Ende Februar 2015 ist Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Oberender nach kurzer aber sehr schwerer Krankheit verstorben. Der Tod Peter Oberenders hat viele betroffen gemacht, die ihn über Jahre als streitbaren liberalen Ökonomen mit dezidiert ethischem Profil kennen gelernt haben. Peter Oberender war darüber hinaus ein Menschenfreund, der den Meinungsaustausch und unterschiedliche Meinungen dabei schätzte, wenn sie begründet und mit eigener Position vertreten wurden. Ein wichtiger Schwerpunkt seiner akademischen Auseinandersetzung war neben industrieökonomischen und wettbewerbspolitischen Fragenstellungen, Peter Oberender war hier ganz in der Linie zu seinem akademischen Lehrer Ernst Heuss, das Gesundheitswesen mit seinen vielfältigen Herausforderungen und Akteuren. Gerade hier den Zusammenhang zwischen individueller wirtschaftlicher und ethischer Verantwortung mit dem Prinzip wettbewerblicher, dezentraler Steuerung zu verknüpfen war sein besonderes Anliegen. Peter Oberender hat beim Blick auf gesundheitspolitische Steuerungsempfehlungen immer streng zwischen allokativer Steuerung der Akteure und distributiver Befähigung unterschieden und dabei die besonderen Bedingungen des Gesundheitswesens in diesem Kontext beachtet (vgl. dazu grundsätzlich Pauly 1988).
Prof. Dr. Peter Oberender (* 14. Juni 1941 — â 25. Februar 2015)
Im Gesundheitswesen mitteleuropäischer Prägung, das sich als so genanntes Bismarcksystem einordnen lässt, gilt es ein Beziehungsdreieck zwischen den Hauptbeteiligungen Versicherte/Patienten, Versicherungen und Leistungserbringer zu berücksichtigen. Eine wettbewerbliche Steuerung im Gesundheitswesen, an deren Effektivität und Effizienz Peter Oberender nie gezweifelt hat, würde daran ansetzen, die Präferenzen der Versicherten über adäquate Prämien-Leistungs-Kombination mit zielorientierten Versorgungsmodellen in Leistungsmarkt zu verknüpfen. Die Unterschiede der Wettbewerbsziehungen in den Teilmärkten gilt es dabei immer zu beachten. Wohingegen im Behandlungsmarkt in solidarisch-verpflichteten Gesundheitssystemen keine direkte Preissteuerung erfolgt, sind zwischen Versicherungen und Leistungserbringer Verhandlungsprozesse und somit Marktmachtphänomene in den besonderen Blick zu nehmen. Gleichwohl sind am Ende die Wechselwirkungen zwischen allen Teilmärkten zu berücksichtigen. Hier hat Peter Oberender für eine ganzheitliche ordnungsökonomische Sicht plädiert, die sich im Sinne einer Interdependenz der Ordnungen bewusst ist, dass eine Veränderung in einem Teilmarkt, etwa eine Veränderung der Beitragsgestaltung im Versicherungswettbewerb, immer im Kontext der Auswirkungen in diesem Markt als auch im Kontext der Effekte im Behandlungs- und Versorgungsmarkt zu sehen ist.
Diese institutionen- und stakeholderorientierte Anreizbetrachtung hat jedoch im Sinne Oberenders immer den Bezug zu einer verantwortungsbezogenen, wertebezogenen Ordnungspolitik im Auge gehabt. Peter Oberender steht ausdrücklich in der Tradition sozialer Irenik, die er wie Alfred Müller-Armack als Gestaltungauftrag zu einem dezidierten Wirtschaftsstil verstand. Deshalb sah er sich stets einer „subsidiär ausgerichteten Sozialpolitik“ verbunden, die sich im Sinne der Solidarität „auf die Sicherung schutzbedürftiger Bevölkerungskreise gegen elementare existenzbedrohende Risiken und deren Folgen“ konzentrieren sollte (vgl. Oberender et. al. 2006). Die verschiedenen Positionen Peter Oberenders weisen auf die Problematik der Vermischung unterschiedlicher Anknüpfungspunkte von Solidarität im Gesundheitswesen hin und sind immer mit einem eindeutigen Hinweis auf eine eindeutige ordnungspolitische Orientierung verbunden. Wissenschaftlich reflektierte Wettbewerbs- und insbesondere Gesundheitspolitik stand für ihn immer vor der Notwendigkeit, sich dem kontinuierlichen Streiten darüber nicht zu entziehen. was unter Bedingungen sozialer Schutzwürdigkeit die Gesellschaft dem Einzelnen an garantierten Schutzleistungen „schuldig“ ist. Die Ausgestaltung dieser Schutzwürdigkeit im Kontext einer Wettbewerbsumgebung zu gestalten war für Peter Oberender kein Ausschlussgrund sondern eher Gestaltungsauftrag für ein Wettbewerbsprinzip im Gesundheitswesen, das im Rahmen einer Wettbewerbs- und Regulierungsordnung eingebettet ist. Die bisherige Gesundheitspolitik hat in der Analyse Oberenders diese Richtung kaum unterstützt. Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungen sollte für Peter Oberender auch deswegen als Entdeckungsverfahren greifen, weil gerade Gesundheitsangebote mit Zunahme chronischer Krankheiten und den wachsenden Möglichkeiten durch den medizinisch-technischen Fortschritts ein enormes Heterogenisierungspotenzial bergen. Differenzierungen, die etwa über einen Prämienwettbewerb im Versicherungsmarkt induziert werden, sind daher Ausdruck des Entdeckungsprozesses auf der Suche nach einer vorläufigen guten Lösung, die sich immer wieder neuen Rechtfertigungen stellen muss.
Eine derartige Strategie kann aber nur erfolgversprechend sein, wenn sie eingebettet ist in eine ordnungspolitische institutionelle Umgebung, die einem einheitlichen Wettbewerbsgedanken Rechnung trägt. So hat Peter Oberender eine strenge Wettbewerbsordnung auch im Gesundheitswesen eingefordert und Ungleichgewichte in den Wettbewerbsrollen zwischen Krankenversicherungen und Leistungserbringer nicht legitimieren wollen. Überkommene Begründungsansätze etwa im Kontext so genannter hoheitlicher Aufgaben konnten für Peter Oberender keine Begründung sein, sollte die Idee einer Wettbewerbsordnung im Gesundheitswesen glaubwürdig umgesetzt werden. Beispielsweise werden trotz mancher Reformbestrebungen in der Vergangenheit Krankenversicherungen im GKV-Kontext mit der Begründung der Daseinsversorge noch weitgehend von einer wettbewerblichen Überprüfung im Sinne des Wettbewerbsrechts ausgenommen. Gesundheitspolitik der Vergangenheit war der für Peter Oberender häufig nur das Ansätzen an Symptomen und weniger der Mut zu stringenter ordnungspolitischer Gestaltung. Freilich war Peter Oberender auch insofern Realist, das er auf evolutorische, sequentielle Veränderungsprozesse Gesundheitswesen setzte, im Bewusstsein, dass langfristig gegen die Notwendigkeit ökonomischer Knappheit auch im Gesundheitswesen nicht verstoßen werden kann. Die damit verbundene Gestaltungsaufgabe sah Peter Oberender vor allem in den künftigen Führungskräften im Gesundheitswesen verortet, deren akademische Ausbildung in Richtung Gesundheitsökonomie er schon früh erkannte und förderte.
Bereits 1982 etablierte Peter Oberender im Bayreuther Studiengang Diplom-Volkswirtschaftslehre ein Wahlfach Gesundheitsökonomie. Zwei Jahre später gründete Peter Oberender zusammen mit Sozialrechtler Wolfgang Gitter die Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie. An dieser Forschungsstelle wurden gesundheitspolitische Strategien weiter entwickelt, die an Oberenders Arbeit im Rahmen der „Enquetekommission zur Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung des Deutschen Bundestages“ Anfang der 1990er anknüpfen konnte. Die Forschungsstelle selbst wurde Nukleus für die Gründung des ersten Diplom-Studiengangs Gesundheitsökonomie, den Peter Oberender zusammen mit dem Betriebswirtschaftler Jörg Schlüchtermann 1998 aus der Taufe hob. Der Bayreuther Studiengang ist in der Zwischenzeit eine beachtete Marke geworden.
2012 übernahm Peter Oberender die Gründungspräsidentschaft der Wilhelm Löhe Hochschule in Fürth, einer neuen Hochschule, die von der Diakonie Neuendettelsau gegründet insbesondere das Gesundheits- und Sozialmanagement am Patientenfluss orientiert in den Vordergrund von Forschung und Lehre stellt. Ziel der der WLH ist es vor allem zu zeigen, dass ökonomische Verantwortung und ethisches Handeln, das Gestaltung von Gesundheit und Pflege eine Interdisziplinarität und vor allem ein wertegebundenes Format braucht. Eine private Hochschule zu gestalten, die auf einem werteorientierten Menschenbild gegründet ist, war für Peter Oberender auch Ausdruck seines Innovationsverständnisses, im Verständnis eines Wettbewerbsprozesses um bessere Lösungen.
Peter Oberender war in diesem Sinne immer an neuen Wegen interessiert, mutig auch unbequeme Meinungen zu vertreten, aber auch andere zu Mut zu motivieren, für das als wahr Erkannte einzutreten und sich nicht unreflektiert einer Mehrheitsmeinung zu beugen. Er hat viele Menschen zu akademischem Arbeiten inspiriert, auch mich. Uns allen war Prof. Oberender akademischer Lehrer und sogar Freund. Er fehlt uns allen und wird in Zukunft fehlen, aber sein Auftrag und Vermächtnis bleiben.
Literatur:
Oberender et. al. (2006). Bayreuther Versichertenmodell: Der Weg in ein freiheitliches Gesundheitswesen, Bayreuth.
Oberender, P./ Zerth, J. (2014): Wettbewerb in einem solidarisch definierten Gesundheitswesen: Ansatzpunkte und Perspektiven, in: Fink, U./Kücking, M./Walzik, E./Zerth, J. (Hrsg.): Solidarität und Effizienz im Gesundheitswesen – ein Suchprozess. Festschrift für Herbert Rebscher, Heidelberg, S. 27-36-
Pauly, M. (1988): „Is Medical Care Different?, Old Questions, New Answers“. In: Journal of Health Politics, Policy and Law, Vol. 13, pp. 227-237.
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Dies ist eine treffende Würdigung von Peter Oberender, der institutionenökonomische Analytik und ordnungstheoretisches Rückgrat mit menschlicher Wärme verband. Ein wunderbarer Kollege.