1. Von der US-Immobilien- zur globalen Finanzmarktkrise
Auslöser der mittlerweile in vielen Ländern akuten Finanzmarktprobleme waren im Sommer 2007 schlechte Nachrichten über zweitrangige Immobilienkredite (subprime credits) in den USA. Im Gefolge entstanden zunächst am Interbankenmarkt – an dem sich Banken untereinander mit Liquidität versorgen – große Engpässe. Es kam zu einer nennenswerten Vertrauenskrise im Bankensektor. Die Vertrauenskrise entstand, weil lange Zeit nicht sicher war, welche Banken mit welchem Engagement und Risiko und über welchen Weg in die Krise am Subprime-Markt verwickelt sind. Die kurzfristigen Zinsen am Interbankenmarkt stiegen – im Gegensatz zu den Zinsen für Staatliche Anleihen – deutlich an. Die Notenbanken haben mit Rekordsummen versucht, den Banken genügend Liquidität zur Verfügung zu stellen. Die Krise am Subprime-Markt in den USA hat Kreise gezogen und eine Reihe von Banken kamen unter Druck – auch in Deutschland. Das Vertrauens- oder Misstrauensproblem ist noch nicht gelöst. In den letzten Wochen kamen erneut Banken und Versicherungsgesellschaften auf den Prüfstand, den einige Institute nicht überlebten. Der amerikanische Staat hat massiv eingegriffen, um den Finanzmarkt zu stabilisieren.
2. Eintrübung der Weltwirtschaft – aber keine Weltrezession!
Die Wachstumsaussichten in allen Weltregionen haben sich in den letzten Monaten spürbar eingetrübt. Die US-Wirtschaft tendiert schwächer und dies hatte auch in vielen Ländern bereits zu einer vorsichtigeren Investitionstätigkeit geführt. Der globale Investitionsboom der letzten Jahre wird zwar nicht abreisen, aber eine Beruhigungsphase durchlaufen. Höhere Risikoprämien und restriktivere Kreditbedingungen infolge der Finanzmarktkrise werden das globale Investitionsvolumen dämpfen. Die globale Wirtschaftsleistung wird nach 4 Prozent in diesem Jahr, im Jahr 2009 nur noch um 3,5 Prozent zulegen. Das ist deutlich weniger als in den vorhergehenden Jahren mit Zuwächsen von x Prozent und mehr. Auch der Welthandel wird sich beruhigen und nur noch mit 4 Prozent zulegen – nach weit über 8 Prozent in den letzten Jahren. Es wird erheblicher moderater, aber eine Weltrezession wird aus folgenden Gründen nicht erwartet:
· Die US-Wirtschaft wird mit 1,5 Prozent im kommenden Jahr erheblich schwächer wachsen als zuvor, aber nicht in eine Rezession gleiten. Die Finanzmarktkrise bremst die Investitionstätigkeit deutlich ab und belastet den Konsum. Dagegen wird der US-Außenhandel wegen steigender Exporte und rückläufiger Importe zu einem Wachstumstreiber in den USA. Die globalen Leistungsbilanzungleichgewichte bilden sich ein Stück weit zurück.
· Das Wachstum der Schwellenländer bleibt trotz einer Verlangsamung robust. Die Rohstoffeinnahmen in vielen Ländern bleiben hoch – auch wenn sich bei den Rohstoffpreisen eine Beruhigung eingestellt hat. Bremsend dürfte – insbesondere in den asiatischen Ländern – das schwächere Ausfuhrgeschäft in die USA und nach Europa wirken.
· Die globale Inflationsbeschleunigung lässt vor dem Hintergrund einer Beruhigung an den Energie- und Rohstoffmärkten spürbar nach. Das stärkt in vielen Volkswirtschaften das Konsumklima.
3. Die Übertragungskanäle der Finanzmarktkrise
Die deutsche Wirtschaft wird von einer abgebremsten Dynamik der Weltwirtschaft nicht unbeeindruckt bleiben. In den letzten Jahren hat der Exportüberschuss rund die Hälfte des Wirtschaftswachstums beigesteuert. Die Exportquote, also der Anteil der Exporte am Bruttoinlandsprodukt ist derzeit mit 47 Prozent doppelt so hoch wie in der ersten Hälfte der neunziger Jahre. Diese starke Einbindung der deutschen Wirtschaft in die internationale Arbeitsteilung fordert nun ihren Tribut – und zwar über folgende Kanäle oder Übertragungswege:
a. Handelskanal: Die USA hat seit langer Zeit ein immenses Leistungsbilanzdefizit. Dem stehen hohe Leistungsbilanzüberschüsse vor allem in China, Deutschland und Japan – und Rohstoffländern wie etwa Russland oder Saudi-Arabien – gegenüber. Eine ruhigere Gangart der US-Wirtschaft wird mit rückläufigen US-Importen einhergehen. Vor allem die Länder mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen können mit einem nachlassenden Exportgeschäft konfrontiert werden. Der direkte Handel mit den USA, auf den derzeit weniger als 8 Prozent der deutschen Exporte entfallen, hat sich bereits spürbar verlangsamt. Darüber hinaus wird das deutsche Exportgeschäft in Mitleidenschaft gezogen, wenn sich infolge der von den USA ausgehenden Finanzmarktkrise die wirtschaftliche Lage bei anderen Handelspartnern der deutschen Wirtschaft eintrübt. Dies ist der Fall: Die Auftragseingänge der deutschen Industrie aus dem Ausland haben sich seit Ende letzten Jahres kontinuierlich zurückgebildet. Im Juli 2008 lagen sie in preisbereinigter Betrachtung um 12 Prozent unter dem Höchstwert vom November 2007. Freilich muss dabei im Blick gehalten werden, dass sich das deutsche Auslandsgeschäft im Herbst 2008 noch auf einem hohen Niveau befindet – vor allem auch vor dem Hintergrund knapper Produktionskapazitäten.
b. Gewinnkanal: Die Unternehmen, die mit ihrem Auslandsgeschäft sowie den ausländischen Niederlassungen in der Vergangenheit gute Geschäfte und Erträge realisiert haben, müssen hinsichtlich ihrer Ertragserwartungen für die nächste Zeit Abstriche machen. Wenn die Aktienmärkte die zukünftige Gewinnentwicklung der Unternehmen einigermaßen antizipieren, dann können die Einbrüche an den globalen Aktienmärkten in letzter Zeit als eine Gewinnwarnung interpretiert werden. Dies kann schließlich auf die Investitionstätigkeit dieser Unternehmen durchschlagen.Â
c. Wechselkurskanal: Die Abschwächung der US-Wirtschaft und zuletzt auch der europäischen Volkswirtschaften hat Bewegung ins globale Währungsgefüge gebracht. Zunächst hatte der US-Dollar merklich abgewertet. Der effektive reale Wechselkurs des US-Dollar gegenüber den Haupthandelspartnern hatte bis zum Sommer 2008 gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2007 um 6,5 Prozent nachgegeben – das Pfund Sterling sogar um über 10 Prozent. Dagegen hatten der Euro und der Schweizer Franken gegenüber den Haupthandelsländern im gleichen Zeitraum um über 5 Prozent aufgewertet. In letzter Zeit hat sich die Situation wieder etwas zurückgebildet. Das Risiko höherer Wechselkursschwankungen besteht allerdings weiterhin. Eine markante Aufwertung des Euro kann eine Reihe von bremsenden Effekten auf die wirtschaftliche Situation in den Ländern des Euroraums haben:
· Ein nachlassendes Exportgeschäft wegen einer Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit.
· Rückläufige Erträge aus dem Exportgeschäft, wenn die Aufwertung durch Preiszugeständnisse aufgefangen wird.
· Steigender Importdruck auf dem Inlandsmarkt aus den Ländern, deren Währungen weniger stark aufwerten oder abwerten.
Sicherlich darf dabei nicht vergessen werden, dass die Aufwertung des Euro, den hohen Preisen für importierte Rohstoffen entgegenwirkt – Öl- und Rohstoffimporte, die in US-Dollar fakturiert werden, können billiger werden. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn sich die Rohstoffe auf US-Dollar-Basis nicht in dem Ausmaß verteuern, wie der US-Dollar abwertet. In jüngster Zeit war es häufig zu beobachten, dass die Rohstoffpreise dem US-Dollar hinterher laufen.
d. Finanzmarkt- und Bankenkanal: Die deutschen Banken haben bereits auf direktem Wege erhebliche Lasten der Verwerfungen am US-Subprime-Markt getragen. Nur mit staatlichen Stützungen und Garantien konnten Banken aufgefangen und schließlich – in einem Fall – verkauft werden. Dazu kommt, dass sich die Ereignisse an den Finanzmärkten – wie etwa Kursrückgänge sowie eine höhere Volatilität am Aktienmarkt – auch negativ auf die Performance im Bankensektor auswirken können. Das hat die Geschäftslage der deutschen Banken bereits beeinträchtigt. Die Konsolidierung am deutschen Bankenmarkt ist durch den in letzter Zeit beschlossenen Zusammenschluss von Banken weiter vorangeschritten – dies dürfte das deutsche Bankensystem unterm Strich gestärkt haben. Insgesamt hat sich das deutsche Universalbanksystem bisher als vergleichsweise robust erwiesen. Anzeichen für eine Kreditklemme – also für eine zurückhaltende Kreditvergabe an Unternehmen – gibt es bislang in Deutschland jedenfalls nicht. Das gewerbliche Kreditneugeschäft konnte bis zum Sommer 2008 sogar als sehr rege bezeichnet werden. Die Grundausrichtung der deutschen Wirtschaft – mit ihrer im Vergleich zu anderen hochentwickelten Volkswirtschaften stark auf Investitionsgüter konzentrierten Industrie in Verbindung mit modernen industrienahen Dienstleistungen – sollte mittel- bis langfristig gute Investitionsperspektiven liefern.
4. Die Perspektiven der deutschen Wirtschaft
Die deutsche Wirtschaft zeigt sich im Herbst 2008 trotz rückläufiger Auslandsaufträge noch in einer relativ robusten Verfassung. Zwar lässt neben dem Exportgeschäft bereits die Investitionstätigkeit nach. Allerdings zeigt sich der Privaten Konsum vor dem Hintergrund der sehr guten Arbeitsmarktentwicklung dynamisch. Die nachlassende Weltwirtschaft und die Finanzmarktkrise werden über die genannten Übertragungswege auf die deutsche Wirtschaft durchwirken. Die deutsche Wirtschaft rutscht allerdings nicht in eine Rezession, sondern vielmehr an den Rand einer Stagnation, die bei einer wieder anziehenden Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2009 allmählich überwunden wird. Damit stellt sich gleichwohl die Frage, wie Staat und Wirtschaft reagieren können.
1. Wichtig ist eine Stabilisierung im Finanzwesen. Die Vertrauenskrise muss überwunden werden. Dabei ist der Bankensektor in erster Linie selbst gefordert. Die Konsolidierungen in jüngster Zeit dürften den deutschen Bankensektor stärken.
2. Die Zentralbankzinsen stellen derzeit kein Finanzierungshemmnis für Investoren dar. Wichtig ist eine ausreichende Versorgung der Banken mit Liquidität – was der Fall ist. Im Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre haben die Notenbanken erheblich gelernt und weisen heute ein besseres Krisenmanagement auf.
3. Ein fiskalpolitisches Konjunkturpaket – wie in den USA – scheidet als wirtschaftspolitische Maßnahme für Deutschland aus. In der Regel belasten solche Programme den Staat über steigende Schulden und Finanzierungslasten, ohne realwirtschaftlich nennenswerte Effekte zu zeigen. Das gilt im übrigen auch für die USA.
4. Der Staat muss vielmehr durch einen klaren Kurs die Erwartungen der Haushalte und Unternehmen stabilisieren. In einer von höherer Unsicherheit geprägten Welt darf der Staat nicht noch zusätzlich durch einen unklaren und aktionistischen Kurs die Unsicherheit der Bürger erhöhen. Langfristige und angebotsorientierte Reformen – wie etwa die Agenda 2010 – sind auch jetzt gefragt. Wenngleich die derzeitige Politik diese Grundausrichtung vermissen lässt. Auch im Wahlkampfjahr 2009 zeichnen sich keine Verbesserungen ab.
5. Die Unternehmen werden von der ruhigeren Gangart der Weltwirtschaft in weit unterschiedlichem Maße getroffen. Die deutsche Exportwirtschaft ist breit aufgestellt. Hauptkunde sind die Europäer. Eine zunehmende Bedeutung kommt den aufstrebenden Volkswirtschaften rund um den Globus zu. Gerade der Investitionszyklus in diesen Ländern hat die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren beflügelt. Derzeit gibt es zwar Anzeichen, dass sich die globale Investitionstätigkeit im Gefolge der Finanzmarktkrise verlangsamen sollte. Danach wird die deutsche Wirtschaft mit ihrem auf Investitionsgüter ausgerichteten Produktportfolio aber wieder an der sich spätestens im Jahr 2010 erholenden globalen Investitionstätigkeit partizipieren können.
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Wenn ich immer lese, die Wirtschaft wird sich 2010 wieder erholen. Das ist zum lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Wir haben Juni, das erste halbe Jahr ist vorbei und immer noch sind die Arbeiter von Kurzarbeit und Entlassungen nicht verschont. Die Insolvenzgerichte haben Hochkonjunktur und die Factoring Mietglieder wie nie.