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Staatspaternalismus am Kiosk:
über Raucher, Spieler und Manager

Wer in den vergangenen Wochen Zigaretten oder Zeitungen kaufen wollte, mußte ein wenig mehr Geduld aufbringen. Größere Kioske bildeten zwei Schlangen: eine für Spieler und eine für Sonstige. Wer es auf den Jackpot von 45 Millionen EUR abgesehen hatte, brauchte sehr viel länger, als wer als Raucher (qua Tabaksteuer) seinen Beitrag zur Finanzierung der inneren Sicherheit und (qua Lebenserwartung) zur Entlastung der Rentenversicherung hat entrichten [1] wollen. Wer noch dazu eine Zeitung mitnahm, erfuhr etwa, daß das SPD-Präsidium „beschloß“, daß „sittenwidrig hohe Managerbezüge“ die „Gesamtmotivation einer Gesellschaft“ schädigten und deshalb gesetzlich eingedämmt werden müßten (FAZ, S. 15 vom 11.12.2007). Viele Kiosk-Kunden wollten wohl am liebsten alles: unverdient Millionen abkassieren, dabei eine Zigarre rauchen und sich über sittenwidrige Managermillionen empören.

Auch der Kiosk dient als Erfüllungsgehilfe von Vater Staat. Raucher und Lottospieler paffen und spielen Geld in staatliche Kassen; Zeitungsleser leisten auch ihren Beitrag zum Allgemeinwohl, aber (noch) zum verminderten „Mehrwert-“ Steuersatz. Anders als Zeitungsleser unterliegen Lottospieler wie Raucher freilich auch einer Willensschwäche, die aber wiederum vor allem ihnen selbst schadet: die Masse der Lottospieler verspielt ihr eigenes Geld; die Masse der Raucher spielt mit ihrer eigenen Gesundheit. Garantierter Gewinner bleibt in beiden Fällen der Fiskus. Die politisch-korrekte Rhetorik verfängt noch am ehesten auf den Warnhinweisen der Zigarettenpackung: Rauchen verursacht objektive Gesundheitsrisiken (der Aktiv- oder Passivraucher), die aber von den (Aktiv-) Rauchern geringer eingeschätzt werden als ihre eigenen subjektiven Genüsse und Bedürfnisse. Tabaksteuer und Gaststättengesetz bestrafen deshalb Aktivraucher für gewollte (aber „falsche“) Präferenzen und beschützen Passivraucher vor ungewollter Belästigung (externe Effekte). Aus ordnungsökonomischer Sicht erscheint nur das zweite Staatsanliegen zunächst plausibel: es ist schließlich, ökonomisch wie moralisch, „billiger“, in öffentlich geteilten Räumen ein Abwehrrecht der Nichtraucher geltend zu machen, als in jedem Konfliktfall einem Raucher den Verzicht auf sein lasterhaftes Handlungsrecht erkaufen zu müssen. Aber hätte es dafür gesetzlicher Zwangsanweisungen für Gaststätten bedurft? Kein Gesetz hinderte bisher Restaurantbesitzer, sich mit rauchfreien Etablissements gewinnbringend attraktiv zu machen.

Freilich: Welcher liebende Vater würde nicht versuchen, seinen Kindern das Rauchen auszureden oder wenigstens zu ver(s)teuern (auch wenn er selbst rauchte)? Und hat nicht Vater Staat die Legimitation (der Mehrheit) seiner Kinder (Wähler), ihre Lebensführung zu maßregeln? Wir reden im demokratischen Plural, gemeint ist damit vor allem: das Leben der Anderen zu maßregeln? Wenn Demokratie alles ist, bleibt die Antwort: ja. Wenn die Mehrheit Rechte Einzelner zu achten hat, bleibt die Antwort abzuwarten. Man muß dann zumindest dort abwägen, wo individuelle Handlungsrechte unklar, soziale Handlungsfolgen aber deutlich und unerwünscht sind. Das Problem des am Kiosk beobachtbaren Paternalismus scheint mir darin zu liegen, daß diese Abwägung von persönlichem Eigentums- und Vertragsrecht (individueller Freiheit) auf der einen Seite und staatlichen Zwangsmaßnahmen in der Verfolgung politischer Zwecke auf der anderen Seite kaum noch stattfindet. Politik ist heute die Festlegung kollektiv als erwünscht unterstellter Zustände; wobei der Verlust an individueller Selbstbestimmung kaum mehr als bedeutsam in Rechnung gestellt wird.

Man vergleiche zum Lotto: auch hier profitiert der Staat vom Laster seiner Bürger, zeigt sich aber als schlechter „Vater“. Wollte man Lottospieler ebenso konsequent wie Raucher vor sich selbst schützen, müßte jeder Lottoschein einen Warnhinweis enthalten, der etwa äußerte: „Lotto spielen ist unvernünftig. 50% Verlust der Einsätze sind staatlich garantiert, denn nur die Hälfte der Einnahmen wird an die Spieler zurückgegeben“. Aber auch für die Spielleidenschaft seiner Bürger braucht sich ein liberaler Staat letztlich genauso wenig verantwortlich zu fühlen wir für das Laster des Rauchens. Es wäre schon etwas gewonnen, würde er von diesem Laster nicht auch noch als quasi-monopolistischer Anbieter profitieren.

Was hat all dies mit Manager-Gehältern zu tun? Spitzenmanagergehälter von 4,6 Millionen Euro jährlich (Durchschnitt der Vorstandsvorsitzenden des Dax 30) halten 70% der Bundesbürger für unanständig; der Staat soll eingreifen ( Forsa-Umfrage [2]). Ein unverdientes Einkommen von 15 Millionen Euro (jeweils für die drei glücklichen Knacker des Lotto-Jackpots), bezahlt von weit mehr als 70% glücklosen Spielern, nötigt dagegen Respekt ab: Spiel ist Spiel; ebenso gut hätte ich selbst gewinnen können. Hätte ich auch ebenso Porsche zu einem Netto-Jahresgewinn von über 4 Milliarden Euro verhelfen können? Vielleicht nicht; eher schon hätte ich es vermocht, die Sächsische Landesbank in tiefrote Zahlen zu führen. Das Spiel der Marktwirtschaft ist, auch, ein Glücksspiel. Aber es beruht nicht auf der Umverteilung des Jackpots enttäuschter (und letztlich irrationaler) Hoffnungen anderer. Unternehmerischer Erfolg auf offenen Märkten hat mit Glück zu tun, aber auch mit Geschick; und beides hängt ab von der Anstrengung zur Befriedigung der Bedürfnisse unbekannter anderer.

Bei Eigentümer-Unternehmern ist der Verbund von Gewinn und Verlust, Einkommen und Haftung, sehr viel klarer erkennbar als bei Managern. Wer die Bedürfnisse „des Marktes“ (das sind: wir alle, die immer Besseres immer günstiger haben wollen) nicht gut bedient, verdient auch nicht gut; er und sie kann auch eigenes Geld und Vermögen verlieren. Bei Managern ist das anders. Sie sind Angestellte der Eigentümer (Kapitaleigner, Aktionäre). Die Eigentümer sind vertreten in Aufsichtsräten, die auch Vorstandsgehälter (und Abfindungen und Ruhestandsgelder) festlegen. In Aufsichtsräten sitzen bevorzugt ehemalige Vorstandsmitglieder und Gewerkschaftsfunktionäre. Ob das eine anreizkompatible Struktur ist, hierüber ließe sich streiten. Daß eine Deckelung oder Sonderbesteuerung von Managergehältern bei knappen und mobilen Managertalenten aber den Betrieben (einschließlich ihrer Arbeiter und Angestellten) selbst eher schadet als nutzt, ist kaum bestreitbar [3].

Sicher, es mag passieren, daß – vermittelt über schlafmützige Aufsichtsräte – Aktionäre gerade auch „schlechten“ Managern „zu viel“ Gehalt, Pension, oder Abfindung zahlen. Dann schaden sie niemandem mehr als sich selbst. Es geht ihnen insofern wie dem Raucher. Sie mindern ihren Wohlstand aus eigenen Stücken. Der Unterschied ist nur: die Stücke sind klein (man vergleiche die Marktkapitalisierung einer normalen Aktie mit dem Anteil, den Managergehalte daran haben). Und: es ist viel leichter, eine Aktie zu verkaufen als das Rauchen aufzugeben!

Warum aber werden all diese Dinge permanent politisiert? Zur Freiheit gehört auch, Dinge tun zu dürfen, die anderen unvernünftig erscheinen, solange sie die gleiche Freiheit der anderen nicht verletzt. Auch diese Freiheit ist vom Staat und vor dem Staat zu schützen (d.h. vor Politikern, die ebenso zur Unvernunft neigen – die sie aber zum Schaden anderer zum Gesetz machen können). Man möchte fast schon kulturpessimistisch enden: Paternalismus ist eben „typisch deutsch“: spätestens seit Hegel im (preußischen) Staat die „Wirklichkeit der sittlichen Idee“ entdeckte, wollen wir eben noch immer, daß uns „Vater Staat“ zeigt, was uns selbst gut tut, indem er unsere Laster zügelt. Aber ich nehme nun, ohne schlechtes Gewissen, eine duty-free- Zigarette und den guten, alten Kant zur Hand und lese dort:

„Niemand kann mich zwingen, auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer … nicht Abbruch tut. – Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder errichtet wäre, d. i. eine väterliche Regierung (imperium paternale), wo also die Untertanen als unmündige Kinder, die nicht unterscheiden können, was ihnen wahrhaftig nützlich oder schädlich ist, sich bloß passiv zu verhalten genötigt sind, um, wie sie glücklich sein sollen, bloß von dem Urteile des Staatsoberhaupts, und, daß dieser es auch wolle, bloß von seiner Gütigkeit zu erwarten: ist der größte denkbare Despotismus.“
(Kant 1793, Über den Gemeinspruch (A 236)