte Person, die sich bewirbt, wäre eine Frau und jede fünfte Stelle würde auch mit einer Frau besetzt.

Das rechnet sich dann so: Innerhalb von fünf Jahren würden zehn neue Stellen besetzt. Es würden sich in diesen fünf Jahren insgesamt 40 Männer und zehn Frauen bewerben, jedes Jahr acht Männer und zwei Frauen. Wenn jede fünfte Stelle mit einer Frau besetzt wird, dann werden in den fünf Jahren zwei Stellen an Frauen vergeben und acht Stellen an Männer. Die Chance einer Frau, eine solche Stelle zu bekommen, ist gleich der Zahl der Stellen, die an Frauen gehen (also zwei), geteilt durch die Zahl der Bewerberinnen (also zehn). Das sind zwei geteilt durch zehn, also ein fünftel oder 20 Prozent. Die Chance einer weiblichen Bewerberin ist also 20 Prozent. Bei den Männern rechnen wir über die fünf Jahre acht Stellen, geteilt durch 40 Bewerber und gelangen ebenfalls auf ein fünftel oder 20 Prozent. Im Ergebnis finden wir durch das Losverfahren eine perfekte formelle Gleichbehandlung im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Was geschieht nun aber, wenn sich die Personalchefs nicht allein um die formelle, sondern auch um die materielle Gerechtigkeit bemühten, und daher in jedem Jahr einen Mann und eine Frau einstellten? Dann gäbe es Jahr für Jahr das folgende Bild. Bei einer für Frauen reservierten Stelle und zwei Bewerberinnen ergäbe sich eine Chance von 50 Prozent für die Frauen. Für die Männer gebe es auch eine Stelle, aber 8 Bewerber und damit eine Chance von einem achtel oder 12,5 Prozent. Das bedeutet, dass die Chance einer weiblichen Bewerberin für die Position eines Sportmoderators in unserem Beispiel nicht weniger als viermal so groß ist wie die Chance eines männlichen Bewerbers – eine krasse Diskriminierung!

Im Ergebnis wird der Artikel 3 GG mit Füßen getreten – und das im Namen der Gleichstellung! Es gibt keinen intellektuell aufrichtigen Weg, den sich hier aufspannenden Widerspruch zwischen materieller und formeller Gleichheit aufzulösen. Welcher Art von Gerechtigkeit sollte man also den Vorzug geben?

Eine freiheitliche Perspektive lässt hier nur eine Antwort zu: Das Gebot der Gleichbehandlung muss sich immer auf das Schicksal des jeweiligen Individuums und damit auf seine ganz persönlichen Chancen beziehen, und nicht etwa darauf, welchen Anteil welche Gruppe in welchem gesellschaftlichen Zusammenhang hat. Auch der Artikel 3 des Grundgesetzes lässt hier eigentlich keinen Zweifel, insbesondere in seinem dritten Absatz, wo verboten wird, Menschen aus den genannten Gründen zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Dieser Absatz bezieht sich eindeutig auf den einzelnen Menschen, der nicht diskriminiert werden darf, und nicht auf Gruppen. Um so erstaunlicher ist es, dass selbst höchste Gerichte in der Praxis die formelle Ungleichbehandlung immer wieder zulassen, und das im Namen der Gleichstellung.

Nun mag man folgendes einwenden: Ist die Bevorzugung weiblicher Bewerber in dem Beispiel der Sportmoderatoren nicht eine legitime Reaktion darauf, dass Frauen früher diskriminiert worden sind und dass die Folgen aus dieser damaligen Diskriminierung heute in Form des niedrigen Frauenanteils zu sehen sind? Ist es nicht weiterhin folgerichtig, dass weibliche Bewerber so lange bevorzugt werden müssen, bis diese Folgen in Form geringer Frauenanteile wenigstens ansatzweise überwunden sind? So logisch diese Argumentation auf den ersten Blick auch scheint, so ist sie doch falsch – zumindest mit Blick auf das Gebot der Gleichbehandlung aller Individuen. Hierzu noch ein Beispiel: Herr X sei 1970 eingestellt worden, obwohl Frau Y besser war. Damit wurde Herr X seinerzeit zu Unrecht bevorzugt und Frau Y benachteiligt – und das, nur weil er ein Mann ist. Aber weiter: Im Jahre 2007 werde die obige Anti-Diskriminierungsregel angewendet mit dem Ziel, die Folgen der seinerzeitigen Diskriminierung auszugleichen. Frau A, welche sich 2007 bewirbt, hat dadurch nun viermal so gute Chancen auf die Stelle wie Herr B, der sich ebenfalls 2007 bewirbt. Ausgleichende Gerechtigkeit? Keineswegs: Denn die Bevorzugung von Frau A wird nichts mehr daran ändern können, dass Frau Y seinerzeit benachteiligt wurde, und sie wird auch nichts mehr daran ändern können, dass Herr X im Jahre 1970 bevorzugt wurde. Stattdessen wird nun abermals diskriminiert, und zwar zuungunsten von Herrn B und damit einer Person, die 1970 vielleicht noch nicht einmal geboren war. Er hat also nie einen Vorteil gehabt und muss doch die Zeche für einen Vorteil zahlen, an dem sich ein ganz anderer erfreut hat. Bei den Frauen sieht es entsprechend aus: Frau Y ist 1970 gegenüber Herrn X benachteiligt worden. Das wird ihr nie wieder gutgemacht. Umgekehrt wird im Jahre 2007 Frau A bevorzugt, obwohl sie niemals benachteiligt wurde.

Wenn man es aus dem Blickwinkel der individuellen Chancengleichheit betrachtet, ist eine solche Anti-Diskriminierungsregel also das Gegenteil dessen, war von ihr behauptet wird. Sie fügt den bisherigen Diskriminierungen schlicht ein paar weitere Diskriminierungen hinzu, ohne damit irgendein geschehenes Unrecht auszugleichen. Die ganze Logik einer solchen Regel funktioniert nur im Kollektiv, wenn es um die Repräsentation bestimmter Gruppen der Gesellschaft geht. Sie steht damit in der Tradition des Kollektivismus verschiedenster Provenienz aus dem 20. Jahrhunderts und damit im direkten Widerspruch zu modernem freiheitlichen Denken. Schließlich steht sie im Widerspruch zum Artikel 3 des Grundgesetzes.

Das gleiche gilt für familiäre Benachteiligungen. Vergleichen wir hierzu Frau A mit einer Frau K, von er wir annehmen wollen, dass sie Kinder hat, dass die daraus erwachsenden familiären Verpflichtungen an ihr „hängen bleiben“ und dass sie daher trotz großen Talents und Interesses nicht die Chance hatte, überhaupt zur Sportmoderatorin im Fernsehen aufzusteigen. Von Frau A nehmen wir an, dass sie nicht familiär benachteiligt ist – vielleicht hat sie keine Kinder oder vielleicht gehört sie zu den wenigen, deren Ehemann die familiären Pflichten größtenteils übernimmt. Sehen wir uns vor diesem Hintergrund noch einmal die Regel an, nach der je ein Mann und eine Frau eingestellt werden, um die materielle Gleichheit im Beruf der Sportmoderation zu fördern. Das Ergebnis ist wie folgt: Frau A wird für eine familiäre Benachteiligung kompensiert, die sie gar nicht hat! Frau K hingegen, die in Wirklichkeit von der Benachteiligung betroffen ist, bleibt benachteiligt, weil sie erst gar nicht so weit kommt, sich auf die betreffende Stelle bewerben zu können. Statt also an der ursächlichen Benachteiligung anzusetzen, nämlich da, wo aufgrund familiärer Rollenzuteilung die Entwicklungschancen verbaut werden, fügt man zu den bestehenden Diskriminierungen noch eine weitere hinzu, die nur irgendeiner Frau zugute kommt, welche aber nie benachteiligt wurde, und die irgendeinen Mann benachteiligt, der nie bevorzugt wurde. Hieran sieht man besonders deutlich, was geschieht, wenn man kollektivistisches Denken an die Stelle einer Orientierung am Schicksal der individuellen Persönlichkeit stellt.

Nun basierten alle diese Überlegungen ja nur auf einem fiktiven Beispiel. Wie sieht es denn nun in der Realität der Bundesrepublik Deutschland aus mit Blick auf die Gleichbehandlung? Die Antwort lautet: Schlimmer, wesentlich schlimmer. Aber weil das politisch unkorrekt ist, traut sich kaum jemand, darauf hinzuweisen, dass in der Bundesrepublik Deutschland heute im Namen der Gleichstellung massiv diskriminiert wird – und das fängt inzwischen schon bei den ganz kleinen in Schule und Kindergarten an.

So schreiben die Verordnungen zur Einstellung in den öffentlichen Dienst heute häufig vor, dass alle weiblichen Bewerber, die auch nur formal die gewünschte Qualifikation aufweisen, zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen. Zugleich ist die Zahl der Einzuladenden mitunter aus finanziellen Gründen begrenzt, so dass eine konsequente Anwendung allein dieser Regel dazu führen müsste, dass man eigentlich überhaupt keine männlichen Bewerber mehr einladen dürfte. Sodann fordern diese Verordnungen, dass jede Ablehnung einer Bewerberin gesondert begründet werden muss. Darin ist ausdrücklich und „ausführlich“ nachzuweisen, dass der männliche Bewerber, welchem man schließlich den Vorzug gegeben hat, deutlich besser qualifiziert ist als seine weibliche Mitbewerberin. Eine gleiche Qualifikation reicht also nicht aus. Nimmt man diese Regeln Ernst, so ist die Chance aller männlichen Bewerber immer dann genau null (wirklich null!), wenn sich auch nur eine einzige Frau beworben hat, welcher die betreffende Dienststelle keine schlechtere Qualifikation nachweisen kann. Bewerben sich also, sagen wir, fünf Männer und eine Frau, welche alle gleich qualifiziert sind, so ist nach Anwendung geltenden Rechts die Chance aller männlichen Bewerber genau null, während jene der einzigen Bewerberin glatte 100 Prozent beträgt – und dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn alle Bewerber ebenso wie die Bewerberin Berufsanfänger sind und noch niemand von ihnen zuvor bevorzugt oder benachteiligt wurde. Das Beispiel der Sportmoderatoren ist insofern nicht realistisch, es verharmlost die realen Verhältnisse vielmehr noch.

Ganz nebenbei sägt ein solcher Irrsinn übrigens auch an den Grundlagen des Rechtsstaates. Denn wenn eine Dienststelle einen Bewerber für den insgesamt am besten geeigneten Kandidaten hält, und wenn dieser zufällig männlich sein sollte, dann hat diese Dienststelle ein Problem. In der Regel löst man das Problem, indem der Leiter oder die Leiterin dieser Dienststelle so lange an der Begründung für die Ablehnung einer formal gleich qualifizierten Bewerberin feilt, bis die Gleichstellungsbeauftragte in der Lage ist, diese Begründung formal zu akzeptieren. Nicht selten gibt sie selbst noch den einen oder anderen Tipp. Ob sie sich so oder anders verhält, hängt von ihrer individuellen Persönlichkeit ab. Das führt aber nicht nur zu einer aus der Not geborenen Rechtsbeugung, sondern es führt auch dazu, dass mit der Gleichstellungsbeauftragten einer einzelnen Person eine personalpolitische Machtfülle zuwächst, wie sie ansonsten im gesamten öffentlichen Dienst nicht zu finden ist. Ob dies rechtsstaatlich vertretbar ist, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Eines aber ist gewiss: Die staatlich aktiv herbeigeführte Gleichbehandlung erinnert auffällig an die nicht vorhandenen Kleider des berühmten Kaisers aus dem Märchen von Hans Christian Andersen. Dass der Kaiser nackt ist, traut sich mal wieder keiner zu sagen. Aber er ist nackt, und das kann jeder sehen, der es nur sehen möchte.

Thomas Apolte
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8 Antworten auf „Aktive Gleichstellungspolitik oder: Des Kaisers neue Kleider“

  1. Eine interessante Perspektive, hervorragend illustriert. Die selben Bemerkungen galten auch auf politischer Ebene bei den Quotenregelungen in Parteien und Ämtern.
    Auf die Spitze getrieben würde dieser Kollektivismus bedeuten, dass unter den Bewerbern für „typische“ Frauenberufe (weil Frauen aus persönlichen Gründen lieber von Frauen betreut werden möchten), wie Hebamme oder Kosmetikerin, Männern in den nächsten Jahren der absolute Vorzug zu geben ist.
    Oder dass Frauen, die sich als Bauarbeiterinnen bewerben, mit fast absoluter Sicherheit die Stelle erhalten würden.

  2. Der Fehler des Artikels befindet sich in folgendem Satz: „Viele staatliche Handlungs- und Einflussträger misstrauen solcherlei „blinder Objektivität“.“

    Sie gehen also davon aus, dass – würde der Staat nicht eingreifen – sich eine „blinde Objektivität“ herausbilden würde. Es gibt aber mannigfache Studien, nach der Männer eher Männer (vor allem auf höheren Posten) einstellen. Da aber zur Zeit in den Chefetagen vor allem Männer sitzen, hätten männliche Bewerber ohne staatliches Gegensteuern einen Bewerbungsvorteil. Diese staatliche Regelung gleicht also nur den Bewerbungsnachteil aus, den Frauen ansonsten haben.

    Wollte man die „blinde Objektivität“ zumindest etwas herstellen, müsste man fordern, dass bei Bewerbungen keine Fotos mehr verschickt werden (wie in den USA wegen der Schwarz-Weiss Problematik) und keine Vornamen auftauchen dürfen. Dann würde es zumindest bis zum Bewerbungsgespräch gerechter zugehen. Ab dann ist natürlich eine „blinde Objektivität“ nicht mehr herstellbar und staatliches Eingreifen ist wieder notwendig,

  3. @Volker
    Das wäre dann aber höchstens bis zu dem Punkt gerechtfertigt, an dem der Quotient aus Bewerber/Angenommene Bewerber bei beiden Geschlechtern gleich ist.
    Mir scheint aber, wie auch oben beschrieben, dass mit einer verqueren Ideologie dieses „Ziel“ weit übertroffen wird und tatsächlich die Meinung in die Richtung geht „Frauen wurde so lange benachteiligt, jetzt sind mal die Männer dran…“

  4. Woran machen Sie das fest? Es gibt mittlerweile mehr Abiturientinnen als Abiturienten, mehr Studentinnen als Studenten. Dennoch ändert sich der Frauenanteil in höheren Beschäftigten bestenfalls langsam meines Wissens. Und dies trotz dieser angeblichen „Bevorzugung von Frauen“.

  5. Das eigentlich negatve an dem Anti-Diskreminierungsgesetz ist nicht die Bürokratie, sondern die gesellschaflichen Fehlentwicklungen, wenn man in einer isonomischen Gesellschaft manche Gesellschaftsgruppen privilegiert.

  6. selten eine bessere erklärung für diskriminierung in deutschland gelesen.
    ich befinde mich zur zeit in südafrika, da ist der versuch der „ausgleichenden gerechtigkeit“ im berufsleben in form von affirmative action und black economic empowerment noch ausgeprägter – aber der artikelt passt in seiner grundaussage auch hier.

  7. An Volker: Eine „blinde Objektivität“ stellt sich immer dann ein, wenn von jeder Gruppe genau so viele Personen eingestellt werden, wie es ihrem Anteil an den Bewerbern entspricht. Das war die Aussage. Wenn sich Personalabteilungen an eine solche Regel nicht halten, weil sie z.B. lieber überhaupt nur Männer einstellen, dann stellt sich auch keine blinde Objektivität ein. In dem Punkt haben Sie Recht, aber den habe ich auch nicht bestritten. Rein algebraisch ist aber auch nicht zu bestreiten, dass das Gebot der formellen Gleichbehandlung verletzt wird, wenn man von einer Gruppe mehr Personen einstellt, als es ihrem Anteil an den Bewerbern entspricht. Genau das ist es aber, was im Namen der Gleichberechtigung gefordert – und häufig auch praktiziert – wird. Insofern sehe ich keine Fehler in der Argumentation.

    Ganz unabhängig von der formalen Logik würde ich mit Blick auf Ihr Votum aber mal folgenden Überlegungen nachgehen (welche zugegebenermaßen nicht allein auf formaler Logik beruhen):

    1. Für den Fall, dass jemand für sich privat handelt: Angenommen, Sie kaufen sich ein Gut von der Firma X und nicht von Y, einfach, weil Sie das so möchten. Ist das eine Diskriminierung der Firma Y, die der Staat bekämpfen muss? Oder angenommen, Sie gehen gern in ein bestimmtes Café, weil es dort eine nette Kellnerin gibt. Ist das nicht eine Diskriminierung aller anderen Kellner(innen)? Mit anderen Worten: Wo fängt eigentlich Diskriminierung an und wo soll die freie Wahl zwischen Alternativen enden?

    2. Für den Fall, dass jemand nicht für sich, sondern für eine Firma handelt: Wenn er dann den schlechteren Herrn X der besseren Frau Y vorzieht, wird das der Firma Schaden zufügen. Vielleicht wird sie gar in Konkurs gehen, wenn sich dererlei Personalpolitik allgemein durchsetzt in dieser Firma. Daraus folgt, ob Sie es glauben oder nicht: Mehr Wettbewerb an den Märkten unterdrückt Diskriminierung, und zwar – wiederum – mit blinder Objektivität.

    3. Vertrauen wir dieser blinden Objektivität hingegen nicht, dann müssen wir die im Text besprochene „Gegendiskriminierung“ anwenden, indem wir z.B. die Einstellung von Personen aus dieser Gruppe erleichtern und die Einstellung von Personen aus jener Gruppe erschweren. Das könnte rein formal eine bestimmte Diskriminierungsneigung ausgleichen, wenn es sehr präzise dosiert ist. In dem Punkt haben Sie Recht. Aber: Woher wissen Sie denn, ob die Dosis richtig ist? Woher wissen Sie, dass Sie die Diskriminierung nicht gleich umkehren und zugleich um eine Vielfaches verstärken? Das alles können wir gar nicht wissen. Denken Sie an die in meinem Beitrag angeführten Gleichstellungsregeln für deutsche Verwaltungen. Nichts von alledem beruht auf seriösen Abschätzungen darüber, ob damit bestehende Diskriminierungen abgebaut, umgedreht und/oder verschärft werden. Von Feindosierung ist da weit und breit nichts zu sehen. Das einzige, was wir beobachten, ist eine merkwürdige Mischung aus „Bauchgefühl“ und Political Correctness.

    Und genau deshalb bewirken diese Regeln nur eines: Sie machen einen unserer wichtigsten verfassungsrechtlichen Grundsätze zum Spielball öffentlichen Gezerres, statt ihn behutsam zu wahren.

  8. @ Thomas Apolte,

    „Wenn sich Personalabteilungen an eine solche Regel nicht halten, weil sie z.B. lieber überhaupt nur Männer einstellen, dann stellt sich auch keine blinde Objektivität ein. In dem Punkt haben Sie Recht, aber den habe ich auch nicht bestritten.“

    Wie jetzt? Sie gehen doch davon aus, dass sich ohne den staatlichen Eingriff eine blinde Objektivität herausstellen würde, wenn Sie schreiben: „Viele staatliche Handlungs- und Einflussträger misstrauen solcherlei „blinder Objektivität“. Sie wollen die Gleichbehandlung lieber selbst steuern“ Also noch mal genauer: die staatlichen Handlungs- und Einflussträger misstrauen nicht der „blinden Objektivität“ sondern sie wissen, dass es diese „blinde Objektivität“ eben gar nicht gibt. Gäbe es sie – da stehe ich zu ihnen gar nicht im Widerspruch – dann bräuchte man die staatlichen Regelungen nicht.

    „Rein algebraisch ist aber auch nicht zu bestreiten, dass das Gebot der formellen Gleichbehandlung verletzt wird, wenn man von einer Gruppe mehr Personen einstellt, als es ihrem Anteil an den Bewerbern entspricht.“
    Das will ich gar nicht bestreiten. Fakt ist aber: mit der staatlichen Regelung werden (theoretisch) mehr Frauen eingestellt, als es ihnen zustünde. Ohne die staatliche Regelung werden (praktisch) mehr Männer als es ihnen zustünde. Ersteres aber (leider) nur theoretisch: denn trotz dieser Regelung und der hohen Bewerberinnenzahlen in den letzten Jahren (z.T. schon Jahrzehnten) ist der Anteil der Frauen in den hohen Etagen kaum merklich gestiegen.

    zu 1.) Zum einen ist der Arbeitsmarkt nicht mit einem Gütermarkt zu vergleichen. Vor allem unterliegt man als Kunde anderen Regeln. Wenn aber jemand grundsätzlich an Ausländer keine Wohnung vermietet oder Ausländer nicht in seine Disco lässt, so hat er da auch ein Problem.

    zu 2.) Auch heute noch gibt es viel mehr Männer in Chefetagen als Frauen (übrigens in Deutschland ist der Anteil deutlich höher als in anderen vergleichbaren Staaten): glauben Sie wirklich, dass deutsche Männer objektiv betrachtet so viel besser als deutsche Frauen sind?

    zu 3.) „Woher wissen Sie denn, ob die Dosis richtig ist?“ Nun, wenn ich weiss, wie viel Frauen Abitur machen, wie viel Frauen ein Studium abschließen und wie wenig Frauen in die höheren Chefetagen kommen, dann weiss ich jedenfalls, dass die Dosis gegenwärtig nicht die richtige ist. Dies weiss ich auch, wenn ich es mit vergleichbaren Staaten vergleiche. Ob die Dosis mal irgendwann falsch sein könnte, wenn der Frauenanteil in den Chefetagen immer stärker steigen würde, weiss ich nicht. Aber diese positive Diskriminierung ist gegenwärtig richtig. Sie muss nicht für immer richtig sein.

    Und nur um es klarzustellen: Natürlich gibt es auch objektive Gründe für den geringen Frauenanteil in den Chefetagen (es liegt natürlich nicht nur an den „bösen“ Personalchefs), z.B. die geringe Zahl an Krippenplätzen. Die positive Diskriminierung ist nur EIN (und wahrscheinlich nicht einmal der wichtigste) Baustein. Aber noch gehört dies eben dazu.

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