Von Sozialabgaben- und Sozialleistungsgedenktagen
Wie mehr Transparenz in die Ausgaben des Sozialstaats gebracht werden kann

Nach Angaben des BMAS (2023) hat Deutschland zwischen 2019 und 2023 im Durchschnitt rund 31,4 Prozent des BIP (ca. 1.140 Milliarden Euro) für Sozialleistungen ausgegeben. Ein neues Rekordhoch verglichen mit den Vorjahren. Unklar ist, was sich hinter dem Begriff „Sozialleistungen“ verbirgt, wem diese Leistungen zufließen und wer sie finanziert. Wie diesbezüglich zwei neue Gedenktage Transparenz schaffen können, erklären wir in diesem Beitrag.

Wie Sozialleistungen ökonomisch zu verstehen sind

Um die Gedenktage zur sozialen Sicherung zu bestimmen, muss man sich zunächst darüber im Klaren sein, was eine „Sozialleistung“ ökonomisch charakterisiert. Eine erste Herangehensweise bietet die Orientierung an der gesetzlichen Definition. Diese ist im Sozialgesetzbuch (§ 11 SGB I) formuliert und bezeichnet pauschal alle Leistungen als Sozialleistungen, die aufgrund der Sozialgesetzbücher gewährt werden. Vorteilhaft daran ist, dass Ausgaben des Staates wie Gehälter für Angestellte im öffentlichen Dienst oder Infrastrukturausgaben, die nicht in den Sozialgesetzbüchern geregelt sind, demnach auch nicht als Sozialleistungen verstanden werden. Im Gegensatz dazu, werden die Leistungen der Sozialversicherungen (bspw. der gesetzlichen Rentenversicherung) in den Sozialgesetzbüchern geregelt und stellen deshalb in deren Sinne Sozialleistungen dar. Aus ökonomischer Sicht ist diese Definition insofern streitbar, als dass die Leistungen der Sozialversicherungen auf vorangegangenen Beitragszahlungen beruhen und somit Versicherungsleistungen darstellen. Insbesondere die Tatsache, dass Anwartschaften auf Versicherungsleistungen durch geleistete Beitragszahlungen erworben werden, unterscheidet sich grundlegend von der Ausgestaltung steuerfinanzierter staatlicher Sozialleistungen (wie bspw. dem Bürgergeld). Letztere werden zwar ebenfalls in den Sozialgesetzbüchern geregelt, ein Anspruch auf diese Leistungen liegt jedoch nicht in Anwartschaften, sondern zum Beispiel in der Bedürftigkeit begründet.

Wir schlagen deshalb eine engere Definition von Sozialleistungen vor, die sich grundsätzlich am Verständnis des SGB orientiert, aber zusätzlich berücksichtigt, ob eine Leistung beitrags- oder steuerfinanziert ist. Wenn eine Leistung der Sozialversicherungen beitragsfinanziert ist, handelt es sich unserer Auffassung nach um eine Versicherungsleistung, nicht aber um eine Sozialleistung. Nur wenn eine Leistung durch Steuern – und damit über die Allgemeinheit – finanziert ist, definieren wir diese als Sozialleistung. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Leistungen der Sozialversicherungen in dieser Definition grundsätzlich ausgeschlossen werden. Denn solange ein steuerfinanzierter Bundeszuschuss zu einer Sozialversicherung existiert, der nicht selten dafür vorgesehen ist von den Sozialversicherungen übernommene gesamtgesellschaftliche Aufgaben abzudecken, wird dieser Teil ihrer Leistungen ebenfalls als Sozialleistungen definiert. Damit wird genau der Teil der Leistungen einer Sozialversicherung als Sozialleistung verstanden, der nicht durch Beiträge gedeckt ist und somit versicherungsfremde Leistungen darstellt. Aus dieser Argumentation heraus können wir zwei Arten von Sozialleistungen unterscheiden:

  1. Der Begriff der Sozialleistungen im Sinne des SGB, welcher alle Sozialleistungen umfasst, egal ob es sich dabei um steuerfinanzierte Leistungen des Staates oder um Leistungen der Sozialversicherungen – egal ob beitrags- oder steuerfinanziert – handelt.
  2. Der Begriff der beitragsfremden Sozialleistungen, der nur die Leistungen beinhaltet, die über Steuermittel finanziert sind und deren Anspruch nicht auf geleisteten Beitragszahlungen beruht. Er umfasst also einerseits die steuerfinanzierten Leistungen des Staates und andererseits die steuerfinanzierten und damit versicherungsfremden Leistungen der Sozialversicherungen; nicht aber die Versicherungsleistungen dieser.

Sozialabgaben- und Sozialleistungsgedenktag als Mittel zur Transparenz

Aus diesem Dualismus im Verständnis von Sozialleistungen heraus können wir zwei unterschiedliche Tage ermitteln, die greifbar machen, wie hoch die Ausgaben einer Durchschnittsperson zur Finanzierung aller staatlichen Sozialleistungen bzw. der beitragsfremden Sozialleistungen sind. Dieser Berechnung liegt ein einfaches Konzept zugrunde: Dadurch, dass wir die Einnahmen zur Finanzierung von Sozialleistungen entsprechend der beiden definitorischen Abgrenzungen ins Verhältnis zum Nettonationaleinkommen (als Approximation des gesamtgesellschaftlichen Jahreseinkommens) setzen, erhalten wir eine Belastungsquote im Kontext der Sozialleistungen. Aus dieser Quote ermitteln wir, wie viele Tage man im Durchschnitt für die Finanzierung aller Sozialleistungen bzw. der beitragsfremden Sozialleistungen arbeiten muss.

Einerseits erhalten wir den Sozialabgabengedenktag, der symbolisch die Belastung der Bürger durch alle Sozialleistungen – egal ob beitrags- oder steuerfinanziert – widerspiegelt. Er fällt aktuell auf den 4. April 2024 und drückt aus, dass im Durchschnitt jeder Bürger dieses Jahr etwas mehr als drei Monate arbeiten musste, um sowohl die Beitragseinnahmen aller Sozialversicherungen als auch die Steuereinnahmen, die den steuerfinanzierten Leistungen zufließen, zu erwirtschaften.

Andererseits lässt sich der Sozialleistungsgedenktag bestimmen, der im Gegensatz dazu einzig die Steuerfinanzierung der beitragsfremden Sozialleistungen berücksichtigt. Er liegt dieses Jahr am 31. Januar und verdeutlicht, dass jeder Bürger im Durchschnitt einen ganzen Monat für die Steuereinnahmen, die für die beitragsfremden Sozialleistungen aufgewendet werden, arbeiten musste. Im Vergleich zum Sozialabgabengedenktag fällt auf, dass die Bürger im Durchschnitt etwa zwei Monate – vom 1. Februar bis zum 4. April – allein für die Beitragszahlungen an die Sozialversicherungen arbeiten mussten, welche in Form von Versicherungsleistungen in Zukunft wieder an sie zurückgezahlt werden können (bspw. durch Altersrenten der gesetzlichen Rentenversicherung oder Behandlungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung).

Da diese intertemporale Umverteilung – heutige Beitragszahlungen begründen Anwartschaften auf zukünftige Leistungsansprüche der beitragszahlenden Person – im Begriff der beitragsfremden Sozialleistungen ausgeschlossen wird, ist bei der folgenden Frage nach der Verteilung von Sozialleistungen vor allem die Verteilung der beitragsfremden Sozialleistungen relevant. So schaffen die beiden Gedenktage einerseits Transparenz in Bezug auf die Steuer- und Beitragszahlungen, die gezahlt werden müssen, um die (beitragsfremden) Sozialleistungen zu finanzieren. Andererseits veranschaulichen die beitragsfremden Sozialleistungen sowie die ihnen zugrundeliegenden Steuerzahlungen zusätzlich den Grad an Umverteilung, der zwischen den Generationen stattfindet. Diese können wir anhand von so genannten Generationenkonten darstellen.

Wovon wir reden, wenn wir von Generationenkonten reden

Um die Frage zu beantworten, welchen Alterskohorten welche Höhe an beitragsfremden Sozialleistungen zufließen, nutzen wir das Konzept der Generationenbilanzierung. Diesem liegt eine im Kern simple Idee zugrunde: Wenn wir wissen, in welchem Alter eine durchschnittliche Person welche beitragsfremden Sozialleistungen empfängt und welche Steuern sie an den Staat dafür zahlt und wir darüber hinaus die Entwicklung der Bevölkerung in den einzelnen Altersjahren kennen, dann wissen wir auch wie sich die Zahlungsströme zwischen dieser Durchschnittsperson und dem Staat heute darstellen und in Zukunft demografiebedingt entwickeln. Dieses Wissen machen wir uns zunutze, in dem wir jedem Mann und jeder Frau die beitragsfremden Sozialleistungen sowie die Steuerzahlungen altersspezifisch heute und für zukünftige Jahre zuordnen. Aus diesen geschlechts- und altersspezifischen Nettozahlungen – positive Zahlung, sofern die durchschnittlichen Steuerzahlungen an den Staat die empfangenen durchschnittlichen Sozialleistungen übersteigen; negative Zahlung im umgekehrten Fall – können wir durch die Diskontierung zukünftiger Zahlungsströme einen Barwert für Personen jedes Alters bestimmen. Dieser Barwert gibt den heutigen Wert aller Nettozahlungsströme zwischen dem Staat und einer Durchschnittsperson an. Gewichtet mit der Anzahl an Männern und Frauen jeder Alterskohorte können wir daraus den Barwert der statistischen Durchschnittsperson berechnen, die gleichzeitig ein bisschen männlich, ein bisschen weiblich, ein bisschen erwerbsunfähig, ein bisschen sozialhilfeempfangend usw. ist. Diesen Barwert bezeichnen wir im Rahmen der Generationenbilanzierung als „Generationenkonto“. Ist es positiv, zahlt eine Durchschnittsperson einer Alterskohorte heute und über ihren restlichen Lebenszyklus mehr Steuern an den Staat als sie im gleichen Zeitraum an beitragsfremden Sozialleistungen erhält. Ist das Generationenkonto negativ, empfängt sie über ihren restlichen Lebenszyklus mehr beitragsfremde Sozialleistungen als sie Steuerzahlungen an den Staat zu leisten hat.

Die Barwertbetrachtung ist eine rein zukunftsgerichtete Perspektive. In ihr stecken nur Zahlungsströme, die heute und in Zukunft anfallen. Dadurch, dass zum Beispiel ein heute 30-Jähriger und ein heute 60-Jähriger nicht die gleiche Restlebensdauer haben – und daher jeweils nicht die gleiche Anzahl an Zahlungsströmen in die Berechnung ihrer Generationenkonten einfließen können – sind die Generationenkonten der 30- und der 60-jährigen Durchschnittsperson nicht miteinander vergleichbar. Dennoch können wir Aussagen darüber treffen, wie hoch die Zahllast oder der Leistungserhalt einer durchschnittlichen Person einer Alterskohorte über ihren restlichen Lebenszyklus sein wird, sofern die gesetzlichen Rahmenbedingungen unverändert bleiben. In Abbildung 1 sind die Generationenkonten der 0- bis 100-Jährigen abgebildet. Rot (blau) eingefärbt sind alle positiven (negativen) Konten. Anders ausgedrückt: Alle Generationen, die im Barwert Nettozahler sind, d.h. die aus heutiger Sicht bis zum Lebensende mehr Steuerzahlungen tätigen müssen, als sie an beitragsfremden Sozialleistungen empfangen, sind rot abgebildet. Dagegen sind alle Generationen in blau gekennzeichnet, die im Barwert bis zum Lebensende mehr beitragsfremde Sozialleistungen empfangen als sie dafür im gleichen Zeitraum an Steuerzahlungen an den Staat zu leisten haben. Wir können sie daher in der Barwertbetrachtung als Nettoempfänger beitragsfremder Sozialleistungen bezeichnen.

Generationenkonten als Maß der intergenerativen Umverteilung

Interessant sind in Bezug auf diese Abbildung zwei Aspekte: (1) das Generationenkonto der Nulljährigen und (2) das Alter, in dem der Barwert der beitragsfremden Sozialleistungen exakt null beträgt. Ersteres ist deswegen aufschlussreich, weil die Nulljährigen – analog zu den zukünftig Geborenen – noch den gesamten Lebenszyklus vor sich haben. Sie nehmen dadurch eine Sonderstellung im Rahmen der Generationenbilanzierung ein. Wäre die Refinanzierungsstruktur der beitragsfremden Leistungen nachhaltig, würde jede Generation über ihren gesamten Lebenszyklus gerade so viel an den Staat bezahlen, wie sie Sozialleistungen von ihm erhält. Das Generationenkonto der Nulljährigen wäre in einer solchen Situation exakt null und eine intergenerative Umverteilung gäbe es in diesem Fall nicht. Abbildung 1 zeigt, dass das Generationenkonto der Nulljährigen mit rund 2.100 Euro positiv ist. Eine Durchschnittsperson, die heute geboren wird und ihr gesamtes Leben noch vor sich hat, leistet demnach im Barwert 2.100 Euro mehr Steuerzahlungen an den Staat, als sie beitragsfremde Sozialleistungen von ihm erhält. Da die Generationenkonten der zukünftig Geborenen um mehr als das reale Produktivitätswachstum vom Generationenkonto der Nulljährigen abweichen, findet eine Umverteilung zwischen heutigen und zukünftigen Generationen statt.

Darüber hinaus veranschaulicht das Alter, zu dem der Barwert exakt null beträgt, wie sich das Verhältnis aus Nettozahlern und Nettoempfängern – also: roten zu blauen Generationenkonten – darstellt. Besonders interessant kann ein solcher Indikator perspektivisch sein, wenn die gleiche Untersuchung in folgenden Jahren erneut durchgeführt und die Ergebnisse mit den aktuellen verglichen werden können. Hieran lässt sich ablesen, inwiefern sich die Leistungs- und die Zahlungsseite verändert haben und ob von diesen Veränderungen eher junge oder eher alte Generationen positiv oder negativ betroffen sind. In unserer Studie hat sich gezeigt, dass dieses Alter bei etwa 36 Jahren und 3 Monaten liegt. Personen, die älter sind, können wir dadurch im Rahmen der Barwertbetrachtung über ihren restlichen Lebenszyklus als Nettoempfänger des Sozialstaats betiteln und Personen die jünger sind, als Nettozahler.

Fazit

Mit den beiden Gedenktagen zur sozialen Sicherung werden die Ausgaben des Sozialstaats greifbar. Anhand des Sozialleistungsgedenktages am 31. Januar und dem Sozialabgabengedenktages am 04. April ist ablesbar wie lange eine statistische Durchschnittsperson in Deutschland arbeiten muss, um die Steuern und Beiträge an den Staat zu zahlen, die allen Sozialleistungen bzw. den beitragsfremden Sozialleistungen gegenüberstehen. Durch die Generationenkonten stellen wir darüber hinaus Transparenz bezüglich der intergenerativen Verteilung dieser Leistungen her. Sie zeigen, dass Personen jünger als 36 Jahre und 3 Monate von heute an über ihren restlichen Lebenszyklus zu den Nettozahlern gehören. Nettoempfänger der Sozialleistungen sind dem gegenüber Personen älter als 36 Jahre und 3 Monate.

Literatur

BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2023). Sozialbudget 2022.

Hinweis: Eine ausführliche Studie zu den Gedenktagen der sozialen Sicherung findet sich in der Reihe Argumente zu Marktwirtschaft und Politik der Stiftung Marktwirtschaft.

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