Für die einen ist die Euthanasie ein Akt der Nächstenliebe, für die anderen eine Kultur des Tötens. Fakt ist: Im November 2016 hat sich der Bundestag gegen geschäftsmäßige Sterbehilfe ausgesprochen. Im Frühjahr 2017 wurde höchstrichterlich festgestellt, dass dem Wunsch nach einem menschenwürdigen Tod durch die eigene Hand nachzukommen ist. In den Niederlanden, wo die aktive Sterbehilfe erlaubt ist, stieg die Zahl der Patienten, die freiwillig aus dem Leben scheidet, in den vergangenen Jahren deutlich an.
Hierzulande ist das Thema zuletzt hochgekocht, weil Schwerkranke todbringende Medikamente vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingefordert und sich dabei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gestützt haben. Udo di Fabio, früherer Vorsitzender dieses Gerichts, sprach sich kürzlich medienwirksam gegen diese Praxis aus. Hartmut Kliemt und Jan Schnellenbach sind unterschiedlicher Meinung, ob Sterbehilfe hierzulande verboten sein sollte.
Pro: Prof. Dr. Hartmut Kliemt
Prof. Dr. Hartmut Kliemt ist Gastprofessor (VWL VI) an der Universität Gießen. Er war Ordinarius für Praktische Philosophie an einer öffentlichen und Professor für Philosophy & Economics an einer privaten Hochschule. In Forschung und Lehre hat er sich mit methodologischen und ethischen Fragen von Rechts-, Wirtschafts- und medizinischer Wissenschaft befasst.
Begründung der Straffreiheit der Sterbehilfe
Versuch des und Beihilfe zum Freitod sind in Deutschland straflos. Die Richterschaft hat die Kriminalisierung von Beihilfe zur Selbsttötung in unserem liberalen Rechtsstaat durch Auslegungstricks trotzdem unterstützt. Die Zulässigkeit einer vom Sterbewilligen gewünschten aktiven Sterbehilfe ist zudem gerade keine Variante der aufgezwungenen Nazi-Euthanasie. Im liberalen Rechtsstaat muss ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Selbstbestimmung über den eigenen Tod selbstverständlich sein.
Folgen eines Sterbehilfeverbots
Das Verbot der Sterbehilfe hat im Gegensatz zu deren Erlaubnis fundamentale negative externe Effekte. Die Entscheidungsfreiheit Andersdenkender wird reduziert, indem man die ihnen zugänglichen Optionen, den eigenen Tod zu erwirken, so beschneidet, dass alle so zu sterben haben, wie es eine weltanschauliche Minderheit wünscht.
Gesellschaftliche Einordnung bei aktiver Sterbehilfe
Erfahrungen anderer Rechtsstaaten, etwa der Niederlande oder Belgiens, zeigen, dass es nicht zum Dammbruch kommen wird, wenn man selbstbestimmtes Sterben nicht mehr behindert. Der Respekt für die Autonomie des Einzelnen, der für den überzeugten Anhänger des pluralen Rechtsstaates das höchste politische Gut darstellen muss, wird durch eine umsichtige Dekriminalisierung der Sterbehilfe rechtlich und politik-symbolisch gestärkt und gerade nicht unterminiert.
Contra: Prof. Dr. Jan Schnellenbach
Prof. Dr. Schnellenbach ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik an der BTU Cottbus-Senftenberg. Zuvor war er geschäftsführender Forschungsreferent des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg sowie Privatdozent an der Universität Heidelberg.
Begründung des Sterbehilfeverbots
In einer liberalen Gesellschaft kann jeder Bürger mit seinem Leben tun, was er möchte, solange er damit niemandem schadet. Er kann sein Leben durch Risikosportarten gefährden oder, wenn er seines Lebens überdrüssig ist, auch Suizid begehen. Sobald wir über aktive Sterbehilfe sprechen, gehen wir aber den Schritt von der Souveränität des einzelnen Bürgers hin zu einem Vertragsverhältnis zwischen zumindest zwei Personen, das im Zweifel der Staat durchsetzt.
Folgen einer Sterbehilfe
Durch die Erlaubnis zur Euthanasie holt der Staat die aktive Sterbehilfe aus ihrer moralischen Ambivalenz heraus, gibt sein Plazet und sendet ein eindeutiges Signal in die Gesellschaft: Sterbehilfe ist in Ordnung. Wird ein bisher informaler Markt in die Legalität geholt, so beeinflusst dies auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der auf diesem Markt gehandelten Güter und Dienstleistungen. Es geht hier eben nicht nur um individuelle Autonomie oder Vertragsfreiheit, sondern um eine Lockerung des in fast allen Kulturkreisen eminent wichtigen Tötungsverbotes.
Gesellschaftliche Entwicklung bei aktiver Sterbehilfe
Es ist egal, wie vorsichtig man das Sterbehilfeverbot lockern möchte – wenn man es tut, wagt man immer ein gefährliches Spiel mit den tief sitzenden Wurzeln unserer Zivilisation. Die Euthanasie-Kultur, die sich etwa in den Niederlanden herausbildet, erscheint durchaus beängstigend. Es entwickelt sich mit der Zeit eine Routine: die Nachfrage steigt, die Quote der Genehmigungen ebenso.
Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Der Beitrag erschien in Heft 5 (2018) der Fachzeitschrift WiSt.
Blog-Beiträge zur Sterbehilfe:
Hartmut Kliemt: Ein guter Mensch ist stets darauf bedacht, ob nicht auch ein anderer Böses macht. Reform der aktiven Sterbehilfe
Jan Schnellenbach: Das Verbot gewerbsmäßiger Sterbehilfe. Eine Antwort auf Hartmut Kliemt
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Wir sind uns einig, dass die Vertragsfreiheit dort ihre Grenze findet, wo Verträge zu Lasten Dritter geschlossen werden. Aber wem schadet die Sterbehilfe? Der deutsche Gesetzgeber akzeptiert die passive Sterbehilfe und die unentgeltliche aktive Sterbehilfe, aber nicht die Sterbehilfe gegen Entgelt. Schadet es Dritten, dass der Sterbewillige dem Sterbehelfer ein Entgelt zahlt? Ist das Zahlen eines marktmäßigen Entgelts unmoralisch? Darf eine Mehrheit, die dieser Meinung ist, den Anderen diese Moralvorstellung aufzwingen, indem sie die entgeltliche Sterbehilfe verbietet und damit die Sterbehilfe insgesamt auf ein Minimum reduziert? Liberal ist das nicht.