Gastbeitrag:
Die Ethik des Erfolgs

Mir ist durchaus bewusst, dass dieser Titel paradox klingt. Denn normalerweise sieht man beides, die Ethik und den Erfolg als Gegensätze an. Wer dem einen folgt, so denkt man, kann das andere nicht haben.

Die Ethik, die sich in unserem Land durchgesetzt hat, folgt dem Gesetz der Gleichheit. Möglichst sollen alle Menschen in Deutschland gleich viel verdienen, ähnliche Ausbildungen durchlaufen und am Ende dieselben Altersbezüge erhalten. Ich habe jedoch etwas gegen eine Ethik, die alles gleichmachen will und das, was sich widersetzt dem Erdboden gleichmacht. Woher kommt dieser Grundgedanke, nach dem möglichst alles gleich sein soll? Ich vermute, es liegt an der Unfähigkeit oder der mangelnden Bereitschaft, die ungeheure Dynamik und Vielfalt der Welt anzuerkennen. Alles bewegt sich, lebt in ständiger Veränderung und Fortentwicklung. Doch die Ethik der Gleichheit möchte den Fluss zum Stehen bringen.

Unbestritten stehen im Mittelpunkt jeder Ethik die Menschenrechte, deren Wichtigstes die Menschenwürde ist. Nun gehört Würde zu den inneren Werten und für mich liegt die Würde in dem Potenzial, das jedem Menschen gegeben ist, sich zu entwickeln und an der Weltgemeinschaft mitzuwirken – auf seine Weise und an seiner Stelle. Getreu dem ethischen Antrieb, „das Beste aus sich machen“.

Den wesentlichen Antrieb zur Selbstentfaltung bietet der freie Wettbewerb. Kräfte entfalten sich nur, wenn sie sich mit anderen messen. Der Gewinn des Wettbewerbs besteht nicht nur in dem „Gewinn“, den man einstreicht, sondern ebenso in der Erfahrung, welchen Platz im Lebensganzen man einnimmt. Die Ethik, die dieses Zusammenwirken regelt, nenne ich die Ethik des Erfolgs.

Wenn ich mir unser Land heute betrachte, fehlt es gerade an den entscheidenden Elementen: an Motivation, an Wettbewerb und vor allem an einer Ethik, der es um die Entwicklungsfähigkeit der Menschen geht. Deutschland ist ein Land, das heute so organisiert ist, sodass es sich selbst blockiert. Nicht nur weil die herrschende Ideologie die Gleichheit aller als Ideal vorschreibt, sondern auch weil jeder Einzelne dazu neigt, sich hinter dieser Uniformität zu verstecken und die Verantwortung anderen zu überlassen.

Dieses Modell ist heute gescheitert. Einer der Gründe dafür liegt darin, dass es die Verschiedenheit der Menschen ignoriert. Um die erwünschte Gleichheit zu erreichen, werden den Vorreitern des Fortschritts Zügel angelegt, damit es ja nicht zu schnell geht. Wer mehr verdient, wird besteuert, wer mehr besitzt, beneidet, wer mehr arbeiten will, gebremst. Kurz: Man will die Gleichheit dadurch erreichen, dass jeder an seinen Interessen Abstriche macht – mit dem Resultat, dass das Gesamtniveau sinkt. Man nähert sich zwar dem Ideal, doch alle verdienen und besitzen weniger, und die Arbeitsplätze wandern in ethisch anstößige Nachbarländer.

Das Niveau sinkt, weil sich Motivation, Leistungsbereitschaft, Ausdauer und Kreativität dem Schwächeren anpassen. Alle Elemente, die Wettbewerb entstehen lassen, werden durch den Gleichheitsgrundsatz moralisch desavouiert. Eine Gesellschaft, die sich immer wieder nach unten anpasst, verliert ihren Wohlstand.

Einer der Gründe für dieses beständige Absinken liegt in der ethischen Bevorzugung der „Schwachen“. Ich spreche hier nicht von den Menschen, die sich in einer Notlage befinden, sondern von der Institution der „Schwachen“. Politiker, die sich um Prestige bemühen, müssen sich nur für sie einsetzen. So umschreibt man die Ethik der Gleichheit mit dem schönen Begriff „soziale Gerechtigkeit“. Vom ethischen Standpunkt der Nachhaltigkeit aus ist die „soziale Gerechtigkeit“ eine schreiende Ungerechtigkeit. Alle sozialen Rezepte, mit denen heute Politik gemacht wird, führen letzten Endes dazu, dass wir Reformen verschieben, neue und immer höhere Schulden aufnehmen, unsere Sozialversicherung überstrapazieren.

Ich widerspreche hiermit dem Grundsatz, „den Schwachen“ um jeden Preis zu helfen. Denn die automatische Folge dieser moralischen Bevorzugung besteht darin, dass es sich lohnt, schwach zu sein. Wenn man nun ohne Anstrengung dasselbe erreicht, wie mit harter Arbeit, dann wird sich die Zahl dieser „Schwachen“ rapide steigern. So explosionsartig nämlich wie die deutschen Sozialausgaben.

Um diesen Prozess zu stoppen, müssen die Effizienzreserven unserer Gesellschaft mobilisiert werden. Wir müssen mehr leisten – die Schwachen ebenso wie die Starken. Und wir müssen den Mut haben, in Wettbewerb mit anderen zu treten und in dieser Konkurrenz zu wachsen. Das heißt, wir müssen die Kraft aufbringen, unsere Leistungsreserven nicht weiter zu schonen, sondern sie bis zum Äußersten auszureizen. Und wir müssen unsere Leidensfähigkeit erhöhen. Nur so wächst unsere Gesellschaft wieder in die richtige Richtung. Und nur so wird sie auch genügend Reserven haben, um jenen, die wirklich in Not geraten sind, zu helfen. Den Weg dorthin zeigt die Ethik des Erfolgs.

Hans-Olaf Henkel
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4 Antworten auf „Gastbeitrag:
Die Ethik des Erfolgs“

  1. Hallo Herr Henkel,

    ich waere dankbar, wenn Sie mir die „Erhoehung der Leidensfaehigkeit“ naeher erklaeren koennten.
    Allzusehr erinnert mich Ihr Aufruf an die Utopien der Flagellanten oder katholischer Bettelorden.

    Sie schreiben von Ethik, die sich in Deutschland durchgesetzt HAT.
    Warum sagen Sie nicht leidensfaehig, dass diese Ethik durchgesetzt WURDE, von redegewandten Sozialisten gegen den vehementen Widerstand der Unternehmerschaft ?
    Es fehlt auch nicht an Motivation, wie Sie irrtuemlich feststellen, sondern diese Motivation liegt vergraben solange Soll und Haben, Schein und Wirklichkeit, Inflation und Deflation, Lebensfreude mit Leidensfaehigkeit verwechselt werden.
    Wer in Not ist, in „ethischer“ Erklaerungsnot, sind nicht die Opfer dieser Politik.
    Die Taeter sind vermutlich Ihre besten Freunde und diese greifen Sie geflissentlich nicht an.
    Ralf Wokan

  2. Ein sehr guter Beitrag, allerdings tut der Autor so, als ob die sozial Schwachen automatisch unsere überregulierte Volkswirtschaft befürworten und dem Ausbau des Sozialstaats grundsätzlich zustimmen. Dabei werden die Schwachen durch die diversen unflexiblen Alimentierungssysteme und Regularien in ihrer Entfaltung ausgebremst: Um tatsächlich mehr in der Tasche zu haben wie mit Arbeitslosengeld muss ein Familienvater schon sehr gut verdienen – für Geringqualifizierte fast unmöglich. Und Aufgrund von Kündigungsschutz, Antidiskriminierungsgesetz und ähnlichem dürften die meisten „riskanten“ Einstellungen ohnehin unterbleiben – zum Nachteil der Arbeitslosen. Unser gesamtes Sozialsystem sollte daher dahingehend optimiert werden, dass sich Arbeit – auch geringfügig und zu geringen Löhnen – grundsätzlich lohnt und kein Nachteil gegenüber den reinen Leistungsempfängern entsteht!

  3. Wieso Leidensfähigkeit?
    Ich dachte immer, eine freie Wirtschaft beschert allen eine goldene Zukunft in Wohlstand – so haben es die Apologeten der „freien Marktwirtschaft“ doch immer erklärt.
    Nun bin ich verwirrt…

  4. „Die Ethik, die sich in unserem Land durchgesetzt hat, folgt dem Gesetz der Gleichheit. Möglichst sollen alle Menschen in Deutschland gleich viel verdienen, ähnliche Ausbildungen durchlaufen und am Ende dieselben Altersbezüge erhalten. “
    Tatsächlich? Laut jüngster OECD-Statistik ist Deutschland set 1995 im Bereich der Einkommensgleichheit innerhalb der OECD um 5 Plätze zurückgefallen. An der Uni studieren von 100 Akademikerkinder 83 und von 100 Arbeiterkinder 23 laut Erhebung des Deutschen Studentenwerks. Bei der Niedrigrente ist Deutschland innerhalb der OECD mittlerweile auf dem letzten Platz (im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen). Wo sehen Sie diese angebliche deutsche Ethik wirken?

    „Nun gehört Würde zu den inneren Werten und für mich liegt die Würde in dem Potenzial, das jedem Menschen gegeben ist, sich zu entwickeln und an der Weltgemeinschaft mitzuwirken – auf seine Weise und an seiner Stelle. Getreu dem ethischen Antrieb, „das Beste aus sich machen“.“
    Eben das nicht (gemäß deutscher Verfassung). Die Würde des Menschen ist aus sich heraus – ob der Mensch, das Beste aus sich macht oder nicht (selbst ob er es versucht oder nicht), ist für die menschliche Würde völlig unerheblich.

    „Ich widerspreche hiermit dem Grundsatz, „den Schwachen“ um jeden Preis zu helfen.“
    Konkret? Bei welchem Preis würden Sie „den Schwachen“ helfen?

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