Flüchtlingsintegration: Allzu zaghaft

Der Koalitionsausschuss hat sich im April 2016 auf die Eckpunkte eines Integrationsgesetzes (IntG) geeinigt, das die Integration der bei uns angekommenen und künftig noch ankommenden Flüchtlinge in Gesellschaft und Arbeitsmarkt erleichtern soll. Dafür gibt es allen Grund, denn wir tun uns derzeit mit der Integration in vielen Bereichen unnötig schwer:

  • Alle sind sich einig, dass ein regulärer Arbeitsplatz die besten Integrationsperspektiven bietet, aber eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erhält nur, wer als Asylbewerber anerkannt ist und einen entsprechend positiven Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorweisen kann.
  • Wer eine Duldung besitzt, kann frühestens drei Monate nach Äußerung seines Asylgesuchs eine Arbeitserlaubnis erhalten, aber auch nur dann, wenn sowohl die Ausländerbehörde als auch die Arbeitsagentur nach Einzelfallprüfung zugestimmt haben. Auch eine selbstständige Arbeit ist nicht erlaubt. Diese Regelungen gelten auch für Asylsuchende.
  • Personen, die in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen, dürfen grundsätzlich keiner Beschäftigung nachgehen. Wenn es dort personelle Engpässe bei der Essensausgabe oder der Kleiderverteilung gibt, dürfen die Flüchtlinge nicht aushelfen, sondern müssen untätig zusehen, wie sich überforderte Ehrenamtler mit diesen Arbeiten abmühen.

Die wichtigsten Regelungen für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt

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All dies will auch das IntG nicht antasten, aber es sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, um Integrationshemmnisse an anderer Stelle abbauen:

  • Es sollen 100.000 Arbeitsgelegenheiten für gemeinnützige Tätigkeiten geschaffen werden, um Flüchtlingen schon während des laufenden Asylverfahrens Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten.
  • Der Zugang von „Gestatteten“ und „Geduldeten“ zur Ausbildungsförderung soll erleichtert werden.
  • Die Vereinheitlichung der Aufenthaltsgestattung für alle Schutzsuchenden soll die Suche nach einem Arbeits-oder Ausbildungsplatz erleichtern.
  • Personen, bei denen sich die Bearbeitung ihres Asylantrags außergewöhnlich lang hinzieht, sollen Zugang zu Sprach- und Orientierungskursen erhalten, die ansonsten nur anerkannten Asylbewerbern offenstehen.
  • Die Vorrangprüfung der Arbeitsagentur soll für drei Jahre ausgesetzt werden, allerdings nur in Regionen mit unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit.
  • Zudem soll eine Wohnsitzzuweisung von Schutzberechtigten eingeführt werden

Diese Maßnahmen gehen für sich genommen durchaus in die richtige Richtung, aber sie sind allzu zaghaft. Letztlich ist das Zagen das Ergebnis einer  „Torten-Mentalität“: Wohlstand und Beschäftigung in einer Volkswirtschaft erschienen vielen gleichsam als Torte, deren Gesamtgröße exogen festgelegt ist. Wenn nun eine gesellschaftliche Gruppe ein größeres Tortenstück bekommt, geht das nach dieser Vorstellung zwangsläufig zu Lasten der anderen Tortenstücke.

Wenn die Hürden für die Beschäftigung von Flüchtlingen abgebaut werden, dann würden sich nach dieser Logik die Beschäftigungschancen anderer Bevölkerungsgruppen verschlechtern – etwa der Langzeitarbeitslosen, der Geringqualifizierten oder der nicht unter die Flüchtlingsregeln fallenden anderen Ausländer. Tatsächlich zeigt aber alle Erfahrung, dass eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, die die Arbeitsaufnahme von Flüchtlingen erleichtern würde, die Torte insgesamt vergrößern würde. Dahinter stehen letztlich die gesamtwirtschaftlichen Effizienzgewinne, die generell von Flexibilisierungen zu erwarten sind und die zu einer umfassenden Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungspotentiale führen würden. Ob daraus für jeden Einzelnen eine Verbesserung seiner individuellen Arbeitsmarktperspektive folgt, ist natürlich nicht garantiert, doch darauf kommt es in einem demokratischen Rechtsstaat nicht an. Was zählt, ist die Steigerung der Beschäftigungsdynamik insgesamt, die sowohl den Flüchtlingen als auch allen anderen Erwerbspersonen bessere  Beschäftigungschancen bietet.

Wenn man über die reinen Arbeitsmarktwirkungen hinausblickt, spricht noch viel mehr für einen entschlossenen Abbau von Beschäftigungshemmnissen für Flüchtlinge. Denn eine versäumte Arbeitsmarktintegration dürfte mit gesellschaftlichen Kosten einhergehen, die weit über die Sozialhilfekosten hinausreichen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es dringend geboten, über die im IntG genannten Maßnahmen hinaus

  • zunächst die Datenlage zu verbessern. Aussagen zu den Qualifikationen von Flüchtlingen sind momentan eher Mutmaßungen, da keine gesicherten Daten vorliegen. Das IAB plant in Zusammenarbeit mit dem BAMF eine Erhebung für 2016. Allerdings sind auch die Arbeitsmarktergebnisse von bereits integrierten Flüchtlingen in den Daten nicht nachzuverfolgen.
  • insbesondere Jugendliche zu fördern. Da ca. 30 Prozent der Flüchtlinge unter 18 Jahre alt sind (BAMF, Daten für Februar 2016), ist es sinnvoll, diese Gruppe besonders zu fördern, um eine reibungslose Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Vor allem vor dem Hintergrund der schlechten Arbeitsmarktperspektiven von Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland sollte dieser Punkt im Vordergrund stehen.
  • Frauen zu fördern. Es zeichnet sich deutlich ab, dass Migrantinnen besonders niedrige Partizipationsquoten vorweisen. Durch gezielte Beratung und Kinderbetreuungsangebote könnte dem entgegnet werden und das Potenzial dieser ungenutzten Arbeitskräfte besser ausgeschöpft werden.
  • qualifizierte Flüchtlinge zu unterstürtzen. Es zeichnet sich ab, dass es hierbei um eine kleine Gruppe handelt, allerdings sollte dieses Potenzial keinesfalls ungenutzt bleiben. In mehreren Ländern fanden Studien heraus, dass Flüchtlinge oft unter ihrer Qualifikation beschäftigt werden. Vorher erworbene Berufsabschlüsse sollten berücksichtigt werden und gegebenfalls sollte die Möglichkeit bestehen, die Qualifikation durch Fortbildungen vergleichbaren deutschen gleichzustellen. Regelungen und Verwaltungsprozesse zu vereinfachen. Das deutsche Asylverfahren wurde durch die große Anzahl von Asylsuchenden strapaziert und war vollkommen überlastet. Auch die Neuregelungen des IntG sind immer auch an zahlreiche Konditionen geknüpft. Um den Informationsfluss zu verbessern wäre es sinnvoll bürokratische Regeln abzubauen und mehr auf Flexibilität zu setzen. Im Kontrast dazu stehen beispielsweise die Befugnisse der Bundesagentur für Arbeit individuelle Arbeitserlaubnisse auszustellen. Auch ist zu überlegen, ob man den Einwanderungskanal stärker nutzen sollte, beispielsweisefür Ländern mit sehr niedriger Schutzquote.
  • auch den Mindestlohn im Blick zu behalten. Von welchem Niveau aus der Mindestlohn signifikant Arbeitsplätze vernichtet, ist umstritten. Unstrittig sollte jedoch sein, dass dieses Niveau seit dem Flüchtlingsschub in Deutschland niedriger liegt als zuvor.

Machen wir uns nichts vor: Selbst bei Umsetzung all dieser Vorschläge wird sich die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge als ein sehr schleppender Prozess erweisen. Zu groß sind die Diskrepanzen, die sich zwischen den am Arbeitsmarkt in Deutschland gefragten Qualifikationen und den tatsächlichen Qualifikationen der Flüchtlinge auftun. Doch es gibt keinen vernünftigen Grund, diesen ohnehin schon schleppenden Prozess zusätzlich zu verlangsamen. Wenn das Bundeskabinett am 24. Mai in Meseberg in Klausur gehen wird, um über das IntG zu beraten, wird es sicher Erdbeertorte zum Kaffee geben. Doch die Tortenmentalität sollte besser außen vor bleiben.

Henning Klodt und Laura Wollny
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