Was zu tun und was zu lassen ist
Wirtschaftspolitik in Zeiten „säkularer Stagnation“

Die Mehrzahl der Unternehmen erwartet eine anhaltend schwache wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Sie begründen dies in erster Linie mit angebotsseitigen Anpassungslasten: Fachkräftemangel sowie Arbeits-, Energie- und Regulierungskosten. Dies spricht für eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik.


Das Wirtschafts- und Produktivitätswachstum hat weltweit nachgelassen. Dies weckt auch die Befürchtung, dass es sich um ein länger andauerndes Phänomen halten kann. Eine Reihe von Thesen ist im Umlauf, die für eine säkulare Stagnation sprechen und die unterschiedliche wirtschaftspolitische Implikationen haben:

“¢ Die Finanzmarktkrise verschärfte das bereits in vielen Ländern schon vorher bestehende Staatsschuldenproblem erheblich. Das dadurch und in Kombination mit einer ultraexpansiven Geldpolitik entstandene Niedrigzinsumfeld begrenze nun die weiteren geldpolitischen Möglichkeiten. Deshalb werden nachfragestimulierende Staatsausgaben gefordert.

“¢ Aus angebotsseitiger Perspektive werden dagegen die Anpas-sungslasten infolge der demografischen Entwicklung betont. Der Rückgang und die gleichzeitige Alterung der Bevölkerung sorgen zunehmend für ein schwächer expandierendes Produktionspotenzial. Diese Entwicklung wird möglicherweise verschärft durch eine nachlassende Innovationsdynamik – vor allem wegen fehlender Basisinnovationen. Um dieser Stagnation zu begegnen, empfehlen sich angebotsorientierte Maßnahmen der Wirtschaftspolitik.

Vor diesem vielschichtigen theoretischen und wirtschaftspolitischen Hintergrund wurden im Herbst 2015 die Unternehmen in Deutschland vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) zu ihrer Einschätzung hinsichtlich einer länger anhaltenden Wachstumsschwäche hierzulande befragt (Grömling, 2016). Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Zum einen geht es darum, eine Einschätzung zu bekommen, ob die Unternehmen überhaupt von einer solchen Säkularen Stagnation in Deutschland ausgehen. Ist dies der Fall, dann geht es zum anderen darum, ob dies eher mit nachfrageseitigen oder angebotsseitigen Argumenten begründet wird. Diese Einschätzungen geben dann eine wichtige wirtschaftspolitische Orientierung.

Die Umfrage ergab folgendes Erwartungsbild: 62 Prozent aller an der Befragung teilnehmenden knapp 3.000 Unternehmen gehen von einer eher anhaltend schwachen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland aus. Knapp 30 Prozent der Unternehmen teilen diese Ansicht nicht. Die verbleibenden knapp 9 Prozent hatten zu dieser Frage keine Meinung geäußert.

Als Orientierung für die Wirtschaftspolitik sind die Begründungen der Unternehmen aufschlussreich: Dazu standen den Unternehmen insgesamt 13 formulierte Argumente zur Auswahl (siehe Abbildung 1). Eigene Gründe konnten nicht geäußert werden. Bei der Beantwortung konnten folgende drei Möglichkeiten gewählt werden: 1. Trifft stark zu. 2. Trifft wenig zu. 3. Trifft nicht zu. Bei der Analyse der Begründungen für eine künftig moderate wirtschaftliche Entwicklung können unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden: Zum einen kann das Begründungsgefüge aller Unternehmen betrachtet werden. Zum anderen können aber auch nur die Antworten derjenigen Unternehmen ausgewertet werden, die von einer langfristigen Wachstumsschwäche ausgehen. Im Folgenden wird das Begründungsmuster der „Pessimisten“ dargestellt (für eine umfassende Darstellung siehe Grömling, 2016).

Abbildung 1 zeigt, dass an erster Stelle der stark zutreffenden Argumente sowohl bei den „Pessimisten“ als auch bei allen Unternehmen die demografische Entwicklung und der damit verbundene Fachkräftemangel genannt werden. Für die Hälfte der Unternehmen stellt dies einen hochrelevanten Grund für eine anhaltende Wachstumsschwäche dar. Faktisch steht Deutschland mit Blick auf die demografische Entwicklung derzeit schon schlechter da als eine Reihe von fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Durchschnitt (Abbildung 2): Der Anteil der Personen im Alter von über 65 Jahren an der Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 65 Jahren ist hierzulande deutlich höher als im Durchschnitt der neben Deutschland betrachteten 19 Länder.

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An zweiter Stelle werden die Arbeitskosten genannt. Dieser Kostenfaktor stellt auch in anderen Unternehmensbefragungen (z.B. DIHK, 2015) ein wichtiges Argument dar. Faktisch hat die deutsche Wirtschaft – und vor allem die deutsche Industrie – im internationalen Vergleich hohe Arbeitskosten (Abbildung 2). Durch die ebenfalls höhere Produktivität fällt der Lohnstückkostennachteil geringer aus. Neben der Höhe hat zudem die Entwicklung der Arbeits- und Lohnstückkosten in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder verschlechtert hat.

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Mit Abstand werden Regulierungen der Arbeits- und Produktmärkte als relevante Begründungen für ein zukünftig schwächeres Wachstum angeführt. Zumindest bei den Arbeitsmarktregulierungen hat Deutschland auf Basis der OECD-Indikatoren im internationalen Vergleich ein hohes Niveau (Abbildung 2). Bei den Produktmarktregulierungen, zu denen zum Beispiel Handelsbeschränkungen und administrative Hürden für Unternehmensgründungen gehören, schneidet Deutschland etwas besser ab als der hier zugrunde gelegte Länderdurchschnitt. Insgesamt sieht im Rahmen der IW-Umfrage gut ein Drittel der Betriebe solche Regulierungen als Grund für eine schwächere Wettbewerbsfähigkeit. Gut 30 Prozent der Unternehmen gaben an, dass Regulierungen die Investitions- und Innovationstätigkeit dämpfen. Nimmt man noch die Unternehmen hinzu, für die diese Argumente nur in ge-ringem Ausmaß zutreffen, dann haben Regulierungen als Begründung für ein anhaltend schwaches Wachstum in der Zukunft eine Bedeutung für vier von fünf Unternehmen.

Für ebenfalls gut 30 Prozent aller Unternehmen haben die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten in Deutschland eine hohe Bedeutung als Begründung für ein zukünftig anhaltend schwaches Wachstum hierzulande. Faktisch hat die deutsche Industrie im internationalen Vergleich hier ein erhebliches Kostenhandicap (Abbildung 2).

Eine anhaltende Nachfrageschwäche in Europa, dem wichtigsten Markt für deutsche Exportunternehmen, ist für 36 Prozent der pessimistisch gestimmten Unternehmen eine Besorgnis. Eine schwächere Nachfrage der Schwellenländer, die in den letzten 15 Jahren für den deutschen Außenbeitrag und das dadurch angetriebene Wachstum bedeutsam waren, ist für 30 Prozent der Unternehmen ein wichtiger Grund für eine Säkulare Stagnation.

Während einerseits die ökonomischen Potenziale infolge einer zunehmenden Digitalisierung des Wirtschaftslebens zusätzliche Wachstumschancen eröffnen können, werden sie von den Unternehmen andererseits aber auch als eine Bedrohung und damit als eine Wachstumsbremse wahrgenommen. Im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage nennen 22 Prozent der Unternehmen den höheren Wettbewerbsdruck infolge neuer digitaler Geschäftsmodelle als einen stark zutreffenden Grund für eine anhaltende Stagnation in Deutschland. Vor allem im Dienstleistungssektor ist diese Befürchtung mit knapp 29 Prozent der Unternehmen stärker ausgeprägt.

Gut ein Fünftel der Unternehmen geht davon aus, dass eine anhaltende Wachstumsschwäche hierzulande durch Produktionsverlagerungen ins Ausland ausgelöst wird. Diese bremse Investitionen und Innovationen in Deutschland und schwäche damit das Wachstumspotenzial. Auch ein höherer Wettbewerbsdruck infolge von Importen – also eine zunehmende ausländische Konkurrenz auf dem heimischen Markt – gilt für ein Viertel der zurückhaltenden Firmen als ein Grund für kommende Wachstumsprobleme.

Schließlich bestand noch die Antwortoption, ob die demografische Entwicklung in Deutschland nicht nur das bereits erwähnte Fachkräfte- und Angebotsproblem verschärft, sondern auch zu einer Nachfrageschwäche hierzulande führt, die dann in einer Säkularen Stagnation mündet. Nur 15 Prozent der Unternehmen bejahen dies.

Die IW-Umfrage macht zudem deutlich, dass offensichtlich Finanzie-rungsprobleme aus Sicht der deutschen Unternehmen keine wichtige Begründung für eine Wachstumsschwäche darstellen. Für rund ein Sechstel der Unternehmen trifft dieses Argument stark zu. Die Ein-schätzung, dass in Deutschland die Gefahr von Finanzierungsschwierigkeiten oder einer Kreditklemme eher von untergeordneter Bedeutung ist, bestätigen auch andere Befragungen. Deutlich höher wird dagegen die Gefahr eingeschätzt, dass sich aus der Staatsschuldenlast zusätzliche Kosten (z.B. höhere Steuern) ergeben, die wiederum das Wachstum der Unternehmen beeinträchtigen. Knapp ein Drittel der pessimistisch gestimmten Unternehmen artikuliert diese Besorgnis.

Die Ergebnisse können mit Blick auf die wirtschaftspolitischen Implikationen weiter zusammengefasst werden. Fasst man die drei Nachfragegründe – Nachfrageschwäche in Europa (36 Prozent), Nachfrageschwäche der Schwellenländer (30 Prozent) und Nachfrageschwäche im Inland wegen der demografischen Entwicklung (15 Prozent) – zusammen und bildet stark vereinfachend das arithmetische Mittel, dann ergibt sich ein Wert in Höhe von 27 Prozent. Bei einer gleichartigen Aggregation der fünf als direkt angebotsseitig interpretierbaren Argumente – Fachkräftemangel (50 Prozent), Arbeitskosten (45 Prozent), Regulierungen (35 und 31 Prozent) sowie Energiekosten (32 Prozent) – ergibt sich ein erheblich höherer Durchschnittswert von 39 Prozent. In der Einzelbetrachtung kann nur ein Nachfrageargument einen höheren Anteil aufweisen als jeweils die fünf direkten Angebotsgründe. Dieser Befund kann dahingehend interpretiert werden, dass die Unternehmen in Deutschland, die von einer Säkularen Stagnation ausgehen, in erster Linie angebotsseitige Begründungen anführen. Auf Basis dieser empirischen Bestandsaufnahme, die wie jede Befragung von den jeweiligen Umständen und Informationen des Befragungszeitraums – hier Herbst 2015 – beeinflusst wird, können folgende wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen gezogen werden:

1. Da die Gefahr einer anhaltenden Wachstumsschwäche infolge von Nachfrageproblemen von den Unternehmen eher nachrangig gesehen wird, ergibt sich kein nachfragepolitischer Handlungsbedarf in Deutschland. Vielmehr werden die Kosten, die mit dem bereits hohen staatlichen Verschuldungsgrad einhergehen, selbst als ein Grund für eine Säkulare Stagnation angesehen. Dies kann als eine indirekte Absage der Unternehmen an ein „deficit spending“ verstanden werden.

2. Die Dominanz der angebotsseitigen Begründungen für eine anhaltende Wachstumsschwäche in Deutschland spricht für eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dabei werden explizit die Regulierungen vor allem an den Arbeits- und Produktmärkten genannt. Die politischen Entscheidungen in den letzten Jahren haben hier eher zu einer Verschlechterung geführt. Auch die Entwicklung der Energie- und Arbeitskosten hat die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zuletzt beeinträchtigt.

Quelle:

Grömling, Michael, 2016, Säkulare Stagnation – Erwartungen und Begründungen deutscher Unternehmen, in: IW-Trends, 43. Jg., Nr. 1, S. 3–19

Blog-Beiträge zu „Säkularer Stagnation“:

Norbert Berthold: Angebotsdefizite bremsen Wachstum. Ist die „Eurosklerose“ bald überall?

Norbert Berthold: (Staats-)Verschuldung bremst Wachstum. Sind die Zinsen zu niedrig?

Norbert Berthold: Nachfragemangel schwächt langfristiges Wachstum. Gute Idee oder heiße Luft?

3 Antworten auf „Was zu tun und was zu lassen ist
Wirtschaftspolitik in Zeiten „säkularer Stagnation“

  1. Jetzt mal ehrlich: Der billige Euro wirkt doch auf die deutsche Wirtschaft wie ein gigantisches Nachfrageprogramm. Hätten wir die DM wieder, würde die starke Exportnachfrage sich selbst bremsen über eine aufwertende DM.

    Dann würde sich auch für Deutschland das Problem einer säkularen Stagnation – gerade auch mit Blick auf öffentliche Investitionen – ganz anders stellen. Oder?

  2. … „Die politischen Entscheidungen in den letzten Jahren haben hier eher zu einer Verschlechterung geführt. Auch die Entwicklung der Energie- und Arbeitskosten hat die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zuletzt beeinträchtigt. “

    Wie denn? Deutschland hat 2014 u 2015 mit einem neuen Rekordwert den größten Exportüberschuss aller Länder erzielt.

    Der Autor – zu meinem Unverständnis- plädiert für eine signifikante Ausweitung der angebotsseitige Politik und eine Diskriminierung der Nachfrage.
    Das kann und wird nicht gut gehen.

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