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Der europäische Albtraum
Das Schicksal des Euro entscheidet sich am Arbeitsmarkt

„Letztlich wird die Währungsunion nicht durch Hilfspakete, sondern nur durch Reformen in den Peripherieländern gerettet“ (Jörg Krämer)

Zuerst die gute Nachricht: Seit März schaut die EWU nicht mehr direkt in den finanziellen Abgrund. Die EZB flutete im Februar 2012 zum zweiten Mal nach Dezember 2011 die Geldmärkte. Für viele hat dieses monetäre Doping das Schlimmste verhindert. Nun die schlechte Nachricht: Die EZB monetisiert Staatsschulden und betreibt „monetäre Industriepolitik“. Damit schürt sie Inflation und nährt Zombie-Banken. Die Ruhe an der Finanzfront ist trügerisch, Spanien zeigt es. Nur wenn die Politik die Zeit nutzt, die realen Probleme zu lösen, bleibt die finanzielle Tragödie aus. Gelingt das nicht, fliegt uns der Euro eher über kurz als lang um die Ohren. Der Weg aus dem fiskalischen Schlamassel führt nur über mehr Beschäftigung und Wachstum. Von dieser Front kommen aber keine guten Nachrichten. Die Lage auf den europäischen Arbeitsmärkten ist schlecht. Im Februar 2012 lag die Arbeitslosenquote im Euroraum [1]bei 10,8 %, nach 9,5 % vor einem Jahr. Besonders schlimm ist es in den PIGS. In Griechenland und Spanien ist schon jeder zweite Jugendliche arbeitslos. Vieles spricht dafür, dass sich das Schicksal des Euro auf den Arbeitsmärkten entscheidet.

Arbeitslosigkeit in der EWU

Die Erfahrungen der Problemländer in der EWU zeigen, wie schwierig es für sie ist, adäquat auf Schocks [2] zu reagieren. Vor allem bei asymmetrischen Schocks fehlt der Wechselkurs als Stoßdämpfer hinten und vorne. Aber auch der Weg über mobile Arbeit ist in Europa nur sehr schwer gangbar. Arbeit ist relativ immobil. Das gilt räumlich und beruflich. Die Anpassung an neue wirtschaftliche Gegebenheiten ist damit nur über (produktivitätsbereinigte) flexible Löhne möglich. In den PIGS kann man sehen, wie schwer es fällt, diesen Weg über interne Abwertungen zu gehen. Der eingeschlagene Weg, die Anpassungslasten über finanzielle Transfers der Anderen zu finanzieren, kuriert nur an Symptomen. Bestenfalls verschafft er den Ländern eine finanzielle Atempause, die sie nutzen, um sich an das Unvermeidbare anzupassen. Schlimmstenfalls produziert er lohnpolitisches „moral hazard“. Wie man es auch dreht und wendet, eine Währungsunion wie die Europäische überlebt nur, wenn die Anpassungslasten über flexible Arbeitsmärkte von den Arbeitsmarktakteuren getragen werden.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Euroraum auf eine Quote von 10,8 % ist nicht neu. Die Marke von 10 % wurde für die späteren Länder der EWU(17) schon einmal Mitte der 90er Jahre überschritten. Danach ging es allerdings mit einer Unterbrechung nach dem Platzen der Dotcom-Blase tendenziell abwärts. Ein Tiefpunkt der Arbeitslosigkeit wurde vor Ausbruch der Finanzkrise mit einer Quote von nur noch 7,3 % erreicht. Bemerkenswert ist, dass die Länder der „Kern-EWU“ immer niedrigere Quoten der Arbeitslosigkeit als die EWU(17) aufwiesen. Eklatante Unterschiede traten vor allem in der weltweiten Finanzkrise nach 2009 auf. Diese Kluft vertieft sich gegenwärtig noch. Interessant ist auch, dass die Arbeitslosenquote im US-amerikanischen Währungsraum seit 1992 bis zum Ausbruch der Finanzkrise ständig mehr oder weniger stark unter der Quote der Länder der heutigen EWU lag. Das hat sich allerdings mit der Finanzkrise geändert. Die amerikanische Arbeitslosenquote näherte sich jener der EWU (17) und liegt heute deutlich über der Quote der Länder der Kern-EWU.

Arbeitslosigkeit [3]
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Hinter den Arbeitslosenquoten der Gruppen von Ländern in der EWU verbergen sich allerdings große Unterschiede. Die Lage auf den europäischen Arbeitsmärkten ist sehr heterogen. Welches Maß man auch nimmt, die länderspezifischen Arbeitslosenquoten streuen in der Gruppe der EWU(17) stärker als in den Ländern der Kern-EWU. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise nahm nicht nur die Streuung in den Gruppen, sondern auch zwischen ihnen tendenziell ab. Seit der Finanzkrise spreizt sich aber die Streuung zwischen den beiden Gruppen wieder auf, weil die Gruppe der EWU(17) wieder heterogener wird. Die Lage auf den europäischen Arbeitsmärkten wird wieder heterogener, vor allem bei den EWU(17). Interessant ist die Entwicklung in der amerikanischen „Vergleichswährungsunion“. Dort liegt die Streuung der regionalen Arbeitslosenquoten grundsätzlich niedriger. Und sie verändert sich im Zeitverlauf nicht besonders stark. Auch die Finanzkrise hat daran nicht sehr viel geändert. Offensichtlich sind die Löhne in den USA flexibler und die Arbeitnehmer inter-regional mobiler.

Heterogene Arbeitsmärkte

Einen Anhaltspunkt, warum die europäischen Arbeitsmärkte so heterogen sind, geben die Beveridge-Kurven. Sie zeigen an, wie sich im Zeitverlauf die Arbeitslosenquote und die Quote der offenen Stellen verändern. Eine Bewegung auf der Kurve signalisiert, dass sich die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit verändert, eine Verschiebung deutet darauf hin, dass die strukturelle Arbeitslosigkeit variiert. Bewegt sich ein Land auf der Kurve hin zu einer höheren Arbeitslosenquote, ist allerdings noch nicht klar, was die Ursachen sind. Die Gründe können keynesianisch oder klassisch sein, also mangelnde gesamtwirtschaftliche Nachfrage oder zu hohe (Real-)Löhne. Verschiebt sich die Kurve nach außen, nimmt die strukturelle Arbeitslosigkeit zu. Alle Varianten der Mismatch-Arbeitslosigkeit begünstigen eine solche Entwicklung. In der Realität vermischen sich beide Arten von Arbeitslosigkeit. Trotzdem gibt die Veränderung der Beveridge-Kurve wichtige Hinweise, wohin sich die Arbeitsmärkte entwickeln. Das ist die Basis für notwendige arbeitsmarktpolitische Aktivitäten.

Die Beveridge-Kurven für verschiedene Gruppen von Ländern der EWU entwickelten sich unterschiedlich. Das wird am deutlichsten, wenn man die Zeit vor der Euro-Krise (2001 – 2006) mit der seit der Krise (2007 – 2011) vergleicht. Für die Länder der EWU(17) verschiebt sich die Beveridge-Kurve nicht nur nach außen. Es kommt auch zu einer Bewegung auf den Kurven nach unten. Das deutet darauf hin, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit nach Ausbruch der Euro-Krise sowohl gesamtwirtschaftliche als auch strukturelle Ursachen hat. Völlig anders verlaufen die Beveridge-Kurven für die Länder der Kern-EWU. Die Kurve verschiebt sich im Zeitverlauf nicht nur nach innen, die Länder bewegen sich auch auf der Kurve nach oben. Das wiederum deutet darauf hin, dass sich sowohl die gesamtwirtschaftliche Lage auf den Arbeitsmärkten als auch die strukturelle Situation verbessert hat. Einen großen Einfluss auf dieses Ergebnis übt zweifellos der positive deutsche Arbeitsmarkt aus. Der Erfolg auf den Absatzmärkten der Welt und die Arbeitsmarktreformen unter Rot-Grün begünstigen diese Entwicklung.

Beveridge-Kurve [4]
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Die Lage auf den Arbeitsmärkten der PIGS stellt sich etwas anders dar als im Kern der EWU. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise verlagerte sich die Beveridge-Kurve nach außen. Die Mismatch-Arbeitslosigkeit nahm zu. Gleichzeitig verstärkte sich aber auch die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit. Die Länder der europäischen Peripherie bewegten sich auf der Kurve weit nach unten. Aber auch die Lage auf den amerikanischen Arbeitsmärkten zeigt eine überraschende Entwicklung. Bis zur Finanzkrise bewegte sich die amerikanische Volkswirtschaft auf der Beveridge-Kurve nach oben. Mit der Finanzkrise folgte der gesamtwirtschaftliche Absturz. Die Arbeitslosenquote stieg, die Quote der offenen Stellen ging zurück. Mit dem verhaltenen Aufschwung seit 2009 änderte sich allerdings das Bild. Die Beveridge-Kurve verschob sich nach außen. Es spricht einiges dafür, dass strukturelle Faktoren eine größere Rolle spielen als vor Ausbruch der Krise. Hat der Virus der Eurosklerosis nun auch die USA [5]erreicht?

Inflexible Arbeitsmärkte

Die Dynamik der Beveridge-Kurven in der EWU zeigt, wie heterogen die europäischen Arbeitsmärkte sind. Es spricht vieles dafür, dass die Gruppe der EWU(17) seit dem Ausbruch der Finanzkrise stärker als zuvor unter gesamtwirtschaftlicher und Mismatch-Arbeitslosigkeit leiden. Das ist ein Indiz für die grundsätzliche Schwäche europäischer Arbeitsmärkte. Für die Länder der Kern-EWU gilt das allerdings nur bedingt. Die Lage auf deren Arbeitsmärkten hat sich eher entspannt. Das ist auch ein Ergebnis von Reformen und zeugt von der – allerdings nur – relativen Stärke der Arbeitsmärkte der EWU-Kernländer. Die Gruppe der PIGS wiederum scheint weniger unter Mismatch-Problemen, sondern vor allem unter massiv steigender gesamtwirtschaftlicher Arbeitslosigkeit zu leiden. Das spricht für einen desolaten Zustand der Arbeitsmärkte in der europäischen Peripherie. Die Entwicklung der realen effektiven Wechselkurse der unterschiedlichen Gruppen von Ländern kann erste Hinweise geben, warum die Schwierigkeiten auf den Arbeitsmärken unterschiedlich groß sind.

Der reale effektive Wechselkurs zeigt, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der Länder verändert. Er berücksichtigt nicht nur den Wettbewerb auf den Heimatmärkten der verschiedenen Wettbewerber, sondern auch den Wettbewerb auf anderen Exportmärkten. Die Länder der EWU(17) haben seit der Einführung des Euro stetig an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verloren. Erst seit der Finanzkrise verbessert sich die Situation wieder spürbar. Bei den Ländern der Kern-EWU ist der Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit allerdings weit weniger stark ausgeprägt. Das liegt auch ganz wesentlich daran, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft über die ganze Zeit hinweg zugenommen hat. Dieser Trend hat sich seit der Finanzkrise noch einmal verstärkt. Ein Vergleich mit dem US-Währungsraum zeigt allerdings, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft fast über den gesamten Zeitraum hinweg verbessert hat, teilweise erheblich. Die Finanzkrise brachte einen Einbruch, der aber relativ schnell wieder kompensiert wurde.

Effektiver Wechselkurs [6]
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Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der PIGS-Länder hat sich fast parallel zur EWU(17) entwickelt. Bis zur Finanzkrise verschlechterte sie sich stetig. Der größte „Sünder“ war Irland. Die Wettbewerbsfähigkeit verschlechterte sich bis 2007 um über 40 %. Spanien folgte mit gewissem Abstand. Der reale effektive Wechselkurs wertete um 25 % auf. Die Reaktionen auf die miserable Lage fallen allerdings unterschiedlich aus. Allein Irland hat bisher seine Hausaufgaben gemacht. Seit 2008 hat sich die Wettbewerbsfähigkeit um über 20 % verbessert. In Spanien waren es nur knapp 8 %. Trotzdem haben sich die Exporte in Spanien besser entwickelt als in Irland. Das liegt auch daran, dass spanische Unternehmen neue Marktanteile auf Märkten außerhalb des Euro-Raumes [7] gewonnen haben. Offensichtlich sind neben den realen effektiven Wechselkursen auch noch andere Faktoren, wie die Produktpalette, die Qualität, die Kundenpräferenzen etc. wichtig. Die PIGS haben auf alle Fälle steinige strukturelle Reformen vor sich, wenn sie die Lage auf ihren Arbeitsmärkten verbessern wollen.

Fazit

Die europäischen Arbeitsmärkte sind heterogen. Auf den meisten ist die Lage grottenschlecht. Die EWU hat nur Bestand, wenn flexiblere Arbeitsmärkte die Basis für wirtschaftliches Wachstum schaffen. Nur dann wird die Schuldenlast tragbar. Die adäquate Antwort ist mehr Wettbewerb. Das macht strukturelle Reformen vor Ort notwendig. Zentralistische Lösungen verbieten sich. Es ist kontraproduktiv, die Lasten der Anpassung zu sozialisieren und von Steuer- und Beitragszahlern finanzieren zu lassen. Die Lasten müssen individuell über flexiblere Löhne, anpassungsfähigere Lohnstrukturen und mobilere Arbeit getragen werden. Notwendig ist ein institutionelles Design, das verhindert, dass Lasten auf Dritte abgewälzt werden. Das macht dreierlei erforderlich: 1) Die Lohn- und Tarifpolitik muss dezentral auf der Ebene der Betriebe erfolgen. 2) Der Sozialstaat darf nicht von Tarifpartnern und Politik in beschäftigungspolitische Geiselhaft genommen werden. 3) Die Ordnungsregeln des Staates müssen Subsidiarität und wettbewerblicher Föderalismus sein. Allerdings treten die Rettungseuropäer dieses Prinzip der Dezentralität mit Füßen. Das überlebt der Euro in seiner gegenwärtigen Form nicht. Kern und Peripherie werden über kurz oder lang währungspolitisch getrennte Wege [8] gehen.