Ronald Coase, Richard Thaler und die Bonner Weltklimakonferenz

Haftung ist nicht nur eine Frage der gefühlten Gerechtigkeit und Fairness, sondern auch der ökonomischen Effizienz. Marktwirtschaften benötigen klare Haftungsregeln. Dies hat insbesondere die Diskussion um das Coase-Theorem deutlich gemacht. Ronald Coase (1960) hat theoretisch aufgezeigt, dass es unter bestimmten Bedingungen unerheblich ist, ob Personen für Schaden haften oder nicht für Schaden haften, sofern sie im ersten Fall (Schadenshaftung) das Recht auf Schädigung kaufen können und im zweiten Fall (ohne Schadenshaftung) ihnen die Vermeidung der Schädigung abgekauft werden kann. Beide Lösungen führen zum gleichen Ergebnis des Ausmaßes an Schädigung. Das Coase-Theorem besagt daher, dass eine eindeutige Zuordnung von Eigentumsrechten und Haftungsregimes immer zu effizienten Ergebnissen hinsichtlich des Ausmaßes einer Schädigung führt (Coase, 1960; Hoffman/Spitzer, 1982). Es balanciert die Interessen des Schädigers und des Geschädigten optimal miteinander aus. Dabei ergibt sich die optimale Verhandlungslösung im Prinzip unabhängig von der Art der Haftungsregeln – es ist unerheblich, wem die Eigentumsrechte zugeteilt werden, denn durch den Fakt, dass sie zugeteilt werden, entsteht die Möglichkeit zu Verhandlungen und zu einer Einigung von Schädiger und Geschädigtem.

Die wesentlichen Annahmen des Coase-Theorems sind vollständige Informationen über Produktion und Gewinnfunktionen wie Nutzenfunktionen der Beteiligten, Wettbewerbsmärkte und das Fehlen von Transaktionskosten. Die Anbieter handeln gewinnmaximierend und die Nachfrager nutzenmaximierend. Zudem wird unterstellt, dass Wohlstandseffekte keinen Einfluss auf die gefundene Verhandlungslösung haben. Damit entpuppt sich die Verhandlungslösung als eine Verbesserung des Status quo vor der Verhandlung, die durch weitere Verhandlungen nicht mehr weiter verbessert werden kann.

Umweltverschmutzung gilt als klassisches Beispiel zum Versagen von Marktlösungen wegen fehlender Haftungsregeln und damit für Erklärungen zum Coase-Theorem. Auch wenn beim CO2 -Ausstoß und den damit verbundenen Klimafolgen, welche auf der Bonner Weltklimakonferenz diskutiert wurden, die Beteiligten keine Haushalte und Unternehmen, sondern Nationalstaaten sind, lassen sich einige Rückschlüsse aus der Diskussion um das Coase-Theorem für den Weltklimaschutz ziehen:

  • Dass der derzeitige Klimaschutz ausreichend sei oder werden könne im Sinne einer effizienten Lösung, ist ökonomisch nicht zu erwarten. Spieltheoretische Experimente legen nahe, dass insbesondere die Anzahl der Beteiligten und die Transparenz und Verfügbarkeit an Informationen wichtige Voraussetzungen für ein Funktionieren des Coase-Theorems sind. Durchgeführte Experimente wie jene von Hoffmann/Spitzer (1982) zeigen, dass schon bei drei Verhandlungspartnern mehr als 20 Prozent der Verhandlungen nicht mehr zu paretooptimalen Lösungen führen. Fehlende Informationen und eine dritte Partei erschweren das Zustandekommen einer effizienten Lösung deutlich.

Aufgrund einer unzureichenden Informationsbasis über die direkten Auswirkungen der nationalen Umweltverschmutzungen auf das Klima und bei 195 an den Verhandlungen beteiligten Staaten lässt sich eine effiziente Coase-Lösung nicht erwarten. Die Schädigung fällt folglich ineffizient hoch aus.

Immerhin gibt es seit Bonn erste Entwürfe für Transparenzregeln und Berichtspflichten, die sich die Länder im Kampf gegen die Erderwärmung geben wollen. Allerdings ist immer noch ungeklärt, nach welchen Methoden die Staaten ihren Treibhausgas-Ausstoß erfassen sollen.

Nicht einmal die Ziele sind klar umrissen: Erst im nächsten Jahr wollen die Staaten überprüfen, wie die Welt bei der Minderung der Treibhausgase insgesamt vorankommt. In Bonn haben sich die Teilnehmer der Konferenz lediglich darauf geeinigt, wie diese Überprüfung von statten gehen soll. Bereits jetzt ist dabei laut Klimaforschung absehbar, dass die freiwillig festgelegten nationalen CO2-Minderungsziele, die sich die Staaten in Paris gegeben haben, nicht einmal ausreichen werden, um die Erderwärmung auf unter zwei Grad – geschweige denn unter 1,5 Grad – zu begrenzen.

  • Auch die Annahme einer Abwesenheit von Wohlfahrtseffekten ist realitätsfern. Besitzt der Geschädigte nicht genügende Mittel, um den Schädiger für eine Vermeidung des Schadens zu kompensieren, so stellt sich ebenfalls nicht das soziale Optimum der Coase-Lösung ein.

In der Frage, wie mit den klimabedingten Schäden umzugehen ist, gibt es auch deshalb nach wie vor keine Annäherung zwischen den Staaten. Arme Länder, die vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind, wollten in Bonn über finanzielle Unterstützung zur Bewältigung der Schäden verhandeln. Die Industrieländer bieten jedoch keine Kompensation, sondern lediglich Wissensaustausch und technische Zusammenarbeit an. Laut Coase müssten die armen Länder jedoch die Schädiger kompensieren, damit sie die Schädigung unterlassen. Hierfür fehlen ihnen die Mittel und Ressourcen.

  • Zudem gilt die Coase-Lösung ohne Schadenshaftung als dynamisch ineffizient. Anreize zu einer Änderung der Technik, welche Schäden vermeiden kann, fallen geringer aus, da ein Teil der Entschädigung, die an den Schädiger dafür gezahlt wird, dass er Schaden vermeidet, entfällt, wenn die Vermeidung für ihn mit geringeren Kosten einhergeht.

Im Pariser Abkommen haben die reicheren Industrieländer zugesichert, arme Staaten bei der Anpassung ihrer Industrie an den Klimaschutz finanziell zu unterstützen. Bis 2020 soll die Unterstützung auf 100 Milliarden Dollar jährlich anwachsen. Die reichen Länder sagten in Bonn zudem zu, die Umsetzung ihrer finanziellen Zusagen in den anstehenden Jahren nochmals zu überprüfen. Dies öffnet Tür und Tor für Nachverhandlungen: Sobald die ärmeren Industrieländer die Klimaschutzziele besser einhalten, dürfte die Bereitschaft, ihnen hierfür finanzielle Transfers zu gewähren, abnehmen. Dies senkt wiederum ihren Anreiz, frühzeitig Zugeständnisse zu machen und neue Techniken in der Produktion anzuwenden, welche klimafreundlicher sind.

  • Einen weiteren wesentlichen Punkt, warum das Coase-Theorem nicht funktioniert, haben Verhaltensökonomen um Daniel Kahneman und Richard Thaler (seit diesem Jahr beide Nobelpreisträger) aus der Analyse des Besitztumseffektes herauskristallisiert. Der Besitztumseffekt (oder: Endowment-Effekt) besagt, dass wir etwas mehr wertschätzen, wenn wir es selbst besitzen. Dies lässt sich unmittelbar auf das Recht, Umwelt zu verschmutzen, übertragen. Wir besitzen das Recht und die Möglichkeit, Braunkohle zu fördern; wir besitzen und nutzen die Möglichkeit, Dieselautos und Benziner zu fahren, wir sind es gewohnt, im gegenwärtigen Umfang die Umwelt zu verschmutzen. Damit erscheint uns dies als besonders wertvoll; wir hängen an den damit verbundenen Arbeitsplätzen, den dafür gekauften Autos und den damit einhergehenden Gewohnheiten und Bequemlichkeiten. Vermutlich würde die Bereitschaft, Klimaschutz zu betreiben, deutlich höher sein, wenn wir diese Rechte nicht besäßen und sie jetzt erst von den möglichen Geschädigten (insbesondere etwa den Inselstaaten im Südpazifik) abkaufen müssten.

Dass die Kritiker der Konferenzergebnisse monieren, diese Ergebnisse zielten nicht weit genug, ist insofern verständlich. Die Diskussion um das Coase-Theorem zeigt, warum sie nicht weit genug zielen können und welche Schwierigkeiten sich den vielen, sehr heterogenen beteiligten Verhandlungspartnern stellen.

Literatur:

R. H. Coase (1960): The Problem of Social Cost, Journal of Law and Economics, Vol. 3, S. 1–44

Hoffmann, S., M.L Spitzer (1982): The Coase theorem: some experimental tests, Journal of Law and Economics, Vol. 25, No.1, S. 73-98

Kahneman, D., J.L. Knetsch, and R.H. Thaler (1990): Experimental Tests of the Endowment Effect and the Coase Theorem, Journal of Political Economy, Vol. 98, No. 6, S. 1325-1348

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