Gastbeitrag
Hunger durch Agrarspekulation?
Lessons (not) learned*

Nun ist es gut zehn Jahre her, dass zivilgesellschaftliche Organisationen Alarm schlugen und davor warnten, dass bestimmte Terminmarktgeschäfte mit Agrarrohstoffen, vor allem Weizen, eine übertrieben preistreibende Wirkung entfalten, Lebensmittel verteuern und zahlreiche Menschen in armen Ländern in existenzielle Bedrängnis bringen. Damals war von „Hungermachern“ die Rede.

Mittlerweile wissen wir: Dieser Alarm war ein Fehl-Alarm.[1] Die Vorwürfe waren nicht berechtigt. Die seinerzeitigen Preissteigerungen waren realwirtschaftlich verursacht. Die Spekulation traf also keine Schuld. Sie war nicht die Verursacherin, sondern nur die Überbringerin der Botschaft, dass die Nachfrage nach Getreide größer war als das Angebot. Insbesondere Indexfonds, die damals an den Pranger gestellt wurden, sind intensiv untersucht worden – ohne den Verdacht bestätigen zu können, dass sie zu Recht am Pranger standen.[2]

Heute ist es wieder so weit. Erneut wird Alarm geschlagen. Diesmal ist von „Hungerprofiteuren“ die Rede. Doch die Vorwürfe sind weitgehend identisch: Agrarspekulanten werden angeklagt, an den Rohstoffbörsen zu „zocken“, auf Hunger zu „wetten“, sich mit verantwortungslosem „Glücksspiel“ an der Not armer Menschen zu bereichern.[3]

Was ist diesmal davon zu halten? – Eine Antwort auf diese Frage wird in drei Schritten entwickelt. Erstens erläutert dieser Artikel den ökonomischen Sachverhalt, wie die Kassamärkte und Terminmärkte für Weizen funktionieren und zusammenhängen. Zweitens begründet er, warum die gegenwärtige Datenlage nicht dafür spricht, dass eine exzessive Spekulation durch künstliche Verknappung (= Weizenhortung) exzessive Preissteigerungen ausgelöst hat. Drittens wird aus wirtschaftsethischer Sicht Stellung genommen zur erneuten Kampagne zivilgesellschaftlicher Organisationen. Hier geht es um einen konstruktiven Versuch, die Kritiker zu kritisieren und darauf hinzuweisen, dass die Selbstkorrekturkräfte des zivilgesellschaftlichen Sektors gestärkt werden sollten.

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Hunger durch Agrarspekulation?
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Gastbeitrag
Wahrnehmungsmuster des Ukraine-Krieges

Am 24. Februar 2022 begann Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seitdem wird darüber medial berichtet und moralisch geurteilt. Im Folgenden wird untersucht, welche Wahrnehmungsmuster die politische Diskussion im deutschen Sprachraum dominieren – und welche Probleme damit verbunden sein könnten. Die Analyse erfolgt aus der Perspektive des ordonomischen Forschungsprogramms.[1]

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Wahrnehmungsmuster des Ukraine-Krieges“
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Gastbeitrag
Angst ist kein guter Ratgeber – Wut auch nicht
Ordonomische Reflexionen zum Ukraine-Krieg

(1) In den 1970er und 1980er Jahren wurde Helmut Schmidt nicht müde, sein Credo rationaler Politik zu kommunizieren: „Angst ist kein guter Ratgeber.“ Gerade zu Zeiten des Kalten Krieges war das relevant. Denn damals herrschte in Deutschland die Befürchtung vor, zum Opfer eines nuklearen Vernichtungsschlags werden zu können. Viele Deutsche sahen ihr (Über-)Leben bedroht.

Heute ist die Lage anders. Wir Deutschen beobachten derzeit nicht als direkt beteiligte, sondern als nur indirekt betroffene Zeitzeugen, wie die Menschen in der Ukraine Opfer eines russischen Angriffskrieges werden. Hier geht es um andere Emotionen: nicht um Angst, sondern um Mitleid mit den Opfern und um Zorn auf die Täter. Viele sind bestürzt und wütend über das, was sie da jeden Tag mit ansehen. Insofern muss man das Credo rationaler Politik heutzutage entsprechend anpassen: „Wut ist kein guter Ratgeber.“

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Angst ist kein guter Ratgeber – Wut auch nicht
Ordonomische Reflexionen zum Ukraine-Krieg
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Gastbeitrag
Wirtschaftskrieg als moralische Pflicht?
Drei ordonomische Einwände

Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Da fällt es nicht schwer, Täter und Opfer auszumachen. Den Opfern gilt unser Mitleid, den Tätern unser Zorn. Diese Emotionen ziehen Moralurteile nach sich. Wir unterscheiden zwischen Opfern und Tätern nach dem Schema von Gut und Böse. Dies wiederum verstärkt die Emotionen. Das alles ist ethisch (= moraltheoretisch) leicht nachzuvollziehen. Aber ist es auch klug? Oder noch pointierter gefragt: Gibt es vielleicht sogar moralische Bedenken gegen diese Art von Moralzuschreibung und – dies vor allem – gegen die nicht-intendierten, aber gleichwohl absehbaren Folgen dieser Dichotom(an)ie, streng dualistisch zwischen Gut und Böse zu trennen (und sich selbst dabei natürlich auf der Seite des Guten zu verorten)?

Im Hinblick auf diese Fragestellung habe ich vor kurzem aus der Perspektive des ordonomischen Ansatzes zur Wirtschafts- und Unternehmensethik[1] zu bedenken gegeben, dass die derzeit dominante Moralperspektive nicht nur gute, sondern auch schlechte Auswirkungen hat.[2] Zu begrüßen ist, dass die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Europa mit großer Hilfsbereitschaft aufgenommen werden. Nicht zu begrüßen ist, dass der dominante Blickwinkel unser Nachdenken über den strategischen Einsatz von positiven und negativen Sanktionen verzerrt. Dadurch wird übersehen, dass wir auch russische Deserteure begrüßen sollten, anstatt einfach nur Waffen ins Kriegsgebiet zu liefern. Meine Begründung: „Die erste Moralperspektive [der Bestrafung] lässt uns darüber nachdenken, wie wir den Ukrainern helfen können, russische Soldaten umzubringen. Die zweite Moralperspektive [der Belohnung] lässt uns darüber nachdenken, wie wir russische Soldaten davon abbringen können, Ukrainer umzubringen. Die zweite Perspektive hat Vorzüge, gerade auch aus moralischer Sicht. Warum also setzen wir nicht auf disruptive Belohnung – wenigstens als Komplement?“[3]

Nun haben sich einige namhafte Wirtschaftsethiker, die ich auch persönlich sehr schätze, mit einer ganz anders gearteten Intervention zu Wort gemeldet.[4] Sie rufen westliche Unternehmen dazu auf, sämtliche Geschäftsbeziehungen mit Russland sofort abzubrechen, und lassen als Ausnahme zu diesem von ihnen aufgestellten Imperativ nur ganz wenige humanitäre Lieferungen – wie beispielsweise Medikamente – zu. Sie begründen dies mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen und der politischen Rolle, die Unternehmen in der globalisierten Welt unweigerlich spielen (sollten). Im Namen der Wirtschaftsethik rufen die Kollegen die westlichen Unternehmen dazu auf, in einen Wirtschaftskrieg einzutreten, der über die staatlich verordneten Wirtschaftssanktionen weit hinausgeht und auf freiwilliger Grundlage Boykott und Embargo radikal eskaliert.

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Drei ordonomische Einwände
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Disruptive Belohnung
Ein (wirtschafts-)ethischer Denkanstoß zur Befriedung des Ukraine-Kriegs

In der Ukraine herrscht Krieg. Die mediale Berichterstattung darüber hat den moralischen Wahrnehmungsrahmen dominant werden lassen, Russen als Täter und Ukrainer als Opfer anzusehen. Dies löst in der Bevölkerung und dann auch bei Politikern die starke Emotion aus, den Opfern helfen und die Täter bestrafen zu wollen, auch wenn damit bisherige Prozeduren und Prinzipien über Bord geworfen werden. Die Folge: Ukrainische Kriegsflüchtlinge werden – im Unterschied etwa zu Syrern und Afghanen – in spektakulärer Manier willkommen geheißen. Gleichzeitig werden Waffen ins Kriegsgebiet geliefert, um den russischen Invasoren das Leben schwerer zu machen – und im Westen erfahren Russen z.T. harte Sanktionen, ohne vorheriges Gerichtsverfahren.

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Ein (wirtschafts-)ethischer Denkanstoß zur Befriedung des Ukraine-Kriegs
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