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Die Entdeckung der Ökonomie
Warum die Feuilletons sich für Wirtschaft interessieren

Vorbemerkung: Die Feuilletons haben die Ökonomie nicht erst in der Finanz- und Staatsschuldenkrise entdeckt. Die Feuilletons waren immer schon (einerlei in welcher Zeitung, auch in der FAZ) tendenziell links, nahmen Kapitalismuskritik (aber nicht: Kapitalismusaffirmation) als Teil ihres Geschäftsmodell, waren im Zweifel eher staatsnah, aber weniger marktfreundlich und fühlten sich als Anwälte des guten, wahren und schönen Lebens gegen die Kälte und Ungerechtigkeit der Wirtschaftswelt. Das Feuilleton hat zwar einerseits Respekt vor der Welt der Wirtschaft (weil es meint, diese sei schwer verständlich, es sich aber auch relativ wenig um das Verständnis bemüht), fühlt sich ihr aber zugleich stilistisch, ästhetisch und philosophisch überlegen. Einzige Ausnahm war m.W. die Zeit der New Economy in den Neunzigerjahren. Damals kauften auch Kulturredakteure Aktien von Pixelpark und Lion Bioscience und waren ein wenig versöhnt mit dem Kapitalismus, weil er die Chance, reich zu werden nun auf einmal verband mit dem Gefühl, Avantgarde zu sein. Anyway: Das Verhältnis zwischen Wirtschaftsteil und Feuilleton befand sich immer in einer produktiven Spannung (auch und gerade in der FAZ) und befriedigt damit nicht nur die Streitlust der Redaktion, sondern zudem unterschiedliche Lesergruppen und –bedürfnisse.

1. Warum hat die professionelle Ökonomie in den Massenmedien an Kredit verloren?

Hatte sie je viel Kredit? Und hat sie ihn verspielt? Ich sehe drei Aspekte:

– die Ökonomie hat lange Zeit zu wenig getan, den Eindruck zu korrigieren, sie sei vor allem eine prophetisch-prognostische Wissenschaft. Breite Aufmerksamkeit finden und fanden die „Weisen“ und die Wirtschaftsforschungsinstitute, die sagen, wo es künftig lang geht mit BIP, Arbeitsmarkt etc. Als dann niemand die Finanzkrise hat kommen sehen (außer Herrn Roubini natürlich) ließ sich der Ökonomie vorwerfen, sie habe, gemessen am prophetischen Versprechen, versagt. Dass Deirdre McCloskey und andere den prophetischen Anspruch früh schon ironisiert haben („if economists are so smart, why ain’t they rich?“) wurde nicht zur Kenntnis genommen. Dass Ökonomen nach Ausbruch der Finanzkrise sich plötzlich auf McCloskeys Satz zurück zogen, wurde ihnen dann, nicht ganz zu unrecht, als billige Ausrede übel genommen. Freilich: Dass Ökonomen die Euro- und Staatsschuldenkrise einigermaßen präzise vorher gesagt haben (von Starbatty über Feldstein bis Krugman e tutti quanti) zeigt, dass sie irgendwie doch prognostische Fähigkeiten haben, wenn sie darüber nachdenken, welche politischen Folgen ökonomische Fehlanreize haben.

– die Ökonomie hat es nicht verstanden, den Unterschied zwischen „pro market“ und „pro business“ deutlich zu machen und das „Entmachtungsverfahren“ des Marktes als freiheitsgenerierendes Programm zu präsentieren (vgl. Rajan/Zingales: Saving Capitalism from the Capitalists und natürlich die ganze Freiburger Schule, insb. Franz Böhm). „Wirtschaft“ ist im Deutschen zweideutig: der Begriff meint die Ökonomie als Reflexionswissenschaft und er meint die Wirtschaftswelt, wie sie etwa im Firmenteil der Zeitungen vorkommt. Das Publikum (auch das gebildete) hält die Ökonomie für Business-Affirmation. Deshalb stößt die These von Alberto Alesina, „that the left should love liberalism“, hierzulande auf kopfschüttelndes Unverständnis.

– die herrschende Ökonomie hat sich in dogmenhistorischer Selbstvergessenheit nach ihrer enzyklopädisch schädlichen Trennung aus der Staatswissenschaft von der Moralphilosophie verabschiedet. Bei Adam Smith und seinesgleichen war das bekanntlich noch anders. Wer sich aber vom moralischen Anspruch verabschiedet, muss sich nicht wundern, wenn andere in diese Marktlücke stoßen und ihre Produkte und Erkenntnisse gegen die Ökonomie wenden (und dafür viel Beifall erhalten). Weil die Ökonomie die Frage nach dem „guten Leben“ als un- oder vorwissenschaftlich qualifizierte und ihre Beantwortung auf ewig suspendierte, muss sie einigermaßen hilflos zur Kenntnis nehmen, dass andere Wissenschaften der Ökonomie die Zuständigkeit für das gute Leben nicht nur absprechen, sondern nachzuweisen suchen, ihre Inhalte seien dem guten Leben sogar abträglich (BIP gegen Glück, das Bedürfnis nach Leisure etc.).

2. Wie reagieren die Medien?

„Die“ Medien reagieren eigentlich ganz vernünftig. Meine Kollegin Lisa Nienhaus z.B. hat zur Finanzkrise ein sehr ruhig argumentierendes Buch geschrieben („Die Blindgänger. Warum die Ökonomen auch künftige Krisen nicht erkennen werden“. Frankfurt 2009), wo sie zeigt, warum Ökonomen unfähig oder unwillig waren, die den Märkten inhärenten Instabilitäten zu erkennen und sie auch das Erpressungspotential der sogenannten „Systemrelevanten“ nicht sahen. Medien berichten auch weiterhin ausführlich über alles, was Ökonomen zu den aktuellen Krisen zu sagen haben (man muss nur den Namen Hans-Werner Sinn googeln). Weil aber Ökonomen gottlob stets dreiarmig und nicht einmütig sind, kommen auch deren unterschiedlichen Einschätzungen stets zur Darstellung. Intellektuell gesehen ist diese Krise eine wahre Lust – und gute Zeitungen sorgen in allen ihren Büchern dafür, dass die Debatte mit ihren jeweils stärksten Argumenten auch an den Leser kommt.

Allerdings hat die Ökonomie zunehmend Konkurrenz bekommen von anderen Wissenschaften, die ihr den Monopolanspruch zur Erklärung von Märkten streitig machen. Ich nenne beispielhaft nur Jens Beckert und Wolfgang Streeck zur Soziologie und Politökonomie des Spätkapitalismus, Joseph Vogl zur (literaturwissenschaftlichen) Fiktionalität von Märkten oder  David Graeber zur anthropologischen Gründung von Schulden und Kredit. Diese Themen werden von den Medien breit rezipiert. Wenn Ökonomen darauf reagieren mit dem beleidigten Argument, dies sei alles keine „richtige“ Theorie, dann riecht eine solche moralisierende Haltung nach Neid, wie Thomas Ehrmann und Aloys Prinz (FAZ vom 16. Mai) vermuten. Von Ehrmann/Prinz stammt auch eine listige Erklärung des Phänomens der neuen feuilletonistischen Ökonomik: Dort werde eine Nachfrage nach „moralisch einwandfreien Erklärungen und Bewertungen des Zeitgeschehens“ befriedigt („conceptual consumption“), die vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten zunehme (Sinnstiftung im Chaos, Suche nach Schuldigen etc.). Im Sinne meines Hinweises auf die moralphilosophische Abstinenz der Ökonomie (s.o.) wäre es für die Ökonomie angebracht und an der Zeit, die Eindimensionalität der neuen Kapitalismuskritik zu hinterfragen. Dazu müsste sie sich aber kundig auf die philosophische Ebene begeben. Skidelsky/Skidelsky (How much is enough? London 2012) tun das aus keynesianischer Sicht („economic possibilities for our grandchildren“). Ein liberaler, nicht-paternalistischer Entwurf auf der Höhe der Zeit steht aus. Nicht nur die Wirtschaftsteile, auch die Feuilletons der Zeitungen würden ihn gerne und bereitwillig debattieren. Ein Lichtblick zum Schluss: Ökonomen haben in der Krise die Wirtschafts- und Ideengeschichte (wieder)entdeckt: http://faz-community.faz.net/blogs/fazit/archive/2012/07/28/clio-rettet-uns.aspx

(Der Text fußt auf einem Papier, vorgelegt zur Tagung „Ökonomie im Lichte von Kulturwissenschaften/ Literatur/ Feuilleton“ von Joachim Starbatty und Jürgen Wertheimer vom 27. bis 29. Juli in Isny. Für kritisch-konstruktive Kommentare danke ich Patrick Bernau und Gerald Braunberger)