Kapitalmarkteffizienz und Corporate Governance
Passive und (hyper)aktive Investoren

In der jüngeren Vergangenheit findet man in den Medien immer häufiger Berichte, deren Wurzel sich trotz unterschiedlicher Ausprägung des jeweiligen Themas auf die zunehmende Bedeutung passiver Investoren am Kapitalmarkt verdichten lässt. Gemeint sind damit Institutionen, die mit von ihnen herausgegebenen Anlagevehikeln die Wertentwicklung bereits am Kapitalmarkt gehandelter Titel bzw. vor allem von Titelportfolios in einem vorgegebenen Verhältnis abbilden bzw. duplizieren – vorzugsweise unter dem Kürzel ETF für „Exchange Traded Funds“. Nun sind solche Bemühungen unter anderer institutioneller Einkleidung beileibe nicht neu und auch ETF gibt es nicht erst seit gestern, doch zeigen sich bei genauerem Hinsehen einige Aspekte, die durchaus Verständnis für das Aufgreifen dieses Phänomens begründen, ohne indessen ein Unverständnis für seine Behandlung in Einzelfall zu beheben:

I Kapitalmarkteffizienz

  1. Wer an halbwegs effiziente Kapitalmärkte glaubt, muss akzeptieren, dass die Erzielung von Überrenditen nur sporadisch und nicht systematisch auftreten kann. Alle berühmten Modelle, Separations- und Irrelevanztheoreme der nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Portfolio- und Kapitalmarkttheorie beruhen auf dieser Unmöglichkeit.
  2. Was auch immer man diesen theoretischen Ansätzen vorwerfen mag, empirische Studien, die sich in diesem Bereich öfter als irgendwo sonst in der Ökonomie finden, bestätigen dies über alle Maßen – zumindest sofern man den Blick auf breit gehandelte Titel richtet, die mehr als vier Fünftel der weltweiten Börsenkapitalisierung ausmachen. Letztlich ist dies auch das Totschlagsargument gegen alle Ansätze von Behavioral Finance: Gäbe es die behaupteten Irrationalitäten auf breiter Front tatsächlich, könnte man durch relativ einfache Arbitrageprozesse beliebig reich werden: Ein einziger rationaler Investor würde als Wolf in der Herde der irrationalen Schafe unermessliche Beute machen!
  3. Dass nun ausgerechnet ein Teil der institutionellen Anlegerszene die epidemische Ausbreitung von ETF attackiert, erscheint angesichts dessen zunächst als Ausdruck eines Konkurrenzreflexes. Wenn eine Investmentbank als aktiver Anleger die reüssierenden ETF-Kollegen für schlimmer als den Marxismus hält (vgl. Die Welt vom 29.8.2016, S. 9), denkt man eher daran, dass hier die eigenen Pfründe geschützt als gemeinwohlorientierte Kritik in Form eines Eyecatchers formuliert werden soll. Die bis heute stabile Tendenz, dass die „Überrenditen“ der meisten aktiven Fonds allenfalls (!!!) ihre Verwaltungsgebühren kompensieren können, ist eben ein Faktum, das sich in Zeiten multimedialer Informationsausbreitung immer schwieriger unterdrücken lässt.
  4. Allerdings bleibt dabei ein wahrer Kern, zu dem freilich weder die Protagonisten überlegener Anlagestrategien noch die beobachtbare Empirie bislang durchgedrungen sind: Wenn alle nur passive Nachahmer sind, wer bildet dann das aktive Vorbild – anders formuliert: Wie kommen Kurse und Kursänderungen zustande, wenn es keine Originale mehr gibt, von denen Derivative gebildet werden können? Informationssuche und -verarbeitung betreffend die einzelnen Titel sind am Ende unabdingbar: Irgendjemand muss die Arbeit machen, von der dann alle anderen profitieren können!
  5. Tatsächlich haben sich auch im Angesicht von ETF Kurse gebildet/verändert, ohne dass eine nennenswerte Zahl von Investoren – und schon gar nicht die ETF selbst, die dies ja qua constructione gar nicht wollen – systematische Überrenditen erzielt hätten. Damit stellt sich die Frage ganz anders: Liegt die Gefahr solcher passiver Instrumente nicht darin, durch ihr Nachahmen originärer Kursbewegungen diese drastisch zu verstärken und die Volatilität entsprechend zu erhöhen? Und wenn dem so wäre: Haben die weltweit größten Anbieter passiver Anlagevehikel mit ihren Billionen (!) verwalteter Mittel bereits die Macht, sich gegen Einschränkungen ihres Geschäftsbetriebs zu verwahren, die sinnvollerweise genau dies verhindern sollen?

II Corporate Governance

  1. Werden die passiven Anleger in Sachen Kapitalmarkt(effizienz) also zum nicht nur medialen Problemfall, so werden sie in Sachen Corporate Governance von den Medien neuerdings mitunter zu weißen Rittern gekürt. Hierzulande hat beispielsweise Der Spiegel (40/2017, S. 72 ff.) in einem breit angelegten Beitrag die Anbieter von Passivfonds zum bewahrenden Faktor vor den aktivistischen Aktionären erkannt, welche die Unternehmen allzu sehr auf Shareholder Value trimmen wollen. Zwar führt gerade der Umstand, dass normale aktive Aktionäre immer mehr gegenüber ETF & Co. in den Hintergrund treten, dazu, dass „Firmenjäger“, Heuschrecken und andere renditeversessene Anleger schon mit relativ kleinen Aktienpaketen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsleitung nehmen können, doch wird das langfristig orientierte Einwirken von Investoren, deren Geschäftsmodell einen Ausstieg gerade nicht vorsieht, zum Wohl des Unternehmens dankbar zur Kenntnis genommen.
  2. Betrachtet man dies aus verfügungsrechtlicher Perspektive, ergibt sich ein multipel skurriler Eindruck. „Das Unternehmen“ ist zunächst einmal weder Subjekt noch Objekt von Zielen, sondern als Geflecht von Verträgen ein Instrument, dessen sich verschiedene Individuen bedienen: Die über das Unternehmen erwirtschafteten Überschüsse werden zunächst an die „Kontrakteinkommensbezieher“ wie Arbeitnehmer, Zulieferer und Darlehensgeber als fest vereinbarte Beträge ausgezahlt, bevor sich die Eigenkapitalgeber am Residuum befriedigen dürfen, was zu der etwas schwerfälligen Bezeichnung „Residualeinkommensbezieher“ geführt hat. Solange das Unternehmen also nicht pleite ist, geht jeder mehr oder weniger erwirtschaftete Euro zugunsten/-lasten der Eigentümer. Dafür haben diese auch die Definitionshoheit über die Unternehmensziele sowie die für deren Umsetzung herangezogene Unternehmenspolitik. Gegen diese Prämisse wird realiter zwar nicht zuletzt durch fehlprogrammierte Sonderrechte von Kontrakteinkommensbeziehern vielfältig verstoßen, doch bleibt als Basisresultat, dass bei Existenz halbwegs funktionierender Finanzmärkte die Eigenkapitalgeber vorbehaltlich von Sonderinteressen zulasten anderer Gruppen ein homogenes Interesse an einer kapitalwertmaximierenden Unternehmenspolitik haben sollten.
  3. Wieso wollen dann die aktivistischen oder hyperaktiven Aktionäre etwas anderes als die ETF-Anbieter? Die Kernidee in solchen Debatten lautet meist ähnlich wie im Spiegel (S. 74): “Dabei haften Aktionäre nur sehr beschränkt für Fehler eines Unternehmens, sie können jederzeit wieder aussteigen“. Das ist – mit Verlaub – Blödsinn: Wenn der Markt halbwegs effizient ist, orientiert er sich am Kapitalwert des Unternehmens aus den diskontierten Überschüssen bis zum Sankt Nimmerleinstag, und genau dies ist ja der Grund für das homogene Interesse an der soeben genannten kapitalwertmaximierenden Unternehmenspolitik. Der Verweis auf die Ausstiegsmöglichkeit der aktiven Aktionäre ist schlicht fehlgeleitet: In der wohl zugrundeliegenden Überlegung wird schlicht übersehen, dass jede nur auf kurzfristige Schaufenstereffekte abzielende Strategie eben nicht wertmaximierend ist und tendenziell zu sinkenden Kursen sowie damit verbundenen Verlusten führt. Anders formuliert: Das Argument setzt die Existenz dummer Käufer voraus, die es bei effizienten Märkten gerade nicht (im nötigen Umfang) geben dürfte. Außerdem müssen auch die ETF reagieren, wenn es zu Veränderungen im originären Referenzportfolio/-index kommt, so dass die ewige Verbundenheit mit dem Unternehmen alles andere als zwangsläufig ist.
  4. Somit bleiben nur Sondervorteile für einzelne Aktionärsgruppen, die von hyperaktiven Aktionären drohen könnten und von passiven Investoren abgewendet werden müssten. Schaut man sich die Aktivitäten von kleinen Paketaktionären an, so wird man im Regelfall das Gegenteil erkennen: Aktienkurse steigen oder/und das billige Ausbooten des Streubesitzes durch Mehrheitseigentümer, oft andere institutionelle Anleger, wird verhindert.
  5. Damit stellt sich das eigentliche Corporate Governance-Problem grundlegend anders: Das Problem sind nicht die kleinen, managementkritischen Aktivisten, die eine für alle Aktionäre wertsteigernde Politik propagieren, sondern die großen Paketaktionäre, die eine solche Politik erst dann anstreben, nachdem sie die Minderheit billig aus dem Unternehmen geworfen haben. Eine Gegenwehr von passiven Investoren gegen Squeeze Out & Co. sucht man in medialen Berichterstattungen und Kommentaren indessen zumeist vergeblich, obwohl dort für die Eigentümer der Fondsanteile doch viel an Performance herauszuholen wäre! Nun ist einzuräumen, dass Squeeze Outs und ähnliche Aktivitäten tendenziell in kleineren börsennotierten Unternehmen vorkommen, in denen ETF nur deutlich weniger investiert sind, doch sollte sich auch dort hin und wieder Potenzial für das Verlassen der Passivitätszone ergeben, dessen Umsetzung man bisher vergeblich suchte. Großaktionäre haben hierzulande also in ihren Dominanzbestrebungen nicht nur vom Gesetzgeber (hier), sondern auch von passiven Investoren und schließlich den Medien wenig zu befürchten.

Summa summarum ist die steigende Bedeutung passiver Investoren also durchaus beachtlich. Ihre jeweilige Problematik für Kapitalmarkteffizienz und Corporate Governance sieht bei genauer Betrachtung allerdings anders aus als oft berichtet. Gleiches gilt für die Rolle aktiver und aktivistischer/hyperaktiver Investoren. Firmenjäger, Heuschrecken und ähnliche „Institutionelle“ werden medial regelmäßig an der falschen Stelle problematisiert.

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