Die Deutsche Bank und die Presse
Eine verhängnisvolle Beziehung

Zur Zeit vergeht kaum ein Tag ohne Berichte, Interviews und Kommentare zum Niedergang derer Deutschen Bank. Selbst der Bundeswswirtschaftsminister ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Welt lange genug auf seine Stellungnahme gewartet hat. Folgerichtig bereichert er die vielfältigen Profilierungsversuche zu Lasten deutscher Interessen um einen herausragenden eigenen Beitrag: „Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, dass die Bank, die das Spekulantentum zum Geschäftsmodell gemacht hat, sich jetzt zum Opfer erklärt“.  Sollte das etwa ein Signal an ausländische Regierungen sein, sie könnten  sich von der Annahme leiten lassen, in Berlin verstehe man es nicht als vergeltungsbedürftige Maßnahme in einem Wirtschaftskrieg, sondern akzeptiere es als angemessene Wiedergutmachung, wenn deutsche Unternehmen mit abnormen Strafzahlungen zur Ader gelassen werden?

Der oberste Vertreter deutscher Wirtschaftsinteressen hätte für seinen heute völlig deplatzierten Spruch leicht einen Zeitpunkt finden können, in dem er Beifall verdient gehabt hätte. Jeder, der nicht völlig blind für die permanenten Fehlgriffe war, die sich die Deutschen Bank beim Ausbau des Investmentbanking unter dem Trio infernale Kopper, Breuer und Ackermann leistete, musste sich fragen, ob die in diesem Geschäftszweig „marktübliche“ Vergütungsexplosion etwas mit einer fehlerhaften Einschätzung von Risiken zu tun hat, die am Ende bei den Aktionären liegen bleiben und die Existenz der Bank in Gefahr bringen konnten. Aber noch im September 2007 wartete Gabriels damaliger Kabinettskollege Steinbrück als für das Bankwesen zuständiger Minister mit der Feststellung auf: „Die Deutsche Bank ist völlig stabil aufgestellt.“ Den Autoren ist nicht erinnerlich, dass die Wirtschaftspresse dagegen Sturm gelaufen wäre. Sie erinnern sich  allerdings an gegen sie ergangene Entscheidungen des  Oberlandesgerichts Frankfurt,  das noch nie durch ein erkennbares Verständnis für berechtigte Aktionärsinteressen aufgefallen ist. Nach langjähriger Kritik an der außer Kontrolle geratenen Vergütungspolitik verlangten die Autoren erstmals für das Geschäftsjahr 2003 eine gerichtliche Entscheidung, mit der die Bank wenigstens zu einer anonymisierten Offenlegung der Fallzahlen von Gehältern im Millionenbereich gezwungen werden sollte. Das Oberlandesgericht stellte dazu fest, es handle sich – bei der Frage nach der Anzahl und  Staffelung von Millionengehältern –  nicht „um wesentliche Informationen … aus der Sicht eines vernünftigen Durchschnittsaktionärs“; „konkrete Anhaltspunkte für eine sachlich nicht gebotene, überhöhte Dotierung“ seien „nicht zu erkennen“.

Sah die Wirtschaftspresse in dieser Entscheidung einen Anlass für Kritik an den verantwortlichen Richtern? Nicht im Geringsten! Also durften sich Vorstand und Aufsichtsrat ermuntert fühlen, die Ausplünderung der Bank im Interesse ihres Spitzenpersonals – wir wollen hier bewusst nicht von Spitzenverdienern reden –  weiter voranzutreiben.

Bis das in der Presse explizit angeprangert wurde, sollte es noch eine Weile dauern. So lange die Deutsche Bank noch stark genug war, um sich die Presse einigermaßen  gefügig zu machen, verbrannte man sich lieber nicht die Finger.  Das Magazin Focus schrieb dann Ende Juli 2016: „Die Deutsche Bank .. wurde über mehr als 15 Jahre von Teilen ihrer Belegschaft systematisch ausgeplündert … Wo waren die Aufsichtsräte, Anteilseigner – und die Regulatoren? Die dramatische Situation, in der das Institut steckt, ist auch oder vor allem die Folge eines Mangels an Kontrolle“ .

Wir Kleinaktionäre fragen da zuerst einmal: Wo war Focus – und natürlich auch: Wo war der Rest der Presse, der heute mit sichtlichem Übereifer nachzuholen versucht, was nicht 15, sondern knapp 27 Jahre lang versäumt wurde? Denn es war Hilmar Kopper, der im Herbst 1989 trotz interner Warunungen vor kultureller Unverträglichkeit den völlig überteuerten Einkauf des Investmentladens Morgan Grenfell vollzog. Kurz vor ihrer Übernahme durch die Deutsche Bank mussten bei dieser Firma  wegen investmentbanktypischer Unregelmäßigkeiten Teile des Spitzenpersonals ausgewechselt werden – und danach dauerte es auch nicht allzu lange, bis ein vermeintlicher „Star“ der Branche mit Scheingeschäften einen Milliardenbetrag in den Sand setzte. Willfährig transportierte die Wirtschaftspresse dazu das vom späteren Vorstandssprecher Rolf Breuer in die Welt gesetzte Bild vom „faulen Apfel“, den man von einem gesunden Baum „abgesägt“ habe, um das Investmentbanking-Geschäft weiter auszubauen. Kurze Zeit später folgte denn auch die noch viel verhängnisvollere Weichenstellung, für die ebenfalls von investmentbanktypischen Unregelmäßigkeiten geplagte Schrottbude Bankers Trust einen Mondpreis hinzulegen und den Top-Managern noch ein paar Hundert Millionen hinterherzuwerfen – den einen, damit sie bleiben, und dem Chef, damit er verschwindet. Damit war eine weitere Stufe der Vergütungsrakete gezündet, deren Verbrennungskraft nun auch den Rest der Bank zunehmend in Mitleidenschaft zog.

Man darf wohl davon ausgehen, dass sich die Deutsche Bank viele Besänftigungsmaßnahmen hat einfallen lassen, um öffentliche Kritik an den immer deutlicher zutage tretenden Fehlentwicklungen zurückzudrängen. So wurde auch einer der Autoren zur Zielscheibe einer Charme-Offensive des frisch gebackenen Aufsichtsratvorsitzenden Clemens Börsig, der ihn zu einem Mittagessen einlud, um über seine Anliegen für die bevorstehenden Hauptversammlung  zu sprechen. Es ging naturgemäß um die bereits eingetretene Vergütungsexplosion und die noch im Verborgenen blühenden Risiken des Investmentbanking.  Nachdem das Gespräch – wie zu erwarten war – ohne Ergebnis zu Ende ging, waren die Autoren für die Hauptversammlung des Jahres 2008 auf  eine gesteigerte Öffentlichkeitswirksamkeit ihrer Kritik bedacht.

Aus diesem Grund wurde die Tagesordnung der Hauptversammlung 2008 um mehrere Punkte erweitert. Darunter waren Maßnahmen der Risiko-Begrenzung für das US-Geschäft, die Aufdeckung von treuwidrigem Abstimmungsverhalten und insbesondere die Abspaltung des Investmentbank-Geschäfts mit der Begründung, es unterscheide sich nur unwesentlich von einem schlecht geführten Fußballverein, wo alles an die Spieler verteilt wird und für den Verein außer unkalkulierbaren Risiken nichts übrig bleibt.

Die Hoffnung auf erhöhte Publizität lief – jedenfalls im Inland – voll ins Leere. Es gab zwar im Vorfeld der Hauptversammlung etliche Anfragen von Journalisten aus Übersee – nicht nur aus den USA, sondern auch aus Japan – aber die Inlandspresse schwieg unsere Anliegen praktisch tot und wir können uns auch denken, warum. Nur die Börsenzeitung erwiderte pflichtgemäß in der Person des Redakteurs Bernd Wittkowski, der uns dann vorrechnete,  wie toll das Investmentbanking-Geschäft bei der Deutschen Bank angeblich lief, und die sich bereits deutlich abzeichnenden Risiken ebenso totschwieg wie der Rest der Presse. Sein Artikel schloss mit der denkwürdigen  Formulierung, es gebe im Fußball wie im Investmentbanking zwar „schon mal“ auch „eklatante Fehlleistungen“; entscheidend aber sei, dass „der 1. FC Deutsche Bank in der globalen Champions League ganz vorne mitspielt und dem Publikum viel Freude macht.“ Wenige Monate später wäre die Deutsche Bank pleite oder auf die Hilfe des deutschen Staates angewiesen gewesen, hätte nicht der amerikanische Staat den Versicherungskonzern AIG gerettet und der Deutschen Bank einen zweistelligen Milliardenbetrag für das Gegenpartei-Risiko aus den AIG-Geschäften zukommen lassen.

Wo war Focus? Wo war die übrige Presse, als sich Josef Ackermann auf der Hauptvesammlung im Mai 2008 damit brüstete, was für eine tolle Bank er führe? Wo war die Kritik, als er Folien auflegte, in denen die sich abzeichnenden Risiken und die Vergütungsexplosion naturgemäß nicht auftauchten, und die Deutsche Bank als vermeintliches Paradeunternehmen dargestellt wurde, weil Vergleichsobjekte präsentiert wurden, vor deren Hintergrund die Deutsche Bank als damals noch scheinbar Einäugige unter Blinden hervorstach?  Wo war die Reaktion darauf, dass nach Ackermanns Propagandafolien keine Erwiderung mehr möglich war, weil der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Börsig als Sitzungsleiter einfach keinen Aktionär mehr zu Wort kommen ließ? Das war wohl das, was die Deutsche Bank unter einer Diskussion nach akademischen  Standards verstand, auf die sich ausgerechnet Ackermann zuvor berufen hatte.

Die Krönung all dieser Absurditäten aber erfolgte acht Wochen später in der allernächsten Nachbarschaft des Hauptversammlungsorts. Ende Juli 2008 beschloss der Senat der Universität Frankfurt, Josef Ackermann die Würde eines Honorarprofessors zu verleihen. Der damalige Universitätspräsident Rudolf Steinberg erklärte, die Berufung Ackermanns biete „eine hervorragende Basis für die weitere Verknüpfung von Theorie und Praxis im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften“. Der damalige und  heutige Direktor des zur Universität gehörenden „House of Finance“, Wolfgang König, ließ gar verlauten, Ackermann sei ein „sehr gute(r)“ Kopf, der den „Finanz- …Platz Frankfurt stärke( )“, und die Studenten seien von den Seminaren, die er bislang gegeben habe, „hellauf begeistert“ – konnten sie doch bei ihm lernen, wie man eine Bank kurzfristig ausplündert und langfristig ruiniert. Allerdings müssen unter den Studenten auch Zweifler zu finden gewesen sein; aus deren Kreisen wurde immerhin ein Transparent in den Senatssaal geschmuggelt, auf dem zu lesen stand: „Ein ,Abzocker ist zu wenig, Honorarprofessur auch für Zumwinkel“.

Hätte die Universität Frankfurt einen solchen Schritt gewagt, wenn sie mit einem entsprechenden Echo in  der bürgerlichen Presse hätte rechnen müssen? Diese Frage beantwortet sich von selbst; einschränkend ist hier nur zu vermerken, dass ein Presseorgan, das man wohl glaubte, ignorieren zu können, nämlich die im linken Spektrum verortete Frankfurter Rundschau, in Ackermann als Honorarprofessor schon damals eine „schlechte Wahl“ sah.

Naturgemäß wäre es nicht nur an der Wirtschaftspresse gewesen, gegen den verheerenden Kurs des Trio infernale der Vorstandssprecher, aus dem dann später  mit Anshu Jain ein infernalisches Quartett geworden ist, Stellung zu beziehen. Die Focus-Frage, wo die  Aktionäre waren, ist in dieser Allgemeinheit zwar deutlich verfehlt, hat aber durchaus ihre Berechtigung, wenn man sie auf die vom Stimmengewicht her bedeutsamsten Aktionäre beschränkt. Wo waren all die institutionellen Anleger, die sich in letzter Zeit mit Kritik überschlagen, im Jahre 2008, und warum haben sie nicht schon viel früher auf den Alarmknopf gedrückt und gegen die Verwaltung gestimmt?

Wie ist zu erklären, dass institutionelle Anleger und mit Stimmrechtsvollmachten ausgestattete Depotbanken die notorischen Vergütungsexzesse bei praktisch allen Großbanken trotz im allgemeinen bescheidener und vielfach sogar miserabler Kursentwicklung von Großbank-Aktien mitgetragen haben? Warum haben sie die Risiken des Investmentbanking einfach ausgeblendet, obwohl es immer wieder – und nicht nur bei der Deutschen  Bank und auch schon lange vor 2008 – zu eklatanten Fehlleistungen gekommen ist, die trotz Milliardenkosten oft erst mit Verspätung erkannt wurden und selbst Großbanken ruinieren oder in die Arme des Staates treiben konnten?

Wer glaubt, dass Institutionen, die nicht mit eigenem Geld unterwegs sind, sondern nur fremder Leute Geld verwalten, eigentlich (!) im Aktionärsinteresse abstimmen müssten, hat das fundamentale Problem der heutigen Publikums-Aktiengesellschaft leider nicht verstanden. Man muss schon entsetzlich naiv sein, wenn man – wie etwa der Gesetzgeber – unterstellt, Abstimmungsergebnisse in Hauptversammlungen seien Ausdruck der Interessen derer, die die Vermögensrisiken der Aktienanlage letztlich tragen müssen.  Warum sollte ein institutioneller Anleger – oder noch präziser: ein Angestellter einer mit der Verwaltung fremden Geldes betrauten Institution – sich nicht nach seinen eigenen Interessen richten, sondern nach den Interessen derer, deren Geld er verwaltet? Wenn das Anreiz-  und ,Sanktionssystem, dem er unterliegt, ihn nicht wirksam von Untreuehandlungen abschreckt, spricht die ökonomische Logik dafür, dass er Untreuehandlungen begehen wird.

Weder 2008 noch heute sind die Sanktions- und Anreizsysteme für Verwalter fremden Geldes so ausgestaltet, dass Abstimmungsmehrheiten in Hauptversammlungen sich nicht weit von den Interessen der Aktionäre entfernen können. Institutionelle Anleger können zur Verwaltung einer Aktiengesellschaft in vielfältigen anderen Geschäftsbeziehungen stehen, die für sie wichtiger sind, als die Interessen von Aktionären, die oft gar nicht oder jedenfalls viel zu spät bemerken, dass sie Opfer von Untreuerhandlungen geworden sind. Hinzu kommt, dass Widerstand gegen Vergütungssysteme erst recht nicht zu erwarten ist, wenn der zur Abstimmung aufgerufene Manager eines Investmentfonds selbst von einem ähnlichen Vergütungssytem profitiert. Auf genau dieses Argument hat sich ein Angehöriger einer Fondsverwaltung auch berufen, als er einem der Autoren vor Jahren erklärte, warum er sich gegen das Vergütungssystem der Deutschen Bank „nicht aus dem Fenster hängen“ könne.

Wer erreichen  will, dass zukünftig eher im Aktionärsinteresse abgestimmt wird als bisher, muss sich mit zwei Schlussfolgerungen anfreunden. Erstens ist der Gesetzbeger dazu aufgerufen, die Rolle institutioneller Anleger  zurückzudrängen und den privaten Anlegern, die mit eigenem Geld unterwegs sind, eine stärkere Stellung einzuräumen. Das heißt unter anderem, dass der Direktanleger keineswegs, wie dies bisher der Fall ist, gegenüber dem Fondsanleger steuerlich diskriminiert werden darf.  Zweitens ist dafür Sorge zu tragen, dass die Abgabe von Stimmen durch institutionelle Anleger so reguliert wird, dass das Ausleben von Interessenkonflikten auf Kosten der wirtschaftlich betroffenen Inhaber der Vermögensrechte schwieriger und vor allem gefährlicher wird. Einen Vorschlag hierzu haben die Autoren der Hauptversammlung der Deutschen Bank im Jahre 2008 unterbreitet. Man kann ihn nach wie vor via Bundesanzeiger abrufen (Ausgabe vom 7.4.2008). Er hat damals knapp 5 % Zustimmung erhalten – sicher nicht von institutionellen Anlegern und Depotbanken, die bis heute ihre Interessenkonflikte ungeniert ausleben, wenn sie selbst davon profitieren können.

Wie die Anreize für Journalisten verbessert werden können, damit die Neigung zu selektiver Berichterstattung zurückgedrängt wird, ist eine Angelegenheit, mit der sich vor allem die Presse selbst zukünftig intensiver befassen sollte, bevor stark verkürzte Kritik, wie sie in dem wenig schmeichelhaften Wort „Lügenpresse“ zum Ausdruck kommt, weiter an Zustimmung gewinnt.

Unser Beitrag zu diesem Thema beschränkt sich vorläufig auf die Feststellung, dass von vorgestern ist, wer heute noch mit Geschichten aus  Zeiten vor Ackermanns Rücktritt  auf die Deutsche Bank eindrischt. Dafür war genug Zeit – und wer die versäumt hat, muss sich jetzt nicht nochmals blamieren.

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