Gastbeitrag
Macrons Europavision

So leidenschaftlich hat schon lange kein Staatschef mehr über Europa gesprochen. Der neue französische Präsident Emmanuel Macron will nicht nur Frankreich reformieren, sondern auch gleich die ganze EU umbauen. In seiner großen, jedenfalls langen, Rede finden sich einige bedenkenswerte Vorschläge wie die Verkleinerung der EU-Kommission auf 15 Mitglieder; die Einführung transnationaler Listen für die Europawahl und sogar die Andeutung, die ineffiziente EU-Agrarpolitik zu reformieren. Aus ordnungspolitischer Sicht finden sich jedoch gewichtigere und eher bedenkliche Ideen in den Bereichen Fiskalunion und Sozialunion.

Der französische Bauplan für die künftige EU folgte schon immer der Philosophie der „Planification“, der politischen Lenkung und Vereinheitlichung. Ludwig Erhard warnte bereits 1962: „man kann nicht auf der einen Seite Wettbewerb und auf der anderen Seite … Planifikation haben wollen“. Auch Macron will keine „concurrence“, sondern „convergence“; er will Integration „von oben“, durch politische Harmonisierung und nicht „von unten“, durch marktwirtschaftliche Entwicklung.

Für die Fiskalunion heißt das konkret: In der Eurozone soll es ein gemeinsames Eurozonenbudget geben, das deutlich größer sein müsse als das gegenwärtige EU-Budget und aus gemeinsamen, harmonisierten, EU-Unternehmenssteuern gespeist werden soll. Dazu kommt ein Euro-Finanzminister, der gemeinsam mit der Mehrheit eines Eurozonen-Parlaments über die Verwendung (vielleicht sogar Erhebung) dieser EU-Steuergelder entscheidet. Zu einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden („Eurobonds“) oder einem Europäischen Währungsfonds (EWF), der nicht mehr (wie der ESM) einstimmig und u.a. erst nach Beschlussfassung des Bundestags Mittel freigeben würde, hat sich Macron – wohl aus Rücksicht auf die deutsche Regierungsbildung –, noch zurückgehalten. Er wird sich aber entsprechenden Plänen aus der EU-Kommission sicher nicht verwehren.

Zwar spricht man auch in Berlin von „Fiskalunion“, „EU-Finanzminister“ oder „EWF“, meint damit aber etwas grundsätzlich anderes: Tatsächlich will man mit diesen Instrumenten für alle verbindliche Regeln durchsetzen, und dies in einem möglichst entpolitisierten Verfahren. Gemeinsame Regeln statt gemeinsame Haftung; ordnungspolitische Wirtschaftsverfassung statt interventionspolitische Wirtschaftsregierung: das ist das Kontrastprogramm.

Marons Pläne für die Sozialunion sehen vor, die Vielfalt und den Wettbewerb der europäischen Sozialmodelle so weit wie möglich einzuschränken und auf französisches Niveau zu „heben“. Der französische Präsident fordert etwa die Einführung und Angleichung von Mindestlöhnen in der ganzen EU; auch das Niveau der Sozialabgaben soll nach oben hin konvergieren; als Belohnung soll es für ärmere Länder Mittel aus einem „Solidaritätsfonds“ geben. Für Länder, deren Unternehmenssteuern unterhalb eines EU-weiten Korridors liegen, soll dagegen als Bestrafung der Zugang zu EU-Kohäsionsfonds entzogen werden. Das kann man beschönigend „Harmonisierung“ nennen. Der ökonomisch passende Begriff ist indes: „raising rivals“˜ costs“ – der durchsichtige Versuch, Konkurrenten Wettbewerbsvorteile im europäischen Standortwettbewerb zu nehmen.

Mit dem Versuch, die ganze EU dem schon in Europa nicht wettbewerbsfähigen französischen Sozialmodell anzugleichen, würde man wohl die europäischen Volkswirtschaften im globalen Wettbewerb insgesamt schwächen. Steuern, Sozialabgaben und (Mindest-)Löhne sind ebenso wie Staatsausgaben und Staatsschulden entscheidende wirtschaftspolitische Variablen, mit denen die Politik die Volkswirtschaft ordnet. Und dies bisher in demokratisch legitimierter, weitgehend nationalstaatlicher Eigenverantwortung. Das fundamental zu ändern, würde eine weitreichende Änderung der Europäischen Verträge erfordern; was man wiederum als visionär preisen oder politisch naiv abtun kann.

Gleichzeitig kann man Macrons “Initiative für Europa“ als „Entlastung für Frankreich“ gut nachvollziehen. Er hat derzeit wie kaum ein anderer seiner Vorgänger die Chance, Frankreichs Wirtschaft und Gesellschaft zu reformieren. Macron braucht dafür aber die Rückendeckung aus Berlin und Brüssel – gerade in den Bereichen Transfer- und Sozialunion. Man hört in Paris häufig: „wenn Macron scheitert, dann kommen in fünf Jahren Marine Le Pen oder Jean-Luc Mélenchon an die Macht“. Dann wäre in der Tat das offene und marktwirtschaftliche Europa im Kern gefährdet. Nun gilt es auszuloten, wie man Macron im politischen Wettbewerb helfen kann, ohne der EU im globalen Wettbewerb zu schaden.

Hinweis: Der Beitrag ist auch in Heft 11 (2017) der Fachzeitschrift „WiSt“ erschienen.

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