Ordnungspolitischer Kommentar
Warum die Ministererlaubnis trotzdem richtig ist
Übernahme von Tengelmann durch Edeka

Noch ist die finale Entscheidung nicht gefallen, aber es zeichnet sich ab, dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel gegen das Votum des Bundeskartellamts und die Empfehlung der Monopolkommission die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka erlauben wird. Damit rückt wieder einmal dieses Spezifikum des deutschen Wettbewerbsrechts, die Ministererlaubnis, in den Fokus der Diskussion.

Wettbewerbliche Beschränkungen vs. gesamtwirtschaftliche Vorteile

Das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sieht vor, dass der Bundeswirtschaftsminister auf Antrag einen vom Kartellamt untersagten Zusammenschluss erlauben kann, falls gesamtwirtschaftliche Vorteile die wettbewerbsschädigende Wirkung der Fusion aufwiegen oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. So hat Gabriel im aktuellen Fall argumentiert, dass der Erhalt der allermeisten der 16.000 Arbeitsplätze und Beschäftigungsverhältnisse bei Kaiser’s Tengelmann für mindestens fünf Jahre ein Gemeinwohlvorteil ist, der die vom Kartellamt festgestellte Behinderung des effektiven Wettbewerbs auf zahlreichen lokalen Absatzmärkten sowie im Bereich der Beschaffung mindestens kompensiert.

Kritik an der Sondererlaubnis durch den Minister wird, wie auch bei früheren Fällen, aus den verschiedenen politischen Lagern und auch von der Wissenschaft geäußert. Dabei wird nicht nur die Sinnhaftigkeit der Entscheidung kritisiert, sondern auch das Instrument der Ministererlaubnis selbst wird hinterfragt.

Die Ministererlaubnis ist seit 1973 im GWB festgeschrieben, um die Bewertung wettbewerblicher Aspekte eines Zusammenschlusses von der Bewertung weiterer politischer Aspekte zu trennen. Tatsächlich wird das Instrument der Ministererlaubnis selten erfolgreich genutzt: Seit 1973 gab es bei 187 Fusionsverboten (Stand Ende 2014) lediglich 21 Mal einen Antrag auf Ministererlaubnis – und nur acht Mal hatte er Erfolg.

Im Verfahren wird geprüft, ob gesamtwirtschaftliche Vorteile oder ein überragendes Interesse der Allgemeinheit vorliegen (sogenannte Gemeinwohlvorteile), die die wettbewerblichen Nachteile aufwiegen. Gleichzeitig darf die Erlaubnis nur erteilt werden, wenn die durch den Zusammenschluss verursachte Wettbewerbsbeschränkung die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet. Um diese recht unspezifischen Formulierungen mit Inhalt zu füllen, bietet sich ein Blick auf frühere Verfahren an.

Die Operationalisierung des Gemeinwohls

Dort wurden neben der Sicherung von Arbeitsplätzen, wie im aktuellen Fall, unter anderem auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Versorgungssicherheit, der Umwelt- und Klimaschutz sowie Bildung und Forschung als Argumente für die Ministererlaubnis vorgebracht.

Im Fall E.ON/Ruhrgas wurde die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit vom Minister als ein zentrales Argument aufgeführt. Gleichzeitig wurde, wie auch in anderen Fällen im Energiebereich, auf die sichere Versorgung mit Erdgas bzw. Mineralöl verwiesen. Die zwei Fusionsbewertungen der Mineralölkonzerne VEBA/Gelsenberg (1974) und VEBA/BP (1978) wurden unter Einbeziehung des damaligen Energieprogramms der Bundesregierung durchgeführt. Dieses verfolgte vor dem Hintergrund der Ölkrise in den 70er Jahren das Ziel der dauerhaften Sicherung der Mineralölversorgung.

Dass häufig mehrere auch miteinander verknüpfte Argumente diskutiert werden, zeigt das Beispiel des Umwelt- und Klimaschutzes: E.ON/Ruhrgas argumentierte, dass mit der Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch Erdgas zum Klimaschutz beigetragen würde, da dieses ein Substitut zu den klimaschädlicheren Energieträgern Öl und Kohle darstelle. Monopolkommission und Minister erkannten beide grundsätzlich den Gemeinwohlvorteil des Umweltschutzes an, allerdings wurde kein fusionsspezifischer Effekt festgestellt.

Der Ausbau einer Forschungseinheit sowie der langfristige Erhalt der Medizinischen Fakultät Greifswald spielten bei der Fusion der Krankenhäuser Greifswald/Wolgast eine zentrale Rolle. Diese beiden Aspekte wurden mit positiven Folgen sowohl für die strukturschwache Region als auch für die bundesweite Forschung in Verbindung gebracht und daher als Gemeinwohlvorteil stärker gewichtet als die Wettbewerbsbeschränkungen.

Es zeigt sich, dass in den Einzelfällen stets eine Abwägung zwischen wettbewerblichen und gesamtwirtschaftlichen Gründen stattfindet. Letztere überschneiden sich mit den Verantwortlichkeiten verschiedener politischer Ressorts.

Wie ist die einzelfallbezogene Förderung gesamtwirtschaftlicher Vorteile zu bewerten?

Die Ministererlaubnis kann bei der Förderung solcher gesamtwirtschaftlicher Vorteile nur ein unterstützendes Element sein. Impulse zur Förderung z.B. im Bereich des Arbeitsmarktes, der Umwelt-, Bildungs- und Forschungspolitik sollten alle Unternehmen gleichermaßen betreffen und von den zuständigen Ressorts gestaltet bzw. koordiniert werden. Hinzu ist es fraglich, ob gerade durch einen Verzicht auf Wettbewerb, der ja bei der Ministererlaubnis bewusst in Kauf genommen wird, die Ziele besser erreicht werden. Gerade der Wettbewerb verhilft zu neuen Arbeitsplätzen, und auch Forschung und Entwicklung nehmen bei effektivem Wettbewerb zu. Die Ermahnung im Gesetz, dass der Zusammenschluss die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährden darf, erinnert daran. Dennoch kann in Ausnahmefällen, etwa bei speziellen regionalen Konstellationen, ein selektiver Eingriff gerechtfertigt sein.

Die Institutionalisierung der Berücksichtigung von Gemeinwohlvorteilen

Die Trennung zwischen einer Bewertung hinsichtlich einer möglichen Wettbewerbsbeschränkung durch das Bundeskartellamt als Regelfall, und einer expliziten ministeriellen Erlaubnis bei zunächst untersagten Fusionen als Sonderfall, ist ein deutsches Unikum. Auf EU-Ebene beinhaltet die Entscheidung in Wettbewerbsfällen keine vergleichbare Institution. Die Europäische Kommission ist für die Wettbewerbspolitik zuständig und prüft auf Basis wettbewerblicher Argumente, ob ein Zusammenschlussvorhaben EU-Wettbewerbsvorschriften verletzt. Die Entscheidung über das Verbot eines Zusammen-schlusses wird allerdings im Kollegium der Kommissare getroffen. In dem Ausmaß, in dem sich die EU-Kommissare mehr als Politiker, denn als reine „Hüter der Verträge“ sehen, ist davon auszugehen, dass politische Aspekte über die wettbewerblichen hinaus in die Entscheidungen der Kommission einfließen. Im britischen und französischen Wettbewerbsrecht ist vorgesehen, dass sich die zuständigen Minister aktiv und selbstständig einschalten können, wenn ein Zusammenschluss öffentliche Interessen betrifft.

Ein völliger Verzicht auf politische Einflussnahme und damit auf die Berücksichtigung der sogenannten Gemeinwohlgründe erscheint weder gesellschaftlich gewünscht, noch institutionell realisierbar. Aus Transparenzgründen spricht einiges dafür, diese außerwettbewerblichen Gründe in einem eigenen Verfahren wie in Deutschland einzubringen. So ist eine klare Trennung der wettbewerblichen und politischen Dimension möglich. Zugleich kann eine Rangfolge der Gründe festgelegt werden. Während die Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen als Primärziel festgelegt wird, muss eine Bewertung der Gemeinwohlvorteile immer eine Abwägung mit ersterem darstellen.

Die Rolle des Ministers bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Fusion

Hinterfragt wird allerdings, ob als Entscheidungsinstanz der Wirtschaftsminister agieren soll. Da im Ministererlaubnisverfahren politische Aspekte geprüft werden, kann argumentiert werden, dass der Bundestag oder das Kabinett die passenderen Instanzen seien. Dies knüpft auch an die Diskussion bezüglich der Konkretisierung der Gemeinwohlgründe an, die in ihrer Festlegung häufig als zu ungenau kritisiert werden. Diese Instanzen scheinen am ehesten geeignet, eine solche Definition und Bewertung vornehmen zu können. Sie decken die verschiedenen das Gemeinwohl betreffenden Politikressorts ab.

Bei der Umsetzung einer Sonderregelung kann es aber, wie oben festgestellt, gerade nicht ausschließlich um die Feststellung von Gemeinwohlvorteilen gehen. Sondern es muss eine Abwägung dieser mit den Wettbewerbsbeschränkungen stattfinden.

Bei der Einführung der Ministererlaubnis war man zu der Bewertung gekommen, dass der Wirtschaftsminister am ehesten einen Blick für die marktwirtschaftliche Ordnung haben werde. Der Wirtschaftsminister kann das Zusammenspiel der wettbewerblichen und politischen Dimensionen einschätzen und bewerten. Anschließend muss er dann die politische Verantwortung für die Entscheidung übernehmen und gegebenenfalls die Konsequenzen tra-gen.

Fazit

Durch die klare institutionelle Trennung und Festlegung einer Rangfolge der Dimensionen mit der Bedingung eines Antrags wurde ein sinnvoller Kompromiss gefunden. Auch wenn im Einzelfall eine Fusion besser untersagt geblieben wäre, die der Minister dann erlaubt hat, spricht doch einiges dafür, dass sich das System bewährt hat – auch weil es bisher nur sehr maßvoll eingesetzt wurde.

Hinweis: Dieser Text ist zugleich als Ausgabe Nr. 03/2016 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.

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