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Gastbeitrag
Offener Brief an Hans-Werner Sinn

Lieber Herr Sinn,

bei unserer letzten Begegnung konnten Ihre Thesen Target2 betreffend nicht zu Ende diskutiert werden. Das will ich jetzt natürlich nicht nachholen, zumal man wohl davon auszugehen hat, dass Ihnen irgendwo irgendwann alles schon einmal gesagt worden ist. Da wir aber schon so viel Erfahrung miteinander haben, was die Hartnäckigkeit im Diskutieren anbelangt, lasse ich die Hoffung nicht fahren, dass wir zumindest, was die Sortierung der Probleme anbelangt, einen Schritt weiterkommen könnten, damit das, worüber wir einig sind, deutlicher separiert sei von dem, worüber weiter zu streiten wäre. Aber auch über Unterschiede der Sichtweise kann man ja nicht aufhören zu reden.

Es geht mir um Triviales, über das man einig ist oder sein könnte.

(1) Für den Mann der Währungsunion ist Target2 ein Zahlungssystem, kein Finanzierungssystem. Über das Target2-System wird kein Kredit gewährt. Ein Euro ist ein Euro, gleichviel ob er in Gestalt einer Forderung gegen die Deutsche Bundesbank oder als Forderung gegen den Banco d’Italia auftritt. Forderungen gegen die eine werden anstandslos und grenzenlos in Forderungen gegen die andere umgewandelt. In einer Währungsunion ist das so (in den Vereinigten Staaten nicht anders) und kann auch nicht in Frage gestellt werden, es sei denn, man möchte über etwas anderes reden als über eine Währungsunion, was selbstverständlich legitim wäre. Gutschriften und Lastschriften zugunsten respektive zulasten der  nationalen Zentralbanken im Zusammenhang mit  reinen Zahlungsvorgängen innerhalb der Währungsunion sind nicht als Kreditgewährung respektive Kreditaufnahme definiert. Auch sonst spreche ich, wenn ich eine Überweisung erhalte, davon, dass ich eine Gutschrift erhalten habe, dass ich nun ein Guthaben bei meiner Bank habe, dass meine Einlage bei der Bank sich erhöht hat, nicht davon, dass ich meiner Bank einen Kredit gegeben hätte, obwohl formal gesehen ja auch das nicht falsch wäre.

Eine irreführende Wortwahl bei der Kennzeichnung eines Sachverhalts ist kein guter Einstieg in dessen Analyse – auch nicht, wenn eine solche Kennzeichnung in einem erweiterten Zusammenhang Richtiges bezeichnet. Eine Entscheidung über Kreditgewährung oder Kredittilgung, über die Schaffung oder die Vernichtung von Zentralbankgeld mag  den Ergebnissen von Zahlungsvorgängen folgen oder vorangehen, man sollte sie dort untersuchen, wo sie stattfindet, nicht bei der Aufzeichnung von Zahlungsvorgängen. Die bloße Korrelation zwischen zwei Ereignissen,  und sei sie noch so hoch, begründet keinen kausalen Zusammenhang zischen ihnen, rechtfertigt vor allem keine Form der Gleichsetzung, lässt sich aber leicht so missbrauchen, um eine irrlichternde These mit suggestiver Evidenz auszustatten. Davor sollten wir uns einvernehmlich bewahren und andere davon abhalten. Ihnen unterstelle ich keinen Willen zu solchem Missbrauch. Sie kommen ja   auch durchaus schnell zur Hauptsache. Aber ich meine doch, man muss nicht bis in alle Ewigkeit daran festhalten, die bedenkenswerten Probleme bei der Schaffung von gemeinsamem Zentralbankgeld in einem System rechtlich selbständiger Zentralbanken zunächst einmal an den Target2-Salden festzumachen, nur weil man zufälligerweise  gerade dort auf den Einfall gekommen ist, dass es solche Probleme geben kann. So viel Treue zur Biographie der eigenen Genialität verlangt niemand.

(2) Die Betrachtung der Target2-Salden macht erst Sinn, wenn man die Möglichkeit untersucht, dass die Europäische Währungsunion aufgelöst und die EZB liquidiert wird. Dann werden aus internen Verrechnungsgrößen  Vermögenspositionen – beanspruchte, bestrittene, durchsetzbare, undurchsetzbare. Freilich, dann ändert sich so viel anderes zugleich, und womöglich in katastrophaler Weise, dass eine solche separate Antizipation wieder keinen Sinn macht. Auf keinen Fall darf man aber zwischen den Fällen des Going Concern und der Liquidation nach Belieben hin und her springen – wenn man möglichst ohne Missverständnisse miteinander reden will. Im einen Fall geht es um Gewinn und Verlust aus einer auf gemeinsame Rechnung laufenden Unternehmung und dessen Verteilung, im andern Fall um die Bilanz eines großen Scheiterns. Hier hilft nur separates Diskutieren. – Mit Einschränkung gilt das Gleiche für den Fall des Ausscheidens, namentlich des unfriedlichen Ausscheidens eines Mitglieds der Währungsunion.

Ob man einen negativen Target2-Saldo von Zeit zu Zeit ausgleichen muss (ob man ihn von Vornherein und solange er besteht als Stundung solcher Ausgleichspflicht interpretiert, und insoweit als Kreditierung) und gegebenenfalls wie, das berührt die Gewinnverteilung im System der Zentralbanken, es berührt unter Umständen  deren jeweilige Aktionsspielräume bei der Gewährung des Notenbankkredits, auf jeden Fall aber die Kosten des Zahlungsverkehrs, und es berührt die Vermögensposition der Mitglieder im Falle der Liquidation des Systems. Die Frage nach den Folgen für den Liquidationsfall, – die anscheinend jetzt vielen besonders in die Glieder gefahren ist, sei hier  nicht bis ins einzelne erörtert. Man wird nicht mehr für  einvernehmlich halten dürfen, dass dieser dritte Punkt nicht der dominante Gesichtspunkt sein kann, weil die Europäische Währungsunion im Prinzip nicht kündbar ist.

Konsensfähig dürfte hingegen sein: Anders als es gelegentlich geschieht, kann man aus der extrem niedrigen Rendite von Target2-Forderungen (die ohnehin eigentlich irrelevant ist, weil die  Erträge aus dem Notenbankgeschäft der gemeinschaftliche Gewinn der Euro-Notenbanken sind) keinen Schluss ziehen auf  die Rentierlichkeit des Netto-Auslandvermögen eines Landes, das aus der langjährigen Kumulation seiner Leistungsbilanzsalden entstanden ist und von dem es im deutschen Fall heißt, dass es nur etwa doppelt so groß ist wie die inzwischen aufgelaufenen Target2-Forderungen der Bundesbank (die zwar selbst keine Vermögenshalteposition verkörpern, hinter denen jedoch Vermögenshaltepositionen stehen, freiwillige, nicht erzwungene). Die Rendite des Netto-Auslandsvermögens ergibt sich aus der Rendite aller Komponenten des Brutto-Auslandsvermögens und aus der Zinslast aufgrund der  Brutto-Auslandsverschuldung. Allein die in den vergangenen Jahren enorm gesunkenen Zinsen für deutsche Schuldner dürften die Rendite des deutschen Netto-Auslandsvermögens merklich nach oben getrieben haben. Namentlich der deutsche Staat wird sich noch eine Zeitlang schwer tun, effektive Netto-Bürden aus der europäischen Staatsschuldenkrise nachzuweisen.

(3) Noch einmal: Verbringung von Zentralbankgeld und Schaffung von Zentralbankgeld sind grundverschiedene und zu trennende Vorgänge, zumal in einer Währungsunion. In einer Währungsunion ist Verbringung von Zentralbankgeld  schlicht Benutzung von Geld, zu dessen Wesen ja nun einmal die Möglichkeit der Weitergabe, geschenkweise oder gegen Entgelt – welches es auch sei -, gehört. Wer das akzeptiert, wer also die Welt aus einem Fenster der Währungsunion  betrachtet,   die Währungsunion selbst hingegen  als  Binnenwelt sieht, ordnet fundamentale Probleme bestimmter Art anders ein als jemand, der das nicht akzeptiert. Er sieht die Bedeutung von nationalen Leistungsbilanzen und Zahlungsbilanzen als grundlegend verändert an. Die Menschen halten sich vernünftigerweise an Signale, die dem Ursprung und der Abhilfe von Problemen, die sie zu lösen oder zu vermeiden haben, einigermaßen nahe sind und damit auch auf die je besondere Verantwortlichkeit für adäquates Handeln verweisen (was leider nicht heißt, dass  adäquat gehandelt wird). Leistungsbilanzsalden, Zahlungsbilanzsalden, Target2-Salden gehören für ihn nicht dazu.

Die Trennung in Verbringung von Zentralbankgeld und Schaffung von Zentralbankgeld fällt für denjenigen, der speziell an der Analyse der internationalen Dimension der Vorgänge interessiert ist, am leichtesten, wenn er sich an die Stelle des Systems der Europäischen Zentralbanken eine vollständig konsolidierte  Europäische Zentralbank denkt. Internationale Verbringung von Zentralbankgeld (innerhalb der Währungsunion) ist dann ausgeblendet. Wir reden dann nur noch über Schaffung von Zentralbankgeld. Was in diesem Falle von den in Ihren Analysen herausgestellten Problemen wegfällt, der ganze Target2-Kram zumal, wäre identifiziert als Folge der föderalen Organisation der Notenbank, was übrig bleibt, stellte sich als Folge der Geldpolitik und der sie bestimmenden Regeln dar.

Leichter fiele auch die Identifizierung und Einschätzung der Vorgänge und Probleme, die mit der Krise des Interbankenmarktes zusammenhängen. Diese lassen sich ja keineswegs aus der föderalen Organisationsstruktur des gemeinsamen Notenbanksystems und also auch nicht aus den Target2-Regeln erklären. Aber sie haben enormen Einfluss auf die Target2-Salden, ja, den allergrößten.

(4) Nachhaltig defizitäre Leistungsbilanzen und Kapitalflucht  haben sich trotzdem als die umstrittensten Fälle erwiesen, wenn es um  die Frage geht, inwieweit die Bedingungen einer Währungsunion, wie wir sie haben, für die Vermeidung und Überwindung  von Problemen, wie sie in den sogenannten Peripherieländern der Union sichtbar geworden sind, adäquat erscheinen und nicht vielmehr zu deren Perpetuierung beitragen. Der Streit hat nicht nur mit der Sichtweise betreffend Target2 zu tun, aber auch damit. Zur Beleuchtung dessen muss man etwas ausholen, obgleich es nur um Triviales geht. Wenn man sich über die angemessene Sichtweise nicht einig ist, muss man sich manchmal in die Redeweise der Erstklässler flüchten. Ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich das tue.

Ausgangspunkt sei: Zu den typischen Problemen, die entstehen können, wenn die Menschen andere Güter kaufen als  jene, die sie selbst herstellen (können), gehört, dass sie für die Güter, die sie selbst herstellen (können), nicht mehr in ausreichendem  Umfang Abnehmer finden und sie deshalb ihren Erwerb –  den mit ihrer Erwerbstätigkeit erworbenen Anspruch auf Güter – teilweise verlieren. Durch Reduktion dieses Anspruchs und durch weitere Anstrengungen, mehr an Dritte zu verkaufen, auch mittels Verbilligung, können sie im allgemeinen diese Folge abwenden; ein Teil der Anpassung wird aber immer auch ein endogen bestimmter Teilverzicht auf den zunächst gewünschten Kauf von Gütern fremder Hersteller sein. In einem freiheitlichen System ist dies die systemgerechte Form der Reaktion.

Die Einschränkung der Tauschfreiheit und der freien Geldwirtschaft sind andere Formen der Abwehr. Die Liste solcher Möglichkeiten ist sehr, sehr lang – Zölle, Handelsbeschränkungen, Beschränkungen des Geld- und Kapitalverkehrs etc. etc. Eine der wichtigsten ist die Schaffung nationaler Währungen mit national bestimmter Qualität (mit nationalem Geldwertverschlechterungsvorbehalt). In diesem Fall ist das System von Aktionen und Reaktionen durch eine zusätzliche Restriktion geprägt, die es bei einheitlicher Währung nicht gibt: Die Menschen sind nicht indifferent gegenüber Geldvermögensbeständen, die in jeder Hinsicht gleich scheinen, aber auf unterschiedliche Währungen denominiert sind, was nichts anderes heißt, als dass deren künftige Wertrelation der heutigen nicht verlässlich gleich ist. Die Überwindung dieses Mangels an Indifferenz kostet etwas (beim Preis, beim Zins, zu dem man einen Auslandskauf finanzieren kann), und das hält die Neigung der Menschen, mehr Güter im Ausland zu kaufen und mit Geld zu bezahlen, das die anderen weniger mögen als das eigene – und immer weniger -, in Grenzen. Ein Rückkopplungseffekt davon ist, dass der verbleibende „systemgerechte“ Anpassungszwang gemildert ist. Er besteht natürlich fort, aber der endogen bestimmte Teilverzicht auf den  Auslandskauf wird auf diesem Weg auch am Ende ein größeres Gewicht haben als bei der reinen „systemgerechten“ Anpassung. Freilich, die Wohlfahrtstheorie lehrt uns, dies nicht etwa zu loben, sondern zu tadeln – weil in einem Teilverzicht auf Außenhandel wegen unnötiger Transaktionskosten ein Wohlfahrtsverlust zu sehen ist. Man hat daher nicht zu beklagen, sondern zu loben, dass in einem  Land der Währungsunion die zunehmende Ersetzung von Käufen von Inlandsgütern durch Käufe von Auslandgütern nicht daran scheitern kann, dass die ausländischen Verkäufer das Geld der Inländer zu wenig mögen. Der Weg der „systemgerechten“ Anpassung, auf dem es die  zusätzliche Restriktion nicht gibt,  ist und bleibt der Weg der ersten Wahl. Dass dort die stabilisierenden Anpassungszwänge prinzipiell unzureichend sind, erscheint nicht begründet.

Im Falle eines Leistungsbilanzdefizits, dem kein gleich großer Überschuss in der Kapitalverkehrsbilanz gegenübersteht, zu dem womöglich sogar noch ein Defizit in der Kapitalverkehrsbilanz hinzukommt, ist die Notenbank einer Währungsunion (das System der Europäischen Zentralbanken) in doppelter Rolle im Spiel,

Die erste Rolle spielt sie uneingeschränkt zwangsläufig, bei jedem Vorgang der  Geldüberweisung über Distriktgrenzen hinweg, die zweite Rolle spielt sie nicht uneingeschränkt zwangsläufig, nicht wie ein Automat, wenngleich nach bestimmten Regeln. Bei der zweiten geht es um die Schaffung und Vernichtung von Zentralbankgeld durch die Gewährung beziehungsweise Tilgung von Notenbankkredit (oder durch den Kauf beziehungsweise Verkauf von Wertpapieren) in den Distrikten der Union. Bei der ersten ist Kreditgewährung nicht im Spiel; allerdings hebt die Verpflichtung aller Notenbanken des Systems auf den Grundsatz „ein Euro ist ein Euro“ den Unterschied zwischen einem Inlandskredit und einem internationalen Kredit auf. Letzteres ist, wie zuvor erläutert, für das Entstehen eines Leistungsbilanzdefizits und die simultan ausgelösten Anpassungszwänge von großer Bedeutung: Man braucht keinen Auslandskredit oder eigenes  Geld im Ausland, um dort kaufen zu können. Auch in quantitativer Sicht sind die erste und die zweite Rolle nicht gleich zu setzen. Denn ein Geldabfluss (Defizit der Zahlungsbilanz) muss nicht in jedem Falle betragsgleich ersetzt werden, damit die Geldversorgung gewährleistet bleibt. Eng ist der quantitative Zusammenhang aber schon. Da die Verminderung des Zentralbankgeldbestandes  im Geldabflussland nicht ohne weiteres – und jedenfalls zumeist nicht – zum dort fortbestehenden Bedarf an Zentralbankgeld passt, etwa dem Bedarf an Guthaben aus Mindestreservegründen,  muss dort zusätzliches Zentralbankgeld geschaffen werden. Umgekehrt gilt das Gleiche für das Geldzuflussland. Dies ist auch nicht der Stein des Anstoßes

Jedoch: Aus dem Zusammenspiel von Rolle eins und Rolle zwei können sich räumliche Verschiebungen in der Schaffung von Zentralbankgeld ergeben, die    gravierende Verschiebungen bei den Schuldnern des Notenbankkredits und dessen Besicherungen mit sich bringen, Verschiebungen, die volkswirtschaftlich nicht von allen als unproblematisch angesehen werden und deshalb verständlicherweise Attacken von Kritiker auslösen. Wird der Notenbankkredit im Geldabflussland zu fragwürdigen Bedingungen gewährt? Stellt die Schaffung des den Geldabfluss ersetzenden Zentralbankgeldes eine Begünstigung dieses Landes dar? Hat das Risikomanagement der EZB versagt? Darüber ist in der Tat zu diskutieren. Aber es wäre eben keine Diskussion über die Target2-Regeln.

Der Notenbankkredit im Zusammenhang mit einem Zahlungsbilanzdefizit ergibt sich  nicht aus dem Target2. Daraus ergibt sich bloß, dass man Geld, das man hat, gleichviel ob man es verdient, gespart oder von irgendwem geliehen bekommen hat, auch für Auslandsgüter ausgeben kann. Oder dass man es im Ausland aufbewahren kann. Und wenn es das Target2 nicht gäbe, müsste man ein anderes Zahlungssystem haben, das letztlich das gleiche zustande bringen müsste, wenn auch unsinnigerweise etwas umständlicher, etwas weniger perfekt. Die Gegner vonTarget2 müssen den Eindruck vermeiden, sie wollten ein weniger perfektes Zahlungssystem, weil jeder Mangel an Perfektion wie ein Handelshemmnis wohltuend dem beklagten Leistungsbilanzdefizit entgegenwirkt. Das wird jedermann in Abrede stellen wollen. Trotzdem wird manchmal der Eindruck erweckt, als solle man ein internationales Zahlungssystem so ausgestalten, dass mit der Ausführung der Zahlungen die Pflicht zum Ausgleich der Zahlungen – Ausgleich der Zahlungsbilanz – (in bestimmter Frist) verbunden wird. Das ist absolut inakzeptabel.

Die Verbringung von Geld verursacht Kosten. Auch in einer Währungsunion. Die müssen getragen werden. Wie früher selbst beim internationalen Goldstandard.  Aber nicht mehr. Die Umwandlung einer Forderung gegen die Zentralbank des Distrikts A in eine Forderung gegen die Zentralbank des Distrikts B verursacht geringe Kosten. Und die Erfindung des Target2 hat sie gottlob minimalisiert. Hier nun die Kosten der Besorgung eines Zahlungsbilanzausgleichs (Kosten für die Mobilisierung von Leuten, die  Geld in der Form einer Forderung gegen eine Bank in A statt in B halten wollen, in welcher Ausgestaltung auch immer dranzuhängen, wäre reine Willkür, und eine Verletzung des Grundsatzes „ein Euro ist ein Euro“. Und warum überhaupt Zahlungsbilanzhausgleich? Die nationale Zentralbank hat auch in der Währungsunion eine gewisse Restzuständigkeit für nationale Dinge. Aber eine Zuständigkeit für einen nationalen Zahlungsbilanzausgleich hat sie nicht.  Also: Weg von der Diskussion um Target2, hin zur Diskussion über die eigentlichen Probleme. Wenn es bessere und ebenfalls diskriminierungsfreie Regeln für die Schaffung von Zentralbankgeld im System der Europäischen Zentralbanken gibt, die den Zahlungsverkehr nicht behindern, möge man sie finden und  in Kraft setzen. Wenn nicht, dann nicht.

Die Missverständnisse in der Diskussion über die Spielregeln der Währungsunion haben inzwischen manche Attacken ins Vulgäre abgleiten lassen. Ich nehme an, wir sind uns da einig. Auch ein nachhaltiger Überschuss der  Ausgaben für Auslandgüter über die Einnahmen aus dem Auslandsverkauf von Inlandsgütern, dem nicht in entsprechende Maße ein Geldzustrom aus Auslandskrediten oder aus der Rückführung von Auslandsanlagen gegenüber steht,  verdient nicht allemal eine Kennzeichnung wie diese: Die Menschen dieses   Landes leben großenteils auf Pump, und da ihnen inzwischen kaum noch einer etwas pumpt, lassen sie  sich zusätzliches Geld von ihrer Zentralbank drucken, geben es aus und hören ohne große Irritation an, dass die Bundesbank alles als geliehen aufgeschrieben hat und irgendwann wiederhaben will. Das ist vulgär, und es ist unhaltbar.

(5) Einigkeit besteht  darin, dass die Neigung der Menschen, in kollektivem Begehren höheren Verdienst zu erstreiten als dem Wert dessen entspricht, was sie erarbeiten, und die Neigung des Staates, mehr Geld auszugeben, als er heute oder später an Einnahmen erwarten kann, die beiden wichtigsten Wurzeln für die Probleme darstellen, die uns umtreiben. Einigkeit könnte eigentlich auch bezüglich einer weiteren Feststellung  bestehen: Die Tatsache, dass die Menschen das gleiche Geld benutzen und dass ein Euro ein Euro ist, gleichviel wo er sich gerade befindet, ist nicht (mit) dafür verantwortlich zu machen, dass aus diesen beiden Wurzeln immer wieder einmal in einem Land Schlimmes erwächst.

(6) Wir stellen uns zum Abschluss einmal vor, wie ein Mann der europäischen Notenbanken, zum Beispiel der Chef einer der GIIPS-Notenbanken, das Ganze sieht. Er sagt vielleicht, wenn man ihn nicht unterbricht:

„ Im Raum einer Währungsunion braucht man eine bestimmte Menge Zentralbankgeld – Münzen, Banknoten, Guthaben bei der Notenbank. Wir stellen das Zentralbankgeld normalerweise dort her, wo es gebraucht wird. Es wandert aber hin und her, so dass manchmal im einen Bezirk mehr ist, als man    braucht,  im anderen weniger. Wir nehmen dann dort etwas zurück, hier reichen wir etwas nach. Wir geben unser Geld her im Tausch gegen Dinge, an deren dauerhafter Werthaltigkeit wir nicht zweifeln und die einen dazu passenden Ertrag versprechen, meist aber verleihen wir es – im Prinzip immer nur für kurze Zeit – gegen Zins an Banken, deren Solvenz für uns nicht in Zweifel steht und die uns dazu noch überreichlich Pfänder geben. Der Schlagschatz, das heißt die Summe aller Erträge aus dem Notenbankgeschäft geht in die gemeinsame Kasse, deren Inhalt – es kann auch ’mal ein Verlust sein – allen nach Maßgabe ihrer Kapitalanteile an der EZB zufließt. Es kann mir also völlig egal sein, wie viel von dem gesamten Bestand an Zentralbankgeld durch meine Hände in die Welt kommt. Tatsächlich ist gegenwärtig der allergrößte Teil des insgesamt in der Welt befindlichen Zentralbankgeldes der Europäischen Währungsunion durch meine Hand und die Hände meiner Kollegen der sogenannten GIIPS-Gruppe gegangen und danach überwiegend in die Distrikte der übrigen Kollegen weitergeflossen. Und da das Weiterfließen von Geld für uns bedeutet das Weiterfließen von Schulden, unserer Schulden (denn Zentralbankgeld ist ja gleichbedeutend mit Zentralbankschuld), stehen diese im Innenverhältnis der Banken des Systems der Europäischen Zentralbanken jetzt als Lastschrift auf unserem Konto bei der EZB und im Außenverhältnis auf einem Konto einer anderen Mitgliedsbank, die deshalb jetzt bei der EZB ein Guthaben verzeichnet. (Die beiden Buchungen das Innenverhältnis betreffend sind reiner Reflex des örtlichen Wechsels der Schuldnerpositionen im Außenverhältnis; man darf sie also getrost vergessen, bis man das Innenverhältnis der örtlichen Einheiten zum Thema macht.)

Wir reißen uns nicht darum, bei der Emission von Zentralbankgeld den großen Zampano zu spielen, haben keinen Cent zusätzlichen Schlagschatz davon. Auch unsere Kunden haben wir nicht begünstigt. Von uns hat niemand einen (besonders günstigen) Notenbankkredit bekommen, der nach den gemeinsam festgelegten Regeln der EZB keinen (besonders günstigen) Kredit bekommen sollte. Und unseretwegen hat nirgendwo sonst in der Union jemand einen (besonders günstigen) Notenbankkredit nicht bekommen, der ihn nach den gemeinsam festgelegten Regeln hätte bekommen sollen. Was uns gleichwohl bleibt, sind Anfeindungen, Anfeindungen aus Gründen, die unsere Kritiker womöglich selbst nicht richtig verstehen, warum sonst stellen sie eine so einfache Sache wie die Entstehung und Verwendung von Zentralbankgeld so umständlich dar, dass am Ende alle nur noch in gestanzten Formeln davon reden.

Eine der gestanzten Formeln ist diese: „Der Staat, die Zentralbank bedient sich der Notenpresse“. Das ist bildkräftig. Das trifft die Sache. Im historischen Gedächtnis der Menschen ist der Ausdruck zudem  beladen mit der Erinnerung an schlimme und schlimmste, ja, verbrecherische Ereignisse in der Geschichte des Geldwesens. Das schleppt der Ausdruck freundlicherweise gleich mit. Und die übelwollenden Beobachter nutzen den Vorteil, mit der Verwendung des üblen Terms, wo es ihnen passt, schwerste Vorwürfe ins Bild zu rücken, ohne diese (noch einmal) begründen zu müssen. Es genügt, wenn die Metapher sachlich stimmt.

Ein besonders großes Bohei haben sie daraus gemacht, dass in unserer Bilanz den großen Aktivposten (den Forderungen aus der Gewährung des Notenbankkredits) nicht vor allem Passiva in Gestalt von Kundeneinlagen gegenüberstehen, sondern  in Gestalt der großen kumulierten Lastschrift bei der EZB aufgrund des Abflusses von Kundengeldern. Sollen wir unseren abgeflossenen  Passiva nun auch noch unsere Aktiva hinterher schicken? Damit das Ganze als etwas Schlimmes ausschaut, versuchen es die Anwälte der Kernländer mit einer Drohgebärde:  „Wenn wir den ganzen Laden in die Luft fliegen lassen, müsst ihr alles rückabwickeln, sprich, müsst ihr von Euren Kreditnehmern verlangen, dass sie das ihnen geliehene Zentralbankgeld zurückholen und Euch zurückgeben, womit es endlich vernichtet wäre.  Dann ist auch Eure Lastschrift bei der EZB weg und unser „Kredit“ an die EZB  getilgt. Wir haben zwar nichts davon, aber so große Zahlen mögen wir einfach nicht. Wir machen uns unser Geld auch lieber selbst, als es uns ausgerechnet von euch machen zu lassen.“ Gott sei Dank haben sie aber noch genug Angst davor, dass wir das mit der Rückabwicklung  nicht hinkriegen.“

Lieber Herr Sinn, ich habe versucht, möglichst keinen Satz zu schreiben, dem Sie widersprechen müssen, äußerste Selbstbeherrschung vorausgesetzt. Aber bevor wir über die Folgen von so viel vermutetem Einvernehmen nachdenken, müssen wir dasselbe wohl erst einmal feststellen. Ich schreibe Ihnen diesen Brief als offenen Brief, weil ich meine, dass so manch einer Interesse haben könnte an diesem Versuch, in der hoch aufgeladenen Debatte auch Nicht-Streitiges zu sehen.

Mit besten Grüßen

Ihr

Olaf Sievert