Bürokratieabbau
Mit Regeln gegen Regeln

Die wirtschaftliche Lage Deutschlands ist vor den Wahlen alles andere als erfreulich. Der Wohlstand im Land nimmt eher ab als zu, und es ist absehbar, dass die Wirtschaftsleistung im Jahr 2025 bestenfalls nur geringfügig wachsen wird. Das Produktivitätswachstum stagniert, die Innovationskraft ist schwach, und die Industrieproduktion geht weiter zurück. Die Diskussion über eine drohende Deindustrialisierung in Deutschland ist längst keine Theorie mehr – sie ist zur Realität geworden.

Mehr Schwung durch weniger Bürokratie

Die Vorstellungen der verschiedenen Parteien darüber, wie Deutschland der anhaltenden Krise entkommen kann, gehen stark auseinander. Gegenseitige Schuldzuweisungen für die Misere stehen auf der Tagesordnung. Doch wenigstens in einem Punkt herrscht bei allen Parteien, deren öffentlichen Äußerungen und Wahlprogrammen weitgehend Einigkeit: Deutschland braucht nicht mehr, sondern deutlich weniger Bürokratie. Das klingt vernünftig, nur ist diese Forderung keineswegs neu. Offenbar fiel es den politischen Entscheidungsträgern in der Vergangenheit äußerst schwer, Bürokratie tatsächlich abzubauen. Wieso ist das der Fall?

Zahlreiche bürokratische Vorschriften wurden ursprünglich aus gutem Grund oder wenigstens mit einer guten Intention eingeführt. Häufig war das Ziel, ein insgesamt positives Ergebnis für die Bürger zu erzielen. Doch anstatt die Wohlfahrt der Bürger zu erhöhen oder zu erhalten, werden viele der bestehenden und neuen bürokratischen Regelungen eher als unnötige Belastung, ja mitunter sogar Schikanierung empfunden. Sie blockieren Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklung.

Das Wissen, welche Regelungen nicht mehr zeitgemäß und mitunter wohlfahrtsschädlich sind, liegt unter anderem bei den Mitarbeitern der staatlichen Verwaltungen. Es ist nachvollziehbar, dass die Mitarbeiter kaum Anreize haben, sich selbst durch den Abbau von Bürokratie wegzurationalisieren. Daher bleibt wertvolles Detailwissen über Möglichkeiten des Abbaus von Regulierungen weitgehend ungenutzt.

Hinzu kommt, dass manch eine bürokratische Regelung aus puren ideologischen Motiven der politischen Entscheidungsträger entstanden ist. Für einen allgemeinen Bürokratieabbau bedeutet dies, dass politische Entscheidungsträger höchstens jene Regelungen abbauen würden, die nicht ihrer eigenen Ideologie entsprechen, während sie ihre eigenen Vorschriften als unverzichtbar erachten. Bei auftretenden Krisen fordern sie zudem häufig ad hoc neue Regulierungen, anstatt zu Fragen, ob nicht genau die bestehenden Regulierungen die Krise mitbefördert haben.

Aus diesen Gründen sind viele frühere Versuche, Bürokratie abzubauen, gescheitert. Es ist daher dringend notwendig, dass Bürger, Unternehmen und die Verwaltung selbst aktiv die Reduktion von Bürokratie anstreben, anstatt an ihr festzuhalten und sie auszubauen. Doch wie gelingt ein erfolgreicher Bürokratieabbau?  Wir schlagen einen Ansatz zum Bürokratieabbau vor, den wir mit „Regeln gegen Regeln“ betiteln.

Mit Regeln gegen Regeln

Anstatt mühsam einzelne bürokratische Vorschriften zu identifizieren, die möglicherweise überflüssig oder unzweckmäßig sind, sollte ein institutioneller Rahmen mit wenigen, einfachen und grundsätzlichen Regeln geschaffen werden, der die Anreize so setzt, dass Bürokratie nachhaltig und dauerhaft abgebaut wird.

Die Regeln zum Bürokratieabbau müssen dabei so allgemein und einleuchtend formuliert sein, dass ihnen praktisch niemand widersprechen kann. Sie sollten nicht nur mehrheitsfähig, sondern nahezu einstimmig beschlossen werden können. Gleichzeitig müssen diese grundsätzlichen Regeln ausreichend konkret sein, um tatsächlich messbare und nachhaltige Fortschritte beim Abbau unnötiger Vorschriften zu gewährleisten. Wir sehen dabei insbesondere das Potenzial für zwei zentrale Regeln, die als Prinzipien für den Bürokratieabbau dienen können.

Regel 1 zum Bürokratieabbau – „Doppelregulierungen dürfen nicht bestehen“: Diese Regel besagt, dass, sobald ein politisches Ziel durch eine spezifische regulatorische Maßnahme adressiert wird, keine weiteren Regelungen eingeführt werden dürfen, die dasselbe Ziel verfolgen. Die Regel ist leicht verständlich, einleuchtend und dürfte als allgemeines Prinzip auf breite Zustimmung stoßen. Gleichzeitig ermöglicht diese Bürokratieabbauregel eine umfassende Bürokratiereduktion und -vereinfachung.

Ein anschauliches Beispiel bietet der Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes. Die Europäische Union hat den Emissionshandel (EU-ETS I) als zentrales Instrument zur Reduktion von CO2-Emissionen etabliert. Im EU-ETS werden regulatorisch Obergrenzen für Emissionen festgelegt, wodurch ein CO2-Preis entsteht, der gewinnorientierte Unternehmen dazu anhält, ihre Emissionen zu senken. Für Sektoren, die derzeit noch nicht im EU-Emissionshandel erfasst sind, wie der Verkehr, existiert in Deutschland die nationale CO2-Bepreisung. Diese wird ab 2027 durch den erweiterten EU-Emissionshandel (EU-ETS II) ersetzt. Der nationale CO2-Preis für Benzin, Heizöl und Gas wurde zum 1. Januar 2025 von 45 Euro auf 55 Euro pro Tonne CO2 angehoben. Laut der Bundesregierung ist die nationale CO2-Bepreisung ein wichtiges Instrument, um die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen. Bereits jetzt werden der EU-Emissionshandel und die nationale CO2-Bepreisung eingesetzt, um durch eine Reduktion des CO2-Ausstoßes langfristig zur Wohlfahrt der Bürger beizutragen, sofern denn auch in Zukunft der Rest der Welt ähnliche Maßnahmen ergreift. Zusätzliche Regelungen im Klimaschutzbereich können daher in aller Regel als Doppelregulierung angesehen werden und sollten, gemäß Bürokratieabbauregel 1, abgeschafft werden. Mehr als wohlfahrtsoptimal über eine Preissetzungsregel im EU-ETS oder über einen expliziten CO2-Preis zu regulieren ist nicht notwendig, ja sogar schädlich. Da verschiedenste und komplexe Klimaschutzregulierungen mittlerweile in allen Bereichen des Lebens vorhanden sind, ist das Bürokratieabbaupotential massiv. Besonders relevant ist zudem die Abschaffung aller Dokumentationspflichten im Klimabereich, sofern sie nicht zwingend für das Funktionieren des Emissionshandels oder der CO2-Bepreisung notwendig sind. Dokumentationspflichten belasten Unternehmen oft unverhältnismäßig und tragen selten direkt zu einer Verbesserung des Klimaschutzes bei. Durch die konsequente Anwendung von Regel 1 könnten diese bürokratischen Hürden abgebaut und gleichzeitig auf effiziente Art und Weise ein wohlfahrtsoptimales Niveau an Klimaschutz erreicht werden. Einfach gesagt: Zahlreiche bestehende Vorschriften im Baubereich, Heizungssektor und Verkehr regulieren bereits Aspekte, die durch den Emissionshandel adressiert sind. Da „Doppelregulierungen nicht bestehen dürfen“, besteht ein enormes Potenzial für den Abbau unnötiger Bürokratie.

Regel 2 zum Bürokratieabbau – „Hat eine staatliche Stelle eine Information, darf eine andere diese nicht nochmals verlangen“: Diese zweite Regel adressiert ein Kernproblem im Zusammenhang mit Bürokratei: die zahllosen redundanten Informationsabfragen, die Bürger und Unternehmen immer wieder über sich ergehen lassen müssen. Es ist weder notwendig noch effizient, dass staatliche Stellen Daten von Bürgern oder Unternehmen anfordern, die anderen Behörden bereits vorliegen. Stattdessen sollte ein verbindlicher Mechanismus etabliert werden, der den Austausch dieser Informationen zwischen den Behörden ermöglicht – selbstverständlich nur mit der ausdrücklichen Zustimmung der Betroffenen, um den Datenschutz zu gewährleisten.

Ein Beispiel, das die Problematik verdeutlicht, ist das Grundsteuerreformgesetz. Als das Bundesverfassungsgericht 2018 die bisherige Bewertungsgrundlage der Grundstücke für verfassungswidrig erklärte, führte die gesetzliche Neuregelung von 2019 zu erheblichem Bürokratieaufwand. Grundstückseigentümer mussten Erklärungen einreichen, obwohl viele der relevanten Daten bereits in Grundbüchern oder anderen Registern vorhanden waren. Nach Regel 2 zum Bürokratieabbau wäre das nicht zulässig gewesen. Es wären nur die Informationen abgefragt worden, die den Behörden noch nicht vorlagen – für Bürger und Unternehmen eine erhebliche Bürokratieentlastung.

Darüber hinaus würde diese Regel die Verwaltung zwingen, ihre Effizienz massiv zu steigern, denn es ist aufwendig alle Informationen von verschiedenen Behörden zu beschaffen. Behörden müssten ihre internen Prozesse optimieren, um bereits vorhandene Daten systematisch zu nutzen. Sie wären gezwungen, die vielfältigsten Formulare bei An- und Abfragen weitgehend selbst auszufüllen, Informationen korrekt zu beschaffen und zu verwalten. Zahlreiche Dokumentationsprozesse würden sich somit auch erübrigen. Informationen, die staatlichen Stellen bereits vorliegen, müssen nicht nochmal gesondert von Bürgern und Unternehmen dokumentiert werden. Die Verwaltung kann diese bei Bedarf selbst nochmals dokumentieren – sofern sie die Informationen denn wirklich benötigt, was oft fragwürdig sein dürfte, wenn sie selbst dokumentieren muss.

Natürlich bleibt es den Bürgern überlassen, ihre Zustimmung zum Datenaustausch zwischen Behörden zu erteilen. Wenn sie dies ablehnen, müssten sie weiterhin selbst die notwendigen Informationen bereitstellen. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Mehrheit der Bürger eine solche Zustimmung gerne erteilt, da dies Fehler beim Ausfüllen von Formularen minimiert und den Verwaltungsaufwand spürbar reduziert. Niemand liebt Bürokratie, und mit Regel 2 würden Behörden gezwungen, sich der Herausforderung zu stellen, bestehende Informationen effizienter und bürgerfreundlicher zu handhaben.

Neue Klagewege und Meldepflichten für die Verwaltung

Im Idealfall sollten die beiden Bürokratieabbauregeln „Doppelregulierungen dürfen nicht bestehen“ und „Hat eine staatliche Stelle eine Information, darf eine andere diese nicht nochmals verlangen“ vor Gerichten einklagbar sein. Bürger und Unternehmen, die der Ansicht sind, dass sie doppelt reguliert werden, sollten das Recht haben, gegen Doppelregulierungen Klage einzureichen. Dadurch würden das Wissen und die Erfahrung der Bürger aktiv genutzt, um unnötige Bürokratie abzubauen. Die Verwaltung müsste ihrerseits nachweisen, dass bestimmte Regeln tatsächlich notwendig sind und keine Doppelregulierung vorliegt. Bereits vorab würden die staatlichen Verwaltungen daher versuchen, Doppelregulierungen zu vermeiden. Jede neue Regulierung würde verwaltungsintern erst intensiv geprüft, ob sie nicht bereits etwas reguliert, das bereits reguliert ist.

Darüber hinaus sollten die Mitarbeiter staatlicher Verwaltung verpflichtet werden, Verdachtsfälle möglicher Doppelregulierungen zu melden. Ebenso müssten sie verpflichtet werden, darauf hinzuweisen, wenn sie glauben, dass andere staatliche Stellen bereits die notwendigen Informationen besitzen. Dadurch würden innerhalb der Verwaltung eine natürliche Skepsis und Zurückhaltung gegenüber neuen Regulierungen und zusätzlicher Bürokratie gefördert.

Die zwei grundsätzlichen Regeln zum Bürokratieabbau würden durch die Eröffnung eines Klageweges und der Meldepflicht bei möglichen Verstößen innerhalb der Verwaltung ihre volle Wirkung entfalten.

Vorbild bei Bürokratieabbau

Doch was würde mit den Beamten und Mitarbeitern in der öffentlichen Verwaltung passieren, falls durch den Abbau von Bürokratie weniger Arbeitskräfte benötigt würden? Angst vor Arbeitslosigkeit brauchen die Beamten ohnehin nicht zu haben. Wichtiger ist jedoch, dass es sich bei ihnen in aller Regel um fähige, qualifizierte oder sogar hochqualifizierte Mitarbeiter handelt. Aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels und des starken Wirtschaftswachstums – dank dem Bürokratieabbau – könnten sie problemlos für dann produktivere und in der Regel auch deutlich besser bezahlte Tätigkeiten in der Privatwirtschaft eingesetzt werden. So würden durch neben dem Bürokratieabbau sogar weitere Wohlfahrtsgewinne realisiert.

Gelingt es einer neuen Bundesregierung, diese beiden Bürokratieabbauregeln „Doppelregulierungen dürfen nicht bestehen“ und „Hat eine staatliche Stelle eine Information, darf eine andere diese nicht nochmals verlangen“ zu etablieren, könnte Deutschland nicht nur sein Wachstum steigern, sondern auch zum Vorbild für andere europäische Länder werden. Statt die Deutschen wegen ihrer vermeintlichen Liebe für Regeln zu belächeln, würde die Einhaltung der zwei Regeln zum Bürokratieabbau international große Bewunderung auslösen.

Ein systematischer Bürokratieabbau wäre nicht nur ein Segen für Deutschland, sondern für die gesamte Europäische Union, die wirtschaftlich immer weiter hinter die Vereinigten Staaten zurückfällt. Eine deutsche Regierung, die den Bürokratieabbau ernsthaft mit klaren Regeln umsetzt, könnte zeigen, wie eine effiziente und doch zugleich schlanke Verwaltung aussieht – und damit anderen Staaten wie Frankreich, Italien oder selbst den USA ein Vorbild sein.

David Stadelmann und Lara Bieske
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