Putin ist ein Autokrat, also ein Alleinherrscher. Wirklich allein hat allerdings noch niemand geherrscht – nicht Hitler, nicht Stalin, nicht Mao, nicht einmal Idi Amin und auch nicht Putin. Denn Putin sitzt nur in einem seiner Büros und erteilt Befehle. Selbst ausführen kann er sie ebenso wenig wie irgendein anderer Autokrat. Also ist er darauf angewiesen, dass seine Befehle von oben nach unten weitergeleitet und schließlich ausführt werden. Von ganz oben bis nach ganz unten sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie einmal nicht ausgeführt oder gar bewusst in ihr Gegenteil verkehrt werden. Warum? Ganz unten müssten zu viele ihre Befehlsverweigerung miteinander koordinieren, damit sie den Durchgriff des Diktators unterbinden können. Wer dennoch im Alleingang den Befehl verweigert, ist in der Regel verloren, sofern er sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringt. Daher werden Befehle auf der untersten Ebene fast immer ausgeführt. Einige spektakuläre Massen-Befehlsverweigerungen – zum Beispiel der deutsche Matrosenaufstand am Ende des Ersten Weltkriegs oder die russischen Massendesertionen ein Jahr zuvor – sind dennoch geschehen. Aber es ist bezeichnend, dass sie regelmäßig historisch geworden sind. Denn ihr Erfolg war nur ein Zeichen dafür, dass das gesamte Machtsystem bereits marode war.
Anleitung zur Zerstörung einer Demokratie in zehn Schritten
Eine moderne Anleitung zur Zerstörung einer Demokratie muss zwei empirische Beobachtungen des 20. Jahrhunderts beherzigen.
Erstens: Bis zum Ersten Weltkrieg und teilweise auch noch in der Zwischenkriegszeit waren Autokratien elitär. Für die meisten Vertreter der Eliten war die Herrschaft des Volkes eine lächerliche Vorstellung, denn das gemeine Volk war bei weitem zu einfältig, um vernünftigerweise in staatspolitische Entscheidungen eingebunden werden zu können. Daher sahen sich politische Eliten auch nicht als Vertreter des Volkes, sondern als Repräsentanten von Kopfgeburten wie der Nation oder gar gleich des Allmächtigen. Das Volk dagegen war Material, das man für Kriege und andere Dinge von nationaler oder göttlicher Bedeutung nach Belieben einsetzte wie einen Produktionsfaktor. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich das. Seither verstehen sich praktisch alle Regierungen als Repräsentanten des Volkes, jedenfalls in ihrer Kommunikation. Deshalb spielen auch Autokratien formal das demokratische Spiel, obwohl das inhaltlich natürlich keine Bedeutung hat: Sie halten Wahlen ab, sie behaupten, die einzig wahren Vertreter der Interessen des Volkes zu sein, und sie verweisen gern und überall auf die Unabhängigkeit ihrer Parlamente und Gerichte, weshalb ihnen in vielerlei Hinsicht – etwa bei der Verurteilung von Dissidenten – die Hände gebunden seien. Schließlich achten sie sehr auf ihre Popularität.
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Gastbeitrag
Warum lernt die Menschheit kaum aus der Vergangenheit?
Viele der Herausforderungen, vor denen Politiker heute stehen, sind nicht neu. Lehren aus der Vergangenheit haben sie kaum gezogen. Was zurzeit passiert, kann Ökonomen fast aller Schulen nur in die Verzweiflung treiben.
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