Gesundheitspolitische Meldungen der jüngsten Zeit problematisieren häufiger, dass medizinische Entscheidungen viel zu stark von ökonomischen als von medizinischen Kriterien bestimmt würden (Deutsches Ärzteblatt, 17. Januar 2014). Dominiert also das ökonomische Denken die Leistungserstellung im stationären wie ambulanten Sektor? Gleichzeitig wird über eine Ausdehnung von Leistungsmengen im Krankenhaus, insbesondere bei planbaren Leistungen, diskutiert (vgl. Tagesspiegel Berlin 10.07.2014)? Beide Diskussionsrichtungen mögen unterschiedlich motiviert sind, greifen aber an der Frage einer ökonomischen Beeinflussung medizinischer Entscheidungen an, die in der gesundheitsökonomischen Literatur u. a. mit „angebotsinduzierter Nachfrage“ umschrieben wird (vgl. etwa Evans 1974). Die empirische Evidenz dafür ist uneinheitlich, häufig ist es schwierig, eindeutige Einflussfaktoren zu isolieren, spielt doch eher das Honorierungssystem eine Rolle bzw. Morbiditätsentwicklungen oder gar regionale Aspekte dominieren die Leistungsentwicklung. Gleichwohl stehen die institutionellen Faktoren, namentlich Honorierungssysteme, immer wieder in der besonderen Kritik. Ist etwa im Krankenhaus durch das Fallpauschalensystem die ökonomische Dominanz zu stark geworden? Forderungen nach Veränderungen münden häufig in der Idee, dass das Honorierungssystem nicht die medizinischen Leistungserbringer „beeinflussen“ dürfe, sondern diese allein nach medizinischen Kriterien entscheiden müssen, mit anderen Worten Honorierungssysteme hinsichtlich der medizinischen Indikation „neutral“ wirken sollten. Dahinter steht die Vorstellung eines medizinischen und pflegerischen Entscheidungskontextes, der unabhängig von den ökonomischen Einflussfaktoren gestaltet werden kann oder gar wieder unabhängig gestaltet werden sollte? Gerade die normative Perspektive dieser Fragen kann aus gesundheitsökonomischem Hintergrund nicht unbeantwortet bleiben, stellt sich damit doch der implizite Vorwurf, dass Ökonomie und Gesundheitsversorgung in einem (dauerhaften) Spannungsverhältnis stehen. Ohne auf die in der Literatur schon breit diskutierte Frage näher eingehen zu wollen, ob Gesundheitsgüter grundsätzlich besondere Güter sind, gilt es doch die These nach der „Neutralität“ einer Indikationsentscheidung genauer zu hinterfragen. Besteht im modernen Gesundheitssystem systematisch der Druck, entgegen medizinischer Expertise aufgrund ökonomischer Zwänge entscheiden zu müssen (vgl. etwa Thielscher 2013)? Dabei ist zu unterscheiden, inwiefern ökonomische Entscheidungsnotwendigkeiten auf der unmittelbaren Arzt-Patienten-Ebene ansetzen, hier gilt natürlich das Primat des medizinischen Leistungserbringers, oder bei der Ausgestaltung institutioneller oder organisatorischer Rahmenbedingungen. Letztendlich sind damit Aspekte der Rationalisierungsproblematik adressiert, die mit der Frage nach einer effektiven und effizienten Steuerungslogik im Gesundheitswesen einhergehen.
„Medizin und Ökonomie
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