Italien nach dem Referendum
Ohne Reformen wird’s nicht gehen

Italien, Gründungsmitglied der Europäischen Union, kommt nicht aus den Schlagzeilen. Zuletzt stand das Verfassungsreferendum vom 4. Dezember 2016 im Vordergrund. Die Bevölkerung hat sich deutlich gegen eine Reform der politischen Institutionen, hier vor allem des Senats, ausgesprochen. Es sind nach allgemeiner Einschätzung die politischen Institutionen, die wirtschaftliche Strukturreformen erschweren und verzögern. Solche werden seit vielen Jahren mit zunehmender Intensität angemahnt. Neu ist das Thema also nicht. Man möge sich etwa an die Diskussionen im Rahmen der Vorbereitung auf die Europäische Währungsunion erinnern. Zwei Jahrzehnte danach erscheinen sie noch drängender.

„Jeden Monat eine Reform“

Zwar haben politische Gremien in Italien die Notwendigkeit von Reformen durchaus erkannt und/oder sie schätzen die Aufforderungen und Mahnungen der EU-Organe sowie internationaler Organisationen – wie der OECD – als glaubwürdig ein. Einzelne Reformen wurden sogar zügig in Angriff genommen und partiell auch umgesetzt und mit Vorschusslorbeeren bedacht. (vgl. Italien in der Euro-Union: Unterlassene, unzureichende und verschleppte Institutionenreformen (hier). Doch die Umsetzungsprobleme scheinen unüberwindbar. „Jeden Monat eine Reform“ lauteten Anspruch und Versprechen des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, um bald aber zu erkennen, dass die Reformbereitschaft der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen ebenso wie das politische System der Entscheidungsfindung dies nicht zuließen. Dass sich sein Reformeifer daher auf letzteres fokussierte und er die Flucht nach vorne antrat, war konsequent, wenngleich die Strategie misslang. Folgt man politischen Analysten und Kommentatoren spielte eine wesentliche Rolle, dass der Ausgang des Referendums direkt mit der politischen Zukunft des Ministerpräsidenten verbunden wurde.

Marodes Institutionengefüge

Das politische und wirtschaftliche Institutionengefüge ist eine sehr wesentliche Facette der komplexen Probleme, unter denen Italien zu leiden hat. Zahlreiche Fehlentwicklungen der Vergangenheit liegen darin begründet. Sehr deutlich spiegeln die aktuellen Entwicklungen die institutionellen Grundlagen mit ihren Anreizstrukturen für das Verhalten von Interessengruppen. Zusätzlich bringen sie zum Ausdruck wie sich Mitgliedstaaten in einem heterogenen Währungsraum verhalten, wenn einerseits die institutionellen Verbindungslinien zwischen Staat, Bankensystem und Realwirtschaft so ausgeprägt sind wie sie es in Italien sind. Wenn diese nun andererseits auf die dehnbaren Regeln der Euro-Union treffen, werden auch die Partnerländer mit Fehlentwicklungen konfrontiert. Solche setzen die üblichen Entscheidungen darüber in Gang, ob Solidaritätsmechanismen in Kraft zu setzen oder Sanktionen zu ergreifen sind. Jedenfalls kann Italien als ein sehr lehrreiches Fallbeispiel dafür dienen, dass eine gemeinsame Währungsordnung nicht in der Lage ist, institutionelle Reformen in den Mitgliedsstaaten zu erzwingen. Es würde Italiens Entscheidungsträger und ihren Wähler schaden, nun auf eine Fortsetzung begonnener Strukturreformen zu verzichten und ihre politischen Wunden zu lecken. Denn die Herausforderungen in Realwirtschaft, Staat und Bankensektor sind außerordentlich und sie lösen sich nicht von selbst.

Fehlende Dynamik

Italiens realwirtschaftliche Schwäche zeigt sich seit Jahren, seine BIP-Entwicklung liegt unter dem EU-Durchschnitt. Seit vielen Jahren bildet es das Schlusslicht der Eurozone. Bereits in den Jahren vor der Finanzmarktkrise war das Wachstum unterdurchschnittlich, während es in der Krise überdurchschnittlich einbrach und danach eine Erholung ausblieb. Bisher wurde das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht (vgl. Abbildung 1). Nicht nur der private Konsum kann seit Jahren keine Impulse liefern, sondern auch die private Investitionsquote ist gesunken, während zusätzlich wegen der hohen Staatsverschuldung die öffentlichen Investitionen zurückgefahren wurden. Italiens Wirtschaftsstruktur weist einen hohen Industrieanteil auf, doch ist die Industrieproduktion seit 2007 um 25% gesunken (vgl. Abbildung 2). In vielen Industriebranchen kam es zu Rückgängen, die anhaltende Rezession ist also strukturell breit angelegt. Auch die Warenexporte haben das Vorkrisenniveau noch nicht erreicht, Italiens Anteil am Welthandel ist seit 2002 um 30% gesunken.

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Verlorene Wettbewerbsfähigkeit

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt (Beschäftigung und Arbeitslosenrate) ist hingegen jener der Jahre unmittelbar vor der Finanzmarktkrise vergleichbar, wenngleich die Arbeitslosenrate auch heute mit 12% noch auf einem sehr hohen Niveau liegt. Die Kehrseite zeigt sich jedoch auch nach der Finanzmarktkrise immer noch in der Produktivität. Die Kombination steigender Lohnstückkosten bei gleichzeitig sinkender Produktivität muss als der Kern der realwirtschaftlichen Probleme identifiziert werden. (vgl. Abbildung 3 im Vergleich zu Deutschland), der sukzessive die Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wertschöpfung aushöhlt. Es hat sich herausgestellt, dass diese Problematik im politischen Umfeld nur mit großen Anstrengungen in Angriff genommen werden kann.

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Unreformierbarer Staatshaushalt

Erschwert werden die realwirtschaftlichen Herausforderungen zusätzlich durch die hohe Staatsverschuldung. Diese lässt kaum Spielräume für investive staatliche Wachstumsimpulse. Sie macht die öffentlichen Finanzen auch sehr anfällig, falls es zu allgemeinen Zinssatzerhöhungen im Euroraum kommen sollte oder falls die Risikoprämien für Italiens Staatspapiere wieder ansteigen sollten. Eine solche Entwicklung hat sich im Vorfeld des Verfassungsreferendums abgezeichnet, hat sich jedoch danach nicht weiter fortgesetzt (vgl. Abbildung 4). Die Kombination mit den noch nicht gelösten Problemen des Bankwesens lässt Italien zu einem Kandidaten für folgenreiche Erwartungsumschwünge werden, womit Unsicherheit verbunden ist. Die Probleme des italienischen Staatshaushalts sind keine neue Entwicklung (vgl. Abbildung 5). Sie wurden jedoch seinerzeit in Vorbereitung auf den Beitritt zur Euro-Union beherzt angegangen. Reformen im Rentensystem und die Nutzung des Realzinsbonus im Vorfeld des Beitritts ermöglichten damals Primärüberschüsse im Budget und eine kontinuierliche Rückführung der Staatsverschuldung. Mit der Finanzmarktkrise und den folgenden realwirtschaftlichen Problem wurde diese Entwicklung jedoch wieder umgekehrt, so dass davon ausgegangen werden muss, dass die günstigen Zinsvoraussetzungen, die derzeit für Schuldner herrschen, nicht oder zu wenig genutzt werden konnten.

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Unbewältigte Bankenkrise

Italien leidet aktuell unter einer noch nicht bewältigten Bankenkrise, die in einem hohen Anteil notleidender Kredite in den Bankbilanzen zum Ausdruck kommt. Sie werden je nach Abgrenzung auf 12% bis 16% der ausstehenden Kredite der Gesamtheit aller italienischen Banken geschätzt (vgl. Abbildung 6). Die Probleme der Bedienung und Rückzahlung der Kredite durch Haushalte und Unternehmen korrespondieren mit den realwirtschaftlichen Problemen der Kreditnehmer. Zwei Drittel der ausfallgefährdeten Kredite gelten als uneinbringlich. Es wird davon ausgegangen, dass eine Verwertung der Problemkredite nur etwa 10-20% des Nominalwertes erbringen kann, was weitere Abschreibungen erfordert, bisher wurden etwa 60 Prozent der notleidenden Kredite bereits abgeschrieben, während der Rest noch in den Bankbilanzen geführt wird.

Erschwerte Bankenrekapitalisierung

Der Rekapitalisierungsbedarf der italienischen Banken lässt sich in Anbetracht der gesunkenen Börsenwerte kaum über den Finanzmarkt decken. Einige Kapitalerhöhungen sind gescheitert (Banca Popolare di Vicenza, Veneto Banca). Die inzwischen gültigen Regeln der Bankenunion setzen auch der staatlichen Rekapitalisierung Grenzen, während ein bail-in von Bankgläubigern aus politischen Gründen vermieden werden soll. Es wird davon ausgegangen, dass zahlreiche Kleinsparer davon betroffen wären, während sich Großanleger und Banken bereits frühzeitig verabschiedet hätten. Die Verhältnisse in vielen italienischen Banken werden noch dadurch erschwert, dass diese inzwischen 21,6% der italienischen Staatsschulden halten. Noch 2007 lag dieser Anteil bei 12,1%. Italiens Banken erzielten im vergangenen Jahrzehnt die niedrigste Kapitalrentabilität, schütteten die niedrigen Gewinne jedoch weitgehend aus, ohne die Rücklagen in einem angemessenen Ausmaß zu bedienen. So wurden über 50% des Nettogewinns für Dividendenzahlungen verwendet, was deutlich über den Werten aller anderen europäischen Banken lag.

Erzwungene Solidarität

Die ungelösten Bankenprobleme sowie die Betroffenheit prestigeträchtiger Finanzhäuser, wie die notleidende systemrelevante Banca Monte die Paschi di Siena, sowie die Belastung aller Banken Italiens mit der Unterstützung insolvenzgefährdeter Banken haben zu Unsicherheit bei Investoren, Eigentümern, Anlegern und Kunden geführt. Die damit verbundene „organisierte Solidarität“ zwischen Italiens Banken hat nicht unwesentlich dazu beigetragen. Dies führte zu einem Abzug von Kundengeldern, einer Kapitalflucht sowie gerüchteweise einer Kürzung von Kreditlinien ausländischer Banken. Diese Reaktionen waren zu beobachten, obwohl als ultima ratio auch in der Bankenunion die staatliche Bereitstellung von Kapital in einer Situation zulässig wäre, in der die Finanzstabilität Italiens und jene der Euro-Union gefährdet wären. Aktuell wird von einer staatlichen Intervention mittels Notverordnung zwecks Rettung der Banca Monte die Paschi di Siena ausgegangen.

Verzweifelte Bankenreform

Noch die Regierung Renzi hat als Reaktion auf die großen Probleme der Banken eine Bankenreform verabschiedet und bisher partiell auch umgesetzt. Sie ist mit weitreichenden Konsequenzen für die Struktur des Bankwesens Italiens verbunden. So wurde ein Rechtsformenwechsel der größeren Banken dekreditiert, was vor allem die Volksbanken betraf, die zu Aktiengesellschaften wurden. Anderen Banken wurde vorgegeben, sich zu Gruppen zusammenzuschließen oder sich einer solchen anzuschließen. Dies hatte vor allem Konsequenzen für die Raiffeisenbanken, die sich durch kleinräumige und regionale Organisationsstrukturen auszeichnen. Dabei gelang es den Raiffeisenkassen in Südtirol mit ihren zentralen Organisationen eine eigene „Raiffeisen Bankengruppe Südtirol“ zu gründen, was mit dem Ausklinken aus dem italienischen „Banken-Rettungsverbund“ verbunden ist, jedoch eine neue Austarierung der Arbeitsteilung innerhalb der regionalen Finanzgruppe erfordert.

Fazit

Das Verfassungs-Referendum in Italien wurde mit einem Nein beantwortet. Losgelöst von den Ursachen ist es nun außerordentlich wichtig, begonnene Reformen in Wirtschaft und Politik nicht wieder zur Disposition zu stellen, sondern sie fortzusetzen und die noch ausstehenden in Angriff zu nehmen. Dass Politik, Bevölkerung und die Partner in der Währungsunion in vielen Jahrzehnten gelernt haben mit politisch instabilen Rahmenbedingungen zurecht zu kommen, sollte bei der neuen Regierung nicht dazu führen, diese als überlegen einzuschätzen. Italiens Bevölkerung würde dann auch in Zukunft einen hohen Preis dafür bezahlen.

Literatur:

European Commission: (2016): The Economic Impact of Selected Structural Reform Measures in Italy, France, Spain and Portugal, Institutional Paper 23, Brüssel, http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/eeip/pdf/ip023_en.pdf

Gern, Klaus-Jürgen und Stolzenburg, Ulrich (2016): Italien am Scheideweg: Wachstumsschwäche erfordert weitere Reformen, Kiel Policy Brief, Nr. 102, Institut für Weltwirtschaft, Kiel. https://www.ifw-kiel.de/wirtschaftspolitik/zentrum-wirtschaftspolitik/kiel-policy-brief/kpb-2016/kpb_102.pfd

OECD (2015): Italy. Structural Reforms: Impact on Growth and Employment, Paris.

OECD (2015): Economic Surveys: ITALY, February 2015, Paris, https://www.oecd.org/eco/surveys/Overview_Italy_2015_ENG.pdf

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