OrdnungsPolitiker
Vertrauen ist das Kernkapital des guten Politikers

Ohne Vertrauen funktionieren weder private Beziehungen, noch Gesellschaften und Volkswirtschaften. Ich muss darauf vertrauen können, dass andere aufrichtig sind, Gesetze und Verträge respektieren, sich im Großen und Ganzen fair verhalten. Niemals können Gesetze und Verträge so formuliert sein, dass sie jeglichen denkbaren Missbrauch wirksam sanktionieren oder gar ausschließen könnten. Wer auf den Gütermärkten Erfolg haben will, muss Vertrauen in sein Produkt oder seine Dienstleistung schaffen und dieses Vertrauen zugleich immer wieder rechtfertigen. Vertrauen muss erarbeitet werden, braucht Zeit und Überzeugungskraft. Es ist mühsam erworben und schnell verspielt.

Es gibt keine Lösungen für alle

Dieser Grundsatz gilt auch für die Politik. Unsere Welt ist so miteinander verwoben, dass es keine einfachen Antworten mehr gibt. Weder kann ein Nationalstaat sich von den Entwicklungen in anderen Teilen der Welt abkoppeln, noch gibt es Problemlösungen, die alle zufriedenstellen.

Doch nicht nur Politiker, sondern auch sogenannte Experten stoßen an die Grenzen ihrer Fähigkeiten in diesem komplexen System. Wer wollte schon behaupten, er sei angesichts der ungeheuren Veränderungsdynamik auf wichtige Entscheidungen hinreichend vorbereitet? Wir müssen jedoch aufpassen, dass wir uns nicht in der Komplexitätsfalle verfangen und in eine Ohnmachtsstarre verfallen, die uns handlungs- und entscheidungsunfähig macht.

Selbst als begnadeter Kommunikator wird ein Politiker selten die Masse der Wähler mit sachlichen Argumenten überzeugen. Wir Bürger glauben im Zweifel jenem Politiker, zu dem wir am meisten Vertrauen haben. Statt auf komplexe Lösungskonzepte, die viele von uns nicht mehr durchschauen können, setzen wir auf Lösungskompetenz. Damit wird Vertrauen zum alles entscheidenden Maßstab, um in der Demokratie überhaupt noch Mehrheiten für Veränderungen gewinnen zu können. Im politischen Meinungsstreit wird die jeweilige Opposition deshalb immer versuchen, die Glaubwürdigkeit der Regierung zu unterhöhlen und damit Vertrauen zu zerstören.

Die Frage, was einen guten Politiker auszeichnet, hat der deutsche Jurist und Nationalökonom Max Weber (1864–1920) schon vor neunzig Jahren in seinem epochalen Vortrag an der Universität München zu beantworten versucht – mitten im Revolutionswinter 1918/19. Sein auf diesem Vortrag fußender Essay mit dem Titel „Politik als Beruf“ steht, wie der Publizist Robert Leicht es formulierte, „wie ein Eingangstext am Beginn der modernen Demokratie in Deutschland“.

Für mich war dieser Text während meiner Abgeordnetentätigkeit über Jahre hinweg ein beeindruckender, prägender Denkanstoß. Weber benennt jene Charaktereigenschaften, die auch als Maßstab für heutige Spitzenpolitiker dienen sollten: „Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß.“

Leidenschaft und Kompetenz

Leidenschaft bedeutet für Weber keine „sterile Aufgeregtheit“, auch keine „Romantik des intellektuell Interessanten“, der alles sachliche Verantwortungsgefühl fehlt. Leidenschaft zur Sache setzt Kompetenz voraus, es bedeutet die Fähigkeit und den Willen, sich mit den komplexen Wirkungsmechanismen unserer Wirtschaft und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Unser Land braucht Politiker, die den Problemen auf den Grund gehen und Standpunkte entwickeln, ohne bornierte Rechthaberei.

Stattdessen dominieren Standpunktlosigkeit und Beliebigkeit den Politikbetrieb. Weil Politiker sich alle Möglichkeiten offenhalten wollen, fehlt vielen von ihnen jegliche Leidenschaft für die Sache. Denn sie würde ja voraussetzen, dass man sich zuvor einen Standpunkt auch wirklich zu eigen gemacht hat.

Leidenschaft nicht als gepflegte Gesinnung, sondern als eine aus der Sache begründete Haltung, ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für Glaubwürdigkeit. Ein Politiker, der sich mit einem Thema leidenschaftlich auseinandersetzt und eine wenn auch vorläufige Position dazu einnimmt, wird immer glaubwürdiger argumentieren als derjenige, der das eigene Parteiprogramm nachplappert oder blindwütig auf die Konkurrenz eindrischt.

Es herrscht bei uns Bürgern eine Sehnsucht nach Authentizität. Wir wünschen uns Politiker, die sagen, was sie denken, und tun, was sie sagen. Im guten Politiker muss ein inneres Feuer brennen, das aus Lebenserfahrung, sachlicher Kompetenz und Herzensbildung gespeist wird.

Ausstrahlung ist immer eine Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit, nicht der politischen Gesinnung. Deshalb reflektieren solche Politiker auch einen Riss, der quer durch die Parteien geht. Sie kämpfen noch mit Leidenschaft, während andere sich vorrangig um Karriere und Einfluss kümmern. Gute Politik wird genauso wenig nur mit dem Kopf gemacht, wie sie auch beim Bürger, wenn sie wirklich überzeugen will, nicht nur den Kopf erreicht.

Die Ausstrahlung des guten Politikers, sein Charisma, das Vertrauen begründet, sind unabdingbare Voraussetzungen, um die Wähler wieder für Politik zu begeistern. Leidenschaftliche Politiker müssen Menschen mögen. Wer als Politiker kein Herz für die Mitmenschen hat, wer Bürgerkontakte als lästige Zumutung empfindet, in Wahlkämpfen regelmäßig daran leidet, sich persönlich einem undankbaren Publikum aussetzen zu müssen, der taugt schlicht nicht für diesen Beruf.

Denn zur Leidenschaft gehört auch das Einfühlungsvermögen. Die meisten Berufspolitiker können viel reden, ohne etwas zu sagen. Das Zuhören und das Verstehen sind ihnen fremd. Der leidenschaftliche Politiker aber nimmt die Menschen nicht dadurch mit, dass er ihnen möglichst viel verspricht, sondern dass er sie ernst nimmt.

Manager des Gemeinwohls

Doch allein mit Leidenschaft kommt der gute Politiker nicht weit. Seine Aufgabe verlangt von ihm ein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Gemeinwohl. Er darf den eigenen Standpunkt, die Position der eigenen Partei niemals überhöhen. Wem gegenüber ist er eigentlich verantwortlich? Seiner Partei, seinen Wählern, seinem Wahlkreis, seinen Überzeugungen? Welche Rolle spielt das eigene Gewissen? Gute Politiker sind Manager des Gemeinwohls, nicht Sprachrohre ihrer Gesinnung oder gar ihrer Partei.

Der gute Politiker muss auch die Fähigkeit besitzen, sich selbst und seine Rolle infrage zu stellen. Hauptfeind bei der notwendigen Selbstreflexion des guten Politikers sei die Eitelkeit, warnt Max Weber. Politiker stehen im Rampenlicht, in der heutigen Mediengesellschaft so sehr wie nie zuvor. Sie kokettieren nur zu gern mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, nach der sie permanent gieren. Ich will mich selbst nicht davon freisprechen, weil auch ich auf dieser Klaviatur zu spielen gelernt habe.

Politiker zelebrieren und inszenieren sich, wechseln mit professioneller Unterstützung immer mal wieder ihr Image. Sie spielen Rollen und verlieren dabei zunehmend ihren inneren Kompass. Sie benötigen Augenmaß, um zu erkennen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit der formalen Macht, aber nicht der Person gilt. Oft zeigt sich erst beim Verlust der Macht, welches Zerstörungspotenzial diese narzisstische Kränkung entfalten kann.

Wenn Glaubwürdigkeit das wichtigste Kapital in der Politik ist, weil sich nur daraus das Vertrauen der Wähler speisen kann, ohne das in einer Demokratie keine Veränderung möglich ist, dann werden politische Charakterköpfe gebraucht, die genau über solche Eigenschaften verfügen.

Hinweis: Der Beitrag erschien am 24. März 2017 in „The European“

Eine Antwort auf „OrdnungsPolitiker
Vertrauen ist das Kernkapital des guten Politikers“

  1. Meiner Meinung nach ist es doch eigentlich vollkommen egal wie sich ein Politiker gibt und was er von sich gibt. Warum ? Ein Politiker kann seine Umgebung lesen , er reagiert quasi nur auf die Umstände die gerade herrschen und schwimmt auf dessen Welle; in den allermeisten Fällen. Manchmal gibt es jedoch gesellschaftliche Schieflagen, die dann solche Leute auf den Plan rufen, die diese geschickt auszunutzen wissen und diese benutzen um ihre eigenen Interessen zu verwirklichen. In diesem Sinne ist er in gewisser Weise ein Arbitrageur. Also wer verarscht wen und wer will verarscht werden ? Politik ist für mich eine ganz perverse Spielart psychologischer Beeinflussung; der gemeine Mensch braucht ihn schlicht nicht. Was einen Politiker akzeptabel macht kann niemand begründen, er ist eine Marionette seiner Zeit.

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