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Varianten des Kapitalismus
Keynes war gestern – oder doch nicht?
Fiskalpolitik in der Krise

„Unter den vier bedeutenden Wirtschaftsmodellen, die es in der EU gibt, sind nur das nordische und das angelsächsische Modell effizient, aber allein ersteres kann Gleichheit mit Effizienz verbinden“. (André Sapir)

Für den ökonomischen Mainstream war die Weltfinanzkrise ein typisch keynesianischer Betriebsunfall. Finanzinstitute hatten sich verzockt, die finanzielle Blase platzte, Panik griff um sich, alles flüchtete in Liquidität. Die ökonomische Schulmedizin rät in solchen Fällen zu mehr staatlicher Verschuldung. Der Staat muss die gesamtwirtschaftliche Nachfragelücke schließen, koste es was es wolle. Nachfrage ist Nachfrage, egal wie und wo. Eine kleine Schar österreichisch denkender Ökonomen ist anderer Ansicht. Eine zu expansive Geldpolitik störte den Seismographen der Märkte, den Mechanismus der relativen Preise. Knappe Ressourcen wurden so in unproduktive Verwendungen gelockt. Als die Blase platzte, wurde die Fehlallokation offenkundig. In diesem Fall helfen auch mehr Geld und staatliche Verschuldung nicht mehr. Flexible relative Preise und mobile Produktionsfaktoren sind der Schlüssel zur effizienten Reallokation. Unterschiede in Konjunktur und Struktur sind mögliche Gründe, weshalb die Staaten unterschiedliche Wege einschlugen, die Krise zu bekämpfen.

Der tiefe Fall

Die Weltfinanzkrise hatte spürbare Folgen für Wohlstand und Beschäftigung. Seit der Weltwirtschaftskrise brach das reale Sozialprodukt weltweit nicht mehr so stark ein. Die Arbeitslosigkeit stieg an, allerdings weit weniger als in der Großen Depression. Auf die Einbrüche beim Sozialprodukt reagierten die länderspezifischen Arbeitslosenquoten unterschiedlich. Die stärkste Reaktion war in den Ländern der angelsächsischen „Welt“ [1] mit relativ flexiblen Arbeitsmärkten zu beobachten. Dort erhöhte ein Rückgang des BIP pro Kopf um 1 % die Arbeitslosenquote um mehr als 25 %. Weit weniger empfindlich reagierte die Arbeitslosigkeit in den Ländern der nordischen und kontinentalen Welt. Die Arbeitsmärkte in beiden Welten reagierten auf den Wachstumseinbruch ähnlich sensibel. Auch das ist erstaunlich, sind doch die nordischen Arbeitsmärkte flexibler als die kontinentalen. Noch unempfindlicher reagierten die sklerotisierten Arbeitsmärkte in den Ländern der mediterranen Welt auf reale Schocks.

Abbildung 1

Elastizität [2]
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Die „Welten“ sind allerdings in sich alles andere als homogen. In der angelsächsischen Welt dominerten die USA das Bild. Die amerikanischen Arbeitsmärkte reagierten sehr empfindlich auf die Einbrüche im Sozialprodukt. Weniger stark reagierte allerdings die Arbeitslosenquote in Irland und in Großbritannien. Auch in der nordischen Welt gibt es spürbare Unterschiede. Die sehr flexiblen dänischen Arbeitsmärkte reagierten wesentlich sensibler auf den Wachstumseinbruch als die schwedischen und finnischen. Auf den Arbeitsmärkten der kontinentalen Welt dominierte Deutschland das Geschehen. Die deutsche Arbeitslosenquote war gegen den sehr starken Einbruch im BIP so gut wie immun. Demgegenüber wurde die relativ sensible Reaktion in Frankreich und den Niederlanden nur von den USA und Dänemark übertroffen. Auch in der mediterranen Welt ist das Bild gemischt. Am stärksten reagierten die Arbeitsmärkte in Spanien, weniger stark die in Griechenland und Italien.

Abbildung 2

Elastizität [3]
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Unternehmerische Reaktionen

Wie Arbeitslosenquoten auf Wachstumseinbrüche reagieren, hängt auch vom Verhalten der Unternehmen und der Politik ab. In den Ländern der angelsächsischen Welt setzten Unternehmen zügig Arbeitskräfte frei. Sie vermuteten wohl eher Struktur- als Konjunkturprobleme. Die Arbeitsproduktivität stieg, die Beschäftigungsquote ging zurück. Aber auch in den Ländern der mediterranen Welt stieg die Arbeitsproduktivität leicht an. Die Anpassung erfolgte primär über die Beschäftigungsquote, weniger weil die Arbeitslosigkeit stieg, sondern vielmehr weil die Erwerbsquote sank. Anders reagierten die Unternehmen in den Ländern der kontinentalen Welt. Dort wurden viel mehr Arbeitskräfte gehortet. Die Unternehmen glaubten wohl nicht an gravierende Strukturdefizite sie vermuteten vielmehr schlichte Konjunkturprobleme. Deshalb veränderte sich die Beschäftigungsquote kaum. Der Preis dieser Strategie waren steigende Lohnstückkosten. Die Länder der nordischen Welt, deren Wachstum am stärksten einbrach, reagierten mit einer Kombination aus dem Horten von Arbeitskräften und einem Rückgang der Beschäftigungsquote.

Abbildung 3

Wachstumszerlegung [4]
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Die unternehmerische Reaktion ist allerdings innerhalb den verschiedenen Welten recht heterogen. In der angelsächsischen Welt gelang es Großbritannien trotz Entlassungen im Gegensatz zu den USA nicht, die internationale Wettbewerbsfähigkeit über eine höhere Arbeitsproduktivität zu steigern. Auch in der mediterranen Welt ist das Bild gemischt. Während sich vor allem Spanien über Entlassungen anpasste, ging Italien eher den kontinentalen Weg. Die Unternehmen horteten Arbeitskräfte, die Erwerbsquote sank. Demgegenüber ist das Bild in den Ländern der nordischen Welt relativ einheitlich. Entlassungen erfolgten überall eher zögerlich. Allerdings setzte Finnland mehr auf die Strategie des Hortens als Schweden und Dänemark. In den Ländern der kontinentalen Welt ist das Bild sehr heterogen. Deutschland unterscheidet sich von Frankreich und den Niederlanden. Die Unternehmen hierzulande horteten nicht nur Arbeitskräfte, die deutschen Arbeitsmarkte waren die einzigen, die mit einem Plus bei der Beschäftigungsquote aus der Krise kamen.

Abbildung 4

Wachstumszerlegung [5]
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Staatliche Aktionen

Der tiefe wirtschaftliche Fall löste in der Politik weltweit panikartige Reaktionen aus. Mit einer expansiven Politik aus dem keynesianischen Kochbuch sollte die beschäftigungspolitische Kernschmelze verhindert und die Krise gemeistert werden. Kein Wunder, dass fast überall mehr schuldenfinanzierte staatliche Ausgaben auf die politische Tagesordnung kamen. Die staatlichen Defizite nahmen in allen vier Welten zu. Sprunghaft stiegen sie vor allem in den Ländern der angelsächsischen Welt an. Im Zeitraum von 2008 bis 2010 stieg die Nettoneuverschuldung auf über 12 % des BIP an. Dieser atemberaubenden Entwicklung folgten die Länder der mediterranen Welt mit einem gewissen Abstand. Aber auch hier erhöhten sich die staatlichen Defizite um mehr als 7 % des BIP. Vorsichtiger waren die Länder der kontinentalen Welt, obwohl auch sie das Maastricht-Kriterium verletzten. Die Defizitquoten lagen zwischen 2008 und 2010 bei knapp 4 % des BIP. Sehr behutsam gingen demgegenüber die Länder der nordischen Welt vor. Ihre Nettoneuverschuldung stieg in dem Zeitraum nur auf knapp 1 % des BIP.

Abbildung 5

Defizit [6]
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Ein länderspezifischer Blick zeigt, dass das Verschuldungsverhalten der Länder innerhalb der Welten nicht einheitlich war. Die Länder der angelsächsischen Welt setzten alle stärker auf die Karte der staatlichen Verschuldung. Dabei ist Irland [7] allerdings ein Sonderfall: Aus Schulden der Banken wurden Staatsschulden. Wesentlich heterogener ist das Bild in der mediterranen Welt. Die größten fiskalischen Aktivisten sind Griechenland und Spanien, der „Bremser“ in dieser Welt ist Italien. Unter den Ländern der kontinentalen Welt scheinen Deutschland und auch die Niederlande dem Vorwurf der USA und anderen Freunden, fiskalpolitisch zu wenig getan zu haben, gerecht zu werden. Wesentlich expansiver agierte Frankreich mit einer durchschnittlichen Nettoneuverschuldung von fast 7 % des BIP. Nichts von staatlicher Schuldenpolitik hielten offensichtlich alle drei nordischen Länder. Die negativen Erfahrungen mit staatlichen Schulden scheinen vor allem Schweden zu einem fiskalpolitischen Musterknaben gemacht zu haben. Aber auch Dänemark und Finnland scheinen aus der Vergangenheit gelernt zu haben.

Abbildung 6

Defizit [8]
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Effektive Defizite

Es wäre nun allerdings voreilig, aus den traditionellen Defizitquoten zu schließen, ob ein Land fiskalpolitisch auf Kurs liegt oder „zu wenig“ gemacht hat. Entscheidend ist vielmehr, wie stark der wirtschaftliche Einbruch ist und ob er konjunkturelle oder strukturelle Gründe hat. Ein grober Indikator für den ersten Fall ist das Verhältnis von staatlicher Defizitquote zum Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums in den Zeiten der Rezession. Bei diesen „effektiven Defiziten“ ändert sich das Bild in der fiskalpolitischen Reihenfolge der Welten. Es sind die Länder der mediterranen Welt, die fiskalpolitisch am meisten getan haben, um die starken Einbrüche beim wirtschaftlichen Wachstum mit staatlichen „defict spending“ zu kompensieren. Erst mit deutlichem Abstand folgen die Länder der angelsächsischen Welt. Das Schlusslicht in dieser Rangfolge bilden nun nicht mehr die Länder der nordischen, sondern die der kontinentalen Welt. Allerdings ist der Abstand nicht sehr groß, beide sind fast gleichauf. Beide Ländergruppen haben ganz offensichtlich wenig Vertrauen in die stabilisierende Wirkung staatlicher Verschuldung.

Abbildung 7

Reaktion [9]
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Auch hier ist der fiskalpolitische Blick allein auf die vier unterschiedlichen Welten zu grob. Die mit Abstand größte effektive Defizitquote in der mediterranen Welt und global weist Spanien auf. Allerdings liegen für Griechenland keine Daten vor. Demgegenüber agierte Italien in dieser heiklen Phase fiskalpolitisch ausgesprochen defensiv. Auch unter den Ländern der angelsächsischen Welt gibt es eine Überraschung. Die effektiven Defizite waren in Großbritannien größer als in den USA. Angelsächsischer Spitzenreiter ist allerdings Irland. Auch in der nordischen Welt ist das Bild heterogen. Während Finnland fiskalpolitisch recht expansiv handelte, hielt sich Dänemark merklich zurück. Schweden agierte sehr defensiv. Die effektive Defizitquote war sogar negativ. Auch in der kontinentalen Welt ist das Bild gemischt. Fiskalpolitisch am expansivsten reagierte Frankreich. Demgegenüber hielten sich sowohl die Niederlande als auch Deutschland fiskalpolitisch merklich zurück.

Abbildung 8

Reaktion [10]
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Fazit

Die wirtschaftlichen und politischen Akteure in den Ländern reagierten unterschiedlich auf die Weltfinanzkrise. In Ländern mit hoher privater und staatlicher Verschuldung, Immobilienblasen und Leistungsbilanzdefiziten entließen die Unternehmen zügig Arbeitnehmer. Das geschah bei Unternehmen in der angelsächsischen, mediterranen und kontinentalen Welt. Offensichtlich haben diese Länder, wie etwa die USA [11], Spanien oder die Niederlande, mit teilweise gravierenden Strukturproblemen [12] zu kämpfen. Mehr staatliche Verschuldung hilft in diesem Fall wenig [13]. Wo dieser keynesianische Weg trotzdem eingeschlagen wurde, droht den Ländern nun die Staatspleite. In den Ländern, die nicht mit Immobilienblasen, einem aufgeblähten Finanzsektor und Leistungsbilanzdefiziten konfrontiert waren, versuchten Unternehmen, ihre Arbeitskräfte so gut es geht über den Abschwung zu halten. Die staatlichen Konjunkturprogramme hielten sich trotzdem, wie etwa in Deutschland, Italien oder Schweden, in Grenzen. Nicht die aufgelegten keynesianischen Programme halfen ihnen aus dem tiefen wirtschaftlichen Tal, es war die sich erholende „>Weltwirtschaft [14].